Rassistische Morde in Hamburg: Vom Erinnern und Vergessen

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Ein Beitrag von Teilen des Vorbereitungskreises der Veranstaltungsreihe, zuerst erschienen im Antifainfoblatt 04/2014, 05.03.2015

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Vom rassistischen Normalzustand zum Nationalsozialistischen Untergrund“ wurden die Schwierigkeiten des Gedenkens an Opfer rassistischer Gewalt thematisiert.

Die Halskestraße in Hamburg-Billwerder ist eine schmucklose Straße zwischen Autobahn, Gewerbegebiet und Rangierbahnhof am Rande der Stadt. Vor einem Hotel versammeln sich am 23. August 2014 ca. 60 Menschen. Sie gedenken der Opfer eines rassistischen Brandanschlags, der vor 34 Jahren in der Nacht zum 22. August 1980 von zwei Mitgliedern der neonazistischen „Deutschen Aktionsgruppen“ (DA) verübt wurde. Die DA wurden Anfang 1980 von dem Alt- und Neonazi Manfred Roeder gegründet und bestanden in ihrem Kern aus Sibylle Vorderbrügge, Heinz Colditz und Raymund Hörnle. Damals war das heutige Hotel eine Sammelunterkunft, in der vor allem sogenannte Boat People, Flüchtlinge aus Vietnam, lebten. Bei dem Brandanschlag starben die zwei jungen Vietnamesen Ngoc Chau Nguyên und Anh Lân Dô. An die Wand des Wohnheims sprühten die Täter_innen Vorderbrügge und Colditz „Ausländer raus“. Den Ort hatten sie nach einem Artikel im Hamburger Abendblatt ausgewählt, der von dort untergebrachten Flüchtlingen berichtete. Einige Tage später wurden die Kerngruppe sowie zwei weitere Personen festgenommen. 1980 erregte der Brandanschlag die hanseatische Öffentlichkeit noch. Die beiden Ermordeten erhielten ein feierliches Begräbnis mit 400 Trauergästen unter Beteiligung des damaligen Bürgermeisters Klose. Danach geriet der Brandanschlag schnell in Vergessenheit. Mittlerweile sind die Gräber von Ngoc Chau Nguyên und Anh Lân Dô aufgelöst. Nirgendwo in der Stadt wird der Opfer gedacht.

Anfang 1982 kam es in Stuttgart Stammheim zum Prozess gegen vier Mitglieder der DA. Den „Aktionsgruppen“ wurden neben kleineren Delikten sieben Brand- oder Sprengstoffanschläge zugeschrieben, die sie zwischen Februar und August 1980 begangen. Dabei wurden insgesamt zwei Menschen ermordet und acht weitere teilweise schwer verletzt. Roeder erhielt als Rädelsführer wegen der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ 13 Jahre Haft. Heinz Colditz wurde zu sechs Jahren und Sibylle Vorderbrügge zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Hörnle bekam lebenslänglich. Die drei Letztgenannten traten nach Verbüßung ihrer Haftstrafen nicht wieder in Erscheinung, Manfred Roeder schon. 1996 stand er in Erfurt erneut vor Gericht, er hatte mit anderen Neonazis die Tafeln der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ mit den Worten „Lüge“ und „Hetze“ besprüht. Regelmäßig besuchten bekannte Neonazis den Prozess. Unter anderen entrollten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhard, Ralf Wohlleben und Andre Kapke im Gerichtsgebäude ein Transparent mit der Aufschrift „Unsere Großväter waren keine Verbrecher“.

Politische Konsequenzen

Die Gedenkkundgebung in der Halskestraße sowie eine Diskussions- und Informationsveranstaltung zu dem Anschlag bildeten den Abschluss der Veranstaltungsreihe, die ein Jahr lang verschiedene Aspekte insbesondere der NSU-Morde beleuchtet. Mit dieser Reihe sollten Zusammenhänge aufgezeigt und verschiedene Fragenkomplexe thematisiert werden. Eine der Fragen, die am Beginn der Veranstaltungsreihe stand, war die nach politischen Konsequenzen für eine antirassistische und antifaschistische Praxis. Bei dem Versuch, die Aufmerksamkeit auf den vergessenen und verdrängten Neonazianschlag in Hamburg 1980 zu lenken, ging es darum, die Frage des Gedenkens an rassistische Morde zu thematisieren, die sich im Zuge der Auseinandersetzungen um den NSU und die Reaktionen darauf als zentral herausgestellt hatte. Auf Hamburg bezogen stellt die im Juni 2014 erfolgte Umbenennung eines kleinen Straßenstückes in Hamburg-Bahrenfeld nach Süleyman Taşköprü ein Novum dar — auch wenn die letztlich gewählte Lösung unbefriedigend bleibt und unangemessen erscheinen muss. Statt der Schützenstraße, in der Süleyman Taşköprü sein Lebensmittelgeschäft betrieb und in der er ermordet wurde, umzubenennen, wurde eine unbewohnte Straße in der Nachbarschaft, zwischen Gewerbe und Brachflächen ausgewählt. Dennoch ist die Straßenumbenennung die einzige relevante Konsequenz, die in Hamburg nach Bekanntwerden des NSU gezogen wurde.

