Nichts Neues im Südwesten

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Am 12. Februar 2014 stellten die Landesregierung und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg den Bericht »Bezüge der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach Baden-Württemberg« vor. In dem Bundesland wurde 2007 Michèle Kiesewetter Opfer der Neonazi-Gruppe. Aufklärung gibt es bis heute kaum.

von Lucius Teidelbaum, zuerst veröffentlicht in Der Rechte Rand Nr. 148, Mai/Juni 2014

Der Druck war zu groß geworden. Während es in Bayern, Sachsen und Thüringen eigene Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung der Verbrechen des »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) gab, blieb es in Baden-Württemberg lange Zeit seltsam still. Obwohl die neue rot-grüne Landesregierung mögliche Versäumnisse der Polizei oder des Inlandsgeheimdienstes (»Verfassungsschutz«) problemlos den CDU-geführten Vorgänger-Regierungen hätte anlasten können, stellte sich auch der neue Innenminister Reinhold Gall (SPD) in Sachen Aufklärung quer. Das Einsetzen der »Ermittlungsgruppe Umfeld« (»«) aus neunzehn PolizeibeamtInnen war letztlich nur ein Zugeständnis vom Ministerium auf zunehmende öffentliche Kritik, da immer mehr Spuren im Fall des NSU in den Südwesten führten.

Vollkommene Ahnungslosigkeit

Der vorgelegte Bericht enthält kaum neue Erkenntnisse. Vieles wirkt wie eine Zusammenstellung von Fakten, die bereits in den Medien zu erfahren waren. Nur 41 der 221 Seiten des Berichts befassen sich mit eigenen Ergebnissen der Ermittlungsgruppe. Das Fazit: Alles in Ordnung, es gibt nichts mehr zu tun. Ob es eine zweite, geheim gehaltene Fassung des Berichts gibt, die mehr Informationen enthält, ist völlig unklar. Der Bericht geht davon aus, dass der NSU lediglich aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bestand und kein Netzwerk war, das zum Beispiel vor Ort bei den Taten half. So heißt es zu dem 2007 in Heilbronn verübten Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter, dass Hinweise für eine Beteiligung »ortskundiger Dritter« fehlen würden. Doch es gibt ZeugInnen-Aussagen, die die Beteiligung weiterer Personen nahe legen. Kritiklos wird auch die These von der Münchener Staatsanwaltschaft übernommen, Kiesewetter und ihr schwer verletzter Kollege seien zufällig Opfer geworden. Dabei führt eine mögliche Spur zu mehreren Kollegen der Ermordeten, die Mitglied im »Ku-Klux-Klan« (KKK) waren. In dem Bericht wird auch verschleiert, dass der Gründer dieser KKK-Gruppe ein V-Mann des »Verfassungsschutzes« war. Vermutungen werden in dem Bericht zu Gewissheiten, viele Erkenntnisse bleiben vage: Zwar zählt der Bericht mindestens 30 Besuche von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in zwischen 1993 und 2001 auf, weiß aber sonst kaum mehr darüber zu berichten.

Wiederholt wurden die Behörden in Baden-Württemberg kritisiert, teils rassistisch ermittelt zu haben. So ging die Polizei nach einer »Operativen Fall-Analyse« zu der später dem NSU zugeordneten Mordserie fälschlich vom Wirken einer türkischen Mafia aus. Und beim Mord an Kiesewetter hatten die Behörden ohne handfeste Belege eine Spur ins »Zigeunermilieu« vermutet. Vehement nimmt das Gutachten nun aber die Polizei vor Kritik in Schutz. Unter anderem heißt es: »Eine gezielte, die Sinti und Roma diskriminierende Medienstrategie der Polizei gab es nicht. Diese Bewertung wurde im Januar 2014 bei einer Besprechung im Innenministerium Baden-Württemberg auch mit Vertretern des Zentralrates der deutschen Sinti und Roma erörtert.« 2012 hatte aber der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, die antiziganistischen Verdächtigungen ausdrücklich bedauert. In dem Gutachten heißt es zu den Vorwürfen, dass es in der Polizei institutionellen Rassismus gäbe, lapidar: »Diese Annahme ist für die Polizei Baden-Württemberg zurückzuweisen.«

Kein Untersuchungsausschuss

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss bleibt in Baden-Württemberg weiterhin notwendig, denn der Bericht der »EG Umfeld« ist nicht zufriedenstellend. Innenminister Gall und andere versuchen dagegen, die Einrichtung eines Ausschusses weiter zu verhindern. Besonders Teile der Grünen unterstützten die Forderung nach mehr Aufklärung. Derzeit scheinen sie sich aber mit einem Kuhhandel zufrieden gegeben zu haben. Ihnen reicht offenbar das Versprechen zur Einrichtung eines Landtags-Sonderausschusses zum Thema »Rechtsextremismus« oder einer Enquètekommission. Diesen würden aber, anders als einem Untersuchungsausschuss, weniger Zeit und keine Zwangsmittel zur Aktenvorlage oder Anhörung von ZeugInnen zur Verfügung stehen. Außerdem würden sich der Sonderausschuss oder die Kommission nicht nur der NSU-Aufklärung widmen. Dass selbst bisher kritische Abgeordnete verlauten lassen, für die Abgeordneten seien nach dem Bericht »keine Fragen offen«, mutet seltsam an. Die Medien und viele ExpertInnen hat dieser allerdings nicht zufrieden gestellt.

Leider wird nur selten die Frage gestellt, warum sich der Innenminister so vehement gegen einen Untersuchungsausschuss wehrt. Eine mögliche Erklärung könnte in dann eventuell sichtbar werdenden V-Leute-Skandalen liegen. Ein Beispiel: Letztes Jahr wurden der Presse detaillierte Berichte über die Neonazi-Anwältin aus Baden-Württemberg zugespielt. Die Berichte stammten offenbar aus dem unmittelbaren Umfeld von Schneiders und waren für den Inlandsgeheimdienst angefertigt. Gibt es hier also InformantInnen, die nach dem Regierungswechsel nicht abgesetzt wurden und bis heute weiter für den Geheimdienst arbeiten? Falls das zutrifft, dann gäbe es eine V-Person im direkten Umfeld einer Anwältin aus dem Münchener NSU-Prozess. Schneiders ist eine der beiden Anwaltsvertretungen von Ralf Wohlleben, einem der Hauptbeschuldigten in dem Verfahren. Die Bespitzelung einer Rechtsanwältin könnte den ganzen Prozess gefährden.