Sie bereuen nichts – Der Blick der rechten Szene auf den NSU

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von Frank Metzger und Eike Sanders

zuerst erschienen im monitor Nr. 60, Juli 2013, Rundbrief des apabiz e.V.

Die kritische Öffentlichkeit tut sich weiterhin schwer mit dem Zusammensetzen der unzähligen Puzzleteile des NSU-Komplexes zu einem sinnvollen Ganzen, aus dem sich Interpretationen und Forderungen ableiten lassen. Die Meinungsbildung ist bei vielen noch im Prozess. Um so bedenklicher ist, dass die extreme Rechte ihre Interventionen besonders anlässlich des NSU-Prozesses verstärkt – aller inhaltlichen Schwächen zum Trotz.

Der Verurteilte Neonazi Karl-Heinz Statzberger, Kameradschaft München, und Maik E., Bruder des Angeklagten André E., versuchen am 1. Verhandlungstag Zuschauer_innen-Plätze zu bekommen. (c) nsu-watch

Maik E., Bruder des Angeklagten André E, und der verurteilte Neonazi Karl-Heinz Statzberger (Kameradschaft München) versuchen am 1. Verhandlungstag Zuschauer_innen-Plätze zu bekommen.
(c) nsu-watch

Eineinhalb Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU hadern die meisten Beobachter_innen mit der Formulierung eines schlüssigen Gesamtbildes und der Einordnung der vielen kleinen und großen Skandale. Oder sie scheitern daran. Gerade der antifaschistischen und antirassistischen Linken fehlt die gemeinsame Benennung von Adressat_innen für ihre Empörung, Wut, Veränderungsforderungen. Bis jetzt ist vieles noch zu unerklärlich. Zu mehr als dem ehrlichen Resümee, dass die direkte und indirekte (Mit-)Schuld der Behörden und der Gesellschaft an diesen schwersten Verbrechen und ihren fatalen Folgen für Betroffene, Angehörige und Gesellschaft multikausal und überaus komplex ist, können auch wir uns nicht durchringen. Es kann eine Stärke sein, zu diesem Zeitpunkt noch kein abschließendes Urteil, kein umfassendes Fazit, keine stringente Theorie zu liefern – eben um den Prozess der Aufklärung offen und im Fluss zu halten, um sich nicht auf einige wenige Schuldige einzuschießen, um weiterhin alle wichtigen Fragen stellen zu können.

Wer sich zum NSU eine einfache, unterkomplexe Meinung bilden will, der kann sich auf einer steigenden Anzahl von Blogs und in Foren informieren und diskutieren – viele sind leider unseriös bis verschwörungsideologisch. Sie verdrehen Fakten und geben vermeintliche Antworten auf Fragen, die bis jetzt weder die Untersuchungsausschüsse noch die Medienberichterstattung beantworten konnten, vor allem die nach der Verstrickung des Staates. Gerade hier versucht auch die extreme Rechte zunehmend am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Dabei beteiligt sie sich kaum an der Berichterstattung über neue Erkenntnisse und trägt damit sowieso wenig zur Wahrheitsfindung bei. Ihr offensichtliches Ziel ist es, Meinungsbildung in ihrem Sinne zu betreiben.

Schuldabwehr

In der Rezeption des NSU bilden sich derzeit drei Stränge heraus: Schuldabwehr, Feindbestimmung und positive Bezugnahme. Der erste und stärkste Strang ist die Schuldabwehr mittels verschwörungsideologischer Distanzierung: Der NSU sei »staatlich gemachter Terror« und nicht die Konsequenz bewussten Handelns überzeugter Neonazis. Mit Rassismus hätten die Taten demnach nichts zu tun, und auch die zugrunde liegenden neonazistischen Konzepte bleiben unerwähnt. Im extrem rechten Sprachgebrauch hat sich schnell der Begriff »NSU-Phantom« durchgesetzt. Das Gerichtsverfahren wird als »NSU-Theater« und »Schauprozess« bezeichnet, das Trio als Marionetten oder »Bauernopfer«.