Bemerkenswert ist die Taşköprüstraße jedoch auch in anderer Hinsicht, denn es ist das erste Mal in der Hamburger Geschichte, dass ohne größeren Druck von außen eine öffentliche Würdigung eines Opfers neonazistischer Gewalt realisiert wurde. Dass es mit dem Ramazan Avcı-Platz überhaupt einen weiteren öffentlichen Ort in dieser Stadt gibt, der den Namen eines von Neonazis ermordeten Menschen trägt, verdankt sich ausschließlich dem Engagement der Ramazan Avcı-Initiative und den Hinterbliebenen, des 1985 von rechten Skinheads Getöteten. Es sollte 27 Jahre dauern, bis offiziell an diesen Mord erinnert wurde. Die Namen anderer, wie Mehmet Kaymakcı, der ebenfalls 1985 von Neonazis mit einer Betonplatte erschlagen worden ist, oder eben die von Ngoc Chau Nguyên und Anh Lân Dô, kennt heute kaum noch jemand.

Gedenken und Solidarität

Dass die Erinnerung an Opfer rechter Gewalt, nicht nur in Hamburg, wenig öffentliches Interesse hervorruft, hat wahrscheinlich eine ganze Reihe von Ursachen. So fürchten fast schon symptomatisch die Verantwortlichen an praktisch jedem Ort, an dem Anschläge und massive Übergriffe durch Neonazis stattfanden, um ihren Ruf und sind in der Regel vor allem bemüht, sie wahlweise als tragische Einzelfälle darzustellen oder die Täter_innen außerhalb der eigenen Stadt zu suchen. Anzuerkennen, dass Neonazis in und aus der Mitte der deutschen Gesellschaft, und bis zu einem bestimmten Punkt ihres Handelns auch von Teilen dieser Gesellschaft toleriert, agieren, würde dazu nötigen, eine grundsätzliche Auseinandersetzung über den auch außerhalb der einschlägigen Szenen vorhandenen Rassismus führen zu müssen. Viel einfacher und bewährter ist es hingegen, sich im Ernstfall darauf zu berufen, dass organisierte Rassist_innen eigentlich nicht Teil dieser Gesellschaft seien und sie als verwirrte Einzeltäter_innen zu verharmlosen. Die Täter_innen sollen nicht „dazugehören“ — aber dieser Ausschluss trifft häufig ebenso die Opfer. Wo etwa „fremdenfeindliche Motive“ oder „Ausländerhass“ bemüht werden, um rassistische Angriffe zu beschreiben, wird damit zugleich verdeutlicht, dass die Betroffenen Fremde seien, das Problem also nicht „uns“ betrifft. Diese Ausweichmechanismen sind brisant, denn sie dienen nicht nur dazu, Rassismus als Randerscheinung zu verharmlosen, sondern vermitteln auch eine Botschaft an die tatsächlich und potentiell Betroffenen: Was euch zustößt, betrübt uns vielleicht, aber es betrifft uns nicht. So werden Grenzen markiert und denen, die alltäglich mit Rassismus in all seinen Ausprägungen konfrontiert sind, verdeutlicht dass sie alleine sind.

Auch in der Frage, wem in welcher Form öffentlich gedacht wird und wem nicht, greifen die gleichen Verdrängungsmuster. Deshalb sind erinnerungspolitische Interventionen so wichtig: Nicht nur, um die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig zu halten und daraus Konsequenzen für die eigene politische Praxis zu ziehen. Sondern auch um das Geschehen, an das erinnert wird, im kollektiven Gedächtnis zu verankern und die kritische Aufarbeitung von Rassismus und seinen Folgen zum Anliegen der Mehrheitsgesellschaft zu machen.

So versteht auch die „Initiative für ein Gedenken an Ngoc Chau Nguyên und Anh Lân Dô“, die sich nach Abschluss der NSU-Veranstaltungsreihe im August 2014 gründete, ihr Anliegen: Das Gedenken an die Opfer hat zum Ziel, die Solidarität mit den Angehörigen zur gesellschaftlichen Aufgabe zu machen.

Die Tafel, die am 23. August 2014 aufgestellt wurde, ließ die Hotelleitung, kaum waren die Demonstrant_innen abgezogen, demontieren.