Protokoll 238. Verhandlungstag – 20. Oktober 2015

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An diesem Prozesstag sagt als einziger Zeuge ein BKA-Beamter aus, der die Videoaufzeichnungen der vom Kerntrio selbst installierten Kameras in der gemeinsamen Wohnung in der Frühlingsstraße beschreibt. Zwischendrin wird die Aussage von alias V-Mann „Tarif“ verlesen.

Zeuge:

  • Achim St. (BKA Wiesbaden, Aufnahmen der vom NSU in der Wohnung Frühlingsstraße 26 in Zwickau angebrachten Überwachungskameras)

Der Prozesstag beginnt 10:09 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl, man komme zunächst zur Verlesung eines Behördengutachten zu DNA-Spuren. Dann verliest Richter Lang ein Behördengutachten des TLKA an die KPI Gotha. [Wir geben das Gutachten hier zusammenfassend wieder: Es handelt sich um DNA-Gutachten über Spuren aus dem in Wohnmobil in Eisenach. Dem Dezernat 42 des TLKA sei folgendes Spurenmaterial übersandt worden: Leiche vorne: Abrieb linke Handinnenfläche, linke Hand Außenfläche, Abrieb Mundhöhle, Abrieb Mundhöhle, Abrieb Hand Innenfläche rechts, Abrieb rechter Handrücken. Leiche hinten: Abrieb Schädelhöhle, Abrieb rechte Handinnenseite, Abrieb rechter Handrücken, Abrieb linke Handinnenseite, Abrieb linker Handrücken. Fahrerhaus: eine Wasserspritzpistole, mit Ruß behaftet; Plüschbär, mit Ruß behaftet; Kindersandale (Clog), rußbehaftet; Spielzeugpuppe mit Sprachfunktion, rußbehaftet. Als Vergleichsmaterial: Mundschleimhautabstriche von Holger Gerlach und den Eltern von Uwe Böhnhardt. Ziel: Es sollte festgestellt werden, ob sich am Material DNA-Identifizierungsmuster erstellen lassen und ob hinsichtlich der Muster eine Zuordnung möglich ist; dann ob die Personen Jürgen und Brigitte Böhnhardt als leibliche Eltern des Spurenverursachers einiger Spuren in Betracht kommen.

Befund: An der Wasserpistole wurden Spurenvermischungen festgestellt, die jeweils die Merkmale des Musters A und/ oder B sowie wenige weitere Merkmale anderer Personen enthalten. Am Plüschbär wurden Vermischungen festgestellt, die von mindestens drei Personen verursacht wurden, aufgrund der Vielfalt für Vergleichsuntersuchungen nicht geeignet. Kindersandale: Zum einen das DNA-Identifizierungsmuster einer weiblichen Person, Muster C, außerdem Vermischungen, die Muster der Person A und/oder B enthalten. An der Spielzeugpuppe wurden Vermischungen detektiert, die den bisherigen Mustern nicht zugeordnet werden konnten. Das Muster des Holger Gerlach wurde an keiner Spur festgestellt. Aussagen zur Elternschaft: Die Merkmalsstrukturen der betreffenden Spuren stimmen in jedem der untersuchten Systeme mit jeweils einem Allel mit Jürgen Böhnhardt bzw. Brigitte Böhnhardt überein. Statistisch ist der Verursacher der entsprechenden Spuren mit einer Wahrscheinlichkeit von 99.9999 Prozent der leibliche Sohn von Jürgen und Brigitte Böhnhardt.]

Nach der Verlesung erklärt NK-Vertreterin RAin von der Behrens: „Ich wollte festhalten, warum wir beantragt hatten, das zu verlesen: Am Kinderschuh gibt es eine weibliche DNA. Die Zeugin Michele Ar. [vgl. 217. Verhandlungstag] hat ausgesagt, dass an der Anmietung des Wohnmobils ein Mädchen dabei war, zu dem Erwachsene gehören, das nicht identifiziert ist. Das heißt, es gibt ein Kind aus einem Kreis von Unterstützern, die bisher nicht verfahrensbekannt sind.“

Dann folgt die Einvernahme des Zeugen Achim St. St. berichtet, er habe die Asservate 15, 02 und 08 ausgewertet. Diese seien von der KPI Zwickau in der Brandwohnung Frühlingsstraße 26 sichergestellt und von der KT des BKA aufbereitet worden. Es handele sich um zwei Festplatten und ein Aufnahmegerät: „Die durch die Kriminaltechnik zur Verfügung gestellten Videoaufzeichnungen wurden von mir gesichtet. Weitere Nachforschungen wurden von mir nicht angestellt, ich habe lediglich dokumentiert, was auf den Videodateien zu sehen ist.“ Götzl: „Dann zu EDV 15. Worum handelt es sich?“ St. sagt, es handele sich um ein Aufnahmegerät der Firma Conrad Electronic. In das Gerät könne eine Festplatte eingeschoben werden und es könnten bis zu vier Kameras angeschlossen werden.

In der Frühlingsstraße 26 seien vier Kameras sichergestellt worden, die offensichtlich an das Gerät angeschlossen gewesen seien und dann sei die Aufzeichnung über das Gerät und die zwei sichergestellten Festplatten geschehen. Götzl fragt nach „EDV 02“. St.: „Bei EDV 02 handelt es sich um eine Festplatte IBM 20 GB. Sämtliche Asservate wiesen Ruß- und Brandspuren auf, evtl. auch Beschädigungen durch Löschwasser, der ein oder andere Anschluss war beschädigt, so dass die Daten bei uns durch die Kriminaltechnik aufbereitet werden mussten.“ Götzl: „Was hat die Sichtung ergeben?“ St.: „Die Sichtung von EDV 02 hat ergeben, dass in der Wohnung Frühlingsstraße 26 vier Videokameras an vier Stellen angebracht waren: Aus einem Fenster zur Frühlingsstraße hin, durch den Türspion und zwei Kameras zum rückwärtigen Hauseingang, einmal aus einem Küchenfenster und einmal aus dem Zimmer, das bei uns als ‚Katzenzimmer‘ bezeichnet worden ist. Die vier Kameraeinstellungen waren auf dem Videomaterial sichtbar, teilweise konnten auch Personen und Bewegungen auf den Kamerabildern nachvollzogen werden. Ich habe lediglich das zur Verfügung stehende Material gesichtet und ausgewertet: Ein viergeteilter Bildschirm durchnummeriert von 1 bis 4 mit den vier Kamerapositionen. Zum Zeitstempel rechts unten mit Angabe von Datum und Uhrzeit: Ich habe Uhrzeit, Licht und Witterungsverhältnisse berücksichtigt, ob die korrekt waren, und das scheint zu stimmen.“

