Vorkehrungen für den „Tag X“ – Der Prozess gegen Marko G. – 1. Verhandlungstag

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Das Landgericht Schwerin am 20.11.2019 (Foto: NSU-Watch)

NSU-Watch Protokoll vom 1. Verhandlungstag am Landgericht Schwerin am 20.11.2019

Der Prozess findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Ganze zwei mal müssen alle Besucher*innen ihr Gepäck und ihre Kleidung durchsuchen lassen und sich mit Metalldetektoren durchleuchten lassen. Ausweise und Handys werden in beschrifteten Umschlägen einbehalten, bis der Saal wieder verlassen wird. Die Besucher*innen nehmen oben auf der Tribüne Platz, der Pressebereich ist direkt unten im Gerichtssaal. Der Angeklagte Marko G. wird von mehreren Justizbeamten in Handschellen und Fußfesseln vorgeführt, er hält sich keine Abdeckung vor das Gesicht, er lächelt Personen auf der Besucher*innentribüne zu. Er setzt sich zu seinen drei Anwälten.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft

Um 9:39 Uhr beginnt die Verhandlung. Eine Schöffin wird vereidigt und die Daten des Angeklagten Marko G. werden verlesen, er ist Polizeibeamter. Die Staatsanwaltschaft (StA) Schwerin ist mit einer Vertreterin und einem Vertreter anwesend. Zunächst verliest die Staatsanwältin die Anklageschrift. G. werde angeklagt, gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz und das Sprengstoffgesetz verstoßen zu haben. Er habe Waffen und Munition besessen, für die er nach Kriegswaffengesetz keine Erlaubnis gehabt habe, er habe Schusswaffen und Munition ohne Waffenerlaubnis besessen. Er habe keine Sicherungsvorkehrungen für die Schusswaffen getroffen. Diese hätten abhanden kommen oder Leute hätten darauf zugreifen können. G. sei außerdem mit explosionsgefährdenden Stoffen umgegangen.

Marko G. sei seit 1999 Polizist in Mecklenburg-Vorpommern, bis 2004 sei er beim SEK beim LKA Mecklenburg-Vorpommern als Präzisionsschütze und Schießtrainer tätig gewesen.

G. habe Munition und Waffen gelagert, besessen und gesammelt, um die Ziele der Gruppen „Nordkreuz“ und „Nord.com“ zu verwirklichen. Robert P. sei der Administrator der bereits vorher bestehenden Chatgruppe „Nord“ gewesen, G. sei 2015 beigetreten. Es habe sich dabei um deutschlandweite Chatgruppen gehandelt, man habe sich für den „Tag X“ gegenseitige Hilfe versprochen. Ende Januar 2016 habe G. die Chatgruppe „Nordkreuz“ als Infokanal gegründet sowie „Nord.com“, um die Aktivitäten der Gruppenmitglieder zu koordinieren und zu organisieren. Es sei ihm gelungen, 40 Mitglieder zu werben, darunter auch die anderen Verfahren angeklagten Jan Hendrik H. und Haik J. Der Angeklagte G. habe einen Verhaltenskodex und Ziele an andere und neue Gruppenmitglieder geschickt, diese hätten zum Teil den Erhalt bestätigt und zugestimmt.

Inhaltlich sei in diesen Gruppen besprochen worden, dass die Bundesregierung die Regierungsmacht verlieren könnte, beispielsweise durch die aktuelle Flüchtlingspolitik. Um dabei nicht zum Opfer zu werden, habe die Gruppe für den „Tag X“ Vorkehrungen für sich und ihre Familien organisieren wollen. Sie hätten sich regelmäßig auch zu Schießübungen getroffen, letztere habe H. organisiert. Bei diesen Treffen habe H. einen „Mehmet Turgut“-Pokal als Preis ausgelobt. Diesen habe er nach Mehmet Turgut benannt, der 2004 in Rostock vom NSU ermordet worden war. Der Angeklagte G. habe H. in die Chatgruppe eingeladen und am 09.12.2017 habe H. wiederum G. zum Pokalschießen eingeladen, G. habe teilgenommen. Diese Treffen seien auch fürs Geldeinsammeln genutzt worden, davon habe der Angeklagte Essen, Leichensäcke sowie anderes Material erworben. G. sei zudem bestrebt gewesen, Häuser und Depots für den „Tag X“ zu suchen. Seine vornehmliche Aufgabe als Waffenexperte sei gewesen, Waffen und Munition zu beschaffen. Diese habe er u.a von dem eingesammelten Geld gekauft oder habe sie von der Bundeswehr und Polizeien in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und bundesweit besorgt. Sein Ziel habe G. in einem Collegeblock notiert: Für seine Gruppen wollte er mindestens 40.000 Schuss für den „Tag X“ besorgen. In dem Zusammenhang führe der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen H. und J. wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat.

