Protokoll 156. Verhandlungstag – 06.November 2014

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Am heutigen Verhandlungstag werden zwei Zeugen vernommen: Der Polizeibeamte Sebastian M. zu einem telefonischen Hinweis in Dortmund und erneut Andreas Rachhausen, ehemaliges Mitglied des Thüringer Heimatschutzes. Im Zentrum der Verhandlung stehen jedoch einige Beweisanträge der Nebenklage, mit denen der Eingebundenheit des Trios in die jeweiligen lokalen Neonazi-Netzwerkstrukturen in Dortmund und deren möglicher Beteiligung am Mord an Mehmet Kubaşik nachgegangen werden soll.

Zeugen:

  • Sebastian M. (Polizeipräsidium Bochum)
  • Andreas Rachhausen (ehem. Mitglied THS, mutmaßlicher Unterstützer, ehem. V-Person des TLfV)

Die Verhandlung beginnt um 09:48 Uhr. Als Zeuge wird Sebastian M. befragt. Der Zeuge kommt vom Polizeipräsidium Dortmund. Er wird nach einem Anruf im Jahr 2006 gefragt, woran er, wie er antwortet, nur eine ganz schwache Erinnerung habe, er könne nur aus dem vorherigen Aktenstudium und einer Ortsbegehung vortragen. Auf die Frage, was er noch sagen könne, verweist der Zeuge auf einen Aktenvermerk. Er sei damals im Innendienst in Dortmund gewesen und habe aufgeschrieben, dass er am 05.04.2006 ein Telefongespräch einer weiblichen Anruferin mit ausländischem Akzent entgegengenommen habe. Sie hätte keine Angaben zur Person machen wollen. Er habe niedergeschrieben, dass diese Person von einem “Sporthotel” zu ihrer Wohnung in der Mallinckrodtstraße gegangen sei. Dort seien ihr zwei männliche Personen aufgefallen. Er habe niedergelegt, dass das eine Angabe zum Mord Mallinckrodtstraße gewesen sei. Zwei männliche Personen, ca 1,80 m groß, ungepflegte schmutzige Erscheinung, eine Person mit einem Fahrrad und kurzen hellbraunen Haaren. Mehr hab er nicht niedergeschrieben. Zu der angegebenen Anschrift habe es damals neun weibliche Treffer geben. Es kam eine Frau D. heraus, die für den Anruf eventuell in Frage gekommen wäre.

Die Frage, ob der Zeuge den Vermerk unmittelbar nach dem Anruf geschrieben hätte, kann der Zeuge nicht mit einer konkreten Erinnerung beantworten. Er gehe jedoch davon aus. Aus dem Vermerk werden die dort genannten Uhrzeiten vorgehalten. Die Anruferin sei demnach gegen 00:30 Uhr vom Sporthotel in die Wohnung gegangen und habe diese gegen 00:50 Uhr noch einmal verlassen. In der Vernehmung habe Frau D. jedoch Zeitangaben um die Mittagszeit gemacht. Der Zeuge bestätigt, er gehe davon aus, dass er die Angaben im Vermerk so gemacht habe, wie er sie niedergelegt habe.

Der Verteidiger RA Stahl will wissen, ob der Zeuge überhaupt Erinnerungen an den Vorgang habe. Der Zeuge wiederholt, er habe schwache Erinnerungen und sagt, er habe den Inhalt der Akten vorgetragen. RA Klemke fragt, warum der Zeuge davon ausgehe, dass er den Vermerk unmittelbar nach dem Telefonat angefertigt habe. M. beschreibt das als gängige Vorgehensweise im Innendienst. Die Frage, ob er das immer so getan habe, bejaht der Zeuge. RA Klemke fragt nach Besonderheiten in diesem Telefonat, der Zeuge verweist jedoch auf seine schon gemachten Angaben. Darüber hinaus erinnere er sich an keine Inhalte. Auf die Frage, ob er auch Divergenzen oder Nachfragen im Vermerk festgehalten habe, antwortet der Zeuge, er habe dargelegt, dass keine Angaben zur Person gemacht worden seien. Er gehe nicht davon aus, dass etwas gesagt wurde oder er etwas gefragt hätte, das nicht im Vermerk niedergelegt sei. RAin Schneiders will wissen, ob Frau D.s Arbeitszeiten von dem Zeugen oder anderen Kollegen überprüft worden seien. Der Zeuge verneint das, er habe nur die Recherche beim Einwohnermeldeamt gemacht.

Der NK-Vertreter RA Scharmer will wissen, ob der Zeuge über den Vermerk hinaus seinen Kollegen von dem Anruf berichtet habe. Dieser erinnert sich nicht mehr, gehe aber davon aus, dass er seinen Vorgesetzten informiert habe. RA Scharmer hält einen weiteren Vermerk vom 06.04.2006 vor, nach dem Frau D. weitere Angaben habe machen können: Eine Person habe ein Fahrrad geführt. Die Männer sollen wie Rechtsradikale ausgesehen haben. RA Scharmer fragt, ob der Zeuge das mündlich kommuniziert habe, denn in seinem Vermerk stehe davon nichts. RA Klemke beanstandet die Frage, sie sei irreführend, weil nicht vorgehalten werde, von wem der Vermerk stamme. RA Scharmer gibt daraufhin an, er stamme von Frau Kl., weitere Erkenntnisquellen, woher das bekannt geworden sein soll, fände sich in der Akte nicht. RA Scharmer fragt den Zeugen erneut, ob er das mündlich an Frau Kl. kommuniziert habe. Der Zeuge bleibt dabei, er könne nur sagen, dass Frau D. von zwei männlichen Personen gesprochen habe, von Junkies und betrunkenem Zustand. Er gehe nicht davon aus, dass im Telefonat von Deutschen und Rechtsradikalen die Rede gewesen sei. Niedergelegt sei auch, dass zur Nationalität keine Angaben gemacht werden konnten. RA Scharmer fragt, ob die Zeugin Null Uhr dreißig gesagt habe oder halb eins. Daran könne er sich nicht erinnern, antwortet der Zeuge. RA Scharmer verweist darauf, im Vermerk sei von einem Tötungsdelikt am 03.04.2006 die Rede, obwohl es um ein Tötungsdelikt am 04.04.2006 gehe. Ob er sich daran erinnere bzw. ob er nachgefragt habe. Der Zeuge verneint. Der Zeuge wird entlassen. RA Scharmer behält sich ein Erklärung nach § 257 vor.

