26. Prozesstag, 3. November 2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

0

Zu Beginn gab die Verteidigung von Stephan Ernst eine Erklärung zur Aussage von Ahmed I., einen Befangenheitsantrag gegen den DNA-Sachverständigen und einen Beweisantrag zu Ahmed I. ab. Zu Ahmed I. machten RA Kaplan und RA Hardies Ausführungen, die an rassistische Diskurse über Geflüchtete anknüpfen. Gegen den DNA-Sachverständigen führten sie ein Zeitungsinterview von 2015 ins Feld. Nichts davon dürfte Auswirkungen auf den Prozessausgang haben. Als erster Zeuge wurde der ehemalige Verteidiger von Ernst, RA Waldschmidt, vernommen. Als zweite Zeugin war Claudia R. geladen, die als „Karibikschlumpfine“ mit Markus Hartmann chattete – so auch in der Nacht des Mordes an Walter Lübcke.

Nachdem der Vorsitzende Richter Sagebiel den Verhandlungstag eröffnete, verlas der Verteidiger von Stephan Ernst, RA Kaplan, eine Erklärung zur Aussage von Ahmed I., die ihn als unglaubwürdig darstellen sollte. In seiner Erklärung legte er dem Nebenkläger I., der zu dem Zeitpunkt erst nach Deutschland eingereist war, seine Sprachprobleme zur Last und unterstellte ihm, er habe damals gelogen und seine Angaben seien „abenteuerlich“ gewesen. Danach verlas er einen Befangenheitsantrag gegen den DNA-Sachverständigen Schneider, der am 21. Prozesstag zu seinem Gutachten ausgesagt hatte. Die Verteidigung Ernst verfolgte hiermit das Ziel, den Gutachter zu diskreditieren. Dieser gab als Einschätzung zur DNA-Spur am aufgefundenen Messer bei Ernst an, dass nur Ahmed I. oder ein naher Verwandter als Spurenverursacher in Frage komme. So führte RA Kaplan an, der SV Schneider habe sich in einem Zeitungsinterview von 2015 anlässlich eines Vortrags vor Abiturient*innen „missfällig“ über Tatverdächtige geäußert, weshalb der Angeklagte Ernst nun eine Befangenheit des Sachverständigen befürchte. Schneider habe sich über Schuldige lustig gemacht; sie seien zwar „cleverer“ als früher, aber die DNA-Analyse sei ihnen dennoch überlegen. Schneider sagte laut Zeitungsmeldung gegenüber den Schüler*innen: „Früher oder später kriegen wir sie alle“. Kaplan verlas dazu, der SV habe wohl Spaß daran, an hohen Strafen mitzuwirken. OStA Killmer entgegnete, er halte diesen Befangenheitsantrag für „schlichtweg abwegig“.

RA Hardies von der Verteidigung Ernst verlas einen Beweisantrag, nach dem Zeug*innen zu Ahmed I. geladen werden sollten, so zum Beispiel die damalige Dolmetscherin, die bei den ersten Befragungen durch die Polizei übersetzte. Auch hier war das Ziel offensichtlich, Ahmed I. als unglaubwürdig darzustellen. Der Nebenklage-Vertreter von Ahmed I., Björn Elberling, nahm dazu Stellung und sagte, diese Zeug*innen seien ohne jede Bedeutung für die Entscheidung des Gerichts. Es sei aber bezeichnend, dass die Verteidigung Ernst den Charakter von Ahmed I. in den Schmutz ziehen wolle. Als Anhaltspunkte für die Unglaubwürdigkeit würden sie u.a. die falsche Übersetzung des Namens seines Mandanten durch die deutschen Behörden anführen. Diese Diskreditierung sei außerdem irrelevant, denn Ahmed I. hatte angegeben, den Angreifer nicht näher beschreiben zu können, weshalb es auf ihn für die Identifizierung und Verurteilung von Ernst nicht ankomme. OStA Killmer schloss sich der Stellungnahme an.