Am 28.08.2017 habe es bei G. eine Haussuchung vom BKA gegeben. Es seien Wohnräume, Nebengelasse, sein Auto und eine blaue Abfalltonne durchsucht worden. Dabei seien 23.814 Schuss Munition, zahlreiche Waffen und Irritationskörper [Irritationskörper sind beispielsweise Blendgranaten] gefunden worden. Diese seien nicht ordnungsgemäß gesichert gewesen, dritte sowie die im Haus wohnenden minderjährigen Kinder des Angeklagten sowie seine Lebensgefährtin hätten jederzeit Zugriff gehabt. Gefunden worden sei eine halbautomatische Vollschusswaffe der Marke Glock. Eine Waffe der Marke Luger habe geladen und griffbereit im Flur gelegen. Es seien außerdem eine Luftdruckwaffe, ein Hieb- und Stichwaffe (beidseitig geschliffen) und ein Seitengewehr im PKW in der Ablage der Fahrertür gefunden worden.

Die Staatsanwältin geht dazu über, die einzelnen Munitionsteile, die in Kisten und Päckchen gefunden wurden, aufzuzählen. Diese seien an unterschiedlichen Stellen im Haus gefunden worden, u.a. im Eingangsbereich, im Wohnzimmer oder im Arbeitszimmer. Es habe eine Munitionstasche im Wohnhaus gegeben, alles sei unverschlossen gewesen, im Eingangsbereich habe ein Rucksack mit Munition gelegen. Bei einigen Teilen der Munition sagt die Anwältin dazu, dass diese „legale Empfänger“ gehabt hätten, bevor sie bei Marko G. gefunden wurden. Dabei nennt sie u.a. das LKA Hessen, das LKA Schleswig-Holstein, das LKA Mecklenburg-Vorpommern, einen Schießstand in Güstrow, die Spezialeinheit Nordbayern, die LZPD Duisburg und die Bundeswehr. Es sei auch im Wohnhaus ein Karton mit unbenutzten Bundeswehr-Übungsgranaten und Kriegswaffenmunition gefunden worden. Dass diese Munition dem Kriegswaffengesetz unterliege, sei dem Angeklagten wegen seiner Profession bekannt gewesen. Er habe gewusst, dass er sie nicht legal habe kaufen und besitzen dürfen.

G. habe in anderen Verfahren beschuldigte Personen gebeten, Munition aus dem LKA widerrechtlich zu beschaffen. Am 24.03.2016 habe G. dem SEK-Beamten P. geschrieben, er brauche Munition. P. habe geantwortet, er brauche erstmal selbst, er kümmere sich. Später habe P. geschrieben, wenn es klappen sollte, wieviel er brauche? G. habe geantwortet: „Soviel wie möglich.“ P. habe auch an Schießübungen teilgenommen. Am 27.01.2016 habe G. einen anderen SEK-Beamten aufgefordert, Munition zu beschaffen. Der Arbeitsname des SEK-Beamten sei „Tini“ [phon.] gewesen. G. habe geschrieben, dieser solle ihm Dinge besorgen. „Tini“ habe geantwortet: „Merke ich mir: bunker dann doppelt.“ Später fügte er hinzu, er werde sehen, was er noch von Arbeit besorgen könne.

Die StA führt aus, der Angeklagte habe eine Mülltonne bereit gestellt. Schon 2012 sei in einem Chat geschrieben worden: „Hallo Marko haben dir ‚Munni‘ in deine Tonne getan,“ G. solle sich das ansehen und sich dann melden. Diese Tonne habe auch 2017 im Eingangsbereich des Hauses gestanden. Die StA gehe davon aus, dass diese als ‚Briefkasten‘ verwendet wurde, wenn G. die Munition nicht persönlich entgegennehmen konnte. Die Tonne sei bei der Durchsuchung voll gewesen.

Bei der Durchsuchung seien alle Waffen und die gesamte Munition einem Zeugen übergeben und von diesem gesichert worden. Noch vor Ort sei Marko G. die Waffenbesitzkarte entzogen worden, damit er keine legalen Waffen mehr beziehen könne. Über dieses Verbot habe sich der Angeklagte hinweggesetzt. Er habe sich wieder Waffen und Munition besorgt. Am 12.06.2019 habe es eine weitere Durchsuchung von seinem Wohnhaus sowie seinem Bungalow in Zierow gegeben. Dabei seien Waffen und über 31.000 Schuss Munition gefunden worden.

