Rechte Gewalt in Europa: Das Konzept des Anti-Extremismus schwächt den antifaschistischen Widerstand

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Ein Beitrag von Liz Fekete, veröffentlicht in der Reihe Standpunkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Die in Politik und Wissenschaft äußerst populäre Extremismustheorie verschleiert die Gefahren, die aktuell von faschistischen Bewegungen in Europa und von strukturellen und personellen Verstrickungen staatlicher Stellen mit diesem Milieu ausgehen. Dabei hat es seit den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock wohl kaum eine Situation gegeben, in der gesellschaftliche Minderheiten in Europa ähnlich stark vonseiten rechter Bewegungen bedroht und verfolgt wurden wie heute. Betrachtet man das gegenwärtige Ausmaß der Gewalt und die staatlichen Reaktionen darauf, so ist die Lage in gewisser Weise noch viel bedenklicher als in den 1990er Jahren, als vielerorts die Unterkünfte von Flüchtlingen und ArbeitsmigrantInnen brannten. Im Folgenden geht es um die Gründe und Hintergründe, die dafür sorgen, dass rechte Gewalt und Rassismus in Europa nur unzureichend angegangen und öffentlich diskutiert werden.

Der erste Grund für die mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber rechter Gefahr hängt damit zusammen, dass der Faschismus heute ein viel komplizierteres und vielschichtigeres Phänomen als noch in den 1990er Jahren ist.1 Wenn gewalttätige Übergriffe von bekennenden Neonazis begangen werden, ist die Verbindung zum Faschismus relativ leicht herzustellen, aber das ist nicht immer der Fall. Schon seit Längerem bildet die extreme Rechte eine eher amorphe Szene, die ständig im Wandel begriffen ist. Sogenannte «Autonome Nationalisten» und «Weiße Widerstandsbewegungen», selbst erklärte «Anti-Dschihadisten» oder neue ultrapatriotische Bewegungen sind nur die jüngsten Ausprägungen. Das nebulöse rechte Bündnis von homophoben Gruppierungen namens Le Printemps Français (französischer Frühling mit Anspielung auf den arabischen Frühling) ist ein weiteres Beispiel. Als zu Beginn des letzten Jahres im französischen Parlament die Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Ehen verabschiedet werden sollte, nahmen sowohl christliche FundamentalistInnen als auch Ultranationale und Neonazis an von Printemps Français organisierten Massenprotesten teil. Die Atmosphäre war derart vergiftet, dass PolitikerInnen, die die Gesetzesinitiative unterstützten, Todesdrohungen erhielten.2 Einen Monat nachdem das neue Gesetz in Kraft getreten war, im Juni 2013, wurde schließlich der 18-jährige Student Clément Méric in Paris von rechten Skinheads, die ihn zuvor als Teilnehmer an einer antifaschistischen Demonstration gegen die Aufmärsche von Printemps Français erkannt hatten, auf offener Straße ermordet.

Viele der homophoben Bewegungen (zumindest in Westeuropa) identifizieren sich nicht unbedingt mit dem historischen Faschismus (im Gegensatz etwa zu ihren Pendants in Russland oder in Osteuropa). Auch die zahlreichen «Islamhasser» verstehen sich in der Regel nicht als faschistisch, aber ihre Praxis ist nicht weit davon entfernt. In England etwa marschieren sie gezielt durch muslimische Stadtviertel, verbreiten dort Angst und Terror, anderswo bedrohen sie Lesben und Schwule sowie PolitikerInnen, die sich für eine Stärkung der Rechte von Minderheiten starkmachen. Dies legt nahe, dass die Selbstdefinition für die Einschätzung von politischen Bewegungen und Organisationen nicht das zentrale Kriterium sein kann.

