In der zurückliegenden Sitzung des Untersuchungsausschusses zu rechtem Terror in Mecklenburg-Vorpommern wurde die Frage behandelt, was eigentlich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zum Nordkreuz-Komplex weiß. Zuletzt hatte der Leiter einer anderen Bundesbehörde, des Militärischen Abschirmdiensts (MAD), eine eher entspannte Sicht auf die Dinge: Bundeswehr und Polizei zögen nun mal insgesamt ein anderes Klientel an als beispielsweise die „Hungerhilfe“. Am 28. April lieferte dagegen der stellvertretende Leiter des BfV, Sinan Selen, eine überraschend deutliche und beunruhigende Analyse des Nordkreuz-Komplexes.
Selen machte zwar gleich zu Beginn klar, dass er bezüglich Nordkreuz nicht von einem Netzwerk sondern von „Kennlinien“ sprechen wolle, die digital und analog stattfänden. Er stellte dann aber dar, dass es zunächst die Chatgruppen des Vereins „Uniter“ gegeben habe, die André Schmitt (alias „Hannibal“) ins Leben gerufen hatte: „Nord“, „Süd“, „West“,„Ost“ und „Basis“. (Recherchen zu den aktuellen Aktivitäten von „Hannibal“ findet ihr hier.)
Marko Gr. habe dann Nordkreuz und weitere Chat-Untergruppen als Administrator gegründet. In diesen Gruppen habe es dann zum einen Verständigungen zu einem Tag-X-Szenario und zum anderen auch einen ideologischen Austausch gegeben. Der verharmlosenden Erzählung, nur in bilateralen Chats von Nordkreuz-Mitgliedern habe es rechtsextreme Inhalte gegeben, setzte Selen entgegen: „Die rechtsextreme Haltung von einzelnen Personen innerhalb von Nordkreuz konnte niemandem entgehen.“ Auch Aussagen, es habe sich um eine Art unpolitisches „Planspiel“ gehandelt, halte er für eine „Schutzbehauptung“.
Selen betonte, man sei immer wieder mit Tag-X-Szenarien konfrontiert und auch wenn sich diese theoretisch anhörten, sei klar: „Resonanzkörper lösen Resonanz aus“. In solchen Chatgruppen gebe es oft keinen Widerspruch, so würden aus Gedanken Worte, „und aus Worten werden Taten“. Im Subtext von Selens Aussage wurde außerdem klar, dass das BfV davon ausgeht, dass Nordkreuz weiterhin existiert.
So weit, so richtig. Warum aber haben diese Feststellungen keinerlei Konsequenzen? Die Ermittlungen zu Nordkreuz sind eingestellt, nur kleinere Waffendelikte wurden verurteilt. Die Strukturen von Nordkreuz und möglicher Nachfolgeorganisationen wurden nicht zerschlagen. Die vom Verfassungsschutz wohl gut beobachteten Nordkreuzler sind weiter aktiv, der ehemalige Hauptverdächtige Haik Jaeger möchte nun sogar als AfD-Politiker Bürgermeister von Neukloster (Nordwestmecklenburg) werden.
Während der Aussage Selens wurden Erinnerungen an die Aufarbeitung des NSU-Komplexes wach. Der Verfassungsschutz hatte die Strukturen rund um den NSU umfassend im Blick – und tat auch hier: nichts.
Dieser Kurzbericht erschien zuerst in unserem monatlichen Newsletter „Aufklären und Einmischen“. Ihr wollt auf dem Laufenden bleiben? Hier den Newsletter abonnieren!