Der sächsische NSU-Untersuchungsausschuss

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Der NSU-Untersuchungsausschuss in Sachsen nähert sich dem Ende. Eingesetzt von einer Minderheit wird seine Bilanz dürftig bleiben.

Aus dem Antifaschistischen Infoblatt Nr. 101 / 4.2013

Nein, ein Untersuchungsausschuss (UA) ist kein Kaspertheater. Weil das aber nicht allen klar ist, hat dessen Vorsitzender Patrick Schreiber (CDU) einen früheren V-Mann-Führer des LKA Berlin, Michael W., nochmal darauf hingewiesen. W. hatte beteuert, er wisse gar nicht, warum er hier jetzt in Dresden beim NSU-Untersuchungsausschuss sein muss. Die Fragen, vom Ausschuss vorab zugeschickt, habe er nur »überflogen« und deshalb nichts zu berichten. So ging im Oktober eine »Blockwoche« des sächsischen UA zu Ende. Gleich zehn Polizeibeamte waren geladen. Darunter einer, der seine Erinnerungen so weitgehend eingebüßt haben will, dass er sich mit dem Hinweis verabschiedete, die eben gestellten Fragen schon wieder vergessen zu haben. Es ist nun keineswegs so, dass der sächsische Untersuchungsausschuss »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, wie er offiziell heißt, keine bedeutenden Fragen hätte. Aber zumindest, was die öffentliche Wahrnehmung angeht, steht der Ausschuss im Schatten seines Pendants im Bundestag und des Prozesses in München.

Der sächsische UA wurde am 7. März 2012 auf Antrag der Fraktionen DIE LINKE, SPD und Grüne eingesetzt, die Regierungsfraktionen CDU und FDP sowie die NPD enthielten sich. Dass hier unter den demokratischen Fraktionen keineswegs Einigkeit über den Gang der Aufklärung besteht, ist eine sächsische Eigenheit; die andere, dass bis zur ersten Zeugenvernehmung nochmal mehr als ein halbes Jahr ins Land ging. Man könnte das als Indiz für einen überschaubar geratenen Aufklärungswillen werten.

Das häufigste Argument gegen einen UA war anfangs die Anwesenheit der NPD; deren Funktionär Arne Schimmer nimmt an den Sitzungen regelmäßig teil. Dass die Partei jetzt genau weiß, wie viele V-Leute ihr das hiesige Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) eingepflanzt hat, verdankt sie jedoch einer Indiskretion, von der man nicht weiß, ob sie Versehen oder Absicht war: Das LfV Sachsen hat einen Vermerk mit der entscheidenden Zahl – 17 – unaufgefordert dem Ausschuss geschickt, so als gelte es, die Befürchtungen zu nähren, derentwegen dem UA Aktenbestände aus Bundesbehörden gar nicht erst zugestellt werden.

Die Handwerker vom »Verfassungsschutz«

Herausgekommen ist schließlich ein UA, dessen Vorsitzender so zum Vorsitz kam: »Ein paar Leute hatten keine Zeit«.[1] Schreiber agiert dennoch souverän, wenn auch gegen den Trend unter den Ausschussmitgliedern seiner Koalition, die kaum Fragen stellen. Bisweilen verblüffen eher die Antworten: Als Schreiber im Mai 2013 vom sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) wissen wollte, welche Rolle das Internet heute für »Rechtsextremisten« spielt, bezeichnete Ulbig das Internet als »sehr bemerkenswert« und las dann mehrere Absätze aus einer früheren Landtagsdrucksache vor, aus der hervorgeht, dass »Extremisten« heutzutage das Internet benutzen.

Der UA hat Experten geladen und zur Einordnung des Phänomens »Rechts­extremismus« unter anderem Uwe Backes angehört; andere Koryphäen der Extremismustheorie hatten abgesagt.[2] Backes sagte, er habe sich »gelegentlich gewundert«, wenn er in Verfassungsschutz-Berichten lesen musste, dass es in Deutschland keinen Rechtsterrorismus gäbe. Er habe sich dann überlegt, »worauf das zurückzuführen sein könnte«. Darauf hat der UA bis jetzt keine Antwort, weiß aber schon mehr zu den Leuten, die solche Schlüsse gezogen haben. Gefragt nach der Personalpolitik des sächsischen LfV sagte Alfred D., der Anfang der 1990er Jahre als »Aufbauhelfer« für den Geheimdienst aus Bayern nach Sachsen kam, dass jeder Auswerter werden konnte, der einfach eine Initiativbewerbung nach Dresden geschickt hat. »Da hat es Tischler gegeben, Handwerker«, »alles Mögliche« eben, solange nur keine frühere Stasi-Mitarbeit bekannt war.