Die versuchte Dekonstruktion des öffentlichen Bildes vom NSU als ein Netzwerk (oder wenigstens eine Zelle) von rassistischen Nazis führt von der Schuldabwehr zur Täter-Opfer-Umkehr. Der NSU sei konstruiert worden, um der extremen Rechten, insbesondere der neonazistischen Szene und der zu schaden. Die Zeitschrift titelte bereits im Januar 2012 mit »Bestellter Terror – Wem nützt die »rechte Gewalt«?«. Der NPD-Vorsitzende sagte im Hinblick auf ein erneutes Verbotsverfahren, dass »hier bewußt ein neuer Verbotsgrund geschaffen worden ist«. [1] Der Berliner NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke distanzierte sich bei einer Demonstration im April 2012 vom NSU: »All dieser Lügenschwindel der sogenannten Dönermorde, und was es da momentan alles gibt, schreckt natürlich ab, mit uns zu laufen. Aber wir als NPD haben mit Sicherheit nichts mit sogenannten Dönermorden, oder was auch immer vom Verfassungsschutz organisiert wurde.«

Die Methode der Argumentation in Blättern wie , Deutsche Stimme oder auf Webportalen wie deutschelobby oder pi-news ist simpel: Ermittlungserkenntnisse und in der Öffentlichkeit diskutierte Fakten werden prinzipiell als manipuliert oder frei erfunden angezweifelt, um dann mit eigenen frei erfundenen oder aus dem Zusammenhang gerissenen »Fakten« ein anderes Bild zu liefern, das dem eigenen Weltbild entspricht. Auch der ehemalige Wehrsportgruppen-Führer Karl-Heinz Hoffmann kommentiert auf seiner Webseite die Geschehnisse der Prozesstage, findet eigene Erklärungen und spricht die Angeklagten von jeglicher Schuld frei. Erfreut verweist Hoffmann auf ein Statement von Compact-Chefredakteur , nach denen »die Morde […] auf das Konto eines internationalen Geheimdienstnetzwerkes« aus deutschen, türkischen und US-amerikanischen Diensten gingen und »das Trio höchstens bei einem Teil der Morde involviert gewesen« sei. [2] Belege werden selbstverständlich keine geliefert.
Elsässer und seine Compact dienen überaus häufig als Referenz und Quelle für alle Spektren der extremen Rechten – von Internetseiten neonazistischer Kameradschaften bis zur Jungen Freiheit. Deren Redakteur Felix Krautkrämer lobt zwar »die richtigen Fragen« [3],  mag aber den Lösungsansätzen der Compact nicht bis zur letzten Konsequenz folgen. Den Mangel an eigener Theorie zum NSU-Komplex wischt die sich intellektuell gebärdende Neue Rechte einfach weg. Ihr fehlt es genauso wie den »Straßennazis« am Willen und den Werkzeugen, den Rechtsterrorismus adäquat zu analysieren. So gebärdet sich die Andeutung und das Gerücht bei der Jungen Freiheit als Meinung.

Feindbestimmung gegen »das System«, »die Ausländer« und »die Antifa«

Der zweite Strang der extrem rechten Diskursbildung ist die Feindbestimmung und damit die Kampfansage gegen »das System«, »die Ausländer« und »die Antifa«. Anhand der Heraushebung der vermuteten bzw. halluzinierten Rolle dieser Feindbilder im NSU-Komplex versucht sich die extreme Rechte des öffentlichen Diskurses selbst zu bemächtigen. Die Anklage richtet sie gegen altbekannte Feinde, Slogans werden nur sporadisch abgewandelt vor der neuen zurecht geschnittenen Folie des NSU. [4]

Die Compact präsentiert in ihrer Sonderausgabe von März 2013 die faktisch längst widerlegte »Kriminalität« der Opfer für ihre Analyse der Mordserie. Damit werden rassistische Ressentiments bedient und die Morde grundlegend entpolitisiert: Die neonazistische Sozialisation und Einstellung des Trios und ihres Unterstützungsumfelds bleiben unerwähnt. Gerne werden auch Zahlen gegeneinander gerechnet, die jeglicher faktischen Grundlage entbehren. So schreibt die NPD-Zeitung Deutsche Stimme von angeblich 7.000 »deutschen Mordopfer[n]von Einwanderern […] seit 1990« und bezeichnet die Opferzahlen rechter Gewalt als »Hetzlügen der Globalisierungs-Propagandisten«. [5]  Ein übliches Muster ist es außerdem, dem Diskurs um den NSU Gewalt oder vermeintlichen Terrorismus durch »Linke und Ausländer« gegenüber zu stellen und dort mehr Repression einzufordern.

All dies dient der Verschiebung der öffentlichen Erklärungsmuster in eine der eigenen rassistischen und neonazistischen Ideologie dienlichen »alternativen« Wahrheit. Dass ein Konspirationsideologe wie Elsässer der einigende Minimalkonsens der extrem rechten Meinungsbildung ist, belegt ihre inhaltliche Schwäche.