Zweitens sind die Rahmenbedingungen für das Wiedererstarken des Faschismus in Europa günstiger als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt, an den ich mich erinnern kann, seitdem ich 1992 mit meiner systematischen Untersuchung der extremen Rechten in verschiedenen europäischen Ländern begonnen habe. Ein Beispiel ist die gegenwärtige Lage in Schweden, wo die Präsenz der Schwedendemokraten im Parlament – sie ist mit 48 Sitzen nun die drittstärkste Kraft – Neonazis zu einer Reihe von gewalttätigen Übergriffen ermutigt hat. Hierzu gehört der Angriff auf Showan Shattak, einem bekannten Aktivisten gegen Rassismus und Homophobie, der im März 2014 in Malmö niedergestochen wurde, seitdem im künstlichen Koma liegt und um sein Leben kämpft.3

Bei den Europawahlen Ende Mai 2014 konnten rechte Parteien in vielen Ländern enorme Stimmenzuwächse verzeichnen. Einige davon wie die Freiheitliche Partei Österreichs, der Front National in Frankreich, die Goldene Morgenröte in Griechenland, Jobbik in Ungarn oder Ataka in Bulgarien haben ihre Bewunderung für den Faschismus offen zum Ausdruck gebracht. Was sie mit jüngeren erfolgreichen Rechtsparteien wie etwa der Alternative für Deutschland, der United Kingdom Independence Party, der holländische Freiheitspartei von Geert Wilders oder der bereits stärker etablierten Schweizerischen Volkspartei gemeinsam haben, ist, dass sich ihr Zulauf zum einen aus ihrer migrationsfeindlichen Haltung speist und zum anderen zu einem großen Teil aus den Enttäuschungen der WählerInnen über die alten Mitte-rechts- und Mitte-links-Parteien. Es ist daher nicht nur die sichtbare Präsenz und der Einfluss von explizit rechten, rassistischen und islamophoben Parteien in den nationalen Parlamenten und im Europaparlament, was uns zu denken geben sollte. Noch beunruhigender ist zu beobachten, wie faschistisches Gedankengut vom rechten Rand in die Mitte wandert und sich dort im Mainstream festsetzt.

Drittens ist rechte Gewalt zu einer nicht mehr zu leugnenden unmittelbaren Bedrohung in allen Ländern Europas geworden und überschreitet zunehmend Grenzen, was nicht zuletzt mit einer Neuausrichtung faschistischer Gruppierungen zu tun hat. So sind einige vom Nationalismus alter Schule abgerückt und haben sich rechten paneuropäischen Ideologien und Netzwerken zugewandt. Angesichts einer zunehmenden Mobilität nicht nur von Waren und Kapital stellt sich auch für viele FaschistInnen die Frage nach dem «nationalen Interesse» inzwischen neu. Heute schwenken faschistische und andere rechte Bewegungen nicht nur ihre jeweiligen Nationalfahnen, sondern üben ihre Form der «internationalen Solidarität». Skandinavische Neonazis reisen in den Süden, um für eine «faschistische Ukraine» zu kämpfen. Griechische FaschistInnen stehen bereit, um die von Serben kontrollierte Enklave in Bosnien und Herzegowina Republika Srpska zu unterstützen, sollte es wieder zu Aggressionen gegenüber den muslimischen Bosniaken kommen. Von deutschen Neonnazis wiederum weiß man, dass sie regelmäßig nach Tschechien reisen, um dort ihren slawischen Kameraden dabei zu helfen, die dortige Roma-Bevölkerung zu schikanieren und einzuschüchtern. Hier hatte im letzten Sommer die rechte Arbeiterpartei für soziale Gerechtigkeit (Dělnická stranasociální spravedlnosti) fast an jedem Wochenende zu Aufmärschen in von Romafamilien bewohnten Siedlungen aufgerufen. Auch 1.-Mai-Aufmärsche finden dort regelmäßig unter Beteiligung von «internationalen Gästen», unter anderem Mitgliedern der NPD oder Vertretern des Rechten Sektors aus der Ukraine, statt.