Dann werden Videosequenzen in Augenschein genommen. An die Leinwände werden die Aufnahmen der vier Kameras in einem viergeteilten Bildschirm projiziert. Götzl sagt, es gehe um eine Aufzeichnung vom Mittwoch, 29.06.2011. St.: „Das ist der angegebene Zeitstempel: 9:00:53, pm, also abends. Auf Kamera 1 den Blick durch den Türspion in den unbeleuchteten Hausflur. Kamera 2 ist derzeit nicht aktiviert. Und Kameras 3 und 4 zeigen den Blick in den Hinterhof, Kamera 3 Richtung Lilienweg, Kamera 4 Richtung Veilchenweg.“ [Durch den Türspion ist eine Person zu sehen, vermutlich Zschäpe] St.: „Das Licht geht an und kurz darauf hat jemand unten mit einem Wäschekorb das Haus verlassen. Und dann wird der Wäschekorb nach oben in die Wohnung getragen. Und hier ist jetzt zu sehen, dass die Wäsche vorher vom Wäscheständer abgehängt wurde und in den Wäschekorb abgelegt wurde.“ [phon.] [Die Person aus der Wohnung unterhält sich offenbar mit einer anderen Person an den Wäscheleinen, zu sehen ist außerdem ein kleiner, weißer Hund, der auf der Wiese herumspringt.]

Es folgt die Inaugenscheinnahme einer weiteren Sequenz. Götzl nennt das Datum: Mittwoch, 26.10.2011. Götzl: „In Ihrem Vermerk ist angegeben: ‚An der Frühlingsstraße ist ein weißes Wohnmobil geparkt, welches die Kameraeinstellung im Blick hat.'“[Die vier Kameraeinstellungen sind dunkel, links oben ist unter einer Straßenlaterne ein Wohnmobil zu erkennen.] St.: „Hier sieht man jetzt, dass ein Wohnmobil parkt. Oben links, die Kamera, die zur Frühlingsstraße zeigt. Es müsste aber auch eine Aufnahme bei Tageslicht geben, wo das Wohnmobil besser zu sehen ist. Man sieht das weiße Wohnmobil unmittelbar vor dem Anwesen Frühlingsstraße 26 stehen.“ Dann geht es um Aufzeichnungen zur Uhrzeit 02:30 Uhr, beginnend 03:29 Uhr. Das Video wird abgespielt. St.: „Auch das sind Aufzeichnungen vom 26. Oktober 2011, mittags 15:29 Uhr. Oben rechts sieht man eine männliche Person, die die Wohnung betreten hat. Oben links weiterhin das Wohnmobil geparkt vor der Frühlingsstraße. Bei der männlichen Person, die die Wohnung betreten hat, könnte es sich um Uwe Böhnhardt gehandelt haben. Unten rechts hat man gesehen, dass jemand mit dem Fahrrad gekommen ist. Das war jetzt die Zeit, dass jemand das Fahrrad abgestellt hat vermutlich im Fahrradkeller und durchs Treppenhaus nach oben in die Wohnung gegangen ist.“

Es wird eine weitere Sequenz in Augenschein genommen. [Die Aufnahmen sind wieder dunkel, wieder ist das Wohnmobil zu erkennen.] St.: „Oben rechts ist eine Person zu sehen, die über den Hausflur die Wohnung betritt. Kurz vorher haben wir jetzt jemand, der das Haus betritt, 24.10.2011, 18:51, 18:52 Uhr. Die Aktivität ist unten vor dem Hauseingang, wo sich auch die Mülltonnen befanden. Offensichtlich wurde da irgendwas in die Mülltonne abgelegt oder im Briefkasten nachgeschaut.“ [Es ist eine Person zu sehen, die Handgriffe ausführt, beleuchtet mglw. von einer Taschenlampe oder einer Lampe, die die Person am Kopf trägt; was genau die Person tut, ist nicht zu erkennen.] Götzl: „Können wir das schneller laufen lassen und gegebenenfalls stoppen?“ St.: „Hier ist das Licht im Hausflur wieder an, weil offensichtlich jemand durch den Hausflur gegangen ist.“ St.: „Hier war jeweils wieder eine Person zu sehen, die die Wohnung verlassen hat. Insgesamt eine Sequenz von fast 20 Minuten. Die Person, die sich im Keller aufgehalten hat und lange Zeit am Briefkasten oder an den Mülltonnen, und dann zurückgekehrt ist. 18:24 Uhr bis 18:52 Uhr.“ Götzl: „Dann werden wir die Mittagspause einlegen. Wir setzen fort um 12:50 Uhr.“

Um 13:01 Uhr geht es weiter. Götzl: „Setzen wir fort mit den Aufzeichnungen: Wir kommen nunmehr zum Asservat EDV 08. Was lässt sich da von Ihrer Seite zu diesem Asservat sagen?“ St.: „Dabei handelt es sich auch um eine Festplatte, Größe 80 GB, Marke ‚Western Digital‘. Die wurde in der Brandwohnung Frühlingsstraße 26 von der KPI Zwickau sichergestellt. Sie ist optisch unversehrt bis auf wenige Schmutz- und Rußspuren. Auf der Festplatte waren Aufzeichnungen von 2010 und 2011 in nicht-chronologischer Reihenfolge abgespeichert. Ich habe die Sequenzen in meinem Vermerk in chronologische Reihenfolge gebracht.“ Götzl: „Und zu den Kameraeinstellungen?“ St. nimmt am Richtertisch erneut eine Skizze in Augenschein. St.: „Hier sehen wir auch wieder den Grundriss der Wohnung. Ich habe hier auch die vier Kamerapositionen eingezeichnet. Kameras 1 und 2 sind im Vergleich zum vorherigen Asservat getauscht. Kamera 1 am Türspion, Kamera 2 am Fenster des Wohnzimmers Blickrichtung Frühlingsstraße, Kamera 3 und 4 unverändert Blick in den Hinterhof. Kamera 3 Richtung Lilienweg, Kamera 4 mit Blickrichtung Veilchenweg.“

St. nimmt wieder Platz. Dann wird ein Video vom Dienstag, den 08.03.2011 in Augenschein genommen. St. erläutert, was zu sehen ist: „Hier sehen wir die vier Kameras, durchnummeriert von 1 bis 4. Kamera 2 ist nicht aktiviert, warum kann ich nicht sagen. Zeitstempel: 08. März, 16:43 Uhr. Im Hinterhof steht ein dunkler PKW, dem mehrere Personen entstiegen sind. Oben öffnet sich die Wohnungstür. Die Angeklagte Zschäpe erhält Besuch von einer weiblichen Person mit zwei Kindern. Das Fahrzeug der Frau ist im Hinterhof geparkt. Und die Besucherin mit den beiden Kindern betreten nun die Wohnung. Das Ganze, wie gesagt, laut eingeblendeter Zeit 16:44 Uhr und in wenigen Minuten wird dann Kamera 2 auch aktiviert.“

Götzl: „Springen wir in den Bereich 16:58 Uhr.“ St.: „Hier sieht man, dass Kamera 2 aktiviert wurde. Die Kamera ist offensichtlich auf der Innenseite des Fensters, denn man sieht, dass sich der Vorhang spiegelt. Jetzt sieht man auf Kamera 4, dass Personen mit dem Fahrrad vorbeifahren. Und jetzt kommt jemand um die Ecke gebogen. Oben vor dem Haus hält ein Taxi, dem Taxi entsteigt eine männliche Person. Jetzt zwei Personen, die jetzt um das Haus herumgehen und gleich bei Kamera 4 ins Bild kommen. [phon.] Die beiden betreten das Haus, mit Schlüssel offensichtlich, und kommen jetzt gleich bei Kamera 1 über das Treppenhaus in die Wohnung. Jetzt sieht man, wie sie die Treppe hochkommen und die Wohnungstür aufgeschlossen wird.“ [Zu sehen sind wohl Mundlos und Böhnhardt.]