Sympathie für den NSU, Verunglimpfung der Opfer und Morddrohungen

Weniger diskursorientiert findet die unverhohlene positive Bezugnahme auf den NSU statt.
Seit dem Auffliegen des NSU ist die extreme Rechte nicht nur unter staatlichem Repressionsdruck, sondern auch tatsächlich unter verstärkter öffentlicher Aufmerksamkeit, vielleicht sogar unter gesellschaftlichem Druck. Derzeit Konzepte vom »bewaffneten Widerstand« zu propagieren bedeutet auch für ein selbstbewusstes Kameradschaftsspektrum ein ungleich höheres Risiko als in den 90er Jahren. Dies erklärt, warum sich die militante neonazistische Szene weniger in die öffentliche Diskussion einbringt. Zumal wir davon ausgehen können, dass es unter ihnen einige Personen gibt, die tatsächlich etwas über den NSU wissen. So findet eine Fakten basierte »Aufklärung« und eine eigene Interpretation des NSU in diesem Spektrum kaum statt. Die Neonazis übernehmen die verschwörungsideologische Schuldabwehr und die übliche Feindbestimmung, veröffentlichen selbst aber kaum.

Die Neonazis drücken ihre Sympathie für den NSU vor allem in Drohungen und Angriffen auf die antizipierten Feinde des NSU aus. Schon im November 2011 wurde im -Forum rassistisch gehetzt: »Muß ich durch das ganze Land reisen, um ein paar Dönerladenbesitzer ihrer Bestimmung zuzuführen?« Nach der gerichtlichen Stilllegung von Thiazi haben sich solche Vorgänge vor allem in den Kommentarbereich von verlagert. Hier geht es weniger um die Interpretation des NSU-Komplexes sondern um das Wirken nach Innen in einem vermeintlichen Schutz der Anonymität. Inwieweit Taten und Worte zusammenspielen, lässt sich wenn überhaupt dort ablesen.
In etlichen Orten tauchten Sprühereien auf, die den NSU verherrlichen oder die Opfer verunglimpfen. In Düren wurde an das Gebäude der Islamischen Gemeinde gesprüht: »NSU lebt weiter…«, verbunden mit einer konkreten Morddrohung. In München wurden seit dem Prozessbeginn ungefähr ein Dutzend Anschläge verübt, darunter auf das Büro der Nebenklagevertreterin Angelika Lex und mehrere Male auf den bayerischen Flüchtlingsrat. In allen Fällen ist es offensichtlich, dass Neonazis die Anschläge verübten. [6]

Seit einiger Zeit erfolgen explizite Sympathiebekundungen und Unterstützungsleistungen für im NSU-Prozess angeklagte Personen. Mehrere Neonazis, darunter sein Bruder Maik E. und andere bekannte Protagonisten der militanten Neonazi-Szene, unterstützen André E. emotional durch ihre Anwesenheit beim Prozess und strukturell durch ihre Beherbergung in einem Münchner Hausprojekt. [7] Ebenfalls an mehreren Prozesstagen anwesend war , der immer wieder Blickkontakt mit den Angeklagten Zschäpe und Wohlleben suchte. Steffen R. ist einer der Initiatoren der Solidaritätskampagne Freiheit für Wolle für , der unmissverständlich als einer der ihrigen betrachtet wird. Bisheriger Höhepunkt dieser Kampagne war der Thüringentag der nationalen Jugend am 15. Juni in Kahla bei Jena. In Redebeiträgen, auf zahlreichen T-Shirts und einem großen Banner des Thüringer Heimatschutzes bekannten die OrganisatorInnen und Gäste ihre offene Sym­pathie und Unter­stützung.

Heldin der nationalen Bewegung Zschäpe?

Der Angeklagte André E. und seine Frau Susann E. haben laut Presseberichten in ihrer Wohnung eine Mundlos und Böhnhardt zeigende Kohlezeichnung hängen, die mit einer Todesrune und dem Schriftzug »unvergessen« verziert ist. Ob solch eine Heldenverehrung jemals zu Teil werden wird, ist noch unklar solange die Gefahr besteht, dass sie entweder V-Frau gewesen sein könnte oder dass sie aussagt, also mit dem verhassten Staat kooperiert. Bezeichnend ist, dass im neonazistischen Spektrum  – außer halbherzigen Verurteilungen der Morde in der offiziellen NPD-Linie – keinerlei Distanzierung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt als mutmaßliche MörderInnen gab.

