Kurz-Protokoll 335. Verhandlungstag – 12. Januar 2017

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Dieser Verhandlungstag ist von Auseinandersetzungen bzgl. der kommenden Gutachtenerstattung von SV Prof. Dr. Saß geprägt. Insbesondere die Verteidiger_innen von Beate Zschäpe verlesen Erwiderungen und stellen Anträge.

Der Verhandlungstag beginnt heute um 10:43 Uhr. Prof. Dr. Saß ist auch heute anwesend.
Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm verliest eine Erwiderung auf die Stellungnahme des GBA zum Antrag auf Leitung des SV Prof. Dr. Saß von gestern. Die Ausführungen des GBA, die die beantragte Sachleitung betreffend, die sich aus der rechtlichen Unverwertbarkeit ergebende Eingrenzung des Untersuchungsmaterials als eine Beschränkung der grundsätzlich nach § 80 StPO eingeräumten Erforschungsmöglichkeiten einordneten, würden, so Sturm, gerade nicht verfangen.
Dann sagt sie, dass, sofern der GBA darauf abstelle, der SV dürfe eigene Beobachtungen von Zschäpe im Gerichtssaal seinem Gutachten zugrunde legen, weil er auch durch eigene Ermittlungen selbst weitere Tatsachen feststellen könne, sei dies schlicht falsch. Dem SV sei es gerade nicht gestattet, eigene Vernehmungen vorzunehmen, und insoweit eigenständig Feststellungen zu treffen.
Der SV dürfe lediglich durch informatorische Befragungen weitere Erkenntnisquellen erschließen, die dann aber ebenfalls im Strengbeweis und damit unter Berücksichtigung der diese beschränkenden Beweisverwertungsverbote durch das Gericht in die Hauptverhandlung einzuführen seien.
Ggf. müssten so Sturm, etwa nach Maßgabe der Ergebnisse einer Zwischenberatung, unmissverständliche Alternativen zur Gutachtenerstattung vorgegeben werden. Wenn der GBA die Zulässigkeit und Verwertbarkeit des vom SV infolge der Beobachtungen wahrgenommenen Verhaltens von Zschäpe über die Definition der Tatsachenbegriffe herzustellen versuche, gehe dies ebenfalls fehl. Es handele sich bei den Beobachtungen um allgemeine, von jedermann, der mit Sinnen ausgestattet ist, wahrnehmbare „Zusatztatsachen“, gerade nicht um „Befundtatsachen“. Selbst wenn man sie als Befundtatsachen qualifizieren wolle, führe dies nicht zu ihrer Verwertbarkeit.
Danach erwidert Zschäpe-Verteidiger RA Heer auf die Stellungnahme des GBA zum Antrag auf Tonaufzeichnung der Gutachtenerstattung von SV Prof. Dr. Saß. Man habe, so Heer, entgegen der Auffassung des GBA, durchaus nachvollziehbare Gründe für die Aufzeichnung dargelegt, v. a., dass dem SV Prof. Dr. Faustmann in optimaler Weise die Anknüpfungstatsachen für die Erstattung eines methodenkritischen Gutachtens zum Gutachten von Saß zu vermitteln seien. Der Wortlaut von Äußerungen, so Heer, sei gerade dann von Bedeutung und die wörtliche Protokollierung also geboten, wenn sie Anlass zu Beweisanträgen oder weiterer Aufklärung bieten könnten und wenn sie für die Beweiswürdigung von Bedeutung sein könnten. Weil es bei der Bewertung des methodischen Vorgehens von Saß auch auf Nuancen ankomme, könne insoweit nichts anderes gelten. Zudem stelle es einen Unterschied dar, ob der Wortlaut einer bestimmten gutachterlichen Äußerung für die Entscheidungsfindung des Gerichts von Bedeutung sei und folglich eine Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 2 StPO ergehe, oder aber dem während der Gutachtenerstattung nicht anwesenden, von der Verteidigung hinzugezogenen SV eine substantiierte und vollständige tatsächliche Grundlage zur Kenntnis zu bringen sei, die auch in der Verwendung von Fachbegriffen eine möglichst hohe Richtigkeitsgewähr biete.
Dann beantragt Heer in Ergänzung der bereits gestellten Anträge hilfsweise, dass der Vorsitzende anordnen möge, dass sämtliche Ausführungen von Saß durch einen „berufsmäßigen Tastschreiber“ oder einen Stenographen vollständig niedergeschrieben werden und der Verteidigung anschließend die Verschriftung zu übergeben bzw. den Antragstellern zu ermöglichen, zu der Anhörung und anschließenden Befragung von Saß einen berufsmäßigen Tastschreiber oder einen Stenographen hinzuzuziehen und festzustellen, dass die entsprechenden Aufwendungen erforderlich sind. In diesem Fall sei nach den eigenen Darlegungen des GBA sämtlichen seiner Einwände die Grundlage entzogen. Außerdem beantragt Heer für den Fall, dass der Senat die Anträge vom 333. Verhandlungstag sowie die weiteren Hilfsanträge abzulehnen gedenke, Saß aufzufordern, eine dienstliche Erklärung abzugeben, ob er im Falle der Aufzeichnung seiner gutachterlichen Äußerungen seine Unbefangenheit tangiert sieht oder ob aus seiner Sicht als erfahrener SV sonstige Bedenken gegen eine Aufzeichnung bzw. unmittelbare Verschriftung seiner Äußerungen bestehen.

