Wir melden uns einmal im Monat mit unserem Newsletter „Aufklären & Einmischen“ bei euch. Passend zum Titel des Newsletters findet ihr im ersten Teil – Aufklären – Berichte zu unserer Arbeit. Außerdem werfen wir einen Blick auf aktuelle Ereignisse im Themenfeld rechter Terror und seine Aufarbeitung. Im zweiten Teil des Newsletters wird es praktisch: Einmischen. Wir sammeln für euch aktuelle Termine beispielsweise für Veranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, an denen ihr euch beteiligen könnt. Hier könnt ihr euch für den Newsletter anmelden.
Wenn ihr genauer wissen wollt, was euch erwartet, könnt ihr hier die Juni-Ausgabe des Newsletters in der Webversion nachlesen. (Aus technischen Gründen wird der Newsletter hier grafisch leicht abweichend von der Mail-Version dargestellt.)
Hallo zur Juni-Ausgabe unseres monatlichen Newsletters „Aufklären & Einmischen“!
Im letzten Monat hat der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft – um diese Bewertung dann wenige Tage später wieder auf Eis zu legen, bis Gerichte über Beschwerden der Partei entscheiden.
Mit Blick auf die Ideologie der AfD und ihre Bezüge zu rechtem Terror sind wir auf Bewertungen durch den Inlandsgeheimdienst nicht angewiesen – dass die AfD sicher extrem rechts ist, ist seit Jahren erkennbar für alle, die es sehen wollen. Die meisten (angehenden) rechtsterroristischen Täter*innen der letzten Jahre hatten Bezüge zur AfD. Sie nahmen an ihren Veranstaltungen teil, halfen beim Wahlkampf oder sind bzw. waren selbst Mitglieder. Das rechtsterroristische Netzwerk Nordkreuz weist viele Bezüge zur AfD auf – bis hin zur Kandidatur für öffentliche Ämter auf dem Ticket der Partei. Hintergründe dazu findet ihr in unserem Artikel im Antifaschistischen Infoblatt. Die Aufzählung kann fortgesetzt werden mit dem Täter des OEZ-Attentats in München 2016, dem Mörder von Walter Lübcke, den Mitgliedern der „Sächsischen Separatisten“ und der „Patriotischen Union“. Rechten Terror aufzuklären bedeutet seit Jahren also auch eine Befassung mit der AfD. Die Einschätzung des Verfassungsschutzes erfolgt wie so oft sehr spät.
Damit es leichter ist, den Überblick im Themenfeld zu behalten und auf dem aktuellen Stand zu bleiben, schreiben wir diesen monatlichen Newsletter. Diesmal mit den Themen:
- Ein weiterer möglicher Anschlag des Angeklagten und die Vertuschung des rechten Motivs. Die aktuellen Wendungen im Prozess zum Brandanschlag von Solingen 2024
- Nordkreuz: Darum wurde der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern vom innergeheimdienstlichen Informationsfluss ausgeschlossen
Gut zu wissen:
+++ Politisch Verantwortliche sagen vor dem saarländischen Untersuchungsausschuss zu den rassistischen Brandanschlägen der 1990er Jahre aus +++
+++ „Offener Prozess. Ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex“ in Chemnitz eröffnet +++
Der Monat Juni ist vom gemeinsamen Gedenken geprägt. Vier Morde und zwei Sprengstoffanschläge beging der NSU im Juni. Wir gedenken der Ermordeten İsmail Yaşar und Theodoros Boulgarides, sie wurden vor 20 Jahren vom NSU ermordet. Wir erinnern an den Bombenanschlag in Nürnberg auf die „Pilsbar Sonnenschein“, der sich in diesem Jahr zum 26. Mal jährt. Wir gedenken der Ermordeten Abdurrahim Özüdoğru und Süleyman Taşköprü. Wir erinnern an den Bombenanschlag auf die Kölner Keupstraße vor 21 Jahren. Wir gedenken auch Walter Lübckes, der vor sechs Jahren von einem Neonazi in Wolfhagen-Istha bei Kassel ermordet wurde. Wir erinnern auch an William Schenck, Rufus Surles und Mohamed Ehap, die vor 43 Jahren in Nürnberg bei einem rechten Attentat auf eine Diskothek ermordet wurden.
Beteiligt euch an den geplanten Gedenkveranstaltungen! Termine dafür und für weitere Veranstaltungen findet ihr wie immer am Ende des Newsletters.
Kein Schlussstrich!
Eure Antifaschist*innen von NSU-Watch
Unser Newsletter ist kostenlos und wird es auch bleiben. Für unsere Arbeit sind wir aber auf eure Unterstützung angewiesen. Mehr dazu findet ihr auf unserer Spendenseite!
Ein weiterer möglicher Anschlag des Angeklagten und die Vertuschung des rechten Motivs. Die aktuellen Wendungen im Prozess zum Brandanschlag von Solingen 2024
Beim Prozess zum Brandanschlag von Solingen vom 25. März 2024 steht seit dem 15. Verhandlungstag am 2. Juni im Raum, dass der Angeklagte möglicherweise eine weitere Brandstiftung an einem Mehrfamilienhaus im Wupptertal im Januar 2022 begangen haben könnte. Die Nebenklage-Vertreterin Seda Başay-Yıldız brachte im Prozess ein, dass die Freundin des Angeklagten zuvor dort gewohnt habe. Der Angeklagte sei dort mit einem marokkanischen Nachbarn in Streit geraten. Vier Monate nach dem Umzug der Lebensgefährtin brannte das Haus. Der Angeklagte soll noch in der gleichen Nacht nach dem Brand gegoogelt haben.
Die Nebenkläger*innen, Überlebende des Anschlages und Angehörige fordern an den Prozesstagen mit einer Mahnwache vor dem Gericht, dass sich das Verfahren endlich den weiterhin offenen Fragen nach dem Motiv hinter dem Brandanschlag von Solingen 2024 widmet. Dieser Druck ist notwendig.
