Nach den Nachermittlungen: Das Ringen um Aufklärung und Anerkennung eines rechten Motivs im Prozess zum Brandanschlag von Solingen am 25. März 2024

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Am Montag, den 12. Mai, und am Dienstag, 13. Mai, wird der Prozess zum Brandanschlag von Solingen im März 2024 um 09:15 Uhr vor dem Landgericht Wuppertal fortgesetzt. Vor dem Gericht findet ab 8:00 Uhr eine Mahnwache statt. Unser Kurzbericht aus dem April 2025.

Beinahe vier Wochen wertvoller Zeit wird den Ermittler*innen am Polizeipräsidium in Wuppertal eingeräumt. So viel Geduld werden die Prozessbeteiligten aufgebracht haben müssen, wenn die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Wuppertal am 12. Mai 2025 nach einer Unterbrechung fortgesetzt wird. Dort wird seit inzwischen 15 Verhandlungsterminen der Strafprozess gegen Daniel S. geführt. Ihm wird vorgeworfen, in der Nacht vom 24. auf den 25. März 2024 in einem Mehrfamilienhaus in Solingen einen Brand gelegt, Kancho und Katya Zhilova und ihre Kinder Galia und Emily getötet und 21 der Hausbewohner*innen verletzt zu haben, einige davon schwer.

Am 14. Verhandlungstag Anfang April 2025 war Jochen Kötter, dem Vorsitzenden Richter der Schwurgerichtskammer, anzumerken, dass er mit einem schnellen Ende des Strafprozesses gerechnet hatte, nun aber wider Erwarten seinen Osterurlaub würde verschieben müssen. Trotzdem sei ihm, so Kötter, jetzt natürlich wichtig, sich in einem gründlich geführten Verfahren auch der Bewertung erst unlängst in die Hauptverhandlung eingeführter Unterlagen zu widmen und nachvollziehbar zu machen, warum sie den Verfahrensbeteiligten erst jetzt zur Kenntnis gekommen sind. Durchaus erstaunt zeigte sich Richter Kötter darüber, dass das aufgetauchte Material weder von der ermittelnden Kriminalpolizei noch durch die Wuppertaler Staatsschutzbeamt*innen von sich aus zu den Ermittlungsunterlagen gegeben wurden.

Dass es sich – wie vor allem Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız schon vor dem 14. Verhandlungstag Anfang April 2025 stark gemacht hatte – um Fehler in der Polizeiarbeit handele, die durchaus im Bereich der Strafbarkeit liegen könnten, spielte für das Gericht offenkundig aber keine Rolle.

Das irritiert. Denn es handelt sich um Material, das eindeutig auf eine rechte, rassistische und antisemitische Gesinnung des Angeklagten hinweisen kann, also um Material, das in der Beweiswürdigung zu den Motiven des geständigen Angeklagten unbedingt beachtet werden muss. Denn mit §46 StGB ist geregelt, dass eine hinter einer Tat liegende rassistische Haltung von Angeklagten für eine Entscheidung zum Strafmaß einzubeziehen ist. Unabhängig davon, ob der Angeklagte wegen der Schwere der Tat – dem Mord an vier Menschen und der schweren Körperverletzung in 21 Fällen – ohnehin mit der Höchststrafe zu rechnen hat, gebieten es die Rechte der Betroffenen und Nebenkläger*innen, dass die Gründe für die Tat vor Gericht Anerkennung finden.

Gut ist, dass der Gerichtsprozess seit April noch einmal deutlich mehr Aufmerksamkeit in der Presse, aber auch von solidarischen Menschen und Prozessbeobachter*innen erfährt. Auch NSU-Watch hat sich zusammen mit der Initiative Herkesin Meydanı der kritischen Begleitung des Prozesses angeschlossen, in Untertützung von Initiativen aus Wuppertal und Solingen, die schon seit Beginn der Verhandlung den Prozess im Blick haben. Seit dem 14. Prozesstag erscheinen auf dem prozessbegleitenden Blog Adalet Solingen Berichte zu den Verhandlungstagen. Ein offener Brief fordert Gericht, Polizei und Politik auf, für Aufklärung zu sorgen und Konsequenzen zu ziehen.

Wenn am 12. Mai der 16. Prozesstag aufgerufen wird, sollen Kriminalpolizei und der Staatsschutz des Polizeipräsidiums Wuppertal die Ergebnisse der ihnen im April von der Schwurgerichtskammer aufgetragenen Nachermittlungen liefern. Es geht dann vor allem um Daten, die im Google-Konto des Angeklagten liegen, und dessen Online-Verhalten, also die von ihm angesehenen oder verwendeten Videos, Bilder und Webseiten, dokumentieren. Sie zu bewerten, ist erst jetzt (wieder) auf dem Tisch der Polizei gelandet, weil die Ermittler*innen es vorher versäumt hatten, diesen digitalen Hinweisen nachzugehen, die Auskunft über den Angeklagten, seine Gesinnung, seine Motive und sein Vortatverhalten geben können.