Götzl: „Dann könnten wir wieder springen zum Bereich 17:15 Uhr.“ St.: „Jetzt öffnet sich die Wohnungstür auf Kamera 1, Frau Zschäpe legt was im Hausflur auf die Kommode und die Kinder bekommen offensichtlich die Schuhe angezogen. Zwei Kinder und beide Frauen, eine ist Frau Zschäpe, bei der anderen könnte es sich um handeln, die vier Personen verlassen dann das Haus. Laut Zeitstempel 17:16 Uhr. Der PKW steht weiter unten im Hinterhof. Man sieht aber gleich auf den Kameras 3 und 4, wie die Personen das Haus verlassen und alle vier in den Wagen einsteigen. Beide Kinder sitzen hinten, mutmaßlich Frau Zschäpe auf dem Beifahrersitz und die weitere weibliche Person, vermutlich Frau Eminger, fährt das Fahrzeug und gegen 17:18 Uhr verlässt das Fahrzeug den Hinterhof Richtung Veilchenweg. Das Kennzeichen des Fahrzeugs war leider nicht zu erkennen, es könnte sich aber um einen schwarzen Ford Focus handeln.“

Götzl: „Dann springen wir bitte in den Bereich 18:25 Uhr.“ St.: „Da oben sieht man jetzt, wie der schwarze Wagen in der Frühlingsstraße vorbeigefahren ist, jetzt den Lilienweg runterfährt, und dann letztendlich über den Veilchenweg rückwärts in den Hinterhof gefahren kommt gegen 18:25, 18:26 Uhr. Das Fahrzeug hält vor dem Hauseingang und die beiden Damen und die beiden Kinder steigen wieder aus. Eine Person geht direkt zum Hauseingang. Und kommt, auf Kamera 1 zu sehen, im Treppenhaus nach oben und öffnet die Wohnungstür, betritt die Wohnung und schließt sie wieder. Die beiden Kinder spielen unten im Garten und die zweite weibliche Person bleibt noch unten bei den Kindern. Die weibliche Besucherin begibt sich auch in den Garten, in die Richtung, in die auch die Kinder gelaufen sind, nachdem sie einige Zeit noch am Fahrzeug beschäftigt war. Auf Kamera 1 oben ist zu sehen, wie Frau Zschäpe die Wohnung wieder verlässt. Und durch das Treppenhaus nach unten geht. Kurz darauf dann auch das Haus verlässt und auch Richtung Garten davon geht, auch in die Richtung, in die vorher die andere Person und die Kinder gelaufen sind. Nach Zeitstempel 18:29, 18:30 Uhr. Es öffnet sich oben links die Wohnungstür. Eine männliche Person hat etwas in den Flur auf die Kommode gelegt, nimmt das Päckchen letztendlich mit und verlässt dann auch die Wohnung, geht durch das Treppenhaus nach unten. Verlässt dann auch das Haus und geht ebenfalls durch den Garten.“

Götzl: „Dann springen wir bitte nochmal auf den Bereich 18:40 Uhr.“ St.: „Unten links ist zu sehen, dass die Person wieder zum Haus zurückkehrt, etwas auf den Boden wirft, drauf tritt und letztendlich in die Mülltonne wirft, dann die Haustür öffnet, kurz gewunken hat oder ein Zeichen gegeben hat, ich interpretiere es als Winken, durchs Treppenhaus nach oben zur Wohnung geht. Die beiden Frauen und Kinder stehen unten am Fahrzeug. Die Frauen unterhalten sich noch, während die Kinder noch spielen. Dann werden um 18:42 Uhr die Kinder ins Auto gesetzt, das heißt: eines steigt selbst ein. Verabschiedung, eine kurze Umarmung. Und dann betritt Frau Zschäpe wieder das Haus. Im Hausflur oben links auf Kamera 1 ist zu sehen, dass eine Katze im Hausflur rumschleicht. Frau Zschäpe kommt nach oben und um 18:43 verlässt das Fahrzeug den Hinterhof Richtung Veilchenweg.“ Götzl sagt, es gehe noch um Aufzeichnungen von Samstag 18.12.2010: „Dann würden wir aber an der Stelle Ihre Einvernahme unterbrechen, wir setzen in einer halben Stunde fort damit.“ Der Zeuge verlässt den Saal.

Götzl: „Wir kämen dann zur Verlesung der Aussage von Doleisch von Dolsperg [ehemals See, -V-Mann „Tarif“]im Freibeweisverfahren.“ RA Scharmer: „Da es sich um eine Verlesung im Freibeweisverfahren handelt, kann kein förmlicher Widerspruch erfolgen. Ich gehe aber davon aus, dass die Verlesung zur Vorbereitung des hier gestellten Beweisantrags dient. Ich würde den Senat daher bitten, dass wir nach der Verlesung innerhalb einer Frist nochmal ergänzend dazu vortragen können.“ Dann verlesen zunächst Richterin Odersky und später Richterin Feistkorn das Protokoll der Vernehmung von Michael Doleisch von Dolsperg beim GBA.

[Es handelt sich um eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung, an der neben zwei BKA-Beamten und einer Protokollführerin auch OStA Weingarten als Vernehmer teilgenommen hat. Wir können die Aussage aus redaktionellen Gründen nicht vollständig wiedergeben und fassen sie daher hier leicht zusammen: 1974 in Leinefelde im heutigen Thüringen geboren. Nach der Schule Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann begonnen. Dort bin ich auch das erste Mal mit der FAP [Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei, seit 1995 verbotene Neonazipartei] in Berührung gekommen. Meine Ausbildung in Nordhausen musste ich abbrechen, weil ich nach einem Körperverletzungsdelikt in U-Haft genommen wurde. Ich bin dann zu dreieinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt worden, die ich in der JVA Untermaßfeld verbüßt habe, nach zwei Dritteln wurde ich entlassen. Danach habe ich bis 1995 eine Ausbildung zum Verkäufer gemacht. Während der Haft habe ich mich intensiv mit der NS-Ideologie befasst, insbesondere mit Primärquellen, Alfred Rosenberg. „Mein Kampf“ hatte ich bereits vorher durchgearbeitet. Danach bin ich weiter in der Szene aktiv gewesen, Schwerpunkt war die FAP. Ich habe KS-Abende mit Thorsten Heise besucht. Aktiv bin ich außerdem beim IHV [Internationales Hilfskomitees für nationale politische Verfolgte] gewesen und in der Gefangenenbetreuung tätig, ab 1995 als Mitglied der HNG [Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige].