Seda Başay-Yıldız, die als Anwältin der Nebenklage vor dem zuständigen Schwurgericht in Wuppertal eine überlebende Familie vertritt, wird zugleich nicht müde zu betonen: Verhandelt wird über die Schuld und die Tatmotive zum Mord an vier Menschen. Es geht um Kancho Zhilov und Katya Zhilova, um ihre Kinder Emily und Galia. Sie starben am 25. März 2024 in ihrer Wohnung im obersten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses in Solingen-Grünewald. 21 Menschen überlebten den Brandanschlag, einige davon schwer verletzt, etwa weil sie sich durch den Sprung aus einem Fenster retten mussten.
Nach vier Monaten, die der Prozess nun bereits dauert, kommen allerdings mehr und mehr Aspekte ans Licht, die den Eindruck nähren, dass die Ermittlungsbehörden ein rechtes Tatmotiv schon während der Ermittlungen nicht erkennen wollten und bis heute weiterhin nicht erkennen wollen. Im April 2024 wurde der heute angeklagte Daniel S. festgenommen. Er gab und gibt an, den Brand aus Rache gegen seine ehemalige Vermieterin gelegt zu haben. Bis 2022 hatte er in dem Mehrfamilienhaus in der Grünewalder Straße gewohnt und sei mit der Hausbesitzerin in Streit geraten. Nur zwei Tage nach der Festnahme und unmittelbar nach der Durchsuchung von Gebäude und Garage, die der Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Festnahme nutzte, hatte der ermittelnde Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt am 10. April 2024 der Presse mitgeteilt: Die bislang durchgeführten Ermittlungen, insbesondere die Durchsuchung der Wohnräume des geständigen Tatverdächtigen sowie die Auswertung von Beweismitteln hätten „keine Erkenntnisse auf ein Tatmotiv, auch nicht auf ein etwaig vorhandenes fremdenfeindliches Motiv“ ergeben.
Wie wir seit dem 12. Verhandlungstag allerdings wissen, war und ist diese Einschätzung kaum haltbar. Denn in einer Mansarde des Hauses, die auch der Angeklagte bis zu seiner Verhaftung genutzt haben kann, waren u.a. zeitgenössische NS-Proganda sowie Wehrmachts- und Soldatenverherrlichungen gefunden worden. In der Garage des Angeklagten hing – auf Spurensicherungsbildern sichtbar – ein Poster mit eindeutig rassistischer Botschaft, die auch in den 1990er Jahren bereits bekannt war. Datenträger und das Google-Konto, die mutmaßlich dem Täter zuzuordnen sind, waren voller NS-verherrlichender Memes, unverholenem Rassismus und Antisemitismus.
All diese Funde waren allerdings nicht zu den Gerichtsakten gereicht worden. Seda Başay-Yıldız musste erst selbst recherchieren, Fotos sichten, Anträge zur Auswertung der bis dahin unbeachteten Datenträger stellen. Erst jetzt, während der Hauptverhandlung, hat die Hartnäckigkeit der Nebenklage dafür gesorgt, dass diese Beweismittel überhaupt vor Gericht gewürdigt werden. Am nun 15. Prozesstag, am 2. Juni, ging es etwa um die Festplatte, auf der mindestens 166 rassistische und extrem rechte Bilder und Memes gefunden wurden. Die Datenanalyse der Ermittler*innen will jetzt festgestellt haben, dass die Dateien zwar von einem Nutzer namens Raphael L. stammen könnten und wohl als Kopien von Smartphone-Daten auf die Festplatte gelangt seien. Doch die Rolle dieses Bekannten aus dem Umfeld der Freundin des Angeklagten bleibt auch nach seiner Zeugenaussage am Landgericht unklar. Dass die rassistischen, antisemitischen und neonazistischen Memes nicht vom Angeklagten sein sollen, kann weiterhin nicht als erwiesen betrachtet werden.
Beim Verhandlungstermin am 12. Mai 2025 überraschte der Vorsitzende Richter Jochen Kötter zuletzt noch durch die Einführung eines weiteren Dokuments. So habe es bereits im April 2024 eine Einschätzung der Kriminalpolizei gegeben, wonach dem damals Tatverdächtigen ein geschlossen extrem rechtes Weltbild durchaus zu eigen gewesen sei. Ein extrem rechter Hintergrund der Tat wurde als Ermittlungsansatz festgehalten. Allerdings: Das Schriftstück, das diesen Ermittlungsstrang festhielt, wurde handschriftlich kommentiert und verändert, die Einschätzung zur rechten Gesinnung des Angeklagten darin gestrichen. Auf wessen Anordnung? Durch wessen Hand? Die Wuppertaler Staatsanwaltschaft äußerte sich vor Gericht dazu nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie allerdings ihre Erklärung für diese erstaunliche Kehrtwende bereits an anderer Stelle präsentiert: Als Bericht an das Ministerium der Justiz, das sie seinerseits dem Innenausschuss im Düsseldorfer Landtag vortrug.
Dort hatte die SPD-Fraktion Anfang Mai einen Bericht über die Erkenntnisse zur Motivlage des Anschlages eingefordert. Der leitende Oberstaatsanwalt hatte bereits am 7. Mai sein Ministerium informiert, Innenminister Herber Reul (CDU) kopierte den Beitrag in seinen Bericht und legte ihn dem Ausschuss vor.
Darin heißt es unter anderem: Die ursprüngliche Einschätzung zur Person und Motivlage des Täters sei noch im April 2024 nur deshalb entstanden, weil sich eine nicht-sachkundige Regierungsbeschäftigte, die „nur oberflächlich mit dem Sachverhalt“ vertraut gewesen sei, einen Reim auf die Hintergründe des Brandanschlags zu machen versucht und politische Motive angenommen habe. Die dann aber zuständige und fachlich ausgebildete Staatsschutzbeamtin habe das Dokument danach korrigiert. In die Akte gelangt wiederum sei die Notiz mit dem korrigierten Vermerk der Kollegin dann jedoch nicht. Die Staatsschutzbeamtin habe sie ausgedruckt und zu einer Besprechung mit der Mordkommission mitgenommen. Dort sei das Papier dann verlorengegangen, so der Oberstaatsanwalt gegenüber dem Innenausschuss.
