Was den Verfassungsschutz interessiert und was nicht – zur Vernehmung des V-Mannes und THS-Gründers Tino Brandt

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Von Alexander Hofmann und Björn Elberling (Nebenklagevertreter im NSU-Verfahren), zuerst veröffentlicht auf www.nsu-nebenklage.de

Der letzte Tag der Vernehmung von Tino Brandt zeigte noch einmal die gesamte Dimension des NSU-Verfassungsschutzskandals. Von 1995 bis zu seiner Enttarnung im Jahr 2001 berichtete Brand als „beste“, wichtigste“, „bedeutendste“, als „Top-“Quelle des Amtes. In dieser Zeit lernte der schmierige Informant, der sich noch heute zur Naziideologie bekannt, immer so viel überprüfbare Angaben zu machen, dass diese noch als „Informationen“ gelten konnten, und gleichzeitig nur zu erzählen, was er für richtig hielt und was die lokale und überregionale Naziszene nicht gefährdete. Im Gegenteil: mindestens umgerechnet 140.000 € an staatlichen Geldern erhielt er und verwandte einen großen Teil davon zum Ausbau der von ihm geführten Naziorganisationen.

Welche Bedeutung die Zahlungen an Brandt hatten, erfragte Wohlleben-Verteidiger RA Klemke genüsslich: ja, so Brandt, staatliche Gelder seien verwendet worden, um NPD-Mitgliedsbeiträge zu bezahlen und damit Mehrheiten im NPD-Landesverband zur Durchsetzung einer bestimmten Politik zu beeinflussen. Dass diese Fragen wohl weniger der Verteidigung Wohllebens als der Verteidigung der NPD im laufenden Verbotsverfahren dienen, zeigt einmal mehr die Verbundenheit Wohllebens und seiner Verteidigung zur NPD. Natürlich wird es auch in dem laufenden Verfahren eine Rolle spielen, dass die Radikalisierung der NPD zum Teil durch V-Männer erfolgte. Brandt machte es offensichtlich Spaß, wieder einmal Politik zu machen.

Weiter berichtete er, der VS habe schon im Anwerbegespräch deutlich gemacht, dass er sich überhaupt nicht für Straftaten aus der Naziszene, sondern nur für Demonstrationen und Führungspersonal interessiere. Er habe Informationen geliefert, die das Amt auch auf anderem Wege einfach hätte herausfinden können. Diese Angaben sind absolut glaubhaft. Aus der Akte des Münchener Verfahrens ergibt sich, dass keine der Angaben Brandts zur Aufdeckung von Straftaten oder gar zu Festnahmen geführt hat. Selbst als Brandt angab, dass er demnächst an einer bestimmten Telefonzelle von den drei Untergetauchten, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos angerufen werden sollte, eine Telefonüberwachung der Zelle also direkt zu dem Trio geführt hätte, unterblieb ein Versuch der Festnahme.

Wenn Brandt jetzt angibt, er und seine Kameraden hätten nur legale politisch Arbeit gemacht, ist seine Lüge offensichtlich: als Spiritus Rector gründete Brandt, damals schon eingebunden in eine bundesweite Struktur militanter Neonazis, die „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, zunächst die „Anti-Antifa Ostthüringen“ und später den „Thüringer Heimatschutz“. Aus diesen Organisationen heraus werden „Feindadressen“ von vermeintlichen politischen Gegnern gesammelt, Hetzpropaganda betrieben und massenhaft und massiv Gewalt gegen politische Gegner ausgeübt. Ein anderer V-Mann betont, Brandt sei in Teilen der Naziszene als „Brandtstifter“ bezeichnet worden. Noch heute ist er stolz, wenn er von Schießübungen in Südafrika oder Frankreich berichtet.

Das Gericht hielt sich mit Fragen an Tino Brandt zurück. Es gab sich mit ausführlichen Schilderungen davon zufrieden, wie Brandt nach dem Abtauchen des Trios selbst und mit anderen Spenden sammelte und wie der oben genannte Telefontermin verabredet wurde. Die Bundesanwaltschaft stellte – wie zu erwarten – gar keine Fragen, ganz ihrer Linie folgend, die Anklage still und leise und ohne jegliche Kritik an Verfassungsschutz und Polizei abzuarbeiten.

Nur die Nebenklage arbeitete heraus, dass hier ein überzeugter Nazi nur erzählt, was er will und immer noch versucht, alle an der Nase herumzuführen. Sie setzt sich damit natürlich der Kritik aus, eine Verurteilung Zschäpes zu erschweren. Abgesehen davon, dass diese Gefahr weit überschätzt sein dürfte – eine einfachere Verurteilung darf ohnehin nicht um den Preis erkauft werden, dass politisch Verantwortliche sowie weitere Unterstützer und Mitglieder des NSU geschützt werden.

Abschließend stellt sich die Frage, warum der V-Mann Brandt so lange im Dienst des VS tätig sein konnte, obwohl er nur Belanglosigkeiten ablieferte. Dies ist wohl auch mit der innenpolitischen Situation in Thüringen während seiner Tätigkeit zu erklären. Regierung und Innenministerium waren von einem aggressiven Antikommunismus geprägt. Eine ausdrücklich gegen rechte Straftaten gegründete Polizeieinheit, die auch die Aufgaben hatte, Strukturen rechter Zusammenschlüsse zu beobachten, wurde aufgelöst. Nazigruppen wurden systematisch verharmlost, AntifaschistInnen politisch verfolgt. Der Pfarrer Lothar König mit seiner Jungen Gemeinde, die jahrelang vom Thüringer Heimatschutz angegriffen wurden, galten mehr als Störenfriede als die späteren Nazimörder. Die Brandanschläge und Pogrome gegen Nichtdeutsche wurden als Argument für die Abschaffung des Asylrechts genutzt.

Diese Politik wird heute, nicht nur mit dem unsäglichen Strafprozess gegen König wegen seines Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden, fortgeführt. Bis heute wird die V-Mann-Politik der Verfassungsschutzbehörden aufrecht erhalten, werden damit Nazigruppen mit staatlichem Geld und staatlich bezahlten Funktionären versorgt. Und auch heute wird die rassistische Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge fortgesetzt. Eine Antwort auf die Verbrechen des NSU und die staatliche Mitverantwortung hierfür dagegen wäre es, endlich das Wahlrecht für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, auch für die Bundestagswahl, einzuführen. Ein solcher Schritt wäre eine erste Konsequenz aus dem Skandal, die hinausgeht über bloße Lippenbekenntnisse oder eine Ausweitung der Befugnisse der Behörden, denen bei der Umsetzung ihrer Befugnisse nicht ansatzweise zu trauen ist.

Doch der deutsche Staat greift nur dann hart gegen politische Mörder durch, wenn dies die politische Stimmung in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft befeuert. Während die Strafverfahren gegen die Strukturen, die den NSU unterstützt haben, weiter auf Eis gelegt sind, wird nunmehr diskutiert, die Personalausweise mutmaßlicher „Islamisten“ optisch zu kennzeichnen, damit diese das Land nicht verlassen können.

Hunderte von „Nichtdeutschen“ wurden in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland von Nazis und Rassisten erschlagen, verbrannt, erschossen oder auf andere Weise ermordet, Hunderte mehr schwer verletzt. Der deutsche Staat aber sieht die wahre Gefahr nach wie vor bei den MigrantInnen.