21. Prozesstag, 01. Oktober 2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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Zu Beginn des Prozesstages gab der Senat bekannt, dass der Haftbefehl gegen Markus Hartmann aufgehoben wird. Der Senat machte deutlich, dass er Hartmann nicht mehr für dringend tatverdächtig hält, psychische Beihilfe zum Mord an Lübcke geleistet zu haben, wie es in der Anklage steht. Auch als Mittäter sieht ihn der Senat nicht, es stehe nunmehr lediglich der Verdacht im Raum, dass Hartmann sich eines Verstoßes gegen das Waffenrecht schuldig gemacht habe, dafür käme aufgrund der möglichen Strafhöhe allerdings die Untersuchungshaft nicht mehr in Frage. Danach wurde ein Sachverständiger zu DNA-Spuren gehört. Dabei standen das Hemd von Walter Lübcke, sowie ein bei Ernst gefundenes Klappmesser im Vordergrund. Auf dem Hemd von Lübcke wurden DNA-Spuren von Ernst gefunden. Dieser Fund hatte zu seiner Festnahme geführt. Bei dem Messer ging es um Spuren des Angriffs auf Ahmed I. Hier hatte der Sachverständige gezielt nach dessen DNA gesucht. Der Vergleich davon mit den 16 Merkmalen von I. führte nicht dazu, dass I. ausgeschlossen werden konnte.

Zu Beginn des Verhandlungstages kündigte der Vorsitzende Richter Sagebiel an, der Senat habe eine Beschluss mitzuteilen. Richter Dr. Koller verlas, dass der den Angeklagten Hartmann betreffende Haftbefehl aufgehoben wird. Nach dem bisherigen Ergebnis der Hauptverhandlung sei er nicht mehr dringend verdächtig, sich der Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke schuldig gemacht zu haben. Denn dies setze voraus, dass er eine Tötung von Lübcke durch Stephan Ernst für möglich gehalten habe, das sei aber nicht mehr in hohem Maße wahrscheinlich. Der Verdacht habe auf Aussagen von Stephan Ernst und der ehemalige Lebensgefährtin von Hartmann, Do., beruht, diese Beweismittel trügen nun aber den Verdacht nicht mehr. Der Senat habe Zweifel an der Richtigkeit der Angaben von Ernst, auch zur Zeugin Do. gebe es Zweifel an der Glaubhaftigkeit. Es könne offen bleiben, ob sich Ernst beispielsweise durch gemeinsame Schießtraining bestärkt gefühlt habe, da der Senat keine hohe Wahrscheinlichkeit der Vorsätzlichkeit von Seiten Hartmanns sehe. Auch wenn Ernst und Hartmann gemeinsam in Istha gewesen sein sollten, so musste Hartmann hier nicht zwangsläufig an einen möglichen Mord durch Ernst denken, sondern beispielsweise daran, die Hauswand Lübckes zu beschmieren. Bei der Markierung von Lübckes Namen im Buch „Umvolkung“ könne es Hartmann auch um die Resonanz auf das von ihm online gestellte Video gegangen sein.

Der Haftbefehl sei auch nicht dahingehend abzuändern, dass Hartmann der Mittäterschaft am Mord von Walter Lübcke verdächtig sei. Die entsprechende Einlassung von Stephan Ernst sei nicht glaubwürdig, da er während des Ermittlungsverfahrens zwei verschiedene Versionen des Tatgeschehens und der jeweiligen Beteiligung Hartmanns geschildert und in der Hauptverhandlung eine weitere beschrieben habe. Die Überprüfung der von ihm behauptete Beeinflussung durch seine Anwälte sei unergiebig gewesen. Die Einlassung zur Tat sei „detailarm“ geblieben, während anderes detaillierter beschrieben worden sei. Es sei der Eindruck entstanden, Ernst haben nur Antworten geben wollen, die für ihn günstig seien. Ernst habe ein „wechselhaftes Einlassungsverhalten“ gezeigt, insbesondere dann, wenn er andere belastet habe. So habe er auch seinen Kollegen Jens Lu. belastet, mit ihm Waffen vergraben zu haben, dabei brauche man dafür keine weitere Person.

Auch die Ermittlungen zu den Angaben Ernsts, Mitte April 2019 hätten er und Hartmann sich getroffen, um die Tat zu besprechen, hätten nichts ergeben. Um das Datum einzugrenzen, hatte Ernst angebeben, er und Hartmann hätten zuvor an einer Vorstandssitzung des Schützenvereins teilgenommen und vor der Tatbesprechung per Kartenzahlung Getränke an einer Tankstelle gekauft. Eine Vorstandssitzung des Schützenvereins habe es am 10. April 2019 gegeben, daran hätten die Angeklagten aber nicht teilgenommen, sie hätten am 4. Mai 2019 an der Jahreshauptversammlung teilgenommen. Für die Ermittlungen sei eine Tankstelle in der Nähe in Frage gekommen, dort sei aber keine solche Zahlung festgestellt worden. Koller verlas weiter, dass einer Tatbeteiligung von Hartmann auch die Textnachricht entgegenstehe, die am Tatabend versendet worden sei. Es gebe zwar die Möglichkeit, dass eine dritte Person diese Nachricht versendet habe, um Hartmann ein Alibi zu geben. Allerdings habe Ernst nicht gesagt, dass man weitere Personen einbezogen habe und Hartmann wäre so ein großes Risiko eingegangen. Es sei für Ernst außerdem nützlich, Hartmann zu belasten.