Die Kurzsichtigkeit und Blindheit des Anti-Extremismus

Im Allgemeinen wird Faschismus als historisch-politischer Oberbegriff für verschiedene rechtsgerichtete Ideologien und Bewegungen mit autoritären und hierarchischen Zügen vor allem nach dem Ersten Weltkrieg benutzt, die sich durch eine grundsätzliche Opposition zu Demokratie und Liberalismus auszeichnen. Antifaschismus wurde daher, wenn auch vielfach nur aus taktischen Gründen, als eine ethisch-politische Bewegung anerkannt, die demokratische Errungenschaften verteidigt und sich für Gruppierungen einsetzt, deren Bürgerrechte bedroht sind. Man könnte meinen, dass sich an dieser grundsätzlichen Haltung – trotz veränderter Rahmenbedingungen, unter denen sich Faschismus und Antifaschismus formieren – nichts verändert hat. Dies ist jedoch falsch.

Es ist heutzutage überall in politischen oder akademischen Kreisen angesagt, Faschismus mit anderen Formen des Extremismus gleichzusetzen. Sogenannte ExtremismusexpertInnen aller denkbaren Fachrichtungen werden nicht müde, vor der symbiotischen Beziehung zwischen verschiedenen Formen des Extremismus und einer «gegenseitigen Radikalisierung» zu warnen.4 Die dominante Stellung, die der Extremismustheorie inzwischen in der öffentlichen Auseinandersetzung zukommt, ist der vierte Faktor, der den antifaschistischen Kampf schwächt. Nicht nur bestimmen diese neuen ExtremismusexpertInnen die Medienberichterstattung (und verdrängen kritische Stimmen von politischen Initiativen). Problematisch ist auch, wenn NGOs und andere zivilgesellschaftliche Akteure aus Opportunismus – etwa weil sie von staatlichen Fördermitteln abhängig sind oder sie ihren politischen Einfluss ausbauen wollen – das Konzept des Anti-Extremismus übernehmen, weil damit die umfassendere Perspektive, die dem Antifaschismus zugrunde liegt, verloren zu gehen droht. Der Antifaschismus war nämlich immer schon eng mit dem Antirassismus verknüpft, und wirkungsvolle antirassistische beziehungsweise antifaschistische Bewegungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie – auch wenn sie manchmal aus praktischen Gründen auf die Neonaziszene fokussieren müssen – einen breiteren Blickwinkel einnehmen, mit dem die politischen, kulturellen und sozialen Realitäten und Bedingungen, die die extreme Rechte stärken, sichtbar gemacht und nicht verschleiert werden.

Ironischerweise ist mit der Durchsetzung des eher kurzsichtigen und oberflächlichen Ansatzes des Anti-Extremismus eine Schwächung sowohl des Kampfes gegen rechts als auch gegen die anderen unter den Extremismusbegriff subsumierten Bewegungen verbunden. Vernachlässigt wird nämlich, dass Extremismus ein Phänomen mit ganz unterschiedlichen Facetten ist und dass seine diversen Ausprägungen Ergebnis spezifischer historischer Entstehungsbedingungen und Entwicklungsprozesse sind. Sie sind nicht Variationen des immer selben Topus. Das Konzept des Anti-Extremismus verstellt zudem den Blick auf das Verhältnis zwischen faschistischen Bewegungen und Einstellungen an den Rändern der Gesellschaft und dem Rassismus in ihrem Zentrum. So ist zum Beispiel der Hass der FaschistInnen auf Roma und Muslime in Europa nicht losgelöst von staatlichen Regelungen zu betrachten, die diesen Gruppen bestimmte Bürger- und Menschenrechte vorenthalten, oder der Berichterstattung in den Massenmedien, wo sie ständig entmenschlicht, stigmatisiert und als Feinbilder präsentiert werden.

Vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise und der Unfähigkeit der parlamentarischen Demokratien, die Menschen vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung zu schützen, hat es unter den im Parlament vertretenen Parteien und in der Politik allgemein einen deutlichen Rechtsruck gegeben. Dies illustrieren verschiedene Gesetzesinitiativen gegen das Tragen des Kopftuches und gegen andere sichtbare Zeichen des Islam, die Zunahme polizeilicher Maßnahmen wie «Racial Profiling», die Verweigerung sozialstaatlicher Unterstützung von MigrantInnen oder die gewaltsame Auflösung von Roma-Camps. Zusammengefasst: Rassistische Ideen diffundieren ständig von den Rändern aus in die Mitte der Gesellschaft und von dort aus wieder zurück an den Rand. Unter Umständen könnte man dieses Phänomen als «kumulativen Rassismus» bezeichnen, wobei die Anerkennung eines solchen Rassismus die Vorstellung von einem neutralen Staat, der widerstreitende extremistische Fraktionen zum Wohle der Demokratie überwacht und in Schach hält, grundlegend infrage stellen würde.

Variationen des Topos «kumulativer Extremismus»

Die «Diagnose», die wirkliche Bedrohung in Europa ginge heute von einem kumulativen Extremismus aus, hat verschiedene Ausprägungen. In Großbritannien versucht man uns beispielsweise weiszumachen, es gäbe eine symbiotische Beziehung zwischen dem islamischen Extremismus und der English Defence League, deren Ideologien sich in ihrer Radikalität entsprächen, sich gegenseitig hochschaukelten und eine Spirale der Gewalt beförderten. Tatsächlich ist dies lediglich eine Neuauflage eines wenig überzeugenden Erklärungsansatzes, der zuvor schon des Öfteren zur Anwendung kam, zum Beispiel in Nordirland. So haben unzählige FilmemacherInnen, JournalistInnen und AkademikerInnen immer wieder die «Unruhen» in Nordirland als Teil eines nur schwer zu durchbrechenden Teufelskreises dargestellt, mit katholischen und protestantischen FanatikerInnen als den Hauptverantwortlichen. Dass die Stationierung britischer Truppen, die britische Politik und die systematische Diskriminierung der katholischen Bevölkerung die wesentlichen Ursachen des Konflikts waren, wurde kurzerhand unterschlagen.
In Tschechien erklären PolitikerInnen und ExtremismusexpertInnen aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft die Gewalt von rechtsaußen gegen Roma damit, dies sei eine «kumulative Reaktion» darauf, dass Roma zu viel sozialstaatliche Unterstützung kassierten und häufig kriminell seien.5 Und in der Europäischen Union besteht der neueste Trend darin, Populismus per se zu untersuchen, wobei links- und rechtspopulistische Strömungen oftmals so behandelt werden, als hätten sie denselben Ursprung und als ginge von beiden aufgrund ihrer gegen Eliten gerichteten Ressentiments eine ernsthafte Gefahr für den Zusammenhalt der EU aus.6 In Deutschland, wo im westlichen Teil in den Nachkriegsjahrzehnten sowohl faschistische als auch kommunistische Bewegungen als verfassungswidrig galten und wo eine gewisse Kalte-Kriegs-Mentalität auch nach der Wiedervereinigung immer noch vorherrscht, schlägt sich die Idee vom kumulativen Extremismus darin nieder, dass man links- und rechtsextrem gern gleichsetzt und zur Bedrohung der demokratischen Ordnung hochstilisiert. Angesichts der spezifischen Geschichte des deutschen Faschismus und der besonderen Bedeutung linker Kräfte für den antifaschistischen Widerstand verwundert es kaum, dass sich gerade hier antirassistische Gruppen und Organisationen, die Opfer von rechten Übergriffen unterstützen, offen gegen Regierungsprogramme auflehnen, die keinerlei Unterscheidung machen zwischen rechter und linker sowie sogenannter Ausländergewalt. Die Gruppen monieren zu Recht, dass mit solchen Programmen eine umfassende Kritik an staatlichen Strukturen und alle auf einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel zielenden politischen Ansätze diskreditiert werden sollen.7

Anti-Extremismus, der Sicherheitsstaat und die Kriminalisierung des Antifaschismus

