„Es gibt gravierende Lücken in der bisherigen Aufklärung in Mecklenburg-Vorpommern.“

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Am 25.02.2004 wurde Mehmet Turgut in Rostock vom NSU ermordet. Seit der Mord 2011 dem NSU zugeordnet wurde, gibt es in Rostock ein jährliches Gedenken. Caro Keller hat für NSU-Watch mit Lars von der Initiative „Mord verjährt nicht“ gesprochen.

NSU-Watch: Wie hat sich das Gedenken in Rostock entwickelt?

Lars: Das Gedenken ging schon 2011 los. Nach dem 04.11.2011, also nach der Selbstenttarnung, gab es wenige Tage später eine Kundgebung am Tatort und seitdem jährlich zum Todestag. Das war zunächst fast eine rein antifaschistische Veranstaltung, da haben sich einfach Leute versammelt und hatten ein Transparent dabei. Zum Symbol dieser ersten Veranstaltungen ist eine bemalte Fliese geworden, die mit einem Porträt von Mehmet Turgut bemalt war und dem Spruch „Mehmet Turgut, von Neonazis ermordet“. 2012 hat sich dann unsere Initiative gegründet. Ursprünglich war es ein breites Bündnis mit dem Ziel, einen Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern zu erreichen. Nachdem sich das zunächst zerschlagen hatte, sind wir komplett auf die Gedenkpolitik umgeschwenkt und zur Initiative geworden. Wir haben die Gedenkveranstaltungen immer organisiert.
Seit 2016 machen wir diese Veranstaltung mit der Hansestadt Rostock, also mit der Bürgerschaft zusammen. Dem ging voraus, dass 2014, also zum zehnten Jahrestag des Mordes das Mahnmal dort vor Ort eingeweiht wurde. Das sind zwei Betonbänke, die sich versetzt gegenüber stehen, sehr schlicht eigentlich. In die Lehnen sind auf deutsch und türkisch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, ein kurzer Gedenktext und eine Internetadresse eingraviert. Wenn man man die aufruft, kommt man auf eine offizielle Seite der Stadt und findet dort die gemeinsame Erklärung der Tatortstädte von 2012. Aber ich glaube nicht, dass das jemand macht, weil man das auch kaum sieht. Zur Einweihung des Mahnmals gab es auch damals viel Kritik an der damaligen Bürgerschaftspräsidentin, das war eine CDU-Politikerin zu dem Zeitpunkt, die sich im Vorfeld mit Äußerungen zu Wort gemeldet hat: ‚Mehmet Turgut, das war ja kein Rostocker.‘ Sie hat sich distanziert von so einem Gedenken. Dagegen wurde damals bei der Einweihung still, aber sichtbar protestiert.
Und 2016 – zwischendurch waren Bürgerschaftswahlen – seitdem ist der Bürgerschaftspräsident ein Linker, dem ist es ein großes Anliegen, dem Gedenken einen offiziellen Rahmen zu geben. Wir haben uns als Initiative damals entschieden zusammen zu arbeiten, weil das eine der Forderungen der Hinterbliebenen von Mehmet Turgut war und ist, dass sich die Hansestadt Rostock, dass sich offizielle Stellen an dem Gedenken beteiligen. Das funktioniert tatsächlich auch sehr gut. Zahlenmäßig sind es immer 100-150 Menschen.

NSU-Watch: Die Bänke sind schon mehrfach angegriffen wurden und die Gedenkveranstaltung ebenso. Das Gedenken scheint umkämpft zu sein. Was spielt sich ab und was bedeutet das?

Lars: Es gab während der ersten Gedenkfeier 2012 einen versuchten Angriff von Neonazis. Danach waren diese Veranstaltungen polizeilich abgesichert, danach gab es keine Angriffe mehr auf die Kundgebung als solche. Aber das stimmt, seit das Mahnmal da ist, ist es mehrfach mit Farbe, mit Teerfarbe beschmiert worden. In der Stadtpolitik ist das Gedenken nicht umkämpft, das diskutiert tatsächlich niemand mehr. Aber was es natürlich gibt, sind Neonazis, die keine Gelegenheit auslassen, ihre Verehrung für den NSU zu formulieren und dieses Mahnmal zu beschmieren.