Solche und weitere mehr als fragwürdige Erklärungsversuche zu den sich häufenden Ungereimtheiten und Arbeitsverweigerungen in der Ermittlungsarbeit gibt es viele. Erstaunlich ist, dass die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens zugleich keine Spur von Erstaunen oder Ärger zeigt darüber, dass die Art der Ermittlungsführung die Aufklärungsarbeit der Anklagebehörde und damit ihre Autorität beschneidet und einschränkt. Stattdessen ging die Staatsanwaltschaft am 14. Verhandlungstag die Vertreter*innen der Nebenklage mit dem Vorwurf an, ihr Versuch, das Tatmotiv aufzuklären und den mehr als augenscheinlichen Hinweisen auf Rassismus als Motiv nachzugehen, sei „Meinung.“
Inzwischen sind Seda Başay-Yıldız und vier weitere Nebenklagevertreter*innen erstmals gemeinsam an die Öffentlichkeit getreten. Sie weisen auf die „Salamitaktik“ der Ermittlungsbehörden hin, die dem Vertrauen in deren Aufklärungswillen rechtspolitisch schwer zu schaden drohe. Die Anwält*innen fordern in aller Deutlichkeit die Staatsanwaltschaft und die Polizei auf, dem Schwurgericht und den Verfahrensbeteiligten alle Ermittlungsunterlagen zur Akte zu reichen –vollständig und unverzüglich.
Heute bekommt der Prozess ein erhebliches Maß an Aufmerksamkeit. Auch die jüngsten, wiederum überraschenden Erkenntnisse zu einer weiteren, potentiell tödlichen Brandstiftung, die der Angeklagte schon im Januar 2022 gegen einen marokkanischen Nachbarn seiner Freundin ausgeführt haben könnte, mögen dafür sorgen, dass Rassismus als Tatmotiv breiter diskutiert wird.
Es gibt eine solidarische Prozessbeobachtung, solidarische Menschen begleiten die Überlebenden und Angehörigen in ihrem Anliegen bei Mahnwachen. Auch überregionale Medien berichten fortlaufend und wahrnehmbar. Diese Aufmerksamkeit wird notwendig sein, um den Druck aufrecht zu erhalten. Die zu lange nicht gestellte Frage nach dem Tatmotiv Rassismus und nach einem extrem rechten Hintergrund des Angeklagten soll nicht wieder unter den Teppich gekehrt werden können. Der Prozess ist aktuell bis in den Spätsommer hinein terminiert.
Bitte achtet auf Ankündigungen und kommt zur kritischen Prozessbeobachtung nach Wuppertal, im Juni am 11.06. und 23.06.2025. Infos und Neuigkeiten bei Adalet Solingen und Herkesin Meydanı.
Nordkreuz: Darum wurde der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern vom innergeheimdienstlichen Informationsfluss ausgeschlossen
In den beiden Sitzungen des Rechter Terror-Untersuchungsausschusses in Mecklenburg-Vorpommern im Mai rückte nach den Bundesbehörden wieder die Arbeit des Verfassungsschutzes (VS) des Landes in den Mittelpunkt. Dabei wurde auch die Frage, die wir bereits in unserem Kurzbericht im März in den Raum gestellt haben, beantwortet: Ja, Nordkreuz hätte durch die Tätigkeiten des VS Mecklenburg-Vorpommern vor bevorstehenden Maßnahmen gewarnt sein können.
Am 5. Mai sagte „VS 45“, ein ehemaliger Auswerter für Rechtsextremismus, aus. Er sagte, der VS Mecklenburg-Vorpommern und der gesamte VS-Verbund seien bereits im Oktober 2016 auf Personen aufmerksam gemacht worden, die sich als größere Gruppe auf den „Tag X“ vorbereiten. Dazu gehörten auch Personen, die im öffentlichen Dienst und in Sicherheitsbehörden tätig seien. Es sei die Rede von Waffen und der Vorbereitung auf ein autarkes Leben gewesen. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern habe zwei Personen identifizieren können und habe diese „in die Bearbeitung aufgenommen“. Es habe dann verschiedene Maßnahmen gegeben und man habe gesehen, dass es Berührungspunkte zur Bundeswehr und zum Reservistenverband gegeben habe.
Die Ausschuss-Sitzung zeigte: Mit diesen Kenntnissen wandte sich der VS Mecklenburg-Vorpommern bereits im Juni 2017 – also vor den Durchsuchungen im Nordkreuz-Komplex – an die zuständigen Waffenbehörden, um den Entzug der Waffenerlaubnis für die beiden dem Verfassungsschutz bekannt gewordenen Personen zu erwirken. Dabei ging es noch nicht konkret um Nordkreuz. Auch nach dem Bekanntwerden von Nordkreuz sperrten sich Waffenbehörden lange, da aus ihrer Sicht „Weltanschauung“ nichts mit dem Recht Waffen zu besitzen zu tun habe. Man habe sich mit den Waffenbehörden „auf eine Reise begeben“, so der Zeuge, und am Ende habe der Waffenentzug gestanden.
Ob auch diese gute, aber vielleicht voreilige Idee zu dem führte, was der ehemalige Chef der Abteilung für Rechtsextremismus im Verfassungsschutz in der gleichen Sitzung einräumte?„VS3“ sagte, dass aufgrund einer Unachtsamkeit eines Mitarbeiters der VS Mecklenburg-Vorpommern ab Juni 2017 von allen Erkenntnissen anderer Behörden ausgeschlossen worden sei. Schon in einer vorherigen Sitzung kam heraus, dass ein Mitarbeiter dem Reservistenverband gegenüber das Interesse des Verfassungsschutzes offenbart hatte. Man sei nicht über die Durchsuchungen und den weiteren Fortgang informiert worden und habe nie den vollständigen Sachverhalt auswerten können.