Der Antifaschismus war in der Nachkriegsperiode schon immer eng mit fortschrittlichen Anliegen verknüpft – vom Kampf gegen die Militärdiktaturen in Spanien, Griechenland und Portugal bis hin zur Verteidigung von bedrohten ethnischen und nationalen Minderheiten. Den Antifaschismus von diesem emanzipatorischen Erbe einfach abzuschneiden und ihm die Logik des Anti-Extremismus überzustülpen bedeutet, reaktionäre Sicherheitsdiskurse zu akzeptieren und zu reproduzieren, die vielerorts insbesondere im Kontext des «Kriegs gegen den Terror» entstanden sind. Immer mehr setzt sich die Vorstellung durch, nur der Staat, seine Polizei und Geheimdienste könnten uns und unsere Gesellschaften effektiv vor der faschistischen Gefahr und anderen Bedrohungen beschützen. Dies ist jedoch eine äußerst gefährliche Annahme zu einem Zeitpunkt, an dem sich die demokratischen Systeme als recht schwach erweisen, das Demonstrationsrecht zur Disposition gestellt wird (wenn auch nicht auf dem Papier, dann doch zumindest in der Praxis, wie immer mehr polizeiliche Einkesselungen und andere Behinderungen zeigen) und die Enthüllungen von Edward Snowden einen Eindruck davon vermitteln, wie leichtfertig sich Demokratien sogenannten Sicherheitsanforderungen unterwerfen.

Und es gibt eine Reihe von Ereignissen in der jüngeren Geschichte Europas – vom Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof in Bologna 1980 über die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock Anfang der 1990er Jahre, die Anwesenheit von griechischen Faschisten beim Massaker in Srebrenica 1995 bis hin zu Anders Behring Breiviks Massaker 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya –, die uns lehren, dass Faschismus gerade dann entstehen und gedeihen kann, wenn der Staat sich blind stellt oder teilweise sogar in rechte Machenschaften verstrickt ist.8 Ob dies so ist, weil Faschismus im Grunde eine gesteigerte Form von Nationalismus oder Patriotismus ist (eine Form des Extremismus, mit der staatliche Stellen durchaus sympathisieren können), weil staatliche Behörden grundsätzlich an der Loyalität von ethnischen Minderheiten und antirassistischen und antifaschistischen AktivistInnen zweifeln oder weil rechte Gruppierungen nur selten als ernst zu nehmende Bedrohung staatlicher Institutionen wahrgenommen werden, darüber lässt sich streiten.

Inzwischen kann man auch nicht mehr behaupten, dass Polizei und Geheimdienste in Europa sich gar nicht für das Treiben der extremen Rechten interessieren. Dies gilt insbesondere für Deutschland, wo die aktuellen Enthüllungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) eher nahelegen, dass diese mit ihren vielen bezahlten Informanten und dubiosen Methoden der verdeckten Ermittlung manchmal «zu nah an ihnen dran waren». So konnte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages trotz der Auswertung von 80.000 Dokumenten und der Anhörung von 800 Zeugen am Ende nicht überzeugend darlegen, warum 34 verschiedene Polizeieinheiten und Geheimdienste in einem Zeitraum von sieben Jahren, in dem die rechte Mörderbande ihr Unwesen trieb, nicht in der Lage waren, diese dingfest zu machen. In zahlreichen Kommentaren und Diskussionen tauchte daher die Frage auf, ob die Sicherheitsbehörden nicht vor allem ihren eigenen Gesetzen gehorchen und inzwischen selbst eine Bedrohung für den Rechtsstaat darstellen.