Im Bungalow habe G. zwei Munitionskisten die unter das Kriegswaffenrecht fallen, gelagert. Der Anbieter dieser Munition verkaufe nur an Bundeswehr und Polizei. Weitere Munition sei im Wohnhaus gefunden worden. Erneut zählt die Staatsanwältin auf, was bei der Durchsuchung gefunden wurde. Darunter: Kartuschen mit CS-Gas, Sprengkörper, Plastikflaschen mit verschiedenen Pulvern, Pyroknallpatronen, Leuchtspurgeschosse, Irritationskörper, Signalrauch, Signalrauch mit Lichtspurgeschoss, Signalfackeln. Neben der Munition und Sprengkörpern seien gefunden worden: eine Luftdruckwaffe, Teleskopschlagstöcke, eine Streitaxt, mehrere Messer, teilweise beidseitig geschliffen, ein silberner Aktenkoffer mit einer Waffe der Marke Uzi, einem Schalldämpfer und einem Tragegurt. Es seien außerdem eine Waffe der Marke Winchester und weitere Druckwaffen gefunden worden. Fundeorte seien u.a. die Scheune und Vorratskammer gewesen. Eine Schreckschusswaffe habe man in der Küche auf dem Küchenschrank gefunden. Die Maschinenpistole Uzi mit Schalldämpfer sei im Wohnhaus gefunden worden. U.a. die Waffe der Marke Winchester sei zur Sachfahndung ausgeschrieben gewesen, sie sei im Dezember 1993 bei einer brandenburgischen Panzergrenadiereinheit entwendet worden.

Die Staatsanwältin liest erneut Paragraphen vor, nach denen das zu bestrafen wäre, es gehe um das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz sowie Sprengstoffgesetz. Hinzu kämen Diebstahl, Unterschlagung und Hehlerei. Sämtliche im Anklagesatz aufgezählten, bei den Durchsuchungen gefundenen Waffen und die Munition unterlägen der Einziehung.

Der Richter berichtet von Vorgesprächen u.a. zu einer möglichen Verständigung

Anschließend teilt der Vorsitzende Richter mit, es habe Erörterungen der Verfahrensbeteiligten im Vorfeld gegeben und verliest die Vermerke. Vermerk vom 07.11.2019: Es habe ein gemeinsames Vorgespräch zum Ablauf der Hauptverhandlung gegeben. Dabei habe das Gericht gesagt, ihm sei eine Konzentration auf die Vorwürfe wegen des Verstoßes gegen Waffengesetze und eine sachorientierte Hauptverhandlung wichtig. Die anderen Verfahrensbeteiligten hätten sich ebenso eine möglichst kurze Hauptverhandlung gewünscht, dem habe das Gericht zugestimmt. Die StA habe gesagt, bei einer vollständigen Einlassung des Angeklagten sei „argumentativer Raum für den Ausgang der Hauptverhandlung möglich“. Die Verteidigung habe ihr Ziel formuliert: zwei Jahre Haft, ausgesetzt zur Bewährung. Daher sei eine Einlassung und Erklärung des Angeklagten denkbar. Sowohl StA und Gericht hätten die Chance auf zwei Jahre auf Bewährung zurückhaltend nach jetziger Aktenlage eingeschätzt. Der Richter habe angesprochen, dass eine erhebliche Beschleunigung der Hauptverhandlung möglich sei, wenn ein erheblich erweitertes Selbstleseverfahren genutzt würde, das sei besprochen worden. Allen sei an einer Verständigung gelegen. Außerdem sei besprochen worden, dass zu möglichen höheren Sicherheitsvorkehrungen eine Einschätzung des LKA eingeholt werden solle.

Es folgt der Vermerk zu einem Treffen am 14.11.2019, dieses habe im Anschluss an einen neu gefassten Haftbefehl stattgefunden. Alle Verfahrensbeteiligten seien zu der Auffassung gelangt, dass es vorstellbar sei, wenn der Angeklagte eine Erklärung und Einlassung abgäbe, dann könne dies zu zwei Jahren auf Bewährung führen. Der Richter habe gesagt, vor diesem Hintergrund werde die Hauptverhandlung gestaltet. Der Richter verliest einen Vermerk zum Treffen am 20.11.2019. Dabei habe die StA deutlich gemacht, dass nach erneuter Prüfung eine Verständigung nicht in Frage komme. Danach richtet sich der Vorsitzende Richter an Marko G. und sagt, es stehe ihm frei, sich zu äußern oder auch nicht, jetzt oder nach jeder Beweiserhebung.