NSU-Watch: Gibt es Kontakt zu den Angehörigen? Wie wollen sie Mehmet Turgut gedenken?

Lars: Wir haben Kontakt, allerdings eher sporadisch, zu Mustafa Turgut, seinem jüngsten Bruder, hin und wieder gibt es Kontakt zu seinem Bruder Yunus Turgut. Mit dem Denkmal sind sie soweit zufrieden, sie haben damals gesagt, dass sie es gut finden, diese stille und schlichte Form. Wir als Aktivisten hätten uns eine stärkere Thematisierung davon gewünscht, dass das Motiv Rassismus war und dass dort Neonazis gemordet haben. Den Punkt teilt auch die Familie, sie hätte sich einen offensiveren Gedenktext gewünscht, aus dem hervorgeht, dass Mehmet von Neonazis ermordet wurde. Nun steht da etwas diffus und anonym etwas von einer „bundesweiten rechtsextremistischen Mordserie“. Das aktuelle Mahnmal spiegelt das zumindest nicht auf den ersten Blick wieder. Wer gar nicht weiß, was dort passiert ist, der geht daran vorbei und denkt, das sind irgendwelche Betonbänke, das soll irgendwie Kunst sein. Man muss schon genau hinschauen. Die Platten auf denen der Text ist, sind auch grau wie der Beton und die Schrift ist nicht farblich abgehoben.

NSU-Watch: Euer erstes Ziel als Initiative war ein Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern. Es gab bisher nur den Unterausschuss vom Innenausschuss. Wie bewertet ihr die Arbeit dieses Ausschuss?

Lars: Der Unterausschuss hat das Problem, dass er keine Akten bekommt und nicht die gleichen Ermittlungsbefugnisse hat, wie ein Untersuchungsausschuss. Deswegen kann er eigentlich nichts tun. Das ist ein zahnloser Tiger. Sie können Experten einladen, aber nicht vorladen, können also auch keine Zeugen vorladen. Die Experten, die bisher da waren, das waren Dirk Laabs, Gideon Botsch und die Obleute aus dem Bundestagsuntersuchungssausschuss, die haben alle uni sono das selbe gesagt: Dass es einen Untersuchungsausschuss braucht und dass es gravierende Lücken in der bisherigen Aufklärung in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Und viele offene Fragen. Das sehen wir auch so.
Wenn dieser Unterausschuss etwas Gutes gehabt hat, dann dass das thematisiert wurde. Von den Fraktionen, insbesondere von den Regierungsfraktionen, konnte sich niemand rausreden, sondern es wurde ihnen egal aus welcher Richtung immer wieder das selbe gesagt: Ohne Untersuchungsausschuss wird es nicht gehen.

NSU-Watch: Gibt es ein gesellschaftliches Interesse an Aufklärung?

Lars: Natürlich ist das Problem in dieser Frage genau wie bei anderen Fragen, dass es in Mecklenburg-Vorpommern eine zahlenmäßig sehr überschaubare Zivilgesellschaft gibt. Mein Eindruck ist, dass es die kleine linke Zivilgesellschaft und Teile der SPD sind, die da ein Interesse dran haben. Aber das es ein großes, breites Thema wäre, an dem wirklich viele Leute interessiert sind, und drauf brennen würden, den Eindruck habe ich nicht.

NSU-Watch: Wie seht ihr die Chancen für einen Untersuchungsausschuss?

Lars: Der wird wahrscheinlich im März beschlossen. Dass er kommen wird, ist sowohl von der CDU als auch von der SPD bestätigt, es geht jetzt nur noch um Details. Da muss jetzt der Untersuchungszeitraum gut abgesteckt werden und der Untersuchungsauftrag passend formuliert werden.