Kurz-Protokoll 312. Verhandlungstag – 22. September 2016

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An diesem Prozesstag geht es zunächst um den Alkoholkonsum Beate Zschäpes am 04.11.2011. Dazu verliest ihr Verteidiger eine Stellungnahme. Außerdem erstattet der Sachverständige Prof. Dr. Oliver Peschel sein Gutachten zu diesem Thema. Im Anschluss daran werden Erklärungen abgegeben und es geht um Anträge. Aufgrund der Ablehnung eines ihrer Anträge stellt die Verteidigung von Ralf Wohlleben einen Befangenheitsantrag gegen alle Richter_innen.

Sachverständiger:

  • Prof. Dr. Oliver Peschel (Rechtsmedizinisches Gutachten zur Blutalkoholkonzentration bei Beate Zschäpe am 04.11.2011)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Anwesend ist heute neben dem psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Saß auch der rechtsmedizinische Sachverständige Prof. Dr. Peschel. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl in Richtung des SV Peschel: „Herr Prof. Peschel, es geht um das Thema Blutalkoholkonzentration am 04.11.2011 und die Frage der Steuerungsfähigkeit.

Zunächst verliest jedoch Zschäpe-Verteidiger RA Grasel eine Erklärung Zschäpes zum Alkoholkonsum:
Die Fragen bezüglich des Themas „Alkoholkonsum“ beantworte ich wie folgt:
Frage: Gab es längere Zeiten, in denen Sie keinen Alkohol getrunken haben?
Antwort: Ja, es gab Zeiten, in denen ich keinen Alkohol getrunken habe. Dies war etwa in der Anfangszeit des Untertauchens der Fall. Erst nach dem Umzug in die Polenzstraße begann ich wieder regelmäßig Wein und Sekt zu trinken, aber nicht täglich, sondern ca. jeden zweiten oder dritten Tag. Etwa ab Ende des Jahres 2006 steigerte sich dieser zuvor gelegentliche Alkoholkonsum dann, wobei es auch dann immer wieder Zeiten gab, in denen ich weniger bzw. gar keinen Alkohol getrunken habe. Diese Abstinenzzeiten waren von unterschiedlicher Dauer – von ein paar Wochen bis hin zu zwei bis drei Monaten. Der Konsum steigerte sich insbesondere dann, wenn Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unterwegs waren.
Frage: Gab es Entzugserscheinungen oder sonstige Beschwerden?
Antwort: Nein, ich hatte nie irgendwelche Entzugserscheinungen oder anderweitige Beschwerden,
wenn ich keinen Alkohol getrunken habe.
Frage: Wie war der Alkoholkonsum im Urlaub?
Antwort: Im Urlaub habe ich auch Alkohol getrunken, etwa wenn man abends zum Abendessen oder Karten spielen zusammensaß. Allerdings habe ich dort keine Unmengen Alkohol getrunken, da es sonst Ärger mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegeben hätte, da die beiden das nicht toleriert haben. Mehr als zwei bis drei Flaschen Sekt bzw. Wein, verteilt über den gesamten Tag, habe ich dort nicht getrunken.
Frage: Wie war die Situation nach der Verhaftung? Wurden Sie medikamentös behandelt?
Antwort: Nach meiner Verhaftung habe ich keinen Alkohol mehr getrunken und auch keine Entzugserscheinungen oder sonstige Beschwerden erlebt. Ich wurde deswegen auch nicht medikamentös behandelt.

Götzl: „Sind das Ihre Angaben, Frau Zschäpe?“ Zschäpe nickt.