In der Sitzung am 26. Mai war es dann wieder der VS Mecklenburg-Vorpommern, der Informationen vorenthielt: Die zwei an diesem Tag geladenen Mitarbeiter verwiesen bei einem Großteil der Fragen der Abgeordneten – selbst zu bekannten Allgemeinheiten – auf ihre Aussagegenehmigung und die Einstufung von Dokumenten. „VS 175“ und „VS41“ sagten lediglich aus, dass sich im September 2018 eine Person von „Uniter“ mit einem Ausstiegswunsch an den Landes-VS gewandt habe. Diese Person habe man dann zwischen Oktober 2018 und Dezember 2019 mehrfach getroffen und sie habe Informationen übergeben.
Dieses Aussageverhalten und die mangelnde Kooperation des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern bei der Herunterstufung des Geheimhaltungsgrades von Dokumenten wurden von mehreren Abgeordneten scharf kritisiert.
Gut zu wissen: Aktuelles aus dem Themenbereich Rechter Terror und Antifaschismus
+++ Politisch Verantwortliche sagen vor dem saarländischen Untersuchungsausschuss zu den rassistischen Brandanschlägen der 1990er Jahre aus +++
Gastbeitrag von Roland Röder (Aktion 3. Welt Saar)
Der saarländischen Untersuchungsausschuss zu den rassistischen Brandanschlägen der 1990er Jahre hat in bisher 18 Sitzungen lediglich sechsmal öffentlich getagt. In der Regierungszeit von Oskar Lafontaine gab es in den 1990er Jahren rund 20 bisher unaufgeklärte Bomben-, Brand-, Mord- und Terroranschläge von rechts. Dazu gehörte auch der rassistische Brandanschlag vom 19. September 1991 auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis, bei dem Samuel Kofi Yeboah ermordet wurde. Mehr zu den Prozessen zum Brandanschlag und zum Mord an Samuel Kofi Yeboah ist u.a. auch bei der Antifa Saar, im NSU-Watch-Newsletter im April 25 und auf dem Blog der Nebenklage zu finden.
Befragt wurden im UA bisher Zeitzeug*innen, Opfer der Anschläge und die Repräsentant*innen des saarländischen Staatsversagens von Parteien, Polizei und dem Verfassungsschutz. Unter anderem die Ex-Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine (damals SPD, 1985-1998), Peter Müller (CDU), Reinhard Klimmt (SPD, 1998-1999), der Ex-Innenminister Friedel Läpple (SPD, 1985-1998), der Ex-Innenstaatssekretär Richard Dewes (SPD, 1991-1994) die drei Leiter des Amtes für Verfassungsschutz Gerhard Metzler (1985-1993), Dr. Helmut Albert (1993-2021) und Ulrich Pohl (seit 2021). Insbesondere Lafontaine und Müller war anzumerken, dass sie nur höchst unwillig vor dem Ausschuss auftraten.
Eine Konstante, die sich durch alle Aussagen von Lafontaine, Läpple und Klimmt hindurch zog, war die Behauptung, man hätte damals gewusst, dass es eine aktive Naziszene gab und man hätte die Mord- und Brandanschläge dem Rechtsextremismus zugeordnet. Das klingt nach einer politischen Lebenslüge, denn jahrzehntelang behaupteten die gleichen staatlichen Stellen das Gegenteil. Man bagatellisierte die Auseinandersetzungen als Schlägereien zwischen rechten und linken Jugendlichen.
Lafontaine und Dewes betrieben dabei eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Beide waren noch jetzt stolz darauf, dass sie mit der Aushöhlung des Asyl-Artikels 16 im Grundgesetz vom Mai 1993 den Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland reduzierten und es dadurch weniger Anschläge gegeben habe. Damit machen sie im Umkehrschluss die Anwesenheit von Flüchtlingen für die Anschläge verantwortlich und nicht die rassistische Grundstimmung, innerhalb derer Nazis agier(t)en.
Die drei Verfassungsschützer vollzogen die Rechts-Links-Gleichsetzung und betonten, sie hätten die Skinheadszene erst ab 1992/1993 auf dem Schirm gehabt. Die Aussage von Gerhard Metzler in der taz vom 8.7.1993, in der er das Saarland vor allem durch „ein zahlenmäßig großes RAF-Umfeld“ gefährdet sah, kam im Ausschuss zwar nicht zur Sprache, spricht aber Bände über das Ausblenden von Nazis.
Dabei gab es in der Zivilgesellschaft Organisationen wie die Aktion 3. Welt Saar, den saarländischen Flüchtlingsrat und die Antifa Saar/Projekt AK, die dieser offiziellen Lesart widersprachen. Diese änderte sich erst im Zuge des Prozesses zum rassistischen Brandanschlag am 19. September 1991 und zum Mord an Samuel Kofi Yeboah in Koblenz ab November 2022.
Aus dem Rahmen fiel bei seiner Befragung im Ausschuss der Ex-Innenminister Friedel Läpple. Er verwies darauf, dass er bei seinen Besuchen in der Polizeidienststelle Saarlouis immer ein ungutes, mulmiges Gefühl hatte und eine Mauer zwischen ihm und der Mehrheit der Polizei dort wahrnahm. Diese Einschätzung, die er 30 Jahre lang für sich behielt, hatten Antifaschist:innen bereits damals.
Stand: 27.5.25
Der Autor ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar. Diese hat mit einem Team eine unabhängige Prozessbeobachtung durchgeführt, die beiden Verfahren an allen Prozesstagen besucht, ebenso die bisherigen UA-Termine. Infos und Prozessberichte unter www.a3wsaar.de.
+++ „Offener Prozess. Ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex“ in Chemnitz eröffnet +++
„Ich wünsche mir, dass aus dem Dokumentationszentrum ein Ort des Zuhörens wird. Ein Ort, an dem niemand mehr sagen kann: ‚Ich habe von nichts gewusst‘“, sagte Gamze Kubaşık, Tochter des vom NSU ermordeten Mehmet Kubaşık, bei der Eröffnung von „Offener Prozess. Ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex“ in Chemnitz am 25. Mai.