Hartmann sei weiterhin dringend verdächtig, an einer nicht schussfähigen Maschinenpistole ein Griffstück befestigt zu haben, für das er nicht über die erforderliche Erlaubnis verfüge. Die Starferwartung dafür sei allerdings zu gering, um eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Sagebiel belehrte Hartmann im Anschluss an die Verlesung des Beschlusses, dass dieser weiterin Hauptverhandlung teilnehmen müsse. Dieser bestätigte, dass er das verstanden habe.

Nach einer 20-minütigen Pause, die Richter Sagebiel explizit einlegte, damit die Presse ihre Arbeit machen könne und in der eine Pressemitteilung zur Haftbefehlsaufhebung verteilt wurde, wurde der DNA-Sachverständige Dr. Harald Schneider gehört. Er brachte eine ausführliche Powerpointpräsentation mit, anhand derer er zunächst allgemein seine Arbeit darlegte, um sie den Verfahrensbeteiligten verständlich zu machen. Er berichtete dann zunächst darüber, dass sie neben anderen Gegenständen auch das Hemd von Walter Lübcke auf DNA-Spuren untersucht hätten. Dazu hätten sie mit Klebestreifen Proben vom Hemd genommen und die Partikel auf dem Folienabzug – zum Beispiel Hautschuppen – auf DNA untersucht. Sie hätten dieses aufwändige Verfahren angewandt, weil ein direkter Kontakt mit dem Täter aufgrund des ermittelten Tathergangs nicht ausgeschlossen werden konnte. Wäre Lübcke beispielsweise aus einer großen Distanz erschossen worden, hätten sie das nicht getan. Auf dem Hemd wurde auf der rechten Seite im Bauchbereich ein Partikel gefunden, der anhand einer Datenbank Stephan Ernst zugeordnet werden konnte. Es sei per Definition eine „Minimalspur“ gewesen, eine DNA-Teilprofil, nur neun von 16 möglichen Merkmalen konnten analysiert werden. Von Ernst seien in der „DNA Verbunddatei“ sogar nur acht Merkmale gespeichert gewesen, weil zum Zeitpunkt der Speicherung noch nich 16 erhoben worden seien. Daher sei dies ein Ermittlungshinweis ohne Beweiswert gewesen. Nach der Festnahme wurde allerdings zum Abgleich DNA von Ernst genommen, man habe nun also alle 16 Merkmale von Ernst vorliegen. Man habe weitere Folienabzüge gemacht und im rechten Schulterbereich einen weiteren Partikel gefunden, an dem 14 von 16 Merkmalen nachweisbar gewesen seien, die dann auch Ernst zugeordnet werden konnten. Auf Frage sagte der SV, dass sie keine anderen Spuren, die er nicht habe zuordnen können, gefunden hätten.

SV Dr. Schneider legte dann dar, dass sie die Waffen, die auf dem Firmengelände der Firma Hübner vergraben gewesen seien – darunter die Tatwaffe – ebenso auf DNA untersucht hätten. Dabei seien nur Spuren von Ernst gefunden worden. Die Waffen seien ölig und sehr gut gepflegt gewesen. Da sie sehr viele Spuren von Ernst gefunden hätten, hielt der SV es für möglich, dass Ernst entweder ein „guter Spurengeber“ sei oder ein altes T-Shirt von sich als Lappen zum Putzen der Waffen benutzt haben könne, an dem entsprechend viele Hautschuppen gewesen seien. Auch die Autos von Ernst hätten sie untersucht und darin auch bislang nicht zuordenbare Spuren gefunden. Im VW Caddy hätten sie auch Spuren von Hartmann gefunden.

Im Oktober 2019 hätten sie dann Messer, die bei einer Hausdurchsuchung bei Stephan Ernst gefunden worden seien, auf DNA untersucht. Ziel sei gewesen, mögliche Hinweise auf den Angriff auf Ahmed I. zu finden. Auch I.s Jacke sei erneut und erweitert untersucht worden, allerdings ohne Ergebnis zum Angriff. Diese Jacke habe man bereits 2016 untersucht. Auf einem der zahlreichen Messer, die Ernst besaß – auf einem Klappmesser, das in einem Regal im Keller gefunden worden sei – hätten sie schließlich überhaupt Spuren gefunden, die von Haut hätten stammen können. Daraus hätten sie DNA gewinnen können, die sie dann mit der von Ahmed I. verglichen hätten. Das Ergebnis sei gewesen, dass der Geschädigte als Spurengeber nicht auszuschließen sei, sagte der SV, bevor er dazu mehr ausführte. Von 16 möglichen Merkmalen habe er fünf gefunden, zwei davon seltene Merkmale, so der SV. Der Vergleich davon mit den 16 Merkmalen von I. habe nicht dazu geführt, dass I. ausgeschlossen werden konnte. Auch keine andere Person, beispielsweise aus der Datenbank in der 800.000 Personen verzeichnet seien, habe zu der Spur gepasst. Es müsse sich um eine „Person wie Ahmed I.“ handeln oder um einen nahen Verwandten, wenn die Spur nicht von I. stamme. Das heiße, die Spuren auf dem bei Ernst gefundenen Klappmesser können zu Ahmed I. passen, allerdings konnte der Sachverständige keine Zahl zur Wahrscheinlichkeit berechnen, da die Qualität der Spur zu schlecht sei, eine Identifizierung ist also nicht möglich. Die Verteidigung von Ernst hinterfragte diese Ausführungen des SV massiv, dieser ließ durchaus nachdrücklich keine Zweifel an seinen Ausführungen aufkommen.

Der Prozesstag bei NSU-Watch Hessen