Dann folgt die Gutachtenerstattung des SV Peschel.
[Alle gutachterlichen Angaben im Folgenden, insbesondere Zahlenangaben, unter Vorbehalt.]
Peschel sagt, er beginne mit dem 03.11., Trinkbeginn 12 Uhr, drei Flaschen Sekt à 0,75 l, das entspreche 216 g Alkohol. Als Körpergewicht unterstelle er zugunsten Zschäpes 58 kg. Bei der Berechnung der Blutalkoholkonzentration [BAK] werde zunächst eine theoretische Maximal-BAK errechnet, dann ein Resorptionsdefizit abgezogen, dann ein stündlicher Abbau abgezogen. Letztlich erscheine nicht der ganze Alkohol im Blut, aufgrund von Verdauungsvorgängen, vegetativen Vorgängen. Hochprozentige Getränke würden mehr resorbiert, bei mittelprozentigen Getränken wie Schaumwein betrage das Resorptionsdefizit mindestens 10, wahrscheinlich 20, maximal 30 Prozent. Mindestabbau sei 0,1 Promille pro Stunde, wahrscheinlich 0,15 Promille pro Stunde, maximaler Abbau 0,2 pro Stunde. Alkoholwert sei 6,21 Promille, davon seien das Resorptionsdefizit und der stündliche Abbau abzuziehen: 5,9 Promille. Wenn man für die 12 Stunden zwischen Trinkbeginn und Zubettgehen einen niedrigen Abbauwert von 0,1 abziehe so komme er für 24 Uhr auf eine BAK von 4,39 Promille. Bei Resorptionsdefizit von 20 Prozent verblieben 4,97 Promille. Davon sei noch der Abbauwert abzuziehen: die wahrscheinliche BAK für 24 Uhr wäre bei 3,71 Promille. Ausgehend von einem Resorptionsdefizit von 30 Prozent blieben 4,4 Promille, abzüglich eines hohen Abbauwerts von 0,2 Promille, verbleibe eine Mindest-BAK von 1,94 Promille.
Über die Nacht werde natürlich noch Alkohol abgebaut, bis 9 Uhr. Bei der maximalen BAK 4,39 Promille, abgezogen 0,9 Promille für den Abbau, verbleibe für den Trinkbeginn am 04.11. eine maximale BAK von 3,49 Promille aus dem Konsum des Vortages. Bei der wahrscheinlichen BAK würden für den Zeitpunkt 9 Uhr 1,82 Promille verbleiben. Für einen hohen stündlichen Abbauwert, also 1,8 Promille abgezogen, verblieben noch 0,14 Promille übrig. Unter diesen Bedingungen wären für den Trinkbeginn am 04.11. also eine Rest-BAK von mindestens 0,14, wahrscheinlich 1,82 und maximal 3,49 Promille anzunehmen.
Peschel: „Es erfolgte dann der Konsum von einer Flasche Sekt, 72 g Alkohol, theoretisch ergibt das 2,07 Promille. Davon ist auch wieder das Resorptionsdefizit, mindestens 10 Prozent, wahrscheinlich 20 Prozent, maximal 30 Prozent abzuziehen.“ Dies ergebe: 1,44 Promille mindestens, 1,68 Promille wahrscheinlich, 1,78 Promille maximal. Davon sei der Abbau abzuziehen. Da errechneten sich für 15 Uhr: Mindest-BAK 0,38, wahrscheinliche BAK 2,58, maximale BAK 4,76 Promille.
Peschel: „Warum liegen die Werte soweit auseinander?“ Es gebe eine vielfache Begünstigung bzw. Beungünstigung in verschiedene Richtungen, so Peschel. Man habe 27 Stunden Rückrechnung, da werde 27 mal ein minimaler oder maximaler Abbau unterstellt und unterschiedliche Resorptionsdefizite jedes Mal. Daher seien solche Spannen durchaus normal. Angesichts der Angabe, dass im Urlaub Alkohol getrunken worden sei, aber ‚mehr als zwei, drei Flaschen Sekt pro Tag habe ich da nicht getrunken‘, habe er zur Orientierung berechnet, was da am Abend vorliegen würde. Bei Trinkbeginn 9 Uhr und Zubettgehzeit 24 Uhr unterstellt, würde über 15 Stunden die gleiche Menge wie hier getrunken werden, 216 g Alkohol. Da errechne sich bei einem solchen Trinkverhalten für 24 Uhr bei 58 kg Körpergewicht folgendes: Mindestens 1,34, wahrscheinlich 2,72, maximal 4,09 Promille. Zur Frage der Wirkung des konsumierten Alkohols aus Zeugenangaben und eigenen Angaben sagt Peschel, dass offensichtlich eine sehr differenzierte und detaillierte Erinnerung für den 04.11. bestanden habe mit sehr differenzierten Handlungsweisen und Aspekten. Nach der eigenen Angabe Zschäpes hätten keine Ausfallerscheinungen bestanden.

Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm verliest die Stellungnahme: Meine Kollegen Stahl und Heer und ich nehmen zu der Mitteilung des Vorsitzenden vom vorletzten Hauptverhandlungstag, dem 20.9.2016, die Beschlagnahme der Ablichtung des Briefes der Mandantin vom „02.03.“ zu erwägen, wie folgt Stellung: Eine richterliche Beschlagnahme der Kopie des Briefes kommt aus keinem erdenklichen Grund und auch nicht bei hypothetischer Annahme der Rechtmäßigkeit der Übersendung der Briefkopie zur Verfahrensakte in Betracht. Eine Beschlagnahme des Briefes gem. § 94 Absatz 1, § 98 StPO wäre in Anbetracht unserer Ausführungen vom gestrigen Hauptverhandlungstag rechtswidrig und würde unsere Mandantin in ihren Grundrechten, namentlich aus Art. 1 Absatz 1, 2 Absatz 1,10 GG, verletzen. Der Brief hat die Postkontrolle durch den Senat unbeanstandet und mangels Beweiserheblichkeit ohne Anordnung der Beschlagnahme durch Fertigung einer Kopie passiert. Aufgrund der Art und Weise, wie die Ablichtung des Briefes letztlich zur Verfahrensakte gelangte, sowie aufgrund seines Inhalts besteht bereits ein Beweiserhebungsverbot, welches sich vorliegend aus einer Reihe von zwingenden und unheilbaren Verwertungsverboten ableitet. Sofern schon vor einer Beweiserhebung feststeht, dass das Beweismittel einem Verwertungsverbot unterliegen würde, ist die Einführung in die Hauptverhandlung und damit die Beweiserhebung selbst unzulässig.

Dann verliest Götzl den Beschluss, dass das Ablehnungsgesuch Wohllebens gegen den SV Prof. Dr. Leygraf als unbegründet zurückgewiesen wird. Das Gesuch sei unbegründet, so Götzl, eine Befangenheit Leygrafs sei „nicht zu besorgen“. Es lägen keine berechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit des SV gegenüber Wohlleben vor.

RA Klemke: „Wir beantragen eine Kopie und die Unterbrechung der Hauptverhandlung für eine halbe Stunde.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 15 Uhr.“
Gegen 15:05 Uhr wird mitgeteilt, dass die Hauptverhandlung erst um 15:20 Uhr fortgesetzt werden soll. Um 15:23 Uhr geht es weiter. RA Klemke beantragt die Unterbrechung der Hauptverhandlung für zwei Stunden, um einen Ablehnungsantrag zu formulieren. Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 17:30 Uhr.“ Um 17:35 Uhr kommt die Durchsage, dass die Hauptverhandlung erst um 18:05 Uhr fortgesetzt werden soll.

Um 18:12 Uhr geht es dann tatsächlich weiter. RA Klemke verliest den Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat. Gegenstand sei der Beschluss, mit dem der Senat das Ablehnungsgesuch gegen den SV Prof. Dr. Leygraf als unbegründet zurückgewiesen habe. Für Wohlleben sei diese Entscheidung objektiv willkürlich, was Wohlleben begründete Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter ihm und seiner Sache gegenüber hegen lasse. Der Verhandlungstag endet um 18:33 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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