RAin von der Behrens stellt drei Beweisanträge. Als erstes schlössen sie sich dem Beweisantrag des NK-Vertreters der Familie Yozgat an, den Zeugen Sebastian zu laden, und ergänzten um folgende Beweistatsachen: Marko Gottschalk habe in Dortmund eine Zelle von C18 aufgebaut, den Mitgliedern seien die “Turner Tagebücher” ausgehändigt worden, es seien Waffen besorgt worden und es hätten Schiessübungen stattgefunden. Das Zellenkonzept und die “Turner Tagebücher” seien über diese Gruppe hinaus diskutiert worden und der Zeuge habe gemeinsam mit Marko Gottschalk über Kontakte nach Kassel und Ostdeutschland sowie ins Ausland verfügt und Waffengeschäfte vermittelt. Er sei zu fragen, ob ihm bekannt sei, woher diese Waffen stammten. Auch sei der Zeuge zu fragen, ob er Personen aus dem Umfeld des NSU kenne und ob es richtig sei, dass sich die C18-Zelle in zeitlicher Nähe zum Mord an Mehment Kubaşik aufgelöst habe, sowie ob der Zeuge oder die Zelle den Kiosk oder Mehmet Kubaşik persönlich gekannt hätten.
RAin von der Behrens nennt als Begründung: Die Ermittlungen seien dem Gericht bisher nicht vorgelegt worden. Seemann sei im Dezember 2011 befragt worden. Zu einer Zeit, als die “Turner Tagebücher” noch nicht öffentlich diskutiert worden seien, wies Seemann darauf hin, dass die Mordserie möglicherweise den “Turner Tagebüchern” entspreche. Ausserdem habe er angegeben, dass es ein Leichtes für die deutsche Neonazi-Szene gewesen sei, sich in Belgien mit Waffen zu versorgen. Diese Akten seien nicht dem OLG, aber dem BGH zur Haftprüfung vorgelegt worden. Die hier relevanten Seiten mit den Angaben von Seemann seien dem Aktenbestand vor der Vorlage beim OLG entnommen worden. Es sei nicht ersichtlich, warum die Vermerke für die Haftprüfung für relevant gehalten worden seien, nicht aber danach für das OLG.

Sebastian Seemann habe enge Beziehungen zu Dortmunder Neonazi-Größen, auch Kontakte zur Kameradschafts-Szene in Kassel, zu B&H in Flandern und habe B&H-Konzerte in Belgien organisiert, zu denen Neonazis aus ganz Europa anreisten. Seemann habe in einem Internetforum geschrieben, dass die Erlöse in die deutschen Widerstandsdivisionen flössen. Die Ansätze zu terroristischen Strukturen hätten sich bei einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit B&H gezeigt, es seien 200 Kriegswaffen und eine Rucksackbombe gefunden worden. Das Strafverfahren laufe noch. Seemann sei ein Waffennarr und habe Waffen im Kameradenkreis angeboten. Mit seinem guten Freund Michael Berger, der in Dortmund drei Polizisten erschossen habe, habe er an Schiessübungen teilgenommen. Mit einer von Seemanns Waffen sei auf einen tunesischen Kunden im Supermarkt geschossen worden. Im Zuge von Ermittlungen des BKA im Zusammenhang mit Waffengeschäften mit der rechten Szene in Deutschland und Belgien sei es zur Enttarnung von Seemann als V-Mann gekommen. Er sei von seinem V-Mannführer vor Strafverfolgung geschützt worden. Ein Strafverfahren habe deshalb nicht zum Erfolg geführt, weil das Innenministerium den Namen des V-Mannführers nicht bekannt gegeben habe.

Es sei zu erwarten, dass Seemanns Angaben zur C18-Zelle und zu Waffen machen könne. Um den Zeugen herum sei eine bewaffnete C18-Zelle entstanden, zu der auch gehört haben soll. Finanziert worden seien die Waffenkäufe aus Konzerteinnahmen. Im Frühjahr 2006 soll die Zelle ihre Aktivitäten plötzlich eingestellt haben. Es gebe Hinweise aus ihrem Briefwechsel mit Schmiemann, dass Beate Zschäpe Seemann schon vor dem Untertauchen gekannt habe. Ob die Angeklagte Seemann tatsächlich bereits vor dem 04.11.2011 gekannt habe und von den Vorkommnissen in Dortmund gewusst habe, könne nur der Zeuge angeben. Sollte dies so gewesen sein, hieße das, die Angeklagte hätte Zugang zur Neonazi-Szene in Dortmund gehabt. Kontakte nach Thüringen ergäben sich aus einem Strafverfahren der StA Mühlhausen aus dem Jahr 1997. Seemann verneinte bei Vorlage von Lichtbildern zwar, die Angeklagten zu kennen. Diese Angaben seien jedoch nicht glaubhaft. Vom BKA werde Ralf Wohlleben in Verbindung mit Konzerten gebracht, die von B&H in Flandern organisiert worden seien. Das TLfV zitiere in einer Erkenntnismitteilung zu Wohlleben einen Artikel aus der Zeitschrift Blick nach Rechts, nach dem im E-mail-Verteilerkreis der B&H-Sektion Flandern unter anderen Wohlleben und der NPD-Kreisverband Jena enthalten seien. Als weitere Kontakte kämen Thorsten Heise in Frage, der im guten Kontakt zu Marko Gottschalk gestanden habe.

