„An ein solches Gespräch kann ich mich nicht erinnern.“ – Der Prozess gegen Franco Albrecht – 7. Verhandlungstag, 17. Juni 2021

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Am siebten Verhandlungstag war zuerst eine Sprachsachverständige geladen, welche die Anhörung von Franco Albrecht beim BAMF übersetzte, die teils in Französisch, teils in Deutsch abgehalten wurde. Im Anschluss wurde Maximillian Tischer geladen, der zeitweise als Mitverdächtiger im Verfahren geführt wurde. Die Vorwürfe gegen ihn wurden jedoch inzwischen fallen gelassen. In seiner Aussage berief er sich auf das Aussageverweigerungsrecht und Erinnerungslücken.

Als erste Zeugin am siebten Prozesstag wurde erneut die Sprachsachverständige R. geladen. Sie sollte den Audiomitschnitt übersetzen, den Franco Albrecht unter seinem Tarnidentität als syrischer Geflüchteter David Benjamin von seiner Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 7. November 2016 in Nürnberg anfertigte. Der Mitschnitt der Anhörung ist knapp 31 Minuten lang. Im Gerichtsprozess wurde abwechselnd der Mitschnitt im Original für einige Minuten abgespielt, woraufhin die Sachverständige den entsprechenden Part übersetzte. Unterbrochen wurde dieser Ablauf von einzelnen Nachfragen des Gerichts an die Sachverständige R.

In dem Mitschnitt sind drei unterschiedliche Personen zu hören: Ein Mitarbeiter des BAMF, der Albrecht Fragen stellt (auf Deutsch); eine Dolmetscherin, welche diese Fragen und Albrechts Antworten übersetzt (spricht deutsch und französisch); und Franco Albrecht (spricht französisch und gebrochenes Deutsch mit einem Akzent, der französisch wirken soll).

(Die verständlichen Teile des Audiomitschnitts sind im Folgenden kursiv geschrieben sinngemäß oder teils wörtlich wiedergegeben.)

Die Dometscherin sagt: „Daesh (der „Islamische Staat“) ist ein Teufel, die nehmen alles weg was sie besitzen“. Der Anhörer fragt: „Was würden Sie bei einer Rückkehr nach Syrien befürchten?“ Die Dolmetscherin übersetzt und fügt an: „Das gleiche Schicksal wie beim Islamischen Staat?“. Albrecht sagt auf gebrochen klingendem Deutsch, der Islamische Staat würde ihn töten.

Koller merkte hier im Prozess an, dass Albrecht in seinen Ohren so klinge wie jemand der Deutsch spricht aber versucht, einen französischen Akzent nachzuahmen. Die Sprachsachverständige pflichtete ihm bei: „Absolut, zum Teil ist es gelungen dies nachzuahmen:“

Der Anhörer des BAMF: „Warum befürchten Sie persönlich Probleme bei der Rückkehr nach Syrien?“. Die Dolmetscherin: „Weshalb haben Sie Angst, was erwartet Sie genau? Vielleicht der Tod?“ Albrecht (auf französisch): „Ah, ok d‘accord“, dann auf gebrochenem deutsch „Tod und Verfolgung. Weil ich Christ bin“.

Koller fragte die Sachverständige: „Wenn Sie sein Französisch hören, kann man ihn für einen Muttersprachler halten?“. Die Sachverständige antwortete: „Von der Aufnahme her nicht, nein. Die Dolmetscherin spricht kaum Französisch, sie hat das nie gelernt und mach viele Fehler.“ Koller: Und sie macht Vorgaben, was er sagen soll?“. Sachverständige: „Hier hat sie direkt geholfen“.

Albrecht begründet seine Angst vor Tod und Verfolgung mit dem Krieg in Syrien. Es folgen einige unverständliche Passagen. Dann sagt Albrecht auf Französisch, er wolle einen Antrag auf Leben stellen.

Die Sachverständige wirft hier ein, dass Albrecht für das Wort Asylantrag fälschlicherweise „Antrag auf Leben“ benutze.

Auf Nachfragen des Anhörers und Übersetzung der Dolmetscherin erzählt Albrecht die Geschichte seiner Tarnidentität: Er sei am 2. Februar 1988 geboren, sei auf einem Gymnasium zur Schule gegangen, habe aber kein Abitur gemacht, er hätte danach auf dem Feld gearbeitet. Er sei kein Polizist oder Soldat gewesen und hätte keiner politischen Gruppe angehört. Eines Nachts kam der IS, sein Bruder sei gestorben, er selbst sei durch einen Granatsplitter an der rechten Schulter verletzt worden. Er habe einen Cousin, aber wisse nicht wo dieser ist. Auch der Vater sei verschwunden. Am 29.12.2015 sei er in Deutschland angekommen. In Deutschland habe er keine Familienangehörigen und er habe keine gesundheitlichen Beschwerden mehr. Als der Anhörer keine weiteren Fragen mehr hat wird Albrecht von ihm und der Dolmetscherin verabschiedet, danach endet die Aufnahme.