In Ungarn haben vier Neonazis im Zeitraum zwischen 2008 und 2011 in neun kleineren Städten und Dörfern 20 Anschläge und Übergriffe begangen. Insgesamt töteten sie dabei sechs Menschen: fünf erwachsene Roma und ein kleines Kind. Das Ergebnis einer parlamentarischen Untersuchung war, dass die Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit sich wiederholt geweigert hatte, die notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung der Morde an den Roma einzuleiten. Sie wurden etliche relevante Informationen erst gar nicht an die ermittelnden Polizeibeamten weitergeleitet. JournalistInnen haben zudem herausgefunden, dass einer der Täter (ein früherer Berufssoldat) vormals als Informant für den militärischen Geheimdienst tätig war. Obwohl es am Ende zur Verurteilung von drei Neonazis kam, hat die Regierung ihr Versprechen, das Versagen der staatlichen Sicherheitsdienste aufzuklären, nicht eingelöst. Inzwischen liegen Hinweise vor, dass Neonazis in ganz Ungarn geheime Ausbildungslager unterhalten und dass Bürgermeister und Polizeistellen in von der Jobbik-Partei kontrollierten Kommunen gezielt mit diesen zusammenarbeiten, um Roma aus ihren Ortschaften zu vertreiben.

Die schwerwiegendsten Vorwürfe gegen staatliche Sicherheitskräfte werden indessen in Griechenland erhoben, wo sich Angehörige von militärischen Spezialeinheiten unlängst für einen Staatsstreich ausgesprochen haben sollen. Zudem geht die Regierung gerade Vorwürfen nach, wonach Mitglieder der Armee Killerkommandos der Goldenen Morgenröte ausgebildet haben.9 Diese Beispiele aus Deutschland, Ungarn und Griechenland, die noch um zahlreiche andere ergänzt werden könnten, verweisen darauf, dass es in Europa vielerorts ein zumindest geheimes Einverständnis von staatlichen Stellen mit dem Erstarken der extremen Rechten gibt. Dies drückt sich aus in schlampigen Ermittlungen, in der Weigerung, geheimdienstliche Informationen und Beweise weiterzuleiten, und reicht bis hin zu dem Extrem, dass Staatsbeamte unmittelbar in Mordfälle verwickelt sind.

Anti-extremistische Ansätze mit ihren spezifischen Parametern und ihrer Nähe zu Sicherheitsdiskursen und -interessen sorgen jedoch dafür, dass der Staat und die Verstrickungen seiner Behörden nicht zu sehr ins Visier geraten. Es geht hier nicht um Verschwörungstheorien, sondern darum, auf einen bedeutsamen blinden Fleck in der Debatte hinzuweisen, der es der Polizei und den Geheimdiensten erlaubt, rechte Strukturen nicht anzutasten oder sogar zu stützen, während immer mehr AntirassistInnen und AntifaschistInnen überwacht und kriminalisiert werden. Tatsächlich hat der «anti-extremistische Diskurs» jetzt schon einen wesentlichen Anteil an der Schwächung des Widerstands gegen den Faschismus in Europa – den eigentlich alle demokratisch gesinnten Kräfte als ihre ureigenste Aufgabe betrachten müssten. Nicht nur verfolgt der Staat zahlreiche BürgerrechtsaktivistInnen und AntifaschistInnen als Extremisten und stellt sie vor Gericht, wobei einige der spektakulärsten Fälle in der Vergangenheit mit einem Freispruch endeten.10 Zugleich möchte eine Reihe von rechten PolitikerInnen in Europa am liebsten ein Verbot von bestimmten linken Gruppierungen und Parteien durchsetzen, so wie der deutsche Bundesverkehrsminister Alexander Dobrinth. Dieser hatte im Januar 2012, damals noch in seiner Funktion als Generalsekretär der CSU, gefordert, die Partei DIE LINKE verbieten zu lassen.11

Es geht darum, eine antifaschistische Kultur aufzubauen: «They shall not pass»