Mit einer Ausstellung, Veranstaltungen, Bildungsangeboten, Forschung und Archiv ist das Dokuzentrum dem Gedenken an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter und der Erinnerung an alle Betroffenen des NSU-Terrors gewidmet.
Die Ausstellung des Dokuzentrums führt in acht Kapiteln durch den NSU-Komplex und weitet den Blick auf Kontinuitäten von Migration und rechtem Terror. Sie beginnt mit den Leben der Ermordeten und Betroffenen, zeigt die Verantwortung von Behörden, Medien und Gesellschaft, die den NSU-Komplex erst möglich machten. Sie zeigt das fortgesetzte Staatsversagen in der Verweigerung und Verhinderung von Aufklärung und Aufarbeitung. Sie zeigt aber auch, wie viel Wissen von Angehörigen, Betroffenen, Antifaschist*innen, Abgeordneten, Journalist*innen und Anwält*innen gegen diese Widerstände erkämpft werden konnte. Das Dokuzentrum soll die Besucher*innen einladen, selbst Teil der Aufarbeitung des NSU-Komplexes zu werden.
Klar ist, dass ein solches Dokuzentrum die immer noch ausstehende angemessene Entschädigung der von den Taten des NSU Betroffenen nicht ersetzen kann. Es braucht auch weiterhin eine unabhängige und kritische gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex, mit institutionellem Rassismus und mit der Rolle von Behörden.
Das Dokumentationszentrum kann am Johannisplatz 8 in Chemnitz besucht werden, der Eintritt ist frei. Weitere Informationen auf der Homepage von „Offener Prozess. Ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex“.
Wir gedenken und erinnern:
Dr. Walter Lübcke
Der Kasseler Regierungspräsident wurde vor sechs Jahren, in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019, von dem Neonazi Stephan Ernst auf seiner Terrasse in Wolfhagen-Istha bei Kassel ermordet.
Im Oktober 2015 nahmen die Neonazis Markus Ha. und Stephan Ernst ein Video von einem Auftritt des CDU-Politikers bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden auf. Lübcke hatte sich auf dieser Versammlung den Fragen gestellt, die Bürger*innen wegen der Eröffnung einer Geflüchtetenunterkunft im Ort hatten. Als Regierungspräsident von Kassel war er verantwortlich für die Unterbringung von Geflüchteten in Nordhessen.
Zur Veranstaltung in Lohfelden hatte das Umfeld von Kagida, des örtlichen Pegida-Ablegers aus Kassel, gezielt mobilisiert. In den ersten Reihen nahmen Menschen Platz, die den Regierungspräsidenten provozierten. Lübcke verteidigte daraufhin in seiner Rede das Grundrecht auf Asyl und sagte am Ende einer längeren Ausführung:
“Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.”
Das Video dieser Aussage löste eine massive Welle von rechter Hetze gegen Walter Lübcke aus, an deren Ende seine Ermordung steht.
Stephan Ernst, der Mörder von Walter Lübcke ist so etwas wie die Verkörperung einer Kontinuität rechten Terrors in Hessen und Deutschland. Er beging seit 1989 immer wieder Mordanschläge und Angriffe. Der Name von Stephan Ernst fiel Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschusses in Hessen schon auf, bevor er im Zusammenhang mit dem Mord an Lübcke 2019 einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.
Der Name von Markus Ha., der ebenfalls beim Prozess zum Mord an Walter Lübcke angeklagt war und dort vom Vorwurf der psychischen Beihilfe zum Mord freigesprochen wurde, taucht schon im Zusammenhang mit dem NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006 in den Akten auf.
Zugespitzt muss festgestellt werden: Wäre der NSU-Komplex lückenlos aufgeklärt worden, könnte Walter Lübcke noch leben. Seine Ermordung hingegen steht in der Kontinuität rechten Terrors.
„Erinnerung muss erkämpft werden!“ – Einladung zum Jahrestag des Nagelbombenanschlags an der Keupstraße
Am 9. Juni jährt sich der Nagelbombenanschlag, den der NSU 2004 in der Keupstraße beging, zum 21. Mal. Initiativen und Stadtteil-Strukturen laden für ein gemeinsames Gedenken auf die Straße ein.
Dabei ist auch heute, Jahrzehnte nach dem Anschlag schmerzlich deutlich: Das Gedenken und Erinnern muss erkämpft werden. Auch nach Jahren der Planung und mehr oder weniger glaubwürdigen Lippenbekenntnissen aller politisch und behördlich Verantwortlichen fehlt bis heute etwa das Denkmal, das als „Platz für Alle“ an den Anschlag, an rechte, rassistische und antisemitische Gewalt erinnern soll und die Geschichte und Geschichten einer Gesellschaft der Vielen sichtbar machen soll. Das Mahnmal an der Keupstraße – und zwar genau dort – zu errichten, ist zentrales Anliegen vieler Überlebender des Anschlags.
Doch auch nach dem großen Gedenken zum 20. Jahrestag am 9. Juni 2024 mit Reden und Besuchen des Bundespräsidenten, des NRW-Ministerpräsidenten und der Kölner Oberbürgermeisterin lässt jeder nächste Schritt auf sich warten. Daher haben Betroffene und Initiativen, Anwohner*innen und solidarische Menschen im Mai 2025 gefordert, dass wenigstens der für das Denkmal vorgesehene Platz freigegeben wird, damit ein Ort des Zusammenkommens entstehen kann.
Diesem Offenen Brief schlossen sich knapp 1.200 Initiativen und Einzelpersonen an. Für den 9. Mai hatten die Initiator*innen Vertreter*innen der Stadt und der Immobilienfirma, die das Gelände bebauen möchte, eingeladen, sich die Forderungen und Argumente anzuhören und ins Gespräch zu gehen. Doch die Stühle auf dem Diskussionspodium blieben leer. Keine verantwortliche Person hat sich dem Dialog gestellt.