Die erste Erklärung der Verteidigung

Ein Verteidiger G.s gibt daraufhin eine Erklärung ab. Sein Mandant bekenne sich zu den ihm objektiv vorgeworfenen Straftaten. Er werde sich zu den Motiven äußern. Ziel sei eine Versachlichung der Hauptverhandlung. Es gebe Behauptungen, die geeignet seien, der Hauptverhandlung eine Färbung zu geben, die dem Mandanten nicht gerecht werde, die Verteidigung wolle dem entgegentreten. Dann geht der Anwalt mit der Erklärung auf die Anklage ein. Bei der Behautpung, G. habe Waffen gesammelt, um Ziele ab 2015 umzusetzen werde verkannt, dass viel Munition und alle Waffen schon vorher in seinen Besitz gelangt seien. Beim Angeklagten seien die Grenzen zwischen legalem und ordentlichem Umgang verwischt. Es gehe aber an den Inhalten vorbei, wenn G. vorgeworfen werde, er hätte sich die Waffen in Vorbereitung auf äußere Gefahren besorgt. Die Verteidigung wolle zeigen, dass die Waffen nur Marko G. zur Verfügung gestanden hätten und niemand anderes Zugriff gehabt habe, er habe sie auch nicht weitergegeben.

Die Anklage spreche von regelmäßigen Treffen und Schießübungen, die von Marko G. organisiert worden seien, von einem menschenverachtenden Pokal, der von G. gewonnen worden sei. Dabei gebe es die Suggestion, G. sei Kopf einer paramilitärischen Gruppe gewesen, dies gehe aber fehl. Richtig sei lediglich eine Gruppe von 30 Personen, „überwiegend Väter und Mütter“. Diese hätten sich auf Unglücksfälle vorbereitet, sich dafür ausgestattet. Viele dieser Personen seien jagdberechtigt und Sportschützen. Richtig sei, dass es ein einzelnes Schießen bei H. gegeben habe, am Ende habe H. einen Pokal vorgestellt, Marko G. habe davon nichts gewusst. Später habe er sich schlau gemacht und Pokal vernichtet: „Auch Herrn G. ist eine solche Verunglimpfung eines NSU-Opfers zuwider.“

Die Verteidigung verstehe nicht, warum auf andere Verfahren in der Anklage Bezug genommen werde, hier würden Zusammenhänge suggeriert, die es nicht gebe. Eine Anfrage bei der StA habe gezeigt, es gebe keinen Verdacht auf Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat, daran habe sich bis heute nichts geändert. Der Anwalt äußert sich dann zu den gefundenen Namenslisten. Alle dem BKA vorgelegten Beweise seien einzeln einer Prüfung unterzogen worden, ob es in Zukunft Gefahr geben könnte. Von einer Gefährdung der Personen sei nach dem BKA derzeit nicht auszugehen. Der medial verbreitete Begriff „Todeslisten“ sei konkret und konsequent zurückzuweisen, sage das LKA. Nebenbei erwähnt der RA, dass auch die AfD auf diesen Listen zu finden sei. Es gebe bei keinen Tatverdacht auf eine staatsgefährdende Gewalttat. Marko G. habe sich mit Krisenszenarien und mit Waffen aus Gewohnheit befasst. In Untersuchungshaft habe er sich nun ein „ordentliches Leben als Familienvater vorgenommen“. Er empfinde Reue und Bedauern über sein Verhalten und werde die beruflichen und strafrechtlichten Konsequenzen tragen.

RA Kain, ein weiterer Verteidiger G.s, sagt, er finde das Verhalten der StA irritierend: G. sei seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft, die Verfahrensbeteiligten hätten vor zwei Wochen zusammengesessen und gesagt, man wolle sich einigen. Am Nachmittag vor Beginn der Hauptverhandlung habe die StA gesagt: „Nö, ist nicht.“ Dies sei eine überraschende Prozesssituation, das müsse mit dem Mandanten besprochen werden.

Der Vorsitzende Richter sagt, auch für das Gericht habe sich die Situation verändert. Die StA sagt dazu, es sei in der Tat so, an einer Absprache werde sie sich nicht beteiligen, weil dies eine strafmildernde Auswirkung haben könne. Das sei nochmal geprüft worden. Der Hintergrund sei ein nicht wieder gut zu machender Schaden, was das Vertauen in die Polizei angehe. Daher denke die StA nicht über Strafmilderung nach.