Die Angaben des Zeugen zu Schiessübungen und Zellenkonzepten für bewaffnete Gruppen der Naziszene zeigten, dass Unterstützer von Anschlagsplanungen und deren Umsetzung wissen konnten. Damit seien die Ceska-Morde von dieser Szene auch als Neonazi-Morde erkannt worden. Es seien dafür releveante Dokumente des Polizeipräsidiums Dortmund (Ermittlungen und Vernehmungen in dem Zusammenhang), der StA Dortmund und des Innenministierum NRW beizuziehen, da sich daraus die Angaben Seemanns zu einer C18-Zelle in Dortmund ergäben. Zudem seien die Akten aus dem Verfahren von Robin Schmiemann und des VS beizuziehen, weil nur dann seine Angaben überprüft werden könnten. Der sogenannte Quellenschutz stehe dieser Beiziehung nicht entgegen, da Seemann schon enttarnt worden sei. Die Frage, woher die terroristische Vereinigung ihre Waffen bezogen habe, sei relevant für Aussagen über Größe und Gefährlichkeit der Organisation. Es dränge sich auf, dass der Zeuge Wissen habe, zu dem er bisher noch nicht vernommen worden sei. Für die Angehörigen sei es erheblich belastend nicht zu wissen, wer vor Ort an Opferauswahl und eventuell sogar an der Tatausführung beteiligt gewesen sei. Für den Anklagevorwurf komme es darauf an, ob es in Dortmund eine C18-Zelle gegeben und ob diese Unterstützung für die Vereinigung geleistet habe.

Vor demselben Hintergrund beantragen die NK-Vertreter RA Ilius, von der Behrens, Stolle und Scharmer zudem die Ladung von Marko Gottschalk. Der Zeuge werde bekunden, dass er vor 2006 mit Seemann in Dortmund eine C18-Zelle aufgebaut habe, sich Waffen aus Belgien besorgt habe, dass “Turner Tagebücher” verteilt wurden und es Diskussionen zu Anschlägen auf politische Gegner gegeben habe. Der Zeuge sei zu bundesweiten Kontakten zu Heise, nach Kassel und international nach Belgien, Skandinavien, Schweiz und Österreich zu befragen. Weiter sei der Zeuge zu befragen, wieviele Mitglieder der “Oidoxie Streetfighting Crew” aus Kassel stammten und ob er Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos sowie NSU-Unterstützer kenne oder mit diesen über das Trio oder über den Slogan “Dortmund ist unsere Stadt” gesprochen habe. Ob der Zeuge erfahren habe, dass die Morde von Neonazis begangen worden seien, ob der Zeuge den Kiosk oder Mehmet Kubaşik persönlich gekannt habe. Welche Erkenntnisse der Zeuge darüber habe, was in der Szene nach dem Mord über die Tat gesprochen und wem sie zugeschrieben worden sei. Welche Kenntnis der Zeuge über das Lied “Dönerkiller“ habe und welchen Bezug es zu den Morden des NSU gebe.

Die NK-Vertreter begründen ihren Antrag damit, dass Gottschalk Gründer der Band “Oidoxie” sei, die zum B&H– und zum Combat 18-Netzwerk gehöre, also zu der Organisation, die das Trio nach dem Untertauchen unterstützt habe. Es sei also davon auszugehen, dass das Netzwerk die Täter auch in Dortmund unterstützt habe. Der Antrag könne nur teilweise als Beweisermittlungsantrag gestellt werden, weil keine Ermittlungen zur C18-Szene in Dortmund erfolgt seien. Diese Ermittlungen seien aber dringend angezeigt: Am 14.06.2000 tötete Michael Berger drei Polizisten und anschließend sich selbst. Er habe Kontakte zur Kameradschaft Dortmund und zu gehabt. Nach dem Mord habe die KS Dortmund Zettel mit dem Text “Berger war ein Freund von uns – drei zu eins für Deutschland” verteilt. Am 28.03.2005 wurde der Punk Thomas Schulz erstochen. Anschließend habe es auf Neonazi-Internetseiten geheißen: “Dortmund ist unsere Stadt”. Auch die Kameradschaft Dortmund verbreitete diese Parole auf Flugblättern.

Verschiedenen Verbindungen der Dortmunder Neonazis zum Tatort sei bisher nicht nachgegangen worden. Ein Kontakt zwischen Siegfried Borchardt, einer zentralen Figur, und Tino Brandt sei belegt. Er sei bei Heises Hochzeit gewesen und habe ein Konzert mit “” in Dortmund organisiert. Zur Tatzeit habe Borchardt in unmittelbarer Nähe zum Tatort in der Mallinckrodtstraße gewohnt, ebenso wie andere Dortmunder Neonazis. Die Telefonnumer von [VP Barte] sei an den Tagen vor und nach dem Mord in der Funkzelle des Tatortes festgestellt worden. Ob sein Handy dort auch am Tattag eingeloggt gewesen sei, sei bis heute nicht ermittelt worden.Der Zeuge Thomas Mü. alias VP Heidi habe angegeben, dass Toni Stadler zur Tatzeit in rechten Kreisen Dortmunds verkehrt habe. [Korrekturhinweis: In der vorherigen Version hieß es hier: „ alias VP Heidi“. Der Fehler entstand aufgrund einer Namensgleichheit zwischen „VP Heidi“ und dem neuen Namen von Thomas Starke.] Dafür spreche auch, dass er noch dieselbe Mobilfunknummer benutze wie vor seiner Enttarnung 2002. Die Ermittlungen seien auch deshalb angezeigt, weil das Trio über viele Aufzeichnungen und Notizen verfüge: Die gesammelten Adressen zu türkischen Kiosken und Imbissen seien über die ganze Stadt verteilt und auch an Orten, zu denen Ortsfremde nicht leicht gelangten. Im Kiosk von Mehmet Kubasik habe es eine Überwachungskamera gegeben. Dass diese nicht funktionsfähig gewesen sei, habe nur durch intensive Ausforschungen vorher festgestellt werden können. In einer abweichenden Handschrift sei auch ein Vermerk zu Köln-Mühlheim vorhanden, wo die Keupstraße liegt. Für eine Verbindung zur Dortmunder Neonaziszene spreche zudem, dass es in der Nacht vom 30. auf den 31.03.2006 einen Brandanschlag auf das „Türkische Bildungszentrum Verein türkischer Arbeitnehmer Dortmund und Umgebung e. V.“ in der Nordstadt Dortmunds gegeben habe und dass dieser Verein sich auf den in der Frühlingsstraße in Zwickau aufgefundenen Ausspähnotizen zu Dortmund befinde.