Im Gerichtssaal hatte niemand mehr fragen an die Sprachsachverständige. Sie wurde dann als Zeugin entlassen.

Aussageverweigerung und Erinnerungslücken

Nach der Entlassung der Sprachsachverständigen betrat Maximilian Tischer mit seiner Rechtsanwältin Pia Gehrke aus Frankfurt den Zeugenstand. Nach den Angaben zur Person, bei denen Tischer angab von Beruf Soldat zu sein und in Magdeburg zu leben, wies ihn Richter Koller daraufhin, dass Tischer keine Fragen beantworten müsse, durch deren Antwort er selbst von einer Strafverfolgung betroffen sei. Koller fragte Tischer, ob dieser noch Kontakt zu Albrecht habe und ob er wisse, was Albrecht beruflich mache. Tischer antwortete, dass sie keinen Kontakt mehr hätten und er nicht wisse, was Albrecht beruflich mache. Sein letzter Stand hierzu sei von 2017. Der Richter Koller zeigte sich verwundert darüber, da Albrecht mit Tischers Schwester liiert sei und mit ihr gemeinsam wohne. Er fragte Tischer, ob dieser wisse ob die Familie mit Kindern nur von Albrechts gekürzten Bezügen der Bundeswehr lebe oder noch ein weiteres Einkommen habe. Tischer antwortete hierauf knapp, dass er keine Kenntnis habe. Zu Albrecht habe er keinen Kontakt, in Gesprächen mit seiner Schwester würden sie das ausblenden und nicht darüber reden, er wisse hiervon nichts.

Nach dem Gericht fragte der Bundesanwalt Bußkohl Tischer zur politischen Gesinnung des Angeklagten Albrecht und wie Tischer diese einschätze. Gegenüber dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) habe Tischer erzählt, dass er sich mit Albrecht über das Einwanderungs- und Sozialsystem unterhalten habe. Tischers Rechtsanwältin Gehrke erklärte hierauf, dass Tischer keine Angaben hierzu machen werde, da es unter den §55 StPO zum Aussageverweigerungsrecht falle, da er sich damit möglicherweise selbst beschuldige. Bußkohl entgegnete, dass er dies anders sehe und dies eine Überdehnung des §55 sei. Der Vorsitzende Richter Koller entgegnete darauf, dass er dies anders sehe und Tischer die Frage nicht beantworten müsse, da im Sinne der sogenannten „Mosaiktheorie“ die einzelne Frage ihn zwar strafrechtlich nicht direkt belaste, aber sich wie bei einem Mosaik aus der Zusammenschau von Informationen mit dieser Teilinformation Tischer sich letztlich doch selbst belasten könne. So sei Tischers Verfahren schließlich nur nach §170 Abs.2 StPO eingestellt, wonach bei erneuten belastenden Hinweisen die Strafverfolgung wieder aufgenommen werden könne.

Bundesanwalt Bußkohl formulierte die Frage daraufhin neu, Tischers Anwältin berief sich wieder auf das Aussageverweigerungsrecht und der Senat machte eine kurze Pause, um darüber zu beraten, ob Tischer die Frage beantworten müsse. Dies wurde nach der Pause vom Senat dann abgelehnt, weil es sich um eine Wertungsfrage handele, so Koller. Daraufhin wiederholte sich der Ablauf: Die Bundesanwaltschaft formulierte die Frage neu, Tischers Anwältin berief sich auf das Aussageverweigerungsrecht und der Senat unterbrach wieder für eine kurze Beratung. Nach dieser Beratung gab Koller bekannt, dass sie zu keinem Entschluss hierüber gekommen seien und länger benötigten um darüber zu entscheiden, ob Tischer antworten müsse. Nach einer weiteren kurzen Beratung, diesmal zwischen Bundesanwaltschaft und Tischers Anwältin, erklärte sich dieser bereit, auf die Frage zu antworten, da die GBA zugesichert habe, dass sie nur diese eine Frage stellen würden. Auf die Frage, ob er beim MAD eine solche Aussage über Gespräche mit Albrecht gemacht habe, antwortete Tischer nur knapp: „An ein solches Gespräch kann ich mich nicht erinnern.“ Die Anhörungen beim MAD dauerten mehrere Stunden, da könne er sich nicht erinnern, das so gesagt zu haben, so Tischer.

Mit dieser knappen Antwort endete die wenig aussagekräftige Vernehmung von Maximilian Tischer und er wurde als Zeuge entlassen. Damit fand auch der Verhandlungstag ein Ende, da der Senat die Vernehmung von dem ebenfalls geladenen Mathias Fl. an diesem Tag nicht mehr schaffen würden. Auch bei ihm kämen sie sicherlich in Grenzbereiche, was vom Aussageverweigerungsrecht gedeckt sei und was nicht, wenn auch nicht so wie bei Tischer, da Fl. bereits verurteilt wurde.

Der Bericht zum 7. Verhandlungstag bei NSU-Watch Hessen