Der Richter wendet sich an die Öffentlichkeit, um diese zu „sensibilisieren“

Der Vorsitzende Richter sagt nun, es gebe ein großes öffentliches Interesse am Prozess, daher wolle er die Öffentlichkeit sensibilisieren, worauf es ankomme und worauf nicht. Es gehe darum, dass G. Waffen und Munition besessen habe, Gegenstand der Anklage sei nicht die Zugehörigkeit des Angeklagten zu einer Gruppe wie die der „Prepper“, Gegenstand ist auch nicht die politische Ausrichtung des Angeklagten. Das hiesige Gericht und die StA seien auch gar nicht zuständig für Existenz und Inhalt von etwaigen Todeslisten oder für die möglichen Straftatbestände „Vorbereitung staatsgefährdenden Gewalttat“ und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“. Da wäre das OLG Hamburg zuständig. Relevant könnte die Motivation des Angeklagten sein. Es sei hier nur ein Angeklagter, die anderen Verfahren würden nicht gleich mit verhandelt. Der Richter legt nun eine Pause ein, auch damit die Verfahrensbeteiligten sich damit auseinandersetzen können, wie sie mit der neuen Situation umgehen wollen. Es folgt die Mittagspause.

Um 13:41 Uhr geht es weiter. Auch nach der Mittagspause grinst der Angeklagte nach oben zur Besucher*innentribüne und führt die Faust zum Herz.

Der Richter verliest einen Vermerk zum Treffen in der Mittagspause. Das Gericht habe den bisherigen Standpunkt bekräftigt. Die Verteidigung habe in den Raum gestellt, dass der Angeklagte sich auch ohne Verständigung einlassen könnte. Die Verteidigung sei weiterhin für eine kurze Hauptverhandlung. Der Richter habe bei dem Treffen betont, dass weder auf Verteidigung noch auf StA zeitlicher Druck ausgeübt werden solle. Es sei deutlich gemacht worden, dass die Einlassung weitere besondere Umstände, Reue sowie eine umfängliche Erklärung des Angeklagten zur persönlichen Wandlung beinhalten müsse. Außerdem sei besprochen worden, ob Verlesungen statt Zeugenvernehmungen in Betracht gezogen werden könnten. Im Gespräch sei angesprochen worden, dass der Angeklagte nicht vorbestraft sei, er stehe vor einem beruflichen Neuanfang, das Verfahren habe einen erheblichen Widerhall.

Die Einlassung des Angeklagten Marko G.

Der Richter wendet sich an Marko G. und fragt, ob dieser sich erklären wolle. RA Kain sagt, man habe etwas vorbereitet und liest die Einlassung von Marko G. vor. Sie ist in der ersten Person verfasst. Marko G. räumt darin ein, eine Maschinenpistole Uzi, eine Winchester und mehr besessen zu haben, ohne die Erlaubnis zu besitzen. Er habe gewusst, dass er das nicht gedurft habe. Er habe die Uzi bei der Waffenbörse „WBK“ in Kassel im November 2009 bei einem ihm Unbekannten gekauft. Vorher habe Marko G. den Verkäufer an einem Stand mit Dekowaffen kennengelernt, er, G., habe sich eine Uzi angeguckt. Da habe ihn der Verkäufer angesprochen, er habe noch eine echte Uzi im Auto. G. sei erst skeptisch gewesen, er sei aber mit auf den Parkplatz gegangen. Dort habe der Verkäufer im Kofferraum tatsächlich eine Uzi gehabt. Der Verkäufer habe gesagt, diese komme aus dem Balkan. „Leider siegte meine Faszination für Waffen und wahrscheinlich auch Abenteuerlust über meine Vernunft,“ so Marko G. Er habe beim Verkauf nicht darüber nachgedacht, er habe kein deutsches Beschusszeichen gesehen, weil es dunkel gewesen sei. Später habe er sich Gedanken gemacht und habe überlegt die Waffe zu legalisieren, entweder sie unschädlich zu machen oder sie beim BKA zu melden. Er sei immer zuverlässig gewesen, daher habe er sich eine Ausnahmeregelung erhofft. Er habe den Plan gehabt, das „irgendwann mal“ zu tun, er habe die Uzi in einem sicheren Schrank im Haus seiner Schwiegereltern verstaut. Bis diese gestorben seien, habe er sie fast vergessen. Dann habe er sie zu sich nach Hause geholt. Zu diesem Zeitpunkt [also nach der ersten Haussuchung 2017, die hier unerwähnt bleibt]sei seine berufliche Zukunft unsicher gewesen, aber er sei davon ausgegangen, dass er wegen Personalmangels zurück zum SEK könne, dann sei aber die zweite Haussuchung gekommen. Die Uzi und der Schalldämpfer seien gemeinsam nicht schussfähig, er hätte einen neuen Schalldämpfer besorgen müssen, wenn er mit beidem hätte schießen wollen, aber das wolle er ja gar nicht. Er habe außerdem ein Gewehr „im nostalgischen Westernstyle“ gekauft und dieses dann auf dem Dachboden vergessen.