Durch Medienberichte und die Angaben von Seemann zu Verbindungen zum NSU-Umfeld sei bisher folgendes bekannt: Gottschalk sei die Führungsfigur der Band “Oidoxie” und bestens im Bundesgebiet mit B&H– und C18-Strukturen vernetzt. Zusammen mit den “Weissen Wölfen” gilt “Oidoxie” als zentrale B&H-Band in Deutschland. Seit 1995 trete “Oidoxie” extrem nationalsozialistisch und militant auf, beschwöre Rassekrieg. Die Band habe in einem Interview Ian Stuart und Rudolf Heß als Vorbilder genannt. Um das Jahr 2003 sei aus der KS Dortmund und dem Bandumfeld die “Oidoxie Streetfighting Crew” hervor gegangen. Aus dem Jahr 2006 existiere ein Gruppenfoto, welches über 30 Mitglieder zeige, u. a. Gottschalk, Seemann, Schmiemann und aus Kassel Michael Fr. und Daniel H. Diese seien zugleich Mitglieder der Kasseler KS “Sturm 18” gewesen. Die “Oidoxie Streetfighting Crew” sei also die Verbindung der B&H-Szene von Dortmund nach Kassel gewesen. Neben der Band und der “Streetfighting Crew” sei eine bewaffnete C18-Zelle entstanden, die sich in Anlehnung an die Hinweise in den “Turner Tagebücher” organisiert habe. Die Kontakte zwischen Gottschalk, dem NSU und NSU-Unterstützern seien zu ermitteln. Eine Verbindung zu Wohlleben über B&H Flandern erscheine naheliegend. Eine Verbindung zwischen Gottschalk und Heise sei belegt. Auch Kontakte zu Starke.

“Oidoxie” habe auch Kontakte zu dem Ruhrgebietsfanzine “” gehabt, welches Empfänger einer der sogenannten NSU-Briefe gewesen ist. Aufgrund dieser Struktur der Szene halte es ein anonymer Mitarbeiter des VS für möglich, dass ein Motiv für den Mord an Mehmet Kubaşik auch eine “Kommunikation durch die Tat” gewesen sei. Sie habe als Fanal dienen und zu weiteren Mordanschlägen provozieren sollen. Die Beweistatsachen seien erheblich und es gebiete die gerichtliche Aufklärungspflicht, den Beweisermittlungsanträgen nachzugehen. Es dränge sich auf, dass der Zeuge relevantes Wissen habe, wozu er bisher noch nicht vernommen worden sei. Die Frage ob das Trio örtliche Helfer in Dortmund hatte, sei verfahrensrelvant. Es könne kein Zufall sein, dass der Mord zu einer Zeit passiert sei, in dem die neonazistische Szene der Stadt die Parole “Dortmund ist unsere Stadt” ausgegeben hat. Es werde sich ergeben, dass die rassistischen Morde des NSU auch von der Neonazi-Szene erkannt worden seien. Die Verbreitung von völkischer Ideologie durch den NSU mittels des Mordes sei vom Senat zu berücksichtigen.

Götzl verkündet im Anschluss an diese Beweisanträge eine Pause von 20 Minuten. Die Sitzung wird um 11:09 Uhr fortgesetzt. NK-Vertreter RA Scharmer beantragt, die Akte des TLKA Zielfahndung 1, beizuziehen und teilweise zu verlesen sowie den zuständigen KHK zu laden und zu hören: 1. Durch die Überwachung des Anschlusses Thomas Starke sei bekannt geworden, dass dieser aus Dortmund eine SMS geschrieben habe mit dem Inhalt ‚hier nur Türken, da fällt Dir nichts mehr ein‘. Als Antwort habe er erhalten: ‚da weiß man ja, wo das nächste Mal aufgeräumt werden muss‘. 2. Zudem habe die Überwachung ergeben, dass Ralf Wohlleben von einer Nummer angerufen habe, die auf André Kapke zugelassen gewesen sei. 3. habe Thomas Starke die Nummer von Max Florian Bu. verwendet und Uwe Mundlos von dort eine Geburtstags-SMS geschrieben. RA Scharmer begründet seinen Antrag: Im Zuge der Fahndung nach dem Trio hätten umfangreiche Telefonüberwachungen stattgefunden. Heute seien nur noch die damals ergangenen Beschlüsse und die Verbindungsdaten vorhanden. Es seien damals keine Protokolle der Gespräche angefertigt worden. StA Schulz habe zudem angeordnet, die Bänder zu vernichten. Es hätten sich Verbindungsdaten zu den auf Uwe Böhnhardt zugelassenen Mobiltelefonnummern gefunden, ebenso wie vielfältiger SMS-Verkehr innerhalb der B&H-Szene, wo es um die Herstellung des “” gegangen sei und um die Loslösung von der deutschen B&H-Sektion.

Die SMS von Starke gebe einen Hinweis darauf, warum Dortmund als Tatort des NSU gewählt worden sei. Starke habe in der Zeit seiner finanziellen und logistischen Unterstüztungshandlungen in Neuenrade bei Dortmund gearbeitet. Seine Nähe zum Trio zeige sich auch daran, dass er 1999 einen Spende von Marcel Degner abgelehnt habe mit der Begründung, die drei bräuchten kein Geld mehr, weil sie jobben würden. Der SMS-Verkehr von Starke lasse den Schluss zu, dass das Trio von den Verhältnissen in Dortmund Kenntnis erhalten habe. Zur Beweistatsache 2: Bereits aus den Meldungen von Brandt sei bekannt, dass Kapke und Wohlleben Kontakte nach Chemnitz gehabt hätten. Der Kontakt zwischen Starke und Kapke und auch ergebe sich auch aus dessen Adressbuch. Über Wohlleben berichtete Brandt, dass dieser den Kontakt zum Trio über Kameraden in Sachsen “wiederhergestellt” habe. Aus den Verbindungsdaten des Anschlusses von Starke ergebe sich, dass es einen Anruf von der Telefonnummer gab. Dass es sich bei dem Anrufer um Wohlleben gehandelt habe, der nur die Nummer Kapkes nutzte, lasse sich mit einem handschriftlichen Vermerk der Fahnder belegen: “Anruf von Ralf”. Mit diesem frühen Kontakt Wohllebens seien Brandts Angaben bestätigt.

