Ambitionierte Planungen – Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern konstituiert sich

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Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat im Dezember 2021 einen neuen Untersuchungsausschuss zu NSU-Komplex und rechtem Terror beschlossen. Mehrere Parteien haben die Einsetzung eines neues Untersuchungsausschusses bereits vor der Landtagswahl im September 2021 angekündigt, weil der vorherige NSU-Untersuchungsausschuss seine Arbeit nicht beendet und viele Themenkomplexe nicht abgearbeitet hatte. Der Ausschuss wird sich heute, am 17. Januar 2022, konstituieren. Die inhaltlichen Vorhaben des Ausschusses gehen deutlich über das Thema NSU hinaus, es soll ein Blick auf wichtige militante rechte Strukturen des Bundeslandes inklusive des „Nordkreuz“-Netzwerks geworfen werden.

Im Antrag der Fraktionen von Linkspartei, SPD, Grünen und FDP heißt es, dass im NSU-Untersuchungsausschuss in der letzten Wahlperiode „(t)rotz umfangreicher Beweiserhebung (…) diverse Untersuchungsgegenstände unberücksichtigt und zahlreiche Fragen unbeantwortet“ geblieben seien.

Unsere Berichte zum ersten NSU-Untersuchungsausschuss Mecklenburg-Vorpommern.

Weiter heißt es im Antrag: „Aufgrund des nicht erfüllten Untersuchungsauftrages betrachtet es der Landtag als notwendig, die Aufklärungsarbeit des NSU-Untersuchungsausschusses auf der Grundlage des Einsetzungsantrages (…) sowie des Zwischenberichtes (…) fortzusetzen, zu vertiefen und zu erweitern.“ Der Landtag hat den Untersuchungsauftrag des kommenden „Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der NSU-Aktivitäten sowie weiterer militant rechter
und rechtsterroristischer Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern“ daher im Verhältnis zum letzten Ausschuss deutlich ausgeweitet.

Ein besonderer Schwerpunkt wird laut Einsetzungsantrag weiterhin auf der Aufklärung des NSU-Netzwerks in Mecklenburg-Vorpommern liegen. Untersucht werden soll außerdem der staatliche Umgang mit den Betroffenen der Taten des NSU. Ein zweiter Schwerpunkt des Ausschusses wird das rechtsterroristische „Nordkreuz“-Netzwerk mit Verbindungen in Politik, Polizei und Reservistenverband sein. Besonders interessant dürften die aufgefundenen Feindeslisten, Ausspähnotizen, Behördenmunition und die Rolle eines Schießplatzes in Güstrow werden. Zuletzt erhielt der ehemalige Innenminister des Landes, Lorenz Caffier, einen Strafbefehl, weil er sich mutmaßlich eine Waffe vom Betreiber dieses Schießplatzes und zwischenzeitlichen „Nordkreuz“-Mitglieds, Frank T., hatte schenken lassen (Bericht des NDR).

Der Ausschuss soll außerdem die militante Kampfsportgruppierung „Baltik Korps“ in den Fokus nehmen, die bis zu ihrem Verbot im Juni 2021 nicht auf den „Tag X“ warten wollte, weil, so ihre Selbstdarstellung, „wir der ‚Tag X‘ sind“ (Bericht des Antifa Infoblatts). Akteure dieser extrem rechten Gruppierung waren unter anderem in nationale wie internationale Netzwerke wie „Kampf der Nibelungen“ eingebunden. Alexander Deptolla vom „Kampf der Nibelungen“ lief zuletzt Anfang Januar 2022 gemeinsam mit dem Neonazi-Altkader Christian Worch auf einer Demonstration von Pandemieleugner*innen in Rostock mit.

Nachdem es im Zuge des Verbots des rechtsterroristischen Combat 18-Netzwerks im Januar 2020 auch eine Durchsuchung in Mecklenburg-Vorpommern gab, will der Ausschuss auch dieses Netzwerk ebenfalls beleuchten. Er will prüfen, ob die Aktivitäten des im September 2000 verbotenen Netzwerks „Blood & Honour“ weitergeführt wurden und welche Rolle die „terrorbefürwortende“ Propaganda des bewaffneten Blood & Honour-Arms Combat 18 in der rechten Szene spielt.

Ein im vorpommerschen Anklam lebendes Führungsmitglied der rechtsterroristischen Gruppe Oldschool Society (OSS) wurde im Oktober 2019 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt (Bericht der „Zeit“). Der Untersuchungsausschuss will prüfen, welche weiteren Verbindungen die wegen rechtsterroristischer Planungen in den Fokus geratene OSS nach Mecklenburg-Vorpommern unterhielt.

Schließlich soll der Ausschuss auch prüfen, welche Rolle die Neonazi-Szene des Bundeslandes bei den Anschlagsplanungen auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums München am 9. November 2003 aus den Reihen der „Kameradschaft Süd“ spielte. Der aus Anklam stammende Kopf der „Kameradschaft Süd“, Martin Wiese, unterhält nach wie vor Szenekontakte in Mecklenburg-Vorpommern. Im August 2020 besuchte er eine „Querdenken“-Demonstration in Berlin – gemeinsam mit dem Neonazi Dirk B., gegen den bereits 2003 im Zusammenhang mit den Anschlagsplanungen ermittelt wurde (Bericht von Exif-Recherche). Im Zusammenhang mit dem Thema „Kameradschaft Süd“ will der Ausschuss insbesondere den Waffenhandel in der extrem rechten Szene beleuchten.

Diese ambitionierten Planungen sind mit Blick auf die unvollständige Aufklärung des NSU-Komplexes und auf die Kontinuitäten und die Aktualität rechten Terrors wichtig. NSU-Watch wird die Arbeit des Untersuchungsausschusses kritisch begleiten und berichten, ob der Ausschuss seinen hochgesteckten Zielen nahekommt.