1994 war ich Anmelder eines Rudolf-Heß-Marsches und bin deswegen für mehrere Tage in Unterbindungsgewahrsam gekommen. Da habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, ob das so weitergehen soll mit meinem Engagement in der rechten Szene. Ich habe nach der Entlassung einen Brief an das Bundesinnenministerium geschrieben, dass ich Ausstiegsgedanken habe, und um ein Gespräch gebeten. Im Spätherbst 1994 bin ich in Heiligenstadt auf offener Straße von zwei Beamten des BfV angesprochen worden, die mir mitteilten, an einer Zusammenarbeit interessiert zu sein, dies setze aber meine weitere Tätigkeit in der Szene voraus. Nach einer Bedenkzeit habe ich mich schließlich für eine Zusammenarbeit entschieden und über das „“, das „“, das Umfeld von Heise und weitere Personen berichtet.

Meine spätere Frau habe ich 1994 auf einem Lager der „Wiking Jugend“ [1994 verbotene neonazistische Jugendorganisation] kennengelernt, 1998 sind wir ein Paar geworden und 1999 haben wir geheiratet. Uns beide hat ein gemeinsames Interesse an Fragen der Natur und Ökologie verbunden und es war uns klar, dass die rechte Szene dafür nicht das richtige Umfeld ist. 1999 wurde mir klar, dass ich ein neues Leben beginnen will, ohne rechtes Umfeld und ohne BfV. Meine Frau hat nämlich nichts von meiner V-Mann-Tätigkeit gewusst. Ich habe mich bis zu meinem Gespräch mit dem Spiegel 2014 gegenüber dem BfV absolut loyal verhalten und mich an alle Regeln gehalten. Die Spannung zwischen meiner V-Mann-Tätigkeit und der Tätigkeit in der Szene ist schließlich so groß geworden, dass meine Frau und ich uns einen Hof in Schweden gekauft haben und dorthin gezogen sind.

Durch den Wegzug nach Schweden ist der Kontakt zur Szene nahezu vollständig abgebrochen, nicht zuletzt weil wir die ersten sechs Jahre ohne Strom und fließendes Wasser gelebt haben. Die von uns betriebene Internetseite „Naturglauben“ haben wir ab 2002 nur noch sporadisch gepflegt und rechtsextremistische Vereinnahmungen durch Forumseinträge abgelehnt. Auch der Kontakt zum BfV ist 2001 wegen des Umzugs abgebrochen worden, ohne förmliche Beendigung. Ich habe mir in Schweden einen kleinen Betrieb aufgebaut, handwerkliche Arbeiten als Maler, Tischler und Zimmermann. Außerdem haben meine Frau und ich bis zu unserer Trennung bäuerliche Selbstversorgung betrieben. Ich gebe Kurse in handwerklichen Tätigkeiten. Darüber hinaus hatte ich immer wieder junge Leute aus aller Welt zu Gast, die mir unentgeltlich auf dem Hof geholfen haben.

Zur Situation heute: Nach meiner Enttarnung im Herbst 2012, die nach Auskunft des Spiegel-Reporters mit der Offenlegung von Akten an den NSUUA in Zusammenhang stehe, habe ich Droh-SMS und -Anrufe bekommen. Es hat auch eine Bedrohung gegenüber meiner Frau gegeben. Die war in Portugal, weil sie Kontakt zu Hippies pflegt. Zunächst ist sie verbal bedroht worden, dann ist das Wohnmobil besprüht worden. Ich bringe das mit der Berichterstattung im ARD-Magazin „Fakt“ in Verbindung. Dann haben zwei Tage später elf Personen versucht, in das Wohnmobil einzudringen. Eine Person kenne ich, es handelt sich um F.M., der ist in der Antifa-Szene aktiv, der war der Anführer. Meine Frau hat diesen Vorgang nicht bei der portugiesischen Polizei zur Anzeige gebracht, hat es jedoch auf Bildern dokumentiert. Ich kenne F.M., weil der von mir einen Bus in Schweden erworben hat.

Heute fühle ich mich keiner Partei zugehörig, lehne jede Form von Extremismus ab und will einfach nur Bauer sein. – Frage: Beschreiben Sie ihre Aktivitäten in der Szene. – Ich habe Veranstaltungen und Liederabende organisiert, die Szenezeitschrift „“ herausgegeben. Die Artikel stammten zu weiten Teilen von mir selbst, vereinzelt hatte ich auch Gastautoren. Auch habe ich Demos angemeldet. An überregionalen Kontakten hatte ich auf nationaler Ebene Kontakt zu Worch, Wulff, Busse. Ich war auch mehrere Male in Hetendorf [Ort in Niedersachsen, in den 90ern gab es dort ein Neonazi-Zentrum], da war u.a. die „Wiking Jugend“ aktiv. Ich war auch mal in Holland. Mit Heise bin ich bei Marcel Schilf [B&H, Betreiber von NS-Records, 2001 verstorben] in Schweden gewesen, da hat „Landser“ gerade die CD „Republik der Strolche“ eingespielt. Ich unterhielt Kontakt zu Frank Schwerdt und [ehemaliger NPD-Stadtrat in Schweinfurt]. Ich war auch mal bei [verstorbener niedersächsischer Neonazikader].

Ich war mal in der Schweiz, hatte Kontakt zu einer Person, meine Begleiterin, Corinna Gö. [phon.], hat dieser Person eine CD und Geld übergeben. – Frage: Mit wem haben Sie im THS Kontakt gepflegt? – Ich hatte Kontakt zu Brandt, Kapke, Corinna Gö., Wieschke, . Brandt habe ich nicht gemocht. Zwar ist mir auch Kapke nicht sympathisch gewesen, aber mit dem ist es ganz gut gegangen, es hat losen Kontakt gegeben, man hat sich wechselseitig von Veranstaltungen informiert. Der Kontakt war nicht oft, ich habe Kapke insgesamt vielleicht 15-mal getroffen. Ich denke, ich habe ab 1995 Kontakt zu Kapke gehabt, zunächst auf Demos. Ich glaube, dass Kapke durchaus zu mir aufgesehen hat, mich als Führungsperson zumindest in der Region Nordthüringen wahrgenommen hat. Vielleicht hat Kapke auch meine Abgrenzung zu Kühnen gefallen. Nicht zuletzt hat mir der enge Kontakt zu Heise und den ganzen anderen Häuptlingen offensichtlich Respekt verschafft. Wohlleben kenne ich aus der Medienberichterstattung; ich schließe nicht aus, dass der auf einer meiner Veranstaltungen gewesen ist, aber erinnere mich nicht daran, ihn bewusst wahrgenommen zu haben.