Zu 3.: Starke habe im August 1998 intensiven Kontakt zu einem Max gepflegt. Folgende SMS spreche dafür, dass es sich hier um Max Florian Bu. handele: “Wir haben beschlossen, dass du dein Bussgeld wieder bekommst.” Dies habe einen Bezug zur Unterbringung des Trios bei Bu. Am 11.08.1998, also an Uwe Mundlos‘ Geburtstag, habe Starke an Bu. geschrieben, ob er beim Grillen beim Geburtstagskind sei. Dafür habe ihn dieser verwarnt und versucht abzulenken. Das zeige, dass Mundlos auch nach dem Abtauchen mit der Szene Geburtstag feierte. Im August 1998 seien mehere SMS zwischen Starke und Bu. sowie Mandy Struck gewechselt worden zur Anmietung einer Wohnung und deren Ausstattung. Es habe SMS zwischen Starke und Struck gegeben, in denen es ebenfalls um einen Strohmann für die Anmietung einer Wohnung gegangen sei. Auch habe sich Starke mit Bu. mutmaßlich für einen Umzug verabredet. Es sei davon auszugehen, dass es bei dieser konspirativen Komnunikation um eine neue Wohnung für das Trio ging und mit Carsten Richter ein neuer Strohmann gefunden worden sei. Die SMS zeigten, dass der Aufenthaltsort des Trios in Chemnitz einem größeren Unterstützerkreis bekannt gewesen sei. Das bestätige die Angaben von Anja Sp., dass sie in ihrer Wohnung am Südbahnhof das Trio zusammen mit Struck und André Eminger besucht habe. Es folgt die Verlesung von sehr vielen Unterschriften, die den Antrag auf Beiziehung der Akte firmieren sowie zahlreiche Unterstützungebekundungen von NK-Vertretern.

Es folgt eine Erklärung nach § 257 des NK-Vertreter RA Scharmer zur Vernehmung von Thomas Gerlach. Diese habe aufgrund der geringen Auskunftbereitschaft des Zeugen nur wenige relevante Erkenntnisse gebracht. Zum Komplex Hammerskins sei dem Zeugen ein umfangreiches Auskunftserweigerungsrecht zugestanden worden, was mit der Einstellungsverfügung der StA Dresden begründet wurde. In dieser werde ausgeführt, dass die Hammerskins eine international organisierte rechtsextremistische Skinhead-Bewegung sind, die den Nationalsozialismus verherrlichen und Rassismus und Antisemitismus propagieren. Da dies, so die Begründung der StA weiter, in Deutschland strafbar sei, sei die Mitgliedschaft bei den Hammerskins automatisch verbunden mit der Begehung von entsprechenden Propagandadelikten. Nehme man dies ernst, so müsse gegen Thomas Gerlach ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingeleitet werden. Erinnert sei nur an die Angaben Strucks, die Thomas Gerlach als Hammerskin bezeichnet habe. Unabhängig davon könne davon ausgegangen werden, dass sich der Zeuge nicht von der Wahrheitspflicht habe leiten lassen. Den Prozess habe er als Affentheater und unsägliche Schande bezeichnet. Er habe gesagt, er könne es nicht mit seinem Wertegefühl verantworten, bestimmte Fragen zu beantworten. Während der Vernehmung habe André Eminger einen Pullover mit der Aufschrift “Brüder schweigen bis in den Tod” getragen, was die Selbstbezeichnung der US-Nazi-Terrororganisation “” sei und ein Zitat des Treuelieds der SS.

Der Zeuge sei einer der engsten Vertrauten von Wohlleben und Kapke, habe mit Struck eine Beziehung gehabt und sei mit André Eminger politisch aktiv gewesen. Er habe wohl auch eine pesönliche Beziehung zu Zschäpe gehabt. Somit hätte Thomas Gerlach vielfältige Informationen geben können. Seine Vernehmung habe aber nur wenig zur Aufklärung beigetragen. Unterstützung für die faktische Aussageverweigerung erhielt der Zeuge von der Verteidigung von Wohlleben, die wissen werde, warum das notwendig gewesen sei. So würde beispielsweise der Nachweis, dass der Zeuge Thomas Gerlach und der Angeklagte Ralf Wohlleben an einer Zusammenkunft von Verantwortlichen deutschsprachiger südtirolerischer Skinheadgruppen im März 2009 in Kaltem am See teilgenommen hätten, in dessen Rahmen seitens der deutschen Delegation 20.000 Euro zur Unterstützung von südtirolerischen Kameraden übergeben worden seien, Wohlleben erheblich belasten und die Frage nach der Herkunft des Geldes aufwerfen. Der Hintergrund des Treffens und dessen Teilnehmer würden daher über andere Beweismittel hier thematisiert werden müssen. RA Klemke, bemerkt, er habe bei der Vernehmung von Thomas Gerlach die Strafprozessordnung strikt eingehalten.