Kraftvoll und einig waren die knapp 100 Teilnehmenden der Veranstaltung aber darin, nicht länger nur geduldig zu warten. Was seit Jahren gelebte Praxis ist, wenn es nach den runden Jahrestagen mit viel Politiker*innen-Präsenz und „Birlikte“-Festtrubel wieder stiller wird, soll auch 2025 am 9. Juni gelten: Erinnern muss erkämpft werden – selbstbestimmt und solidarisch.
Zum Beispiel mit der Gedenkkundgebung der Initiative Herkesin Meydanı mit Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt, Betroffenen von rassistischer Polizeigewalt sowie solidarischen Initiativen. Diese findet am 9. Juni um 16 Uhr auf dem „Platz für Alle“, Schanzenstraße / Keupstraße. statt. Musik, Ausstellungen, Lesungen, Projektwerkstätten und ein Blick auf die Entwicklung der Filme und Inhalte des Mahnmals werden den ganzen Tag über zum Austausch einladen, zahlreiche Initiativen und Organisationen haben mitgeplant.
9. Juni 2025, 11 bis 21 Uhr, an verschiedenen Orten an und auf der Keupstraße in Köln-Mülheim
İsmail Yaşar
Am 9. Juni 2005 wurde İsmail Yaşar in seinem Imbiss in Nürnberg vom NSU ermordet. Er wurde 50 Jahre alt. Seinen Imbiss hatte İsmail Yaşar sechs Jahre zuvor gegenüber der Scharrerschule eröffnet, die auch sein Sohn besuchte. Nach dem Mord klebten Schüler*innen der Schule und Nachbar*innen Briefe an den Imbiss, legten Blumen ab und entzündeten Kerzen. İsmail Yaşar war sehr beliebt in seinem Viertel. Die Ermittlungen der Polizei richteten
sich jedoch gegen İsmail Yaşar, seine Familie und sein Umfeld. Die Ermittler*innen verbreiteten, wie in anderen Fällen der Mordserie, auch hier rassistische Gerüchte, beispielsweise vermeintliche Kontakte zum Drogenhandel.
In Richtung eines rechten Motivs wurde kaum ermittelt, obwohl es am Imbiss zuvor eine Sachbeschädigung gegeben hatte, für die ein Neonazi verurteilt worden war. Heute wissen wir: Dieser Neonazi hatte wohl Kontakt zum NSU-Umfeld. Auch dass der Mord an İsmail Yaşar genau ein Jahr nach dem Nagelbombenanschlag auf die Kölner Keupstraße geschah, wurde bei den Ermittlungen außen vor gelassen.
Mit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 wurde klar: Die rassistischen Gerüchte, die Behörden und Medien verbreitet hatten, waren falsch. Seitdem kehrt die Erinnerung an İsmail Yaşar in die Nürnberger Scharrerstraße zurück. Schüler*innen der Scharrerschule gestalten das Gedenken rund um den Tatort, 2022 wurde eine Grünfläche in der Nähe als İsmail-Yaşar-Platz benannt.
Abdurrahim Özüdoğru
Am 13. Juni 2001 wurde Abdurrahim Özüdoğru in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg vom NSU ermordet. Er war das zweite Opfer der Mordserie und wurde 49 Jahre alt. Abdurrahim Özüdoğru war 1972 aus der Türkei nach Deutschland gekommen und arbeitete als Metallfacharbeiter. Nebenbei baute er mit seiner Frau die Änderungsschneiderei auf. Seine Tochter Tülin Özüdoğru ließ am 401. Verhandlungstag ihren Anwalt im Rahmen von dessen Plädoyer einen Brief verlesen:
„Mein Vater lebte bereits schon 29 Jahre in Deutschland, als diese Tat passierte. Ein junger Mann, der aufgrund seiner guten schulischen Leistungen ein Stipendium für ein Studium in Deutschland erhielt und so 1972 an der Universität Erlangen das Studieren begann. […] Dieser Mann, mein geliebter Vater, wurde in einem Erst-Welt-Land, in dem ökonomisch und technisch hochentwickelten modernen Deutschland am Tageslicht kaltblütig, brutal und auf professionelle Weise ermordet. […] Mein Vater wurde Opfer von Hass und Gewalt, Opfer von Verharmlosung rechter Gewalt.“
Die Ermittlungen nach dem Mord richteten sich gegen Abdurrahim Özüdoğru, seine Familie und sein Umfeld und waren von rassistischen Unterstellungen geprägt. Gegen Neonazis wurde kaum ermittelt.
Bis heute ist nicht geklärt, wer den NSU beim Mord an Abdurrahim Özüdoğru unterstützte. Die Änderungsschneiderei lag in einer Nebenstraße der Nürnberger Südstadt und war für Abdurrahim Özüdoğru ein Nebenerwerb, sie war nicht regelmäßig geöffnet. Um hier jemanden zu ermorden, brauchte es genaue Ortskenntnisse.
Theodoros Boulgarides
Am 15. Juni 2005 wurde Theodoros Boulgarides in seinem zwei Wochen zuvor eröffneten Schlüsseldienst in München vom NSU ermordet. Er wurde 41 Jahre alt.
Seine Familie kämpft bis heute um Aufklärung, denn nach dem Mord ermittelte die Polizei nicht zu einem rechten Motiv, sondern gegen Theodoros Boulgarides, seine Familie und sein Umfeld. Und auch nach der Selbstenttarnung des NSU, die klar machte, dass es ein rassistischer Mord war, wurden das Neonazi-Netzwerk, das den Mord ermöglichte, und die Verantwortung der Behörden nie vollständig aufgeklärt.