Frage: Welche von Ihnen organisierten Veranstaltungen? – Ich habe mir einen möglichst interessanten Redner gesucht, die Teilnehmer sind in der Regel allerdings wegen der Musik gekommen. Ich habe meist einen Barden mit Gitarre, der im Stil von Frank Rennicke auftrat, eingeladen. Ich habe wegen des disziplinierten Ablaufs dafür sogar Lob von der Polizei erhalten. So habe ich dafür gesorgt, dass ein in der Nähe gelegenes Asylbewerberheim nicht zum Ziel von Angriffen wird. – Frage: Sagt Ihnen „NSU„etwas? – Erst aus der Medienberichterstattung. Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe haben mir vor 2011 nichts gesagt. Das Abtauchen der drei Jenaer Aktivisten hat mir schon etwas gesagt, darüber habe ich in der Thüringer Allgemeinen gelesen. Herausragender Gegenstand in Gesprächen ist das eigentlich nicht gewesen. Es hat Gerüchte gegeben, dass es um Bombenbau ging. Aber andere Dinge, z. B. der Verkehrsunfalltod zweier Szeneangehöriger, einer davon hieß wohl Zimmermann, haben mein Umfeld mehr beschäftigt.

Und dann ist der Anruf von Kapke gekommen, irgendwann kurz nach dem Erscheinen des Artikels über die Drei in der Thüringer Allgemeinen. Kapke hat gesagt, die Drei müssten weg, ob ich einen Platz wüsste, wo die hin könnten, und es müsste schnell gehen. – Frage: Hat Kapke auf Handy oder Festnetz angerufen? – Ich meine Festnetz, zu diesem Zeitpunkt müsste mein Anschluss auch überwacht worden sein. Ich habe mal eine entsprechende LKA-Mitteilung erhalten, wegen des Vertriebs von CDs; das Verfahren ist nicht gegen mich geführt worden. Ich habe Kapke dann gesagt, ich wüsste aus dem Stegreif nichts, aber wenn mir was einfalle, würde ich mich melden.

Dann habe ich sofort „Alex“ angerufen, meinen damaligen V-Mann-Führer des BfV. Dem habe ich den Inhalt des Telefonats wiedergegeben. „Alex“ hat gesagt, er wolle zunächst mit jemand anderes sprechen, er rufe zurück. – Frage: Hat „Alex“ die Drei denn überhaupt gekannt? – Ja. Kapke hat mir auch gesagt, dass die mal auf einer von meinen Veranstaltungen gewesen sein müssten. Mein V-Mann-Führer hat sofort gewusst, um wen es bei den Drei geht. Das ist ein Rückschluss, weil er keine Nachfragen gestellt hat. Es ist klar gewesen, um wen und was es geht. „Alex“ hat noch am selben Tag zurückgerufen. – Frage: Warum haben Sie sofort bei „Alex“ angerufen? – Für mich ist das wichtig gewesen, was Kapke erzählt hat. Das hat m. E. nicht warten können. Die Weitergabe von Informationen an das BfV war schließlich meine Arbeit. – Frage: Details zum Anruf? – Nach meiner Erinnerung hat Kapke noch erläutert, in Jena würden welche gesucht wegen Sprengstoffgeschichten, ob ich darüber gelesen hätte.

Frage: Details des Anrufs an „Alex“? – „Alex“ war überrascht. Er hat nicht sofort gesagt, was zu tun ist, sondern gesagt, er melde sich. Ich habe „Alex“ alle Details über die Untergetauchten übermittelt. Das hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass „Alex“ weiß, um was es geht. Frage: Hat er ausdrücklich gesagt, er müsse erst einen Vorgesetzen sprechen? – Ich meine, dass „Alex“ gesagt hat „Da kann ich jetzt nichts dazu sagen, da muss ich zurückrufen.“ Später hat er mir mitgeteilt, dass ich sagen solle, dass ich für die Drei nichts habe. Zu einem erneuten Telefonat mit Kapke ist es aber nicht gekommen. Kapke hat mich später auch nie darauf angesprochen. – Frage: Hat er das begründet? – Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, dass er gesagt hat, da würden sich schon andere drum kümmern.
Diese Dinge sind mit „Alex“ übers Handy vereinbart worden. Ich habe über mein eigenes Handy telefoniert. Ich habe vom BfV kein gesondertes Mobiltelefon erhalten, das hat mich auch nicht gewundert, wir haben am Telefon über nichts Inhaltliches gesprochen. Bei meinem letzten Kontakt hat mich das BfV aufgefordert, eine Prepaidkarte zu beschaffen, das habe ich auf meinen eigenen Namen gemacht. – Frage: Wie ist es damals gewesen? – Damals habe ich über meine eigene Sim-Karte telefoniert, ich habe nie eine bekommen vom BfV. Ich habe das auch so gehalten, wenn das BfV gesagt hat, ich solle mir einen Mietwagen nehmen. Auch den habe ich auf meinen eigenen Namen angemietet.

Frage: Wir sind überrascht, weil durch eine Telefonüberwachung ja Ihre Quellentätigkeit hätte auffliegen können. – Ich bin Mitte der 90er davon ausgegangen, dass Handys sauber sind. Ich weiß noch, dass ich meine Handyrechnungen ans BfV gegeben habe. Meine Handynummer hat auch in allen möglichen Szenepublikationen als Kontaktmöglichkeit gestanden. Frage: Wann war das Telefonat mit Kapke? – Ich meine, Anfang 1998. Frage: Hat „Alex“ Sie beauftragt, weitere Informationen zu den Drei zu beschaffen? – Zunächst nicht, jedoch hat er mich ein oder eineinhalb Jahre später drauf angesprochen, dass ich Informationen beschaffen solle. Ich habe, glaube ich, vorsichtig bei Wieschke nachgefragt. Ob ich auch bei Kapke nachgefragt habe, weiß ich nicht mehr, kann es aber nicht ausschließen. – Frage: Haben Sie sich über „Alex'“ Nachfrage verwundert gezeigt? – Ja, ich habe darauf hingewiesen, dass „Alex“ weitere Maßnahmen ein Jahr vorher abgelehnt hat. „Alex“ hat darauf gemeint, dass er auf die Entscheidung damals keinen Einfluss gehabt habe. – Frage: Ist es öfters vorgekommen, dass Sie taktische Fragen mit „Alex“ erörtert haben? – Meist war die Kommunikation einseitig, aber wir haben uns zweimal im Monat getroffen und geduzt und da frage ich mal nach.