Es war wieder Seda Başay-Yıldız, die das Gericht am 14. Verhandlungstag auf diese Spuren erst aufmerksam machen musste. Dort hatte sie auch darauf gedrängt, dass die Fotos, die bei der Hausdurchsuchung im Wohnhaus des Angeklagten von einem Kriminalpolizisten angefertigt worden waren, ausführlich Thema wurden. Sie zeigen Bücher, Zeitschriften und Schallplatten wie Hitlers „Mein Kampf“, eine NS-Biographie zu Hermann Göring oder wehrmachtsverherrlichende Materialien.

Am 15. Verhandlungstag (15.04.2025) sagte der Polizist, der die Fotos gemacht hatte, aus, er habe die einschlägigen Bücher in der Mansarde im zweiten Stock des Hauses gefunden, in dem der Angeklagte mit seiner Freundin wohnte. Die Bilder habe er mit seinem Handy gemacht und an den Staatsschutz des Polizeipräsidiums Wuppertal zur Bewertung gesandt.

Dort traf dann im Mai 2024 eine Staatsschutzbeamtin die Einschätzung, dass der Besitz nicht strafbar sei und für die Besitzer*innen solcher Materialien allenfalls eine „rechte Weltoffenheit“ (sic!) angenommen werden könne – mehr aber nicht. So formulierte es die mit den Fotos befasste Staatsschutzbeamtin am 14. Verhandlungstag im Zeug*innenstand selbst. Staatsschützer Thomas Böttcher bestätige diese inhaltliche Bewertung in seiner Aussage.

Der Kriminalbeamte, der die Fotos gemacht hatte, wurde auch zur Auffindesituation befragt: Die Gegenstände habe er in der Küche der Mansardenräume gefunden. Die Freundin des Angeklagten habe ihm mitgeteilt, dass dort seit dem Auszug des Vaters des Angeklagten niemand mehr wohne. Diese Aussage hätten sie sich zu eigen gemacht, so der Beamte, und würden darum bis heute annehmen, dass die Wohnung auch zum Tatzeitpunkt ungenutzt, Jahre zuvor aber vom Vater des Angeklagten bewohnt gewesen sei.

Die während der Verhandlung vorgehaltenen Fotos aber zeigen etwas Anderes: an einer Zimmerwand hing gut sichtbar ein Kalender von 2024, auf dem bezogenen Bett lag eine ebenfalls mit Bettwäsche bezogene Decke, wie hingeworfen kurz nach dem Aufstehen. Auf Tisch und Regalen fanden sich Tabakdosen, wie sie auch am Tatort aufgefunden worden waren. Eine solche Dose war für den Brandsatz genutzt worden, mit dem das Haus in Brand gesteckt wurde.

Staunend hörte die Öffentlichkeit am 15. Hauptverhandlungstag, dass dieser offenkundige Widerspruch, den Ermittler*innen bis heute keinen Anlass zum Zweifel gibt. Denn das Protokoll zur Hausdurchsuchung, die am 8., 9. und 10. April 2024 stattgefunden hatte, wurde erst jetzt, im April 2025 aus dem Gedächtnis heraus angefertigt, wie der Zeuge am 15.04.2025 aussagte. Er habe, so der Zeuge, das Protokoll, damals „gedanklich abgehakt“ – hat es aber tatsächlich wohl gar nicht erst angefertigt.

In den kommenden Verhandlungswochen wird es darum gehen, die Besitz- und Nutzungsverhältnissen zu den Nazi-Materialien und den Räumen im Täterhaus zu klären. Dass die Materialien im Google-Konto eindeutig dem Angeklagten zuzuordnen sind, ist vermutlich unstrittig. Um was genau es sich handelt, werden wir wohl am 12. Mai erfahren. Schon Anfang April gab Seda Başay-Yıldız mit ihrem Beweisantrag, diese digitalen Spuren in die Beweiserhebung aufzunehmen, einen ersten Einblick: Es sei so viel wehrmachtsverherrlichendes und rassistisches Material darunter, dass es gar nicht nötig sei, Einzelnes aufzulisten.

Nach wie vor ist es wichtig, dass auch die kritische Öffentlichkeit darauf drängt, dass der politischen Einstellung des Angeklagten nachgegangen wird. Zum Glück kommen zu den Verhandlungstagen aktuell viele solidarische Menschen. Es bleibt aber darüber hinaus notwendig, das Wissen um den Prozessverlauf in die Welt zu bringen und zu teilen. Denn das Gericht muss jetzt seine Arbeit machen – wenn Polizei und Staatsschutz ihre schon nicht getan haben.

Für aktuelle Informationen folgt unseren Social-Media-Kanälen oder schaut auf den Webseiten von Adalet Solingen oder Herkesin Meydanı nach.

Dieser Kurzbericht erschien zuerst in unserem monatlichen Newsletter „Aufklären und Einmischen“. Ihr wollt auf dem Laufenden bleiben? Hier den Newsletter abonnieren!