Yvonne Boulgarides, die Witwe von Theodoros Boulgarides, sagte zum Ende des NSU-Prozesses: „Er ähnelt für mich einem oberflächlichen Hausputz. Um der Gründlichkeit genüge zu tun, hätte man die ‚Teppiche‘ aufheben müssen, unter welche bereits so vieles gekehrt wurde.“
Seine Tochter Mandy Boulgarides schrieb zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU: „Diese letzten 10 Jahre waren für alle Hinterbliebenen, Angehörigen und die Unterstützenden mehr als aufwühlend. Es war belastend und zum Teil auch beleidigend. Es waren auch 10 Jahre, in denen wir in die Beweispflicht genommen wurden, um nachzuweisen, dass mehr als nur drei Personen die Schuld an der kaltblütigen und menschenverachtenden Ermordung von 10 unschuldigen Menschen tragen. (…)
Was haben uns die letzten 10 Jahre gezeigt? Unser Rechtsstaat hat noch viel zu lernen und sollte sich dessen endlich bewusst werden! Die ganzen Morde und Anschläge stehen in keinerlei Verhältnis zu den lächerlichen Urteilen. (…) Dies ist ein bedeutender Moment der deutschen Nachkriegszeit. Wir zeigen Deutschland, dass jeder das Recht haben muss lückenlose Aufklärung zu erhalten. Ich will, dass alle Personen die mit dem NSU-Terror und dem ganzen Komplex in Verbindung stehen dafür zur Verantwortung gezogen werden. Ich wünsche mir, dass Menschen keine Angst haben, für ihre Rechte oder die ihrer verstorbenen Angehörigen zu kämpfen und Fragen laut in die Gesellschaft zu schreien. (…) Wir werden nicht aufhören zu fragen. Es wird endlich Zeit für klärende Antworten.“
NSU-Anschlag auf Serkan Yildirim
Der NSU beging am 23. Juni 1999 seinen ersten bekannten, oft vergessenen, Sprengstoffanschlag auf Serkan Yildirim und die von ihm betriebene „Pilsbar Sonnenschein“ in der Scheurlstraße in Nürnberg. Der damals 18-jährige Serkan Yildirim wurde bei dem Anschlag schwer verletzt. Er hatte sich mit seiner „Pilsbar Sonnenschein“ seinen Traum von der Selbstständigkeit verwirklicht, am
Vorabend des Anschlags hatte er sie nach einer Testphase offiziell eröffnet. Die Rohrbombe, versteckt in einer Taschenlampe, entdeckte Serkan Yildirim beim Reinigen der WCs seiner Bar am Tag nach der Eröffnungsfeier. Die Zündung war fehlerhaft, daher überlebte er den Anschlag schwer verletzt.
Wäre die Möglichkeit eines Neonazi-Attentats und Rassismus bei den Ermittlungen als Motiv in Betracht gezogen worden, hätte möglicherweise die weitere Mord- und Anschlagsserie des NSU verhindert werden können. Stattdessen waren die Ermittlungen, wie im Großteil der Ermittlungen der Sicherheitsbehörden im NSU-Komplex, von institutionellen Rassismus gegen Serkan Yildirim geprägt und wurden sieben Monate nach der Tat ergebnislos eingestellt.
Erst während des NSU-Prozesses am Oberlandesgericht München wurde durch eine Aussage des mittlerweile rechtskräftig als NSU-Unterstützer verurteilten Carsten Schultze bekannt, dass das NSU-Netzwerk auch für die Rohrbombe verantwortlich war, die das Leben von Serkan Yildirim bis heute beeinträchtigt. Mit in die Anklage des NSU-Prozesses aufgenommen wurde der Anschlag jedoch nicht.
Mehr Hintergründe findet ihr im Artikel „Der vergessene Anschlag des NSU„.
In unserem Podcast könnt ihr Serkan Yildirim zuhören.
William Schenck, Rufus Surles und Mohamed Ehap
Am 24. Juni 1982 wurden William Schenck, Rufus Surles und Mohamed Ehap bei einem rassistischen Attentat auf die Diskothek „Twenty Five“ in der Nürnberger Innenstadt ermordet. Der Täter verletzte drei weitere Menschen schwer. Seine Opfer wählte er nach rassistischen Motiven aus. Danach tötete er sich selbst.
William Schenck hatte als Soldat der U.S. Army in Nürnberg gedient, arbeitete nach seiner Migration als Dressman und war verheiratet. William Schenck wurde 24 Jahre alt.
Rufus Surles war als Sergeant der U.S. Army in den Pinder Barracks in Zirndorf stationiert. Rufus Surles wurde 27 Jahre alt.
Mohamed Ehap war im Zuge einer Fortbildung als Ingenieur für einige Tage in Nürnberg; er war ägyptischer Staatsbürger. Mohamed Ehap wurde 21 Jahre alt.
Der Täter, Helmut Oxner, hatte jahrelang Veranstaltungen der NPD-Jugendorganisation JN besucht. Kurz vor der Tat hatte er wegen rassistischer und antisemitischer Drohanrufe vor Gericht gestanden. Am Tatort hinterließ er Aufkleber der neonazistischen NSDAP/AO. Polizisten, die vor ihm in Deckung gingen, rief er zu: „Ich schieße nur auf Türken.“ Oxner war Mitglied eines Schützenvereins und besaß legal Waffen. Nach der Tat erklärten die Behörden den Mörder zum Einzeltäter, in Richtung möglicher Unterstützer*innen ermittelten sie nie ernsthaft. In der lokalen wie überregionalen Öffentlichkeit wurde der rassistische Anschlag schnell vergessen und auch in der Folge kaum thematisiert. Bis heute ist er viel zu wenig bekannt.
Süleyman Taşköprü
Am 27. Juni 2001 wurde Süleyman Taşköprü im Lebensmittelgeschäft seiner Familie in Hamburg vom NSU ermordet. Er wurde 31 Jahre alt und hinterließ eine Tochter. Seine Schwester Ayşen Taşköprü schrieb zum 20. Jahrestag seiner Ermordung im Magazin „Hinz&Kunzt“ über die Monate vor dem Mord, in denen Süleyman Taşköprü den Laden seiner Familie in der Hamburger Schützenstraße übernommen hatte: „Er war voller Pläne! Nebenan wollte er einen Weinladen eröffnen. Ich erinnere mich an den April 2001: Mein Bruder stand im Laden, voller Begeisterung, und meinte: ‚Guck mal, kleine Schwester, ich habe neue Regale besorgt!‘ Doch seine Pläne und Träume wurden mit ihm vernichtet.“
Der Mord an Süleyman Taşköprü war der dritte der Mordserie des NSU. Die Polizei ermittelte danach massiv gegen Süleyman Taşköprü, seine Familie und sein Umfeld. Und das, obwohl die Mordwaffe zuvor auch bei den Morden an Enver Şimşek und Abdurrahim Özüdoğru verwendet worden war und der Vater von Süleyman Taşköprü zwei weiße Deutsche als Tatverdächtige benannt hatte – er hatte die Mörder gesehen, bevor er seinen Sohn sterbend fand.