Polizei war nah am »Trio«

Abseits aller Stilblüten ist der UA nach bald 30 Sitzungen in den Mühen der Ebene angelangt und fördert Stück für Stück auch Neues zutage. So war die Zielfahndung des Thüringer Landeskriminalamtes, die nach dem Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Januar 1998 die Fahndung führte, oft in Sachsen und hat hiesige Behörden enger eingebunden, als es die Akten verraten. Die Maßnahmen konzentrierten sich insbesondere 1998 bis 2000 auf Chemnitz, wo der NSU zu dieser Zeit tatsächlich untergetaucht war. Telefonüberwachungen und Observationen richteten sich gegen Personen wie die ehemaligen »Blood&Honour«-Größen Jan Werner und Thomas Starke sowie gegen Mandy Struck. Das sind die Leute, bei denen die Ermittlungsbehörden heute davon ausgehen, dass sie den NSU tatsächlich unterstützt haben.

Die damaligen Maßnahmen waren Sache der Polizei, hatten aber einen fragwürdigen Ursprung. Der Thüringer Zielfahnder Sven W. räumte etwa ein, dass er die – wohl gar nicht falschen – Hinweise auf Jan Werner und Thomas Starke von einer »Verfassungsschutz«-Behörde erhalten habe. In den Akten steht nichts zu solchen Spuren und zu der Frage, wer sie gelegt hat. So ist es auch bei Mandy Struck, deren Wohnung im Laufe des Jahres 2000 mehrfach observiert wurde – zeitweise parallel von den VS– und den Landeskriminalämtern in Thüringen und Sachsen. Im Mai 2000 entstand dort, in der Chemnitzer Bernhardstraße, ein Observationsfoto, das Uwe Böhnhardt verblüffend ähnelt. Das BKA hat das damals auch so gesehen.

Unregistrierte Akten

Zu einem Zugriff kam es nie und das berührt einen zentralen Fragekomplex des UA. Es gab ferner, so weit bisher bekannt, nicht einmal den Versuch für ein konzertiertes Vorgehen. Als im Jahr 2003 das Thüringer LKA die Suche einstellte, lautete die These noch immer, das »Trio« sei in Sachsen. Das hat nur niemanden mehr interessiert. Die sächsische Polizei übernahm zuvor keine federführende Rolle und das LfV mit seiner »Operation Terzett« hatte sich schon 2000 wieder aus der Suche herausgezogen.

Der Fall Sachsen zeigt, dass die so genannten »Schnittstellenprobleme« – aktuell ein Vorwand, das BfV massiv aufzuwerten – nicht unbedingt eine Frage föderaler Struktur sind. Hier haperte es nicht an der Kommunikation mit den thüringischen Nachbarn, sondern hier lag zuvorderst der Austausch zwischen den eigenen Behörden brach. Eine Antwort auf die Frage, warum das so ist – oder: warum es gerade in diesem Fall so war – gibt es nicht und die Aussichten, sie noch im UA zu klären, stehen schlecht. Bis zum Frühjahr 2014, wenn der Abschlussbericht entstehen soll, gibt es nicht mehr viele Termine und die für den UA relevanten Themen werden bis dahin nur angeschnitten sein.

Das heißt nicht, dass alles umsonst war. Vielmehr hatte der UA bereits Folgen: Im Juli 2012 hat der damalige sächsische LfV-Präsident Reinhard Boos um Versetzung gebeten, nachdem, so die Mitteilung des Amtes, unregistrierte Akten mit NSU-Bezug »zufällig im Schrank eines Mitarbeiters«, in einem »toten Winkel« gefunden wurden. Ein knappes Jahr später ist das nochmals passiert, diesmal waren Akten – darunter eine zur »Operation Terzett« – im »Altarchiv« des LfV aufgetaucht. Das kostete den bisherigen LfV-Vize, Olaf Vahrenhold, den Job. An der Spitze des Amtes steht nun ein Mann, der sich mit dem Thema NSU auskennt: Gordian Meyer-Plath, früherer »V-Mann-Fahrer« von Carsten Szczepanski, alias V-Mann »Piatto«.

[1] Martin Machowecz: Waren da noch Fragen?, in: DIE ZEIT, 05.07.2012, Nr. 28. Schreiber sagte der Zeitung auch, dass er durch den Ausschuss gelernt habe, »dass Rechtsextremisten genauso schlimm sind wie die Linksextremen.« Die hätten ihm einmal Hundekot in den Briefkasten gesteckt.
[2] Vgl. AIB Nr. 99 S. 26 und AIB Nr. 51 S. 26