Götzl fragt die Verfahrensbeteiligten: „Soll Stellung dazu genommen werden und welche Zeit benötigen Sie gegebenenfalls?“ OStA Weingarten: „Wir nehmen sogleich Stellung zu den drei neuen Anträgen: Aus den genannten Gründen besteht kein Anlass, dass das Gericht sich dem Surrogatantrag zuwendet und nunmehr einen Tastschreiber oder Stenographen einsetzt.“

Götzl: „Sollen denn jetzt noch Erklärungen oder Stellungnahmen erfolgen? Keine. Dann kommen wir noch zu Hinweisen.“ Götzl führt aus, dass es sich bei Prof. Dr. Saß um einen erfahrenen SV handele, der die Anforderungen an Prognose- und Schuldfähigkeitsgutachten kennt. Saß habe auch in Arbeitsgruppen zu den Anforderungen an Prognose- und Schuldfähigkeitsgutachten mitgewirkt. Auch Prof. Dr. Faustmann habe sich auf Arbeiten von Prof. Dr. Saß bezogen. Götzl: „Gleichwohl sollen folgende Hinweise zu den Anforderungen für Gutachten erfolgen: Der Sachverständige hat sich bei der Gutachtenerstattung der methodischen Mittel …“ Heer unterbricht Götzl und sagt etwas ohne Mikrofonverstärkung. Götzl: „Nein, ich habe es nicht in einer verschriftlichten Fassung vorliegen. Ich werde langsam sprechen.“ Es folgt eine Auseinandersetzung, ob Götzl dies schriftlich niederlegen müsse, an deren Ende Götzl die Hinweise erneut mündlich wiederholt und diese nicht niederschreibt.
Götzl: „Also nochmal die Hinweise: Der Sachverständige hat sich der methodischen Mittel des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands zu bedienen. Wenn mehrere anerkannte Verfahren existieren, steht die Auswahl in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Auf folgende Anforderungen hinsichtlich Prognose- und Schuldfähigkeitsgutachten wird hingewiesen: Eindeutiges Kenntlichmachen der interpretierenden und kommentierenden Äußerungen und deren Trennung von der Wiedergabe der Informationen und Befunde. Trennung von gesichertem medizinischen, psychiatrischen, psychopathologischen, psychologischen Wissen und subjektiver Meinung oder Vermutungen. Im Übrigen wird auf die Mindestanforderungen für Prognose- und Schuldfähigkeitsgutachten verwiesen, die Arbeitsgruppen am Bundesgerichtshof entwickelt haben, finden Sie bei Boetticher u.a. NStZ 2005 und NStZ 2006, 537f. Der Sachverständige hat sich bei seiner Tätigkeit im Bereich seiner fachlichen Kompetenz zu bewegen. Das bezieht sich jetzt auf einen Teil natürlich nur Ihrer Anträge.“

Dann verkündet Götzl einen Beschluss, dass den Anträgen, den SV Prof. Dr. Saß gemäß § 78 StPO zu leiten, mit der Maßgabe entsprochen wird, dass 1. der SV seinem Gutachten ausschließlich Anknüpfungstatsachen aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zugrunde zu legen hat, wobei er eigene Beobachtungen der Angeklagten Zschäpe während und außerhalb der Hauptverhandlung in seinem Gutachten alternativ zum einen zugrunde legen und zum anderen außer Acht lassen soll; dass 2. der SV bei Bedarf während der mündlichen Gutachtenerstattung auf sämtliche seitens der Verteidigung erhobenen Beweisverwertungswidersprüche und von Amts wegen zu beachtenden Beweisverwertungsverbote hingewiesen wird und er aufgefordert wird, alternativ die Verwertbarkeit bzw. die Unverwertbarkeit der betreffenden Beweistatsache zugrunde zu legen. Der Verhandlungstag endet um 15:56 Uhr.

Kommentar des Blog NSU-Nebenklage, hier.

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