Es folgt eine Erklärung nach § 257 der RAin von der Behrens zu den Verlesungen der Vernehmungen von Böhnhardt aus dem Jahr 1996, die im Zusammenhang mit einer als Bombenattrape aufgehängten Puppe vorgenommen wurden. Darin habe Böhnhardt eine Beteiligung geleugnet, habe aber über das Motiv Auskunft geben können, nämlich das Ignaz Bubis im Tatzeitraum in Weimar gewesen sei. Auch die Aussagen von Wohlleben und Zschäpe hätten sich auf diese Tat bezogen. Das AG Jena verurteilte Böhnhardt für diese Tat. Das LG Gera sprach ihn unter Anwendung des Zweifelgrundsatzes frei. Die bisherige Beweisaufnahme hier habe ergeben, dass die Tat von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe begangen worden sei und die Entlastung damals durch Wohlleben und Zschäpe unrichtig gewesen sei. Mundlos und Zschäpe hätten die Tat gegenüber Bu. gestanden. Zschäpe habe zugegeben, dass sie nicht an der Tat selbst, aber an der Planung beteiligt gewesen sei. Gleiches habe auch Kapke Brandt mitgeteilt.

Die zeitliche Parallelität zwischen dem Ermittlungsverfahren wegen des Aufhängens der Puppe und der Anmietung der Garage lasse Schlüsse auf die Entschlossenheit von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu. Böhnhardt habe gewusst, dass gegen ihn ermittelt werde. Dies habe ihn und die anderen KS-Mitglieder aber nicht von weiteren Taten abgehalten. Im Gegenteil: Die Anmietung der Garage durch Zschäpe, das Ablegen einer Bombenattrappe im Ernst-Abbe-Sportfeld, das Versenden von Briefbomben – all diese Handlungen seien vorgenommen worden, während das Strafverfahren gegen Böhnhardt anhängig gewesen sei. Dass das Trio hinter den Taten stand, zeige sich auch an dem selbstbewussten Vertreten ihrer Ideologie gegenüber Vernehmungsbeamten. RA Kaiser interveniert und findet, die Erklärung gehe jetzt weit über das Zulässige hinaus, was Götzl zurückweist. Ein gewisser Bereich müsse zugelassen werden, die Grenzen zu einem Teilplädoyer sehe er nicht überschritten. Die Verteidiger RA Klemke und Heer schließen sich der Beanstandung an und wollen einen Gerichtsbeschluss. Die Würdigung einer Tat sei ein Plädoyer. Daraufhin macht RAin von der Behrens deutlich, die Tat sei nicht angeklagt.

Götzl bittet die NK-Vertreterin, kurz anzureißen, worum es gehen werde. Sie gibt eine kurze Zusammenfassung ihrer Argumente und der Rückschlüsse, die diese auf die Entschlossenheit des Trios zuließen. Dies sei im Rahmen einer Erklärung nach § 257 möglich, das seien die Wurzeln, mit denen sich die Verhandlung beschäftige, aber nicht ein Plädoyer. Auch BAW Diemer sieht die Grenze noch nicht überschritten. Götzl lässt sich die Erklärung geben und unterbricht die Verhandlung zur Prüfung der Beanstandung der Verteidigung. Die Verhandlung wird um 12:03 Uhr fortgesetzt und Götzl verkündet den Beschluss, die Worterteilung an die Vertreterin der RAin von der Behrens werde bestätigt. Diese knüpft an ihre vorherigen Ausführungen zum selbstbewussten Umgang des Trios mit seiner Ideologie vor Vernehmungsbeamten an. Böhnhardt habe bei seiner Vernehmung gesagt, er wolle alles dafür tun, dass der deutsche Staat deutsch bleibe. Zschäpe habe bei ihrer Vernehmung angegeben, dass ihre Gesinnung rechtsgerichtet sei. Von der Behrens zitiert eine Zeugin, die über Zschäpe gesagt habe, sie wisse, was sie wolle und die ganze Gruppe habe ihre rechtsorientierte Gesinnung gelebt und zum Ausdruck gebracht. In diesem Zusammenhang sei anzumerken, dass sich die Vernehmungsbeamtin nicht mehr habe erinnern können, dass die Angeklagte ihr gegenüber damas angegeben habe, sie könne sich nicht vorstellen, dass Böhnhardt etwas mit dem Aufhängen des Puppentorsos zu tun habe. Sie hätte mit ihm darüber gesprochen und gemerkt, wenn er gelogen hätte. RAin von der Behrens regt an, diese damalige Aussage durch Vernehmung des damaligen Vernehmungsbeamten zum Verfahrensgegenstand zu machen. Diese hier dargelegte Aussage belege, dass es Böhnhardt in dem Tatzeitraum gar nicht möglich gewesen sei, gewisse Sachverhalte gegenüber der Angeklagten zu verheimlichen. Götzl unterbricht die Sitzung für die Mittagspause.

Die Sitzung wird um 13:20 Uhr mit der Vernehmung des Zeugen Andreas Rachhausen fortgesetzt, der mit seinem Zeugenbeistand RA Jauch und einem strengen Scheitel erscheint. Die Befragung beginnt mit dem Vertreter der NK RA Hoffmann. Dieser erinnert zunächst an die Aussage des Zeugen bei seiner Festnahme in Dänemark, er sei nur bei Thies Chr. gewesen, weil er da eine Ferienwohnung gemietet hätte. Dann verweist RA Hoffmann auf eine Kampagne des Hamburger Neonazis Christian Worch, der sich gegen die Abschiebung des Zeugen nach Deutschland eingesetzt habe und will wissen, ob das zutreffe. Dies könne er nicht sagen, antwortet der Zeuge bejaht aber, Kenntnis davon gehabt zu haben. Er bejaht ebenso, im Gefängnis Besuch von Hans P. bekommen zu haben. RA Hoffmann will wissen, woher er diesen kannte. Der Zeuge antwortet, aus dem Umfeld von Thies Chr. Ob es sich dabei um das politische Umfeld handele, könne er nicht sagen, antwortet der Zeuge auf Nachfrage. Er habe also doch nicht nur eine Ferienwohnung gemietet, erwidert RA Hoffmann, was der Zeuge verneint und angibt, er sei auch dort zum Kaffeetrinken gewesen. RA Hoffmann will wissen, ob der Zeuge Hans P. bei Verlagstätigkeiten geholfen habe, was dieser bestätigt. Er habe mal Zeitschriften in Briefumschläge eingetütet. Er bestätigt, dass es sich dabei um die Zeitschrift “Die Bauernschaft” gehandelt habe. Das Buch “Die Auschwitzlüge” sei nicht dabei gewesen, antwortet der Zeuge auf Nachfrage, es seien nur Zeitschriften gewesen. RA Hoffmann kommt dann auf die Zusammenarbeit mit dem VS zu sprechen. Der Zeuge habe ausgesagt, er habe drei Mal Geld bekommen und will wissen, wie viele Treffen es hab. Rachhausen erwidert, er habe gesagt, es habe mehrere Treffen gegeben, mindestens drei und er habe mehr als 1.000 DM bekommen. An mehr könne er sich nicht erinnern. Auf die Frage, ob es auch neun Treffen gewesen sein könnten, antwortet der Zeuge, das könne er nicht mehr sagen.