Frage: Ist Ihnen bekannt, dass Ihre V-Mann-Akte in Teilen vernichtet ist? – Das habe ich von Herrn
Gude vom Spiegel 2012 erfahren, der hat mich durch unglaublich viele Details überwältigt. Nach dem Gespräch mit Gude habe ich im Internet meinen Quellennamen in der Taz gefunden. – Frage: Wann haben Sie zum ersten Mal erfahren, dass ihre Personalakte im November 2011 geschreddert wurde? – Ich glaube, das hat im Bericht der Taz gestanden; ich habe definitiv Kenntnis davon gehabt, dass meine Akte im BfV vernichtet worden ist. Ich denke, dass das in der Taz stand, definitiv nach dem ersten Gespräch mit Gude. – Frage: Haben Sie die politischen Diskussionen im Zusammenhang mit dem NSU verfolgt? – Am Rande. Frage: Haben Sie die Vernichtung Ihrer Akte ggü. dem BfV angesprochen? – Ja, ich habe auch das Telefonat mit „Alex“, in dem es um Kapke ging, angesprochen. – Frage: Warum? – Weil ich es schlimm finde. – Frage: Können Sie schildern, wie es zur erneuten Kontaktaufnahme gekommen ist? – Im September 2012 hat Gude vom Spiegel angerufen und er wollte wissen, wen ich kannte, wie viel Geld ich vom BfV bekommen habe, wo ich überall gewesen bin und ob ich mit ihm reden wolle. Ich habe mir Bedenkzeit auserbeten.

Der Anruf hat mich total schockiert. Dass ich enttarnt war, war ein echter Schock. Ich habe sofort bei der Vermittlung des BfV angerufen und um Rückruf gebeten. Noch am selben Tag hat „Alex“ angerufen, ich solle die Medien vom Hof jagen. Gude hat gesagt, ich hätte bis 2003 beim BfV gearbeitet, was definitiv nicht stimmen konnte, und dass ich ein Auto für 15.000 DM bekommen hätte, was auch nicht stimmt. „Alex“ hat mir geraten, ich solle nicht zu Hause schlafen, sondern bei Freunden unterkommen, und hat ein Treffen in Deutschland vorgeschlagen. Damit war ich einverstanden. Ich will mal klarstellen, dass ich für das Gespräch mit dem Spiegel weder Geld noch andere Vorteile erhalten habe. Nach dem Spiegel-Artikel sind bei mir zahlreiche weitere Anfragen eingegangen. Ich habe abgelehnt, gegen Bezahlung Interviews zu geben. Lediglich ggü. einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung habe ich ein paar Sätze verloren.

Dann ist es nach meiner Erinnerung zwischen dem 14. und 24. Oktober zu einem Treffen mit „Alex“ in Volkach gekommen. Wir sind zu einem Tagungshotel gegangen. Auf dem Weg habe ich mit „Alex“ über die Anfrage von Kapke und das Aktenschreddern gesprochen. Im Hotel bin ich in einen Tagungsraum geführt worden, in dem zwei weitere Männer vom BfV saßen. Mir ist dann erklärt worden, dass ich „Alex“ heute zum letzten Mal gesehen habe, ab sofort seien sie meine Ansprechpartner beim BfV. Ich habe den Anruf des Spiegels thematisiert und erklärt, dass ich alle Regeln eingehalten habe, jetzt sollte das BfV alle Verpflichtungen einlösen. – Frage: Welche Verpflichtungen? – Dass die Vertraulichkeit für mich als Quelle unbedingt gilt, im Falle der Enttarnung würde gesorgt werden für einen Start in ein neues Leben mit neuer Identität. Die BfV-Leute sagten, warten wir erstmal ab, ob der Spiegel eine Geschichte macht; Gude sei gebeten worden, nicht über ihn zu berichten. Dann war Ruhe bis September 2013. Da sind Leute von „Fakt“ bei mir aufgetaucht, die sich als Campinggäste angemeldet haben. Die sind mit auf Tonaufnahme geschaltetem Smartphone auf mich zugegangen und haben mich mit Fragen bombardiert: Sind Sie „Tarif“? Kennen Sie André Kapke? Ich bin dann vom Hof gefahren, doch die sind mir gefolgt.

Am Tag danach habe ich zig Anrufe von „Fakt“ gehabt, die waren richtig aggressiv in ihrem Vorgehen. Ich habe sofort Kontakt mit dem BfV aufgenommen. Die wollten erstmal abwarten, ob der Bericht gesendet wird. Nachdem der Bericht im Oktober ausgestrahlt wurde, ist es zu einem Treffen mit dem BfV in Rostock gekommen. Ich bin zunächst nach Warnemünde in die Tiefgarage eines Hotels und von dort auf die Strandpromenade gelotst worden und dort bin ich dann von den beiden bekannten Kontaktbeamten angesprochen worden. Die haben sich entschuldigt für die Anreise, sie hätten überprüfen wollen, ob ich alleine komme. Die beiden haben mich zu einer Hafenrundfahrt eingeladen. Dann wurde ich belehrt, welche Folgen eine Identitätsänderung mit sich bringt. Ich habe gesagt, dass ich mit einem kurzfristigen Kontaktabbruch zu meiner Familie einverstanden wäre, aber nicht auf Dauer. Ich habe erklärt, in Schweden bleiben zu wollen. Sie sagten, dass sie sich wegen meiner schwedischen Staatsangehörigkeit um eine Abstimmung mit der schwedischen Sicherheitspolizei bemühen würden. Das nächste Treffen sollte auf Fehmarn stattfinden. Zwei Tage vorher wurde mir telefonisch mitgeteilt, dass das Treffen abgesagt werden müsse und im Übrigen werde das mit dem Identitätswechsel nichts, weil keine hinreichende Gefährdungslage vorliegen würde, man werde aber die entstandenen Auslagen erstatten. Zu diesem Zeitpunkt war ich sehr erbost und bin laut geworden. Ich sagte, sie können sich ihre Auslagenerstattung in den Arsch schieben. Ich habe dann im Dezember nochmal Gude kontaktiert.

Im selben Monat war der Anschlag auf meine Frau. Ich habe mich gefragt: Der Staat lässt dich hängen, was machst du jetzt? Ich habe dann im Januar 2014 meine Eltern über die Quellentätigkeit informiert und gefragt, was zu tun sei. Sie konnten mir keinen Rat geben. Ich habe mich dann mit dem Spiegel-Redakteur getroffen und gesagt, dass das zunächst nicht zur Veröffentlichung bestimmt ist, dass ich aber glaube den Grund zu kennen, warum meine Akte vernichtet worden ist. Gude hat mich noch im Januar 2014 in Schweden zwei Tage besucht. Vor dem Erscheinen der Ausgabe 9/2014 hat mich das BfV angerufen und gefragt, ob es einen Kontakt zu Gude gegeben habe, was ich bejahte, und warum ich das BfV in die Pfanne haue. Ich sagte: „Weil ihr euch wie Arschlöcher verhalten habt.“ Sie sagten darauf, dass die „Fakt“-Sendung doch schon in Vergessenheit geraten sei und jetzt koche alles hoch. Dann habe ich denen noch vom Anschlag auf meine Frau berichtet. Die Gegenfrage war, ob meine Frau das angezeigt hat, woraus der BfV-Mitarbeiter auf mangelnde Zusammenarbeit mit Behörden geschlossen hat. Ich habe schließlich das Gespräch beendet.