Dann geht es um die blaue Tonne, die in der Anklageschrift Thema war. Es seien zwei Tonnen gewesen. In der dunkelblauen Tonne vor dem Haus seien nur Hülsen und keine Munition gewesen. Er und andere hätten am Schießstand festgestellt, dass dort die Messinghülsen nicht ordentlich recycelt würden, das hätten sie selber in die Hand nehmen wollen, darum sei es auch in der SMS mit der „Munni“ gegangen. „Munni“ sei ein Ausdruck für Hülsen nicht für Munition. Mit dem Recyclen hätten sie Geld verdient, damit seien sie Essen gegangen oder hätten eine Weihnachtsfeier gemacht. Der Gruppenführer Herr L. habe davon gewusst, er habe sich auch daran beteiligt.

Es gebe auch noch eine hellblaue Tonne, diese habe wirklich Munition enthalten. G. berichtet, er habe sie immer für schweres Gepäck oder Einkäufe genutzt, sie hätten an dem Tag wieder schießen wollen, er habe am Morgen vor der Durchsuchung schon etwas hineingetan, was dann gefunden wurde.

G. wisse, er hätte keine Doppelkernmunition besitzen dürfen, aber er sei davon ausgegangen, dass er wieder zum SEK zurückgehen würde, er habe fit bleiben wollen. Er habe Fachartikel gelesen, zu Herausgebern von Fachblättern Kontakt gehalten, er habe selber Artikel schreiben wollen. Da er bei seiner damaligen Position bei der Wasserschutzpolizei nicht an Munition gekommen sei, habe er sie sich ertauscht. Er sei in einem Dilemma gewesen, er sei natürlich exzellent ausgebildet gewesen, vor diesem Hintergrund habe er die Regeln nicht mehr beachtet: „Ich dachte doch, ich sei einer der Guten, die Regeln sind ja nur für die Bösen.“ Er habe recht gehabt, er sei einer der Guten gewesen: „Aber die Regeln gelten auch für die Guten, damit sie die Guten bleiben.“ Sein Selbstbild habe sich verschoben. Die Munition sollte bei Schießübungen verwendet werden, eine andere Verwendung habe es für ihn nicht gegeben.

Er habe ein großes technisches Interesse an Waffen, er habe sich sowohl beruflich als auch privat damit beschäftigt, er habe auch privat gern geschossen. So wie andere im Hobbyumfeld habe er auch andere Schützen beruflich und privat gekannt, so wie Motorradfahrer andere Motorradfahrer kennen. Die Munition und Waffen seien alle nur für ihn gewesen, das stimme nicht, dass er das für Gruppierungen besorgt habe. Er habe nur mit anderen Sammelbestellungen aufgegeben, weil es da „wie in anderen Lebensbereichen auch“ Rabatte gegeben habe.

Außerdem habe er ein großes Interesse am „Surviving“. Zu den Kontakten mit anderen Eliteeinheiten steht in der Einlassung des Angeklagten, es sei Eliteeinheiten eigen, dass sie grenzüberschreitende Kontakte miteinander hätten. Das werde vom Dienstherren gewünscht und auch befördert, weil man eng zusammenarbeite. So hätten sie im intensiven Austausch mit Kollegen aus der Schweiz, Österreich, Schweden und anderen skandinavischen Ländern gestanden.

Sie hätten Bedrohungsszenarien bei Treffen besprochen, wie Naturkatastrophen aber auch von Menschen gemachte wie Hackerangriffe. Sie hätten sich vor allem damit beschäftigt, was bei einem längeren Stromausfall wäre. Sie hätten auch dienstliche Berichte bekommen, beispielsweise von Waffenfunden bei Kriminellen: “Wir nahmen das ernst.“ Sie hätten sich über Vorbereitungen unterhalten. Der Löschkalk sei dabei für Feldlatrinen gedacht gewesen. Leichensäcke seien ebenso hilfreich aber nicht für Leichen, sondern als wasserdichte Hülle für Schlafsäcke, sie seien auch günstiger als wasserdichte Schlafsackhüllen gewesen, 2€ pro Stück. Ein Kollege habe dann einfach 30 Stück bestellt, bei solchen Überlegungen habe schwarzer Humor eine Rolle gespielt.