Als erster Zeuge wurde der ehemalige Verteidiger von Stephan Ernst, RA Dirk Waldschmidt, vernommen. Richter Sagebiel gab an, dass jetzt auch die Entbindung von der Schweigepflicht durch die Ehefrau von Stephan Ernst vorliege. Diese schreibe, sie habe Waldschmidt von ihrer Kündigung aufgrund der Festnahme ihres Mannes erzählt, ihn aber nicht gebeten, sie anwaltlich zu vertreten. Waldschmidt habe ihr daraufhin trotzdem Schreiben geschickt, die sie aber nicht verwendet, sondern einen anderen Anwalt beauftragt habe. Der Rechtsbeistand von Waldschmidt hinterfragte die Authentizität des Dokuments und verlangte eine anwaltliche Versicherung von RA Kaplan. Sagebiel ging auf diese Forderung nicht ein. Nach einem kurzen Wortwechsel zwischen dem Rechtsbeistand und Sagebiel und der Drohung, Waldschmidt in Beugehaft zu nehmen, wenn er keine Fragen beantworten wolle, konnte die Befragung letztendlich beginnen.

Ernst hatte im Lauf des Prozesses angegeben, dass ihm RA Waldschmidt geraten habe, keine Mittäter zu benennen. Im Gegenzug würde man sich um seine Familie und Geld kümmern. Waldschmidt stritt dies heute ab. Ernst habe ihn selbst um Kontakt zur Gefangenenhilfe gebeten, den er aber nicht hergestellt habe. Waldschmidt musste darlegen, wann er das erste Mal die Frau von Stephan Ernst aufgesucht habe. Der Zeuge gab an, dies sei am Tag gewesen, an dem er auch das erste Mal Stephan Ernst in der JVA aufgesucht habe. Er habe überprüfen wollen, ob die Angabe des von Ernst benannten Alibizeugen richtig gewesen sei. Ernsts Frau habe bestätigt, dass es sich dabei um einen Freund und Arbeitskollegen von Stephan Ernst handele, woraufhin der Alibizeuge für Waldschmidt immer wichtiger geworden sei. Auch ihre Angaben dazu, wann Ernst nach Hause gekommen sei, hätten zur Alibi-Erzählung gepasst. Gefragt, ob die Ehefrau von Ernst Probleme benannt habe, gab Waldschmidt an, sie habe von der durch die Polizei eingetretenen Vordertür berichtet, weshalb man das Haus über die Hintertür betreten müsse. Sie habe beiläufig erzählt, dass ihr wegen ihres Mannes gekündigt worden sei. Ernst sei aber der Hauptversorger der Familie. Waldschmidt habe ihr dann versichert, dass sie sich keine Sorgen machen müsse, weil es einen Alibizeugen gäbe, weshalb ihr Mann sicher bald aus der Haft entlassen werde. Der Alibizeuge sei jemand gewesen, dem könne man glauben. Es sei niemand aus dem rechten Milieu, „das ist was Anständiges“. Auch zur Kündigung habe er, Waldschmidt, gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen müsse, da eine mündliche Kündigung schwierig aufrecht zu erhalten sei. Er werde sich darum kümmern, dass es sich in Luft auflöst. Danach habe ihn die Frau von Stephan Ernst wegen einer weiteren Hausdurchsuchung angerufen. Er habe ihr erklärt, dass wiederholte Durchsuchungen nichts Ungewöhnliches seien. Nach einem weiteren Telefonat habe er ihr Unterlagen wegen der Übernahme ihres Mandats durch ihn geschickt. Er habe ihr zugesichert, sie im Notfall auch „pro Bono“ zu verteidigen. Das sei schon nach dem ersten Geständnis von Ernst gewesen.

