Kurz nach 9 Uhr beginnt der 4. Verhandlungstag im 2. NSU-Prozess. Im Laufe der nur knapp anderthalbstündigen Verhandlung werden zwei Zeugen gehört. Die erste Aussage dreht sich um die Hausdurchsuchung beim Ehepaar Eminger im November 2011. Der zweite Zeuge berichtet über die Auswertung der Telekommunikationsüberwachungen der Emingers.
Zeugen:
- Thomas La., Kriminalhauptkommissar (BKA) (Hausdurchsuchung Eminger)
- Siegfried Fr., Kriminalhauptkommissar (Auswertung Telekommunikationsüberwachung der Emingers)
Als erster Zeuge wird Kriminalhauptkommissar Thomas La. befragt, der am 24. November 2011 die Durchsuchung der damaligen Wohnung der Emingers in der Adam-Ries-Straße in Zwickau geleitet hat. La. schildert zu Beginn, wie die Beamt*innen die Durchsuchung
„realisiert“ haben. Gegen 6:30 Uhr sei die Tür der Wohnung aufgebrochen worden und zwei Personen seien im Wohnzimmer festgestellt worden. Dabei habe es sich um Susann Eminger und Patrick Gö. gehandelt. Die beiden seien gefesselt und durchsucht worden, zudem habe ein Spürhund die Wohnung nach Waffen und Sprengstoff durchsucht. Susann Eminger sei mitgeteilt worden, dass sie Zeugin sei, da sich die Durchsuchung gegen ihren Mann André Eminger richte. Dieser habe sich zu dem Zeitpunkt jedoch nicht in der Wohnung in Zwickau aufgehalten, sondern mit den beiden Söhnen der Emingers auf dem Hof seines Bruders Maik Eminger in Brandenburg (siehe unser Bericht vom 2. Prozesstag). Dieses Grundstück sei etwa zeitgleich durchsucht und André Eminger aufgrund eines Haftbefehls festgenommen worden. Dies sei Susann Eminger im Laufe der Zwickauer Durchsuchung auch mitgeteilt worden.
Laut Zeuge La. habe Susann Eminger beim Lesen des Durchsuchungsbeschlusses „gefasst“ gewirkt. Sie habe ihren Anwalt Hedrich kontaktieren wollen, was ihr über das Diensthandy des Zeugen ermöglicht worden sei. Außerdem habe sie darum gebeten, dass Patrick Gö. als Zeuge der Maßnahme anwesend bleiben dürfe. In der Wahrnehmung des Zeugen La. habe Susann Eminger weder überrascht noch besonders aufgeregt gewirkt, sondern „über ein normales Maß hinaus“ abgeklärt. Der Durchsuchung habe sie letztendlich zugestimmt und sich kooperativ verhalten. Auf spätere Nachfrage der Staatsanwaltschaft berichtet der Zeuge, er habe Susann Eminger bei der Durchsuchung genau beobachtet, weil sie auch als Beschuldigte in Frage gekommen sei. Die Erkenntnisse zu André Eminger hätten auch auf sie zugetroffen.
Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung sei in einer Cordjacke eine Buchungsbestätigung für einen Campingplatz auf Fehmarn („Wulfener Hals“) gefunden worden. Diese sei an Susann Eminger adressiert gewesen und habe laut Zeuge La. Bezug zu ähnlichen Schriftstücken gehabt, die in der Frühlingsstraße 26 sichergestellt worden seien. Des Weiteren schildert er, dass zwei Laptops, ein Tower-PC, mehrere Festplatten sowie 770 Euro Bargeld festgestellt worden seien. Obwohl der Zeuge erklärt, dass das gefundene Bargeld – ähnlich den Belegen für teure Unterhaltungselektronik und einer Reise ins Disneyland aus der Wohnung des „NSU-Kerntrios“ – Hinweise darauf gegeben habe, dass dieses die Emingers für ihre Unterstützung beim Untertauchen sowie das Bereitstellen von Identitäten „alimentiert“ habe, sei das Bargeld nicht beschlagnahmt worden. Stattdessen habe man es auf Bitten von Susann Eminger bei ihr gelassen. Ihrer Aussage zufolge hätte sie sonst keine finanziellen Mittel gehabt, da allein ihr Mann Zugriff auf das Konto und die EC-Karte habe.
