von Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In)
Das Fazit der Christopher Street Days (CSD) in Deutschland des letzten Jahres ist erschreckend: 2024 fanden bundesweit über 200 CSDs statt, aber 32 von ihnen wurden durch angemeldete extrem rechte Demonstrationen und/oder Kundgebungen bedroht. Im Umfeld von 68 CSDs kam es zu Störungen und Angriffen auf Teilnehmende sowie die Infrastruktur. Die Mobilisierungen des militanten Neonazi-Spektrums erreichten damit insgesamt ähnliche Ausmaße wie frühere große Themen der NS-Verherrlichung, etwa das Gedenken an Rudolf Heß oder die Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg.
Alles lässt darauf schließen, dass ähnliche Angriffe auch die diesjährige Pride-Saison überschatten werden. In diesem Text wollen wir einen Überblick geben, was wir über die neonazistischen Angriffe aus dem letzten Jahr wissen: Wie viele CSDs wurden von Nazis angegriffen? Wie viele organisierte neonazistische „Gegen-Demonstrationen“ gab es? Wie viele CSDs und Prides wurden gestört? Wie oft kam es auf den An- und Abreisen oder im Vorfeld des CSD zu Übergriffen, Angriffen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen? Und wer sind die Organisator*innen der „Gegen-Demonstrationen“, wer die Teilnehmenden?
Die Datenlage

Lediglich 60 % der CSDs blieben störungsfrei. Zu ihnen sind keine queerfeindlichen Vorfälle oder rechten Demonstrationen bekannt geworden. Gerade für Störungen, Drohungen und Angriffe dürfte das Dunkelfeld aber enorm sein, denn viele Taten werden nicht gemeldet.
Ende des Jahres 2024 gab es zwei Versuche, die queerfeindlichen Aktivitäten von Neonazis bundesweit zu fassen: eine Kleine Anfrage von einer Gruppe Linken-Abgeordneter im Bundestag, die auf das Ausmaß der Angriffe, die Akteur*innen und staatlichen Gegenmaßnahmen fokussierte [1], und eine Auswertung des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)[2]. Beide zogen mäßig viel Medienaufmerksamkeit nach sich, das kurzzeitige Interesse für das Thema schien bereits wieder abgeflaut zu sein. Während die Kleine Anfrage vor allem ergab, dass die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden nahezu keine Daten über das Phänomen vorliegen haben oder erheben können, fokussierte die CEMAS-Recherche auf die angemeldeten Demonstrationen der extremen Rechten und auf die damit verbundenen Mobilisierungen in sozialen Medien. Hinzu kommen einige kritische Beiträge, Statements, Dokumentationen, Kleine Anfragen und Recherchen, die sich jedoch meist auf Einzelfälle oder einzelne Bundesländer fokussierten. Für Sachsen, ohne Zweifel der Hotspot antifaschistischer Abwehrkämpfe, hat Queer Pride Dresden Ende 2024 auf ihrem Blog den lesenswerten Beitrag „Rechtsextreme gegen CSDs 2024 – Daten, Analysen, Strategien“ veröffentlicht [3], in dem sie ebenso wie wir auf Leerstellen und zu niedrig angesetzte Zahlen in den bundesweiten Analysen hinweisen. Etwas Vergleichbares ist uns aus anderen Bundesländern nicht bekannt.
Die Faktenlage ist also unübersichtlich und überregional kaum vergleichbar: Es gibt im Bundesgebiet keine zivilgesellschaftliche und keine behördliche Monitoringstelle, die die queerfeindliche Gewalt erfassen würde und keine, die das Aufmarschgeschehen der extremen Rechten flächendeckend beobachtet. Die Quellen unserer Analyse setzen sich aus lokalen und überregionalen Presseberichten, Chroniken der Opferberatungsstellen und Mobilen Beratungsteams, Social Media Accounts der CSDs, antifaschistischen Recherche-Blogs und Publikationen, parlamentarischen Kleinen Anfragen in den Landtagen (auch hier besonders aktiv: die Linke in Sachsen) und im Bundestag, der CEMAS-Recherche und Berichten lokaler Antifa-Strukturen zusammen. Zudem haben wir eine Reihe von Berichten, Fotos und Social Media-Beiträgen der beteiligten rechten Strukturen gesichtet.
„Gegendemos“ und „Störungen“ – Formen von rechten Aktivitäten gegen CSDs
In der medialen Berichterstattung sowie in der öffentlichen Debatte über die Angriffe des letztjährigen Prides dominieren nicht selten verharmlosende Begrifflichkeiten. So werden die neonazistischen Mobilisierungen im Kontext von CSDs und Prides von Sicherheitsbehörden und Medien als „Gegendemonstrationen“ oder „Gegenprotest“ bezeichnet. Es ist richtig, dass Christopher Street Days politische Manifestationen sind und sein sollten – Stonewall was a riot – , aber sie sind eben auch die organisierte Sichtbarkeit queeren Lebens und Begehrens an einem Ort, an einem Tag: Als kommerzielles Spektakel für Hunderttausende in den Großstädten oder als sommerliches Volksfest mit Spielmannszug im Ländlichen. Die Neonazis vertreten mit ihren Gegenmobilisierungen aber nicht einfach eine gegenteilige Position zu einer politischen Frage, sie greifen die Existenz queeren Lebens an sich an und alles, was sie damit in Verbindung bringen. Das Wording von einer rechten „Gegendemonstration“ ist also arg verharmlosend und eine fatale Täter*innen-Opfer-Umkehr: Würden wir nicht auf die Straße gehen, würden wir auch nicht angegriffen? Das Gegenteil ist der Fall: Queerfeindlichkeit hat in den letzten Jahren auf allen Ebenen – Gewalt, Hasskriminalität, Zurückdrängen von bereits erreichten rechtlichen Verbesserungen, rechte Narrative und Kampagnen – massiv zugenommen, Transfeindlichkeit und insbesondere Transmisogynie stechen dabei als verbindende Klammer unterschiedlicher Akteur*innen hervor. So hat insbesondere die extreme Rechte in den letzten Jahren systematisch Unwahrheiten über vermeintliche Gefahren verbreitet, die drohten, wenn geschlechtliche und sexuelle Vielfalt (insbesondere für Kinder) anerkannt würden, und krasse Angst- und Bedrohungsszenarien geschürt. Damit konnte sie auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft punkten.