Wenn sich in der Szene die Lesart des NSU-Komplexes als komplette Verschwörung durchsetzt, kann Zschäpe als unschuldiges Justizopfer gelten. Jürgen Elsässer behauptet das schon heute in einer zweifelhaften Sympathiebekundung: »Irgendwie will mir nicht in den Kopf, dass ein Mensch, der den Eindruck eines Engels hinterlassen hat, ein Teufel gewesen sein soll. Oder bin ich naiv?« [8] Wenn Zschäpe dann, wie es ihre Brieffreundschaft mit dem 2008 zu acht Jahren Gefängnis verurteiltem Neonazi Robin S. [9] nahelegt, das Bild aufrecht erhalten kann, eine überzeugte, aber verschwiegene Rassistin und Neonazistin zu sein, macht sie deutlich, dass sie Solidarität verdiene. Die Art der Solidarität ist dann für die Szene, die weiterhin über gute Gefangenen-Hilfe-Strukturen verfügt, nur noch der übliche Drahtseilakt zwischen legaler, quasi humanitärer Hilfe und strafrechtlich relevanter Billigung von Straftaten.

Fazit

Das Zusammenspiel zwischen Verschwörungsideologien und dem Interesse der Neonazis, die gesellschaftliche Debatte um den NSU in ihrem Sinne zu nutzen, ist gefährlich. Nicht nur, weil Worten Taten folgen und der NSU erst Märtyrer- und dann Vorbildcharakter bekäme. Allein aus Respekt vor den Opfern muss Argumentationen entgegengetreten werden, die die Taten nicht als Produkt eines gesellschaftlichen Rassismus und einer neonazistischen Selbstermächtigung begreifen. Wenn Verschwörungsideologien die Täter­Innen freisprechen, sie zu Opfern und letztendlich die Opfer wieder zu Täter_innen werden lassen, können die Neonazis auf dieser diskursiven Basis ihrem Interesse nachgehen, den NSU zu verherrlichen und gegen ihre altbekannten Feindbilder zu »kämpfen«.

Deswegen ist es auch wichtig – bei allen offenen Fragen und bei allen eigenen berechtigten Zweifeln an der offiziellen Interpretation des NSU – immer wieder den den Taten zu Grunde liegenden Rassismus der TäterInnen und der Ermittler_innen zu benennen. So schwer die Einordnung des NSU in ein schlüssiges Narrativ ist: Wir müssen uns positionieren und den Diskurs weder den rassistischen Verschwörungsideolog_innen noch den Neonazis überlassen. Das Problem heißt Rassismus. Die TäterInnen waren überzeugte und bewusst handelnde Neonazis.

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1  Vgl. DS-Aktuell: Neue NPD-Verbotsforderung ist plumpes Ablenkungsmanöver (vom 14. November 2011); in: http://ds-aktuell.de/?p=741 (letzter Zugriff am 19.06.2013)

2   Vgl. Elsässer, Jürgen: Elsässer zum NSU-Prozess auf »Stimme Russlands«, in: http://juergenelsaesser.wordpress.com/2013/06/07/elsasser-zum-nsu-prozess-auf-stimme-russlands/ (letzter Zugriff am 19.06.2013)

3   Vgl. Krautkrämer, Felix: Dickicht, Sumpf, wildes Wuchern – der Nationalsozialistische Untergrund; in: Sezession 53, April 2013, S. 16-19

4   z.B. schrieb die neonazistische AG Nordheide im bekannten »revolutionären« Duktus: »Man muss die wahre Terrorzelle beim Namen nennen und diese wäre für uns das GANZE System mit seinen Handlangern.« Vgl. AG Nordheide: Das NSU Theater und Warnungen vor Anschlägen (vom 10. April 2013); in: http://logr.org/agnordheide/2013/04/10/das-nsu-theater-und-warnungen-vor-anschlagen/ (letzter Zugriff am 19.06.2013)

5   Vgl. Wuttke, Roland: Staatsterror abschalten! -›Verfassungsschutz‹ verbieten: Wie in Deutschland Dissidenten stigmatisiert und kriminalisiert werden; in: Deutsche Stimme, März 2012, S. 10

6   Mehr Informationen in den Chroniken von a.i.d.a. (antifaschistische informations-, dokumentations- und archivstelle münchen e.V.) unter aida-archiv.de

7   Kastner, Bernd: Braunes Haus; in: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/treffpunkt-der-neonazi-szene-braunes-haus-1.1695036 (letzter Zugriff am 19.06.2013), vgl. Robert Andreasch: Rechte WG oder „Nationales Jugendzentrum“? (17. Dezember 2012) http://aida-archiv.de/index.php?option=com_content&view=article&id=3387:rechte-wg-oder-qnationales-jugendzentrumq&catid=40:kameradschaften&Itemid=151

8   Vgl. Elsässer, Jürgen: Allein unter Wölfen – Editorial, in: Compact, Mai 2013, S. 3

9   Vgl. LOTTA Nr. 34 (Frühjahr 2009), S. 345