Im Schlafzimmer der Wohnung seien die Beamt*innen auf eine große hölzerne „Schwarze Sonne“ (Durchmesser laut La. etwa 60 cm) gestoßen, die über dem Ehebett der Emingers hing. Außerdem seien weitere Gegenstände mit „Nähe zu NS-Ideologie“ gefunden worden. Darunter Zeitschriften und Rechtsrock-CDs/DVDs, laut Zeuge zum Teil indizierte Alben. Auch eine schwarz-weiß-rote Sammeldose für die „Nationalen Sozialisten Zwickau“ soll sichergestellt worden sein. Im Schlafzimmer sollen außerdem an Susann und André Eminger adressierte Schreiben der Deutschen Bahn AG gefunden worden sein. Diese hätten wiederum Bezug zu Bahncards gehabt, die im Wohnmobil in Eisenach gefunden worden seien. Neben der Wohnung sei auch der Keller, ein Gartengrundstück sowie ein auf André Eminger zugelassener PKW der Marke Skoda Fabia durchsucht worden. La. berichtet, dass die Durchsuchung etwa gegen 17 Uhr geendet habe und die Liste der beschlagnahmten Asservate von Susanne Eminger nach Rücksprache mit ihrem Anwalt nicht unterschrieben worden sei.
Laut dem Zeugen sei die Durchsuchung mehrfach von der Presse gestört worden. Trotz Betretungsverbot für das Grundstück seien einige Reporter*innen in das Haus gelangt und sollen Fotos von der Situation und den Beteiligten gemacht haben. Während der Maßnahme seien auch der Vater, der Bruder sowie die Schwägerin von Susann Eminger an der Wohnung aufgetaucht. Ihnen sei erlaubt worden, wenige Minuten mit Eminger zu sprechen. Dennoch sei dem Zeugen als Einsatzleiter nicht klar gewesen, woher die Familie von der Durchsuchung erfahren habe.
In der weiteren Befragung durch die Vorsitzende Herberger und im Anschluss auch durch die Staatsanwaltschaft geht es u.a. noch um das Verhältnis der Eheleute Eminger untereinander und zu Patrick Gö. Die Fragen, ob es Hinweise darauf gegeben habe, dass sich Gö. schon seit längerer Zeit in der Wohnung aufgehalten habe und ob André Eminger womöglich ausgezogen gewesen sei, werden vom Zeugen jeweils verneint. Nach etwa 30 Minuten ist die erste Befragung beendet.
Als zweiter Zeuge ist Kriminalhauptkommissar Siegfried Fr. geladen. Fr. befasste sich mit der Auswertung der Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) von Susann und André Eminger vom 16.11. bis 28.11.2011. Vor der Vernehmung bemerkt die Vorsitzende Herberger, dass es nicht um die konkreten Inhalte der Telekommunikation gehen soll, sondern um einen Überblick. Später im Prozess soll es noch SMS zu lesen und Gespräche zu hören geben.
Zu Beginn erläutert Zeuge Fr. seine Arbeitspraxis. Er habe sich ausschließlich mit der TKÜ der beiden Telefonanschlüsse der Emingers beschäftigt und mit anderen Ermittlungsbereichen eher wenig kommuniziert. Seine Berichte seien das Resultat seines damaligen Wissensstandes, spätere Erkenntnisse seien nicht mit eingeflossen. Die eigentlichen Inhalte der Kommunikationen der Emingers seien in entsprechenden Protokollen zu finden. Die Überwachung habe zwei Anschlüsse betroffen, die beide über André Eminger liefen, wovon einer jedoch nur durch Susann Eminger genutzt wurde.
Auf Nachfrage der Vorsitzenden, welche Erkenntnisse der Zeuge aus den Ermittlungen gewonnen habe, antwortet Fr., dass die Situation für André Eminger auch aufgrund der Berichterstattung sehr schwierig gewesen sein soll. Bezüglich des Tatvorwurfes äußert der Zeuge, dass es zwar Anhaltspunkte wie das Kundenpasswort „Horst Wessel“, den Kontakt zum Beschuldigten Matthias Dienelt oder eine Amazon-Liste mit extrem rechten Inhalten gegeben habe, die gezeigt hätten, dass entgegen anderslautender Behauptungen, André Emingers „Interesse für die Szene noch nicht ganz gebrochen war“. Im Rahmen der TKÜ habe Fr. diesbezüglich jedoch keine Hinweise gehört. Gleichzeitig habe André Eminger mehrfach den Verdacht geäußert, abgehört zu werden; Eminger habe also nicht offen gesprochen.