Frage: Im Hinblick auf den Inhalt des Artikels Ausgabe 10/2014, Seite 13, „V-Mann-Tarif soll aussagen“ ist für uns von Interesse, ob es nach der Veröffentlichung noch einmal einen Kontakt zwischen Ihnen und dem BfV oder Gude gegeben hat. – Ja, Gude hat nochmal angerufen und gefragt, ob es Reaktionen gegeben habe. Gude hat gefragt, ob ich bereit sei, mich vernehmen zu lassen und ob er meine Adresse weitergeben dürfe, er sei wegen eines Vernehmungswunsches gefragt worden, was ich bejahte. – Frage: Sind Ihnen vor oder nach dem Kontakt zu Kapke von diesem oder anderen jemals andere Informationen über die drei Flüchtigen zugeflossen? – Nein, das einzige waren Gerüchte, die Drei seien im Ausland, Spekulationen, alles andere hätte ich auch sofort gemeldet. – Frage: Haben Sie über Kapkes Anfrage Dritten ggü. berichtet? – Einigen habe ich es erzählt, meiner damaligen Freundin Angela M. und vermutlich Heise. – Frage: Es liegt der Schluss nicht fern, dass das BfV eine Möglichkeit zur Ergreifung der Drei nicht genutzt hat, mit all den heutigen Folgen. Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Verhalten das BfV Kritik aussetzen kann? – Ja, aber was soll ich tun? Ich bin der Auffassung, dass es solche Behörden braucht. Und was passiert, war damals ja nicht abzusehen.

Frage: Was war Ihr Motiv mit dem Spiegel zu sprechen? – Der Anschlag auf meine Frau und die falsche Berichterstattung über mich in „Fakt“, dass mein Name immer noch mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wird. Und ich habe die Info über die Kapke-Anfrage geliefert, habe alle Regeln eingehalten und dann lässt mich der Staat im Regen stehen. – Frage: Es drängt sich der Verdacht auf, dass es Ihnen darum ging, das BfV in die Pfanne zu hauen; damit ist nicht gesagt, ob der Inhalt des von Ihnen Angegebenen zutrifft oder nicht. – Es ist richtig, dass mein Gespräch mit dem Spiegel meinem Ziel, Gefährdungen meiner Person zu vermeiden, nicht förderlich ist. Mir ist die Brisanz meiner Aussage bewusst. Aber stellen Sie sich meine Lage vor. Die Berichterstattung von „Fakt“ hat mir geschadet, auch wirtschaftlich. Wer will schon bei einem Rechtsterrorist Handwerkskurse belegen? Und wenn sich in so einer Situation das BfV nicht loyal verhält, sehe ich auch keinen Anlass, die Behörde zu schützen. Wenn man seine Loyalitätspflicht mir ggü. erfüllt hätte, hätte ich nicht mit dem Spiegel gesprochen.

Frage: Also ist Ihr Gespräch mit dem Spiegel eine Retourkutsche für das Verhalten des BfV? – Hätte das BfV damals richtig reagiert auf meinen Bericht, dann gäbe es heute 12 Tote weniger, die Mordopfer und die beiden Männer, die sich selber umgebracht haben. Mein Hauptmotiv war nicht Rache am BfV, aber wenn man wie ich derart abserviert wird, besteht auch kein Grund nichts zu sagen. – Frage: Aber die Sicherheitslage Ihrer Frau hat sich durch das Interview wahrlich nicht verbessert. – Ich denke schon, denn nun ist der verheerende Eindruck der „Fakt“-Berichterstattung, dass ich quasi auch so eine Art NSU-Terrorist gewesen sei, gerade gerückt. Die Wahrheit muss heraus, weil das BfV andere Schutzmaßnahmen nicht errichtet hat.

Dem Zeugen wird vorgehalten, dass seine Äußerungen auf einem Rachemotiv beruhen könnten, dass bspw. André Kapke in der Hauptverhandlung mehrfach bekundet habe, ständig mit verdeckter TKÜ gerechnet zu haben und sensible Zusammenhänge niemals über persönlich zuzurechnende Anschlüsse erörtert habe, von daher erscheine es zweifelhaft, dass er mit dem Zeugen, einem Protagonisten der rechten Szene, über die Beschaffung einer konspirativen Wohnung ausgerechnet über einen Festnetzanschluss gesprochen haben solle. Dem Zeugen wird zudem verdeutlicht, dass die Vernehmung nicht interessengeleitet ist, sollte er in der Vernehmung und im Spiegel die Unwahrheit gesagt habe, sei ihm dringend empfohlen, das richtig zu stellen. Der Zeuge unterbricht mehrfach und sagt: „Es ist die Wahrheit.“ – Unterbrechung der Vernehmung – Frage: Gibt es angesichts dessen noch etwas zu sagen? – Ich habe die Wahrheit gesagt und bleibe bei meiner Aussage.]

Nach dem Ende der Verlesung sagt OStA Weingarten, dass es im Protokoll eine Sinnentstellung gebe, die im anschließenden Vermerk des BKA korrigiert sei. Er rege an, dass man diesen vielleicht auch verlesen könnte. Götzl: „Herr Scharmer: Wollten Sie heute Stellung nehmen?“ Scharmer: „Nein. Möglicherweise werde ich anregen, noch mehr zu verlesen, zum Beispiel die Vorhalte aus dem Spiegel-Artikel. Insofern stelle ich anheim, die Verlesung des Vermerks bis dahin zu verschieben.“

Nach einer Pause bis 14:35 Uhr geht es weiter mit dem Zeugen St. Götzl sagt, es gehe nun um Aufzeichnungen vom 18.12.2010, Bereich 14:43 Uhr. Das Video wird abgespielt. St. erläutert: „Die Aufzeichnung ist wieder aus EDV 08. 18.12.2010, Datum und Uhrzeit passen zur Jahreszeit. An der Wohnungstür begrüßt Zschäpe eine männliche Person, könnte sich um Mundlos oder Böhnhardt handeln. Sie lässt die Wohnungstür offen stehen, dadurch hat man einen Teil der Wohnung im Blick, weil die Kamera im Türspion war. Laut Zeitstempel 14:44 Uhr, das scheint zu den Witterungsverhältnissen zu passen.“ Götzl: „Dann springen wir in den Bereich 15:09 Uhr.“ St.: „Hier sehen wir rechts auf Kamera 4, wie sich eine Person zu Fuß nähert, den Hinterhof betritt und klingelt, nach oben schaut, offensichtlich irgendwas aus dem Briefkasten rausholt und wieder reinsteckt. Die Person steht an der Klingel, an der Hauseingangstür, er kennt sich aus, blickt nach oben zur Kamera. Er scheint zu wissen bei welcher Wohnung er klingelt. Dann wird ihm aufgemacht, er verschwindet im Haus, ihm wird oben geöffnet, Frau Zschäpe steht in der geöffneten Wohnungstür und begrüßt den männlichen Besucher.“ [Es handelt sich um .]