RA Hoffmann zitiert den ehemaligen Leiter des Staatsschutzes bei der Saalfelder Kriminalpolizei, Klaus-Dieter Iselt, Rachhausen sei für ihn einer der gefährlichsten Rechtsextremisten gewesen, noch vor dem Tino Brandt und den anderen und will wissen, ob seine Rolle wirklich so gewesen sei. Nach Beanstandung von Verteidiger RA Klemke reformuliert RA Hoffmann die Frage und will wissen, ob der Zeuge in der Hierarchie vor Tino Brandt stand. Dieser antwortet, er habe in keiner Hierarchie gestanden und fügt an, man hätte Iselt befragen sollen, was er damit meine. RA Hoffmann will wissen, ob Rachhausen im Zusammenhang mit einer Gruppenstruktur um Sven Rosemann im Raum Saalfeld stand, was der Zeuge verneint. Er gibt auf Nachfrage an, Rosemann gekannt zu haben, aber in keinem Zusammenhang mit einer Gruppe gestanden zu haben, die Straftaten beging. Die Frage, ob gegen den Zeugen Ermittlungen geführt worden seien, bejaht der Zeuge. Nach dem Grund gefragt, antwortet dieser Körperverletzung und Landfriedensbruch. Bei der Frage nach anderen Beteiligten, versagt das Gedächtnis des Zeugen. RA Hoffmann erinnert an den Film, in dem militärische Übungen gezeigt wurden. Er will wissen, ob es im Nachgang Hausdurchsuchungen wegen des Films gegeben habe. Der Zeuge antwortet, er glaube ja. Daran, ob bei ihm auch Waffen und Munition gefunden worden seien, wie RA Hoffmann wissen will, könne er sich nicht mehr erinnern.

Der NK-Vertreter RA Bliwier setzt die Befragung fort. In den Unterlagen, die der Zeuge den Verfahrensbeteiligten überlassen hatte, sei ein Schriftstück des VS-Ermittlungsverfahrens NSU, Erkenntniszusammenstellung Mario Brehme enthalten. Der Zeuge bestätigt das. Auf die Frage, woher er das habe, antwortet der Zeuge, das sei ihm zugespielt worden. Es sei in seinem Briefkasten mit dem einfachen Vermerk “für Andreas Rachhausen” gewesen. Der Zeuge bestätigt, das seien nur diese vier Seiten gewesen. Wann es im Briefkasten gewesen sei, daran könne er sich nicht mehr erinnern, etwa vor einem halben Jahr. Den Briefumschlag habe er nicht mehr, antwortet der Zeuge auf Nachfrage und bestätigt, der Brief sei handschriftlich adressiert gewesen. Er verneint, eine Erklärung dafür zu haben, wer ihm das geschickt habe. Er bejaht, die Ladung zur Verhandlung zu diesem Zeitpunkt schon gehabt zu haben und verneint, vor der Hauptverhandlung Kontakt zu Verteidigern gehabt zu haben. Rachhausen bestätigt, mit seinem Zeugenbeistand über diese zugespielten Sachen gesprochen zu haben. Auf die Frage, wann das gewesen sei, erwidert er, erst jetzt aktuell und konkretisiert auf Nachfrage, nachdem diese Unterlagen dem Senat vorgelegt worden seien. Auf die Frage, warum er die Sachen dabei gehabt habe, sagt er, sie hätten für ihn in das Sammelsurium mit hineingehört. Er habe kein weiteres Material. RA Bliwier will wissen, ob er das Material so bekommen habe oder Kopien angefertigt habe. Der Zeuge verneint, Kopien gemacht zu haben. Er bestätigt, dabei zu bleiben, dass er nur diese vier Seiten bekommen habe und dies anonym. Eine Erklärung, woher das Material komme, habe er nicht. RAin von der Behrens kommt noch einmal auf die Hausdurchsuchungen zu sprechen und will wissen, ob dem Zeugen bekannt sei, ob bei anderen Waffen gefunden worden seien, was dieser verneint. Das sei ihm nicht bekannt. Götzl händigt dem Zeugen nach der Befragung die Unterlagen wieder aus, dieser wird entlassen.

RA Daimagüler gibt eine Erklärung nach § 257 zur Vernehmung des Zeugen Andreas Rachhausen am 23.07.2014 und am 06.11.2014 ab. Der Zeuge bekenne sich weiterhin zu seinem rechtsextremen Gedankengut. Er habe seine Angaben nur auf jene Fakten beschränkt, die schon allgemein bekannt gewesen seien. Dies zeigten die von ihm mitgeführten Dokumente. Aber auch aus der Teilaussage ließen sich Erkenntnisse zu Wurzeln und Ideologie des THS gewinnen. Der Zeuge habe sich bemüht, seine Stellung dort herunter zu spielen und die rechtsmilitanten Wurzeln des THS zu verschleiern. Der Zeuge habe zugegeben, seit Anfang der 1990er in Rudolstadt unter anderem mit Sven Rosemann und Michael Hubeny in der rechten Szene aktiv gewesen zu sein. Iselt habe im Thüringer Untersuchungsausschuss angegeben, aus seiner Sicht sei Rachhausen einer der gefährlichsten Rechtsetxremeisten der damaligen Zeit gewesen. Der Zeuge habe seine Position in der Hauptverhandlug am 06.11.2014 erneut relativiert.