Sagebiel fragte, ob die Rede davon gewesen sei, dass Ernst mit der Unterstützung politischer Freunde rechnen könne. Waldschmidt sagte, dass Ernst ihn nach seinem ersten Geständnis gebeten habe, mit der Gefangenenhilfe Kontakt aufzunehmen. Ernst habe Vergleiche zu Ralf Wohlleben gezogen, der aus der rechten Szene unterstützt worden sei. Waldschmidt sagte auf Nachfrage, dass er selbst keinen direkten Kontakt zur Gefangenenhilfe habe, dass er aber bei Leute danach fragen könne. Sagebiel hakte nach, ob es darum gegangen sei, dass Ernst Unterstützung aus der rechten Szene bekommen könne, wenn er keine Angaben mache. Waldschmidt entgegnete, Ernst habe zu dem Zeitpunkt schon Angaben gemacht. Bei dem einzigen Gespräch davor habe er noch behauptet, unschuldig zu sein und habe den Alibizeugen benannt. Den Namen Hartmann habe er selbst erst nach dem ersten Geständnis gehört, so Waldschmidt auf Nachfrage. Mit dem Geständnis habe Ernst alles aus der Hand gegeben, was man beispielsweise für einen Deal mit der Staatsanwaltschaft gehabt hätte. Auf Nachfrage sagte der Zeuge, er habe nach seiner Entbindung als Anwalt weiterhin Kontakt mit Stephan Ernst gehabt, der ihn um Rat gefragt habe. Auf wiederholtes Nachfragen von Richter Dr. Koller sagte der Zeuge, er habe keine Erinnerung daran, bei Ernsts Ehefrau auf den Anrufbeantworter gesprochen zu haben.

Der Nebenklage-Vertreter RA Matt fragte nach, ob Waldschmidt von RAin Schneiders, die jetzt Markus Hartmann verteidigt, auch verteidigt worden sei. Das bejahte Waldschmidt. Er habe sie beauftragt, nachdem Ernst unwahre Behauptungen über ihn gemacht habe und Strafanzeige gestellt habe. Heute sei sie nicht mehr seine Anwältin, weil ihr das Mandat von Hartmann angetragen worden sei. RA Kaplan fragte erneut nach der Unterstützungsanfrage von Ernst. Waldschmidt sagte, seine Antwort sei von wenig Empathie getragen gewesen: „Wie willst du Unterstützung erhalten, jetzt, wo du jemanden verraten hast?“ Da würde man zur „Persona non grata“.

Als zweite Zeugin wurde Claudia R. aus Magdeburg gehört, die als „Karibikschlumpfine“ mit dem Angeklagten Markus Hartmann gechattet haben soll. Sie sagte, dass sie sich auf der Plattform „lablue“ kennengelernt, Nummern ausgetauscht und dann per WhatsApp und telefonisch in Kontakt gestanden hätten. Über Politik hätten sie „überhaupt nicht“ gesprochen. Die „Böhsen Onkelz“ seien mal Thema gewesen; die könnte sie zuordnen, mache sie aber nicht. Sagebiel sagte daraufhin: „Die können wir alle zuordnen, die könnten möglicherweise etwas rechts sein, wäre das für Sie ein Ding gewesen?“ R. antwortete, dass sie erst jemanden kennenlerne, „vis à vis“, und dann Dinge zuordne. R. wurden dann die WhatsApp-Nachrichten vorgehalten, die auf das Datum des Mordes an Walter Lübcke datiert sind. Hartmanns Handy, 22:36: „Ist die Mature eigentlich unterwegs?“ Antwort 23:15: „ Huhu, bin noch bei Freunden, uffe.“ R. sagte, sie habe die Nachrichten gelöscht, habe das Handy der Polizei übergeben und könne sich nicht erinnern. Sie habe ihr Handy niemandem zur Verfügung gestellt, antwortete sie auf weitere Nachfragen.

Als dritte Zeugin wurde die Schwiegertochter von Walter Lübcke befragt. Sie wurde auf Antrag der Verteidigung von Markus Hartmann geladen, weil sie im Haus war, als ihr Schwiegervater auf der Terrasse erschossen wurde. In der Begründung der Verteidigung Hartmann war davon die Rede, dass sie daher die Rufe Lübckes, von denen Ernst in seinen letzten Geständnissen gesprochen hatte, gehört haben müsse. Die Zeugin beschrieb, dass sie im Wohnzimmer gearbeitet habe. Da dieses sehr weit weg von der Terrasse sei, hätte sie Rufe gar nicht wahrnehmen können. Die Musik der Kirmes sei sehr laut gewesen, weshalb sie die Rollläden an den Fenstern runtergelassen hatte. Sie habe gegen 23:00 die Strahler am Haus angeschaltet. Außerdem erzählte die Zeugin, dass sie ein Geräusch wahrgenommen habe, dass sie heute als den Schuss auf Walter Lübcke einordne. Es sei ihr unheimlich gewesen, daher habe sie danach aus Entfernung aus dem Küchenfenster gesehen. Nach dieser Vernehmung endete der Prozesstag.