Auch der Begriff Safe House sei aufgekommen. Sie hätten auch etwas gefunden, eine verlassene Feriensiedlung am Fluss. Er hätte sich nicht mehr drum gekümmert: „Es ging ja nur um ein Gedankenspiel. Mit Abstand muss ich sagen, ich haben mich in die Szenarien so sehr reingesteigert“, dass er darüber eigentlich schmunzeln müsse, wenn es dann nicht so gekommen wäre, wie es gekommen ist.

Eines seien weder G. noch seine Mitstreiter gewesen: politisch. Er diene seit 1993 dem Staat, wenn er den Staat ablehnen würde, hätte er dies nicht getan. Er sei ein kritischer wertkonservativer Bürger, er stehe damit auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung, zu der er sich bekenne. Er und seine Kollegen würden lediglich einen schwarzen Humor pflegen, sonst sei der Alltag nicht zu bewältigen, aber: „Jegliche extremistische Tendenzen sind mir fremd.“ Zu Beginn der Gruppe „Nordkreuz“ habe jemand mit Nazigruß gegrüßt. G. als Administrator habe den Beitrag gelöscht, dem Teilnehmer gesagt, das gehe nicht und habe ihn aus der Gruppe rausgeworfen.

Zum Aufbau der Gruppe gibt G. an, jemand vom KSK sei zurückgekommen und habe gesagt, man wolle ein Netzwerk aufbauen, dieses solle geografisch gegliedert werden, jede Gruppe solle einen Administrator haben und es solle eine Administratoren-Gruppe geben. G. habe die Idee gut gefunden und sei beigetreten. Die Gruppe „Nord“ sei nicht zum Austausch gedacht gewesen, der Administrator habe Texte zu Bedrohungsszenarien eingestellt. So sei es nicht zu einem Austausch gekommen, das sei ihm, G., zu wenig gewesen, also habe er „Nordkreuz“ gegründet. Er habe das wichtig gefunden, dass sich die Leute gegenseitig kennen würden. Er wollte auch gemeinsame Workshops machen. „Nord.com“ sei nur zum Quatschen gewesen, genauso wie die Gruppe „Vier gewinnt“, diese sei auch nur zum Unterhalten gewesen, es haben keinen politischen Austausch gegeben. Er wisse nicht, was jeder Einzelne gedacht habe. „In jeder Gruppe wird es Menschen geben, die persönliche Probleme haben“, ohne das andere davon wüssten. „Ich habe auch Augen verschlossen, meine Begeisterung hat mich mitgerissen.“ Er habe es übertrieben. „Ich sehe, was ich falsch gemacht habe und bereue es.“ Dies gelte für die Auseinandersetzung mit Bedrohungsszenarien aber vor allem für die Auseinandersetzung mit Waffen. Dies habe seine Familie in eine schwere Situation gestürzt und das tue ihm leid. Für ihn als Polizisten bedeute Untersuchungshaft Isolationshaft, aber das trete dagegen in den Hintergrund. Er wisse was ihn strafrechtlich und beamtenrechtlich erwarte und werde sich dem stellen.

G.s Anwalt gibt auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters an, G. habe diese Erklärung selbst geschrieben.

Die Nachfragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft

Nach einer Unterbrechung sagt der Richter, zum Sachverhalt und zur Einlassung hätten das Gericht und die StA Nachfragen, vielleicht auch nochmal in den kommenden Sitzungen. RA Kain sagt, man würde Fragen mitschreiben, mit G. besprechen und dann beantworten. Der Richter fragt, ob alles, was in der Anklageschrift an Waffenbesitz und Lagerung enthalten ist, von G. objektiv und subjektiv eingestanden würde. RA Kain antwortet, ja, so sei die Einlassung gemeint gewesen. Der Richter fragt, inwieweit G. nach der Einziehung der Waffen und Munition auf alles verzichte. Auch hier antwortet der RA gleich, das sei noch nicht geklärt, es gäbe dabei auch Gegenstände wie Laptops. Aber auf alle Waffen und Munition werde verzichtet. Der Richter fragt zum geplanten Verlauf der Hauptverhandlung, ob der Angeklagte und die Verteidigung mit dem grundsätzlichen Verzicht auf weitere Zeugen als die vorgesehenen einverstanden wären. Weitere Zeugen würden durch Verlesungen ersetzt. Auch dies wird bejaht.