Hamburger Ermittler verhinderten während der bundesweiten Ermittlungen zur Mordserie 2006, dass tiefergehend in Richtung eines rechten Hintergrunds der Mordserie ermittelt wurde. Hamburg ist bis heute das einzige Bundesland, in dem der NSU mordete, das keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat. Im April 2023 stellte die Linksfraktion erneut einen Antrag auf Einrichtung eines UA. Dieser wurde von der Regierungskoalition aus SPD und Grünen verhindert, während die Familie von Süleyman Taşköprü in der Hamburger Bürgerschaft anwesend war.
+++ Termine +++
3. Juni, Pössneck: (Ost-) Thüringer Zustände. Inputs von MOBIT (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen) und der Betroffenenberatungsstelle ezra. 18 Uhr. Mehr Infos und Anmeldung hier.
5. Juni, Dresden: Podium: Regenbogen oder 161? – Queere und antifaschistische Politiken zusammendenken. 19 Uhr, Hole of Fame. Mehr Infos hier.
6. und 20. Juni, Berlin: Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex. Kundgebungen voraussichtlich ab 8:30 Uhr vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Weitere Infos hier. 6. bis 9. Juni, Coburg: Veranstaltungen und Demonstration gegen das Treffen des Dachverbands von Turner- und Landsmannschaften: „Kampf dem Coburger Convent.“ Mehr Infos hier.
8. und 9. Juni, Köln: 21. Jahrestag Des NSU-Anschlags Keupstraße. Mehr Infos hier.
9. Juni, Köln: Erinnerung muss erkämpft werden. Einladung zum Jahrestag des Nagelbombenanschlags an der Keupstraße. 16 Uhr, Herkesin Meydanı – Platz für alle. Mehr Infos hier.
9. Juni, Nürnberg: Gedenken an İsmail Yaşar. 18.00 Uhr, Scharrerstraße. Weitere Infos hier.
11. und 23. Juni, Wuppertal: Solidarische Beobachtung des Prozesses zum Brandanschlag in Solingen 2024. Vor den Prozesstagen Mahnwache. Mehr Infos hier.
12. Juni, Halle (Saale): Festival »MEMORY MATTERS« CPPD in Kooperation mit dem TEKİEZ. Mehr Infos hier.
13. Juni, Nürnberg: Gedenken an Abdurrahim Özüdoğru. 18.00 Uhr, Siemensstraße/ Gyulaer Straße. Weitere Infos hier.
14. Juni, Jena: Demonstration „Antifaschismus ist notwendig“. 14 Uhr. Mehr Infos hier.
15. Juni, München: Gedenkveranstaltung für Theodoros Boulgarides. Ab 12 Uhr, Stachus. Mehr Infos hier.
15. Juni, Frankfurt (Main): Aufklärung und Gerechtigkeit für Fartoun – und für alle Opfer staatlicher und polizeilicher Gewalt! 17 Uhr, Konstablerwache. Mehr Infos hier.
16. und 30. Juni, Schwerin: Sitzungen des 2. NSU/Rechter Terror-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern zum Nordkreuz-Netwerk. Ab 10 Uhr im Schweriner Landtag. Weitere Infos hier.
21. Juni, München: Gedenkturnier: KICKEN FÜR DIE NEUN ENGEL. Erinnerungsturnier für die neun Ermordeten des rechtsextremen und rassistischen Anschlags am OEZ. Ab 10 Uhr, TSV Moosach-Hartmannshofen, Lechelstraße 35. Mehr Infos hier.
21. Juni, Kassel: Kundgebung und Fahrradkorso: 5 Jahre nach dem rassistischen Mordversuch an B. Efe: Noch lange kein Schlussstrich! 13 Uhr, Nordstadtpark. Mehr Infos hier.
23. Juni, Nürnberg: Gedenkkundgebung anlässlich des 26. Jahrestages des ersten bekannten NSU-Anschlags in Nürnberg. 17:30 Uhr, Scheurlstraße. Weitere Infos hier.
24. Juni, Nürnberg: Gedenken an den Anschlag auf die Disko Twenty Five, den Mord an William Schenck, Rufus Surles und Mohamed Ehap. 18:00 Uhr, Königstraße. Weitere Infos hier.
27. Juni, Düsseldorf: Der Wehrhahn-Anschlag in Düsseldorf vor 25 Jahren. Ein Fachtag zu Struktur und Wirkung von Rechtsterrorismus, Antisemitismus und anti-osteuropäischem Rassismus. 10 – 17 Uhr, Hochschule Düsseldorf. Mehr Infos hier.
Bis auf weiteres, Mittwoch-Sonntag, Chemnitz: „Offener Prozess. Ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex“. Johannisplatz 8. Mehr Infos hier.
Jetzt buchen! Stadtführung: Critical Walk „NSU-Morde in Nürnberg“ der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e.V. Nürnberg. Preis nach Absprache. Infos und Buchung: isd.nuernberg.buero@isdonline.de. Mehr Infos hier.
Jetzt anmelden! 16. bis 20. Juni, Berlin: Bildungsurlaub der Bildungsinitiative Lernen aus dem NSU-Komples (BiLaN): Rechtsruck in Deutschland – Was tun? Mehr Infos hier.
Bis 26. Oktober, Graz: Austellung „Man will uns ans Leben“ Bomben gegen Minderheiten 1993-1996. Volkskundemuseum am Paulustor, Gartensaal. Mehr Infos hier.
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