Der Verteidiger RA Klemke interveniert, Iselt sei hier nicht vernommen worden, das gehe über eine Erklärung hinaus, was Götzl zurückweist. RA Daimagüler fährt fort. Die vorgehobene Stellung von Rachhausen in der Naziszene zeige auch die Anmeldung des Rudolf Heß-Marsches in Rudolstadt 1992. Auf Nachfrage habe der Zeuge lediglich eingeräumt, der Marsch sei ein Erfolg gewesen. Zur Bedeutung des Marsches habe er behauptet, keine Angaben machen zu können. Dass Gewalt gegen politische Gegner, Flüchtlinge und Ausländer ein Thema gewesen sei, zeige der Film von Spiegel TV, wo Neonazis Terrorangriffe auf Asylbewerberheime trainierten. Der Zeuge habe Michael Hubeny, Sven Rosemann und Thomas Dienelt indentifiziert. Im Film kommentiere er, dass man sich auf Sprengstoff spezialisiert habe und Häuserkampf übe. Gewalt, Angriffe und Morde auf Flüchtlinge seien, so seine Worte, gerechtfertigt. Rachhausen habe angegeben, auch in dieser Gaststätte anwesend gewesen zu sein und habe versucht, den Film herunterzuspielen. Dienelt sei alkoholisiert gewesen. Diese Angaben seien jedoch nicht glaubhaft. Bei den Hausdurchsuchungen im Nachgang zum Film seien Sprengstoffvorrichtungen und Munition aufgefunden werden. Der Zeuge habe aber angegeben, daran keinen Erinnerung mehr zu haben. Als es jedoch darum ging, warum der Film nicht ernst zu nehmen sei, legte der Zeuge plötzlich ein erstaunliches Erinnerungsvermögen zum Jahr 1992 an den Tag.

Die gute, auch logistische Vernetzung der Thüringer Neonaziszene zeige sich auch anhand der Tatsache, dass Rachhausen 1993 ins Ausland fliehen und bei Thies Chr. untertauchen konnte. Seine Auslieferung sei von einer Kampagne des Neonazis Worch begleitet worden. Daraus sei die Anti-Antifa aus Thüringen entstanden, die sich dann in THS umbenannt habe. Wenn der Zeuge hier bekunde, dass er die Anti-Antifa Ostthüringen nicht kenne, dann sei das eine weitere Lüge. In der Hauptverhandlug habe der Zeuge angegeben, zu Mundlos gar keine Erinnerung mehr zu haben. Bezüglich Zschäpe habe er sich nur erinnert, sie mal gesehen zu haben und an Böhnhardt habe er nur als Schiedsrichter bei einem Fußballturnier erinnert. Der Zeuge habe Nichterinnerung vorgetäuscht, um sachdienliche Aussagen zu vermeiden. Er habe nicht einmal das erinnern wollen, wozu er beim BKA noch Angaben gemacht habe, z. B. dass die drei als Bombenbastler von Jena bekannt gewesen wären. Der angeblich fehlenden Erinnerung an das Trio steht auch entgegen, dass er den Zeugen Marc-Rüdiger H. aus Jena schon damals gekannt habe und mit ihm befreundet gewesen sei. Marc-Rüdiger H. habe laut Brandt zur KS bzw. Sektion Jena und zum THS gehört. Auch gebe es Erkenntnisse über eine gemeinsame Feier des Zeugen mit dem Trio und andern Personen aus den KS Jena und Rudolstadt am 15. April 1995 an der Lobdeburg in Jena , an die der Zeuge sich nicht habe erinnern können, sie nur für „möglich“ halte.

All dass lasse nur den Schluss zu, dass der Zeuge das Trio besser gekannt habe, in die Gewaltdiskussion eingebunden gewesen sei und das Abtauchen gegebenenfalls unterstützt habe. Er habe bestätigt, einmal das Auto von Wohlleben abgeschleppt zu haben. Er habe behauptet, auch nachträglich nicht erfahren zu haben, welche Personen mit diesem Auto unterwegs gewesen seien. Aber in seiner vom BKA protokollierten Vernehmung sei deutlich geworden, dass der Zeuge das durchaus gewusst habe. Damals habe er ausgesagt, es könne sein, dass Wohlleben ihm das damals erzählt habe, aber er wisse es nicht mehr. Er wisse nur noch, das er gedacht hätte, Scheiße, warum müsse ihm sowas passieren. Am 23.07.2014 habe der Zeuge hier angegeben, im März 1997 vom Verfassungsschutz angesprochen worden zu sein. Aus den Akten ergebe sich nur sehr wenig zur Tätigkeit des Zeugen als Gewährsperson, da nur zwei Deckblattmeldungen erhalten geblieben seien. Da selbst der Zeuge von weiteren Treffen ausgehe, müsse es weitere Deckblattberichte geben. Der Zeuge habe behauptet, er habe dem Verfassungssschutz nur belangloses Zeug erzählt. Dies sei teilweise richtig, aber der Zeuge habe doch zugeben müssen, Dinge aus der Szene weitergegeben zu haben. Umso weniger sei verständlich, dass eine Mitteilung des V-Mann Brandt über Rachhausen als unglaubhaft eingestuft worden sei. Dies sei ausgerechnet eine Mitteilung gewesen, aus der sich der Aufentghalt des Trios ergeben hätte. Nach dem der Verteidiger RA Klemke bemerkt, dass nicht genau zwischen Vorhalt und Beweismittel unterschieden worden sei, schließt Götzl die Sitzung für diesen Tag.

Auf dem Blog der NSU-Nebenklage heißt es:
“Es ist unklar, ob der Senat diesen Anträgen (…) nachkommen wird – eine solche Beweisaufnahme wäre eine endgültige Absage an die in der Anklage vertretene These, der NSU sei eine isolierte Gruppe gewesen und habe nur aus drei Personen und wenigen Unterstützern bestanden. Der Senat würde sich damit noch klarer als bislang ohnehin schon geschehen, gegen die Bundesanwaltschaft positionieren.”
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2014/11/06/06-11-2014/

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