Inhaltlich sagt der Richter, er hätte gerne eine längere Erklärung zu den zwei Durchsuchungen 2017 und 2019. Wieso seien auch 2019 Munition, Waffen und Sprengstoff gefunden worden, obwohl alle Erlaubnisse entzogen worden seien. Und ob es dem Angeklagten klar gewesen sei, dass er ab 2017 alle waffenrechtlichen Erlaubnisse bis auf weiteres verloren habe. Der Richter führt aus, aus Zeugenaussagen ergäben sich Anhaltspunkte dafür, das Geld auch für Munition gesammelt worden sei. Außerdem hätten sich aus dem Kassenbuch Anhaltspunkte dafür ergeben, dass durch eine zweistellige Anzahl an Personen ein vierstelliger Betrag, nämlich 7500 Euro, eingezahlt worden sei. Dieser sei 30.000 Schuss Munition ausgegeben worden. Aus dem Collegeblock ergebe sich, dass es innerhalb der Chatgruppen der Plan gewesen sein könnte, insgesamt 40.000 Schuss zu besorgen. Für alle inhaltlichen Fragen verweist der RA auf die nächste Woche.

Nun stellt die StA Fragen. Zunächst sagt der Staatsanwalt: „Um das mal ganz klar zu sagen: ich hatte mehr erwartet.“ Er fange mal von hinten an, ein ernsthaftes Bereuen sähe anders aus. RA Kain interveniert: „Ist das eine Erklärung oder eine Frage?“ Es folgt ein Wortwechsel, dann stellt der Staatsanwalt Fragen. Die Uzi solle 2009/2010 gekauft worden sein und G. habe sie verstaut. Wie genau, wo und wie könne die in Vergessenheit geraten, das erschließe sich ihm nicht. Der Angeklagte behauptet, „Munni“ sollten Reste von Munition sein: Warum? Die StA habe da ein anderes Verständnis davon. Er hätte gern mehr gehört zur Frage des „Safe House“ und mehr zu den Örtlichkeiten der verlassenen Ferienhaussiedlung, wie man darauf kam, wie sie genutzt werden sollte und wie lange. Er wolle wissen, wie es sein könne, dass man sich in eine Krisenvorsorge so hineinsteigern könne, dass sich eine Eigendynamik entwickele, über die man heute schmunzeln müsse. Er wolle wissen, warum gerade G. Administrator geworden sei und welche Aufgaben es da gegeben habe. Er wolle wissen, warum G. sage, keine der Chatgruppen sei politisch ausgerichtet gewesen. Er wolle wissen, inwiefern die Gruppe „Nord“ nicht auf einen Austausch angelegt gewesen sei, warum seien nur Einträge eingestellt worde. Es klinge etwas an, aber das sei zu wenig.

RA Kain erwidert laut: „Ich habe mehr erwartet von der Anklageschrift.“ Und sagt, wenn die StA so weitermachen wolle, könne man das machen. Fragen danach, wie etwas in Vergessenheit geraten könne, das sei eine Polemik: „So können wir das weiter machen, von mir aus gerne.“ Der Vorsitzende Richter interveniert und sagt, das Gericht sei zu so einer Auseinandersetzung und Hauptverhandlung nicht bereit.

Die Staatsanwältin sagt, sie habe auch noch Fragen. Sie fragt, über welche Waffenberechtigung G. verfügt habe oder noch verfüge. Sie fragt zu G.s beruflichen Werdegang beim SEK. Sie hakt nach, aufgrund welcher Umstände G. davon ausgegangen sei, dass er weiter beim SEK tätig sein könnte. Wie habe G. die Ausnahmeregelung beim BKA für die Uzi erlangen wollen und ob er da schon Schritte eingeleitet habe. Sie wolle wissen, ob G. im Rahmen der Chatgruppe Schießübungen vorgenommen habe und ob er Angaben bzgl. der Munition machen könne, deren Herkunft Polizeibestände seien. Sie fragt nach der Chatgruppe „Vier gewinnt“, um was es sich dabei handele, wer die Mitglieder seien, was die Zwecke und Ziele der Chatgruppe gewesen seien.

Damit endet der Verhandlungstag.

Fortsetzung Donnerstag 28.11.2019, 10:00 Uhr