In der weiteren Befragung durch die Vorsitzende ging es erneut um das Verhältnis der Eheleute Eminger. Laut Aussage des Zeugen sei die Ehe in der Krise gewesen. Er sprach von einer „Dreierkonstellation“ und einem „Freund“ mit dem Susann Eminger eine Beziehung gehabt haben soll. Auf spätere Nachfrage der Vorsitzenden bestätigt der Zeuge, dass es sich bei diesem Freund um Patrick Gö. gehandelt habe. Gleichzeitig soll André Eminger gesagt haben, dass er bei „Prostituierten“ gewesen sei. In anderen Gesprächen sei es um die Schwierigkeiten mit der Presseberichterstattung und um Angst vor „Antifa-Aktivitäten“ gegangen. André Eminger habe nach Drohanrufen Anzeige erstattet und in der Nacht zum 23. November 2011 seine Rufnummer gewechselt. Sicherheit war laut Aussage des Zeugen für alle Beteiligten ein „großes Thema“. Die Vorsitzende erkundigt sich nach einem weiteren Gespräch vom 22. November 2011 zwischen André Eminger und Matthias Dienelt. In diesem soll Dienelt gesagt haben: „Den Mietvertrag hat der Max unterschrieben“. Worum es genau ging, kann der Zeuge nicht beantworten. Er erinnert sich jedoch daran, dass in dem Zusammenhang auch 500 Euro im Raum gestanden hätten. Dem Zeugen zufolge habe es auch zwei Unterhaltungen in „größerer Runde“ zwischen André Eminger und seinem Bruder Maik Eminger gegeben. Inhalt sei gewesen, ob André Eminger sich stellen und aussagen solle. André Eminger selbst habe dazu gesagt, er habe nichts auszusagen. Daraus sollen sich dann Streitigkeiten entwickelt haben. Auch soll er behauptet haben, dass er nichts mit der rechten Szene zu tun habe, und dabei auf türkische Freunde und einen türkischen Verwandten seiner Frau verweisen haben, was zu Unmut bei seinem Bruder geführt habe. Auf die Nachfrage der Vorsitzenden zur beruflichen Situation André Emingers während der TKÜ antwortet der Zeuge Fr., dass Eminger aufgrund eines Arbeitsunfalls krankgeschrieben gewesen sei. Auf die Frage, warum die TKÜ am 28. November 2011 beendet worden sei, äußert Fr. die Vermutung, dass zu dem Zeitpunkt die Ermittlungen in die „offene Phase“ eingetreten seien.
Im Anschluss erkundigt sich die Vorsitzende nach den Erkenntnissen aus der TKÜ des von Susann Eminger genutzten Anschlusses. Zeuge Fr. erinnert sich an einen Liedtext, den sie von ihrem Mann erhalten habe. Laut Aussage des Zeugen, als „Aufmunterungsversuch, um die Situation zu meistern“. Dabei soll es sich um einen Song der Rechtsrockband „Funkenflug“ gehandelt haben, der sich auch auf der „Schulhof-CD“ der NPD von 2006 befunden hat (redaktionelle Anmerkung: wahrscheinlich geht es um den Song „Verbietet nur“). André Eminger habe die Nachricht mit dem Liedtext wiederum von seinem Bruder bekommen. Andere ausgewertete Gespräche sollen sich um „Alltagsprobleme“, die Kinder und das Verhältnis zwischen Susann Eminger und Patrick Gö. gedreht haben.
Gegen Ende fragt die Vorsitzende noch nach einem Gespräch zwischen Susann Eminger und einer weiblichen Person, wobei es um die Durchsuchung des Wohnmobils in Eisenach und das Auffinden des sogenannten „Bekennervideos“ gegangen sein soll. Der Zeuge sagt dazu, dass das Gespräch damit zusammenhängen könne, dass André Eminger laut Berichterstattung als derjenige angeführt wurde, der das Video erstellt oder redaktionell bearbeitet haben soll. Die Emingers hätten laut TKÜ jedoch behauptet, keine Videofirma zu haben.
In der abschließenden Befragung durch die Eminger-Verteidigung erläutert der Zeuge, dass die Auswertung der TKÜ schwerpunktmäßig im Nachhinein anhand von Aufnahmen erfolgt sei, also die Gespräche nicht live mitgehört worden seien.
Der Prozesstag endet damit, dass Vorsitzende Herberger die Zeug*innen für den nächsten Verhandlungstag ankündigt.
Susann und André Eminger scheint frühzeitig bewusst gewesen zu sein, dass gegen sie ermittelt wird und sie mit Abhörmaßnahmen zu rechnen haben. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Informationen aus der TKÜ interpretiert werden. Dennoch erfolgte die Festnahme von André Eminger und die Durchsuchung der Wohnung in Zwickau erst knapp drei Wochen nach der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios. Die „Schwierigkeiten“, mit denen die Emingers damals konfrontiert gewesen sein sollen, stehen in keinem Verhältnis zu ihrer bekannten Rolle im NSU-Komplex.
Protokolle und Berichte aus dem Münchener NSU-Prozess zur ergänzenden Lektüre
Aussagen des Zeugen La.:
Protokoll zum 126. Verhandlungstag – 10. Juli 2014
Protokoll zum 149. Verhandlungstag – 14. Oktober 2014
(Text: mc; Redaktion: ck, scs)