Götzl: „Dann springen wir in den Bereich 15:32 Uhr.“ St.: „Die Wohnungstür wird von innen geöffnet. Frau Zschäpe und der männliche Besucher verlassen die Wohnung mit Leergut [phon.]. Zwei weitere männliche Personen [Mundlos und Böhnhardt] verbleiben in der Wohnung, verabschieden die zwei und machen in der Wohnung sauber. Da wird gleich der Flur gekehrt. Unten auf Kamera 4 sieht man, wie Frau Zschäpe und der männliche Besucher das Haus verlassen und in Richtung Veilchenweg sich zu Fuß entfernen. Laut Zeitangabe 15:33 Uhr.“ Götzl: „Dann 17:54 Uhr bitte.“ St.: „Auch hier sieht man, es ist mittlerweile dunkel geworden, das passt auch zur Jahreszeit. Eine weitere Bestätigung, dass die Zeitangaben korrekt sein könnten. Auf Kamera 2, Blickrichtung Frühlingsstraße, ist nun zu sehen, wie sich ein Fahrzeug langsam nähert und letztendlich geparkt wird unmittelbar vor der Frühlingsstraße 26. Die Personen, die aussteigen, entfernen sich in Richtung Veilchenweg und kommen dann auf Kamera 4 wieder ins Bild, betreten das Haus gehen nach oben in die Wohnung.

Auf Kamera 1 geht jetzt das Licht im Treppenhaus an. Die Wohnungstür wird von innen geöffnet und der Besucher von vorhin und Frau Zschäpe kommen zurück. Die haben eingekauft oder irgendwelche Sachen dabei. Der Besucher geht wieder ins Treppenhaus und verlässt mit einer männlichen Person die Wohnung. Geht nach draußen, auf Kamera 4 zu sehen, die beiden laufen zum Fahrzeug, das in der Frühlingsstraße abgestellt ist. Das Fahrzeug wird geöffnet und offensichtlich der Einkauf aus dem Wagen genommen. Dann gehen die Personen wieder vom Fahrzeug den Weg zurück zum Hauseingang auf die Rückseite, Kamera 4, genau 18 Uhr laut Zeitstempel. Betreten das Haus und gehen nach oben zur Wohnung, was auf Kamera 1 zu sehen ist. Und tragen die Einkäufe oder was auch immer in die Wohnung. Die beiden verlassen die Wohnung dann noch ein zweites Mal, wieder durchs Treppenhaus nach unten und zurück zum Fahrzeug. Auch hier wird das Fahrzeug wieder geöffnet und weitere Sachen aus dem Kofferraum geholt scheinbar. Anschließend gehen die Personen vom Fahrzeug wieder in den Hinterhof und betreten erneut das Haus. Dann auf Kamera 1 zu sehen, wie sie durchs Treppenhaus nach oben kommen, die Wohnungstür wieder aufschließen und die Wohnung betreten, da ist auch kurz noch eine dritte, männliche Person im Bild zu sehen. Jetzt ist die Wohnungstür wieder zu.“

Götzl: „Dann springen wir eine halbe Minute zu 18:47 bitte. Oder lassen Sie es einfach durchlaufen.“ St.: „Weiterhin 18.12.2010, 18:47 Uhr. Die Wohnungstür wird von innen geöffnet, der Besucher verabschiedet sich, man steht noch kurz im Treppenhaus und unterhält sich und der Besucher verlässt alleine das Haus. [Zu sehen sind Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und Dienelt.] Der Eingangsbereich wird wieder gekehrt. Und auf Kamera 4 sieht man, wie der Besucher das Haus verlässt und um das Haus herum zu seinem Fahrzeug geht, ins Fahrzeug einsteigt und um 18:50 Uhr die Frühlingsstraße wieder verlässt.“ Das Abspielen des Videos wird beendet. Götzl: „Aus welchem zeitlichen Bereich lag denn jetzt insgesamt Videomaterial vor?“ St.: „Es hat die Jahre 2010 und 2011 betroffen.“ Götzl fragt, ob St. das genauer sagen könne. St.: „Anhand der Zeitstempel ja, aber aus dem Kopf würde ich sagen: Mai oder September 2010 bis September 2011. Aus dem Kopf weiß ich die Daten jetzt nicht.“ Vorhalt aus St.s Vermerk: Laut angezeigtem Zeitstempel aus dem Zeitraum zwischen dem 22.09.2010 und dem 27.10.2011. St.: „Ja.“ Der Verhandlungstag endet um 14:53 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage“: „Diese Videos […] zeigen neben dem unauffällig-spießigen Alltag des Trios (Müll rausbringen, Wäsche aufhängen) u.a. auch zwei Besuche von Susann Eminger, der Ehefrau von André Eminger, mit ihren Kindern, und von Matthias Dienelt, der die Wohnung in Zwickau angemietet hatte. […] Außerdem wurde ein DNA-Gutachten zur Identifizierung der Leiche von Uwe Böhnhardt verlesen. U.a. war dafür auch ein im ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach gefundener rosa Kinderschuh untersucht und eine bisher unbekannte weibliche DNA gefunden. Zusammen mit der Aussage einer Zeugin, dass bei der Abholung des Wohnmobils eine weitere Frau mit ihrer Tochter dabei war, spricht dies für die Existenz von mindestens einer weiteren, bisher unbekannten Unterstützerin. Schließlich verlas das Gericht die Aussage des V-Manns „Tarif“, Michael See, bei der Generalbundesanwaltschaft. Dies geschah im sog. Freibeweisverfahren – die Verlesung diente also nicht der Beweisaufnahme zu dem, was See ausgesagt hat, sondern soll die Entscheidung über den Beweisantrag der Nebenklage, See als Zeugen zu laden, vorbereiten. Der Senat will also anscheinend auch diesen Antrag ablehnen – auch dies eine klare Absage an eine ernstbenommene Aufklärung: Immerhin hat See ausgesagt, er sei von André Kapke gefragt worden, ob er Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aufnehmen bzw. verstecken könne. Dies habe er seinem V-Mann-Führer auch unmittelbar mitgeteilt. Anstatt dass die Behörden die Chance genutzt hätten, die drei festnehmen zu lassen, habe man ihn angewiesen, Brandt abzusagen.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/10/20/20-10-2015/

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