Der Faschismus beginnt damit, dass öffentliche Räume, ob nun eine Straße, ein Dorf, eine Stadt oder ganze Regionen, erobert und in No-Go-Zonen für «Fremde», «AusländerInnen» oder andere unliebsame Gruppen verwandelt werden. In der modernen Welt gehören zu den «Räumen», die FaschistInnen außerdem zu erobern versuchen, das Fernsehen und die sozialen Medien. Sie nutzen das Recht auf freie Meinungsäußerung als Trojanisches Pferd, mit dem sie demokratische Gesellschaften infiltrieren und unterminieren können. Langfristig haben wir wahrscheinlich mehr von der extremen Rechten auf der lokalen als auf der nationalen Ebene zu befürchten. Denn hier kann die kulturelle Revolution der Rechten sich oftmals ungehindert ausbreiten und im europäischen Garten wuchern wie Unkraut. Es ist wohl auch zutreffend, dass die antifaschistische Bewegung auf der lokalen Ebene am dynamischsten und am bedeutsamsten ist. Nun besteht die Gefahr, dass anti-extremistische Ansätze und Diskurse in Zukunft noch stärker als bisher als intellektuelle Rechtfertigung für die Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands herhalten müssen. Dies gilt es zu verhindern.
Denn wir benötigen in Europa dringend erfolgreiche lokale Bewegungen gegen die erstarkenden Neonazis. Dazu gehören nicht nur breite Mobilisierungen, um die Straße und bestimmte Nachbarschaften vor ihnen zu schützen, sondern dazu gehört auch, eine robuste und fokussierte antifaschistische Kultur von unten aufzubauen. Denn: «Beim Antifaschismus handelt es sich um einen politischen Kampf darum, wie wir perspektivisch leben wollen […] Es ist ein Kampf für mehr Demokratie, Solidarität und soziale Gerechtigkeit», so die Beschreibung griechischer AntifaschistInnen, die heute an der vordersten Front des Widerstands stehen.12 Eine solche antifaschistische Bewegung muss auch die Rathäuser erfassen. Dabei sollten die von uns gewählten VolksvertreterInnen unmittelbar an unserer Seite stehen, uns unterstützen und gemeinsam mit uns skandieren: «They shall not pass!», «On ne passe pas!» «¡No pasarán!» «Sie werden nicht durchkommen!» Modische Theorien und Diskurse sind eine Sache – aber manchmal bringen die alten Parolen das, worum es geht, so viel besser auf den Punkt.

Übersetzung aus dem Englischen: Britta Grell

Liz Fekete ist Geschäftsführerin des Londoner Institute for Race Relations und leitet seit 1992 dessen Forschungsprogramm zu Asyl- und Migrationspolitik sowie rechter Gewalt und Rassismus in Europa.

1 Vgl. Fekete, Liz: Pedlars of Hate: the violent impact of the European far Right, Institute of Race Relations, London 2012.
2 Darunter waren der Präsident der Nationalversammlung Claude Bartolone und die Justizministerin Christiane Taubira (vgl. Radio France Internationale v. 22.4.2013 und Agence France-Press v. 6.11.2013).
3 Vgl. Fekete, Liz: Sweden’s counter-extremism model and the stigmatising of anti-racism, Briefing No. 9, European Research Program, Institute of Race Relations, London 2014.
4 Vgl. zum Konzept des kumulativen Extremismus Eatwell, Roger: Community Cohesion and Collective Extremism in Contemporary Britain, in: Political Quarterly 77/2006, S. 204–216.
5 Vgl. https://groups.google.com/forum/#!msg/Hate-Monitor-Net/eMA_3zLHUfE/nrAp1GgTJYcJ.
6 Vgl. Fiesci, Catherine: A plague on both your populisms, in: Open Democracy, 19.12.2012.
7 Vgl. www.irr.org.uk/news/german-counter-extremism-programme-a-spying-charter/.
8 Vgl. Kundnani, Arun: Blind Spot? Security Narratives and Far-Right Violence in Europe, International Centre for Counter-Terrorism, Den Haag 2012.
9 Vgl. Psarras, Dimitris: Neonazistische Mobilmachung im Zuge der Krise. Der Aufstieg der Nazipartei Goldene Morgenröte in Griechenland, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe Analysen, Berlin 2013.
10 Statewatch News Online, Juni 2012, unter: www.statewatch.org/news/.
11 Vgl. www.zeit.de/politik/deutschland/2012-01/dobrindt-linkspartei-verbot.
12 Statewatch News Online, Juni 2012.