Keine „Gegendemo“, sondern eine umfassende Disziplinierungs- und Gewaltandrohung gegen alle, die nicht hinter dem Banner stehen: Neonazis in Bautzen im August 2024. Foto: Presseservice Rathenow.
Das verharmlosende Wording von den „Gegendemos“ hat auch den Fokus verengt und dazu geführt, dass bisher nahezu ausschließlich angemeldete Demonstrationen queerfeindlicher Akteur*innen beobachtet und analysiert wurden, die aber nur einen kleinen Teil des Ausmaßes und der Dimensionen der Angriffe auf Prides ausmachen. Wir haben breiter geschaut und sowohl die angemeldeten Demonstrationen als auch alle anderen Aktivitäten von extrem rechten und anderen queerfeindlichen Akteur*innen im direkten Umfeld der CSDs gesammelt; entsprechend unterscheiden wir zwischen „queerfeindlichen Demonstrationen“ und „Störungen“, wobei letzteres ein breites Feld umfasst: vom Entfernen von Pride-Fahnen über Pöbeleien am Rand bis hin zu körperlichen Angriffen auf Pride-Teilnehmende vor, während und nach den CSDs.
Um nur eine kleine Auswahl von Beispielen für diese „Störungen“ zu nennen: Mitglieder der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg steckten im Vorfeld Flyer in die Briefkästen entlang der Route des CSD (Oranienburg). Drei Jugendliche beleidigten nach dem CSD andere Jugendliche und bedrohten sie mit einem Messer (Kaufbeuren). Buttersäure wurde auf dem Versammlungsplatz ausgegossen (Döbeln). Eine Gruppe vermummter Nazis umkreiste den CSD, machte Fotos, beleidigte und provozierte. Ein Banner mit „Faeser muss weg #compact“ wurde in der Nähe aufgehängt und Pyrotechnik gezündet (Minden). Zu vermuten ist bei den Störungen ein hohes Dunkelfeld, weil sich CSD-Teilnehmende nicht immer an Opferberatungsstellen und/oder die CSD-Organisator:innen wenden, die wiederum ihrerseits die Meldung eines Vorfalls an Polizei, Presse und/oder zivilgesellschaftliches Monitoring weitergeben können. Wie bei allen menschenverachtenden, diskriminierenden Gewalttaten trägt die breite gesellschaftliche Homo- und Transfeindlichkeit dazu bei, dass die Betroffenen nicht darauf vertrauen können, ernst genommen zu werden, ihre Erfahrung richtig eingeordnet zu sehen und Gerechtigkeit zu erfahren. Derweil sehen die Täter*innen ihre Gewalt nicht nur durch den Zuspruch in der eigenen Szene, sondern auch durch die steigende gesellschaftliche Akzeptanz rechter, insbesondere queerfeindlicher, Menschenverachtung legitimiert.
Eine weitere Ebene, nämlich die digitale Gewalt in Form von umfassenden Anfeindungen der CSDs, ihrer Organisator*innen, Teilnehmer*innen sowie lokal bekannter queerer Personen auf Social Media Plattformen, insbesondere Hate Speech und Shit Storms von Einzelpersonen wurden bislang ebenfalls kaum analysiert – eine Leerstelle, die auch wir in diesem Text nicht füllen können.
Gesamtbild

In der Pride-Saison 2024 fanden mindestens 209 CSDs statt mit ein- bis siebenstelligen Teilnehmendenzahlen. Über das gesamte Bundesgebiet wurden 40 % der CSDs und Prides auf unterschiedliche Weise angegriffen.
In Deutschland haben in der Pride-Saison von Ende April bis Mitte Oktober 2024 209 CSDs und Prides stattgefunden, meist als Demonstration oder Umzug, teilweise als stationäre Kundgebung mit Straßenfest.[4] Die Teilnehmendenzahlen reichen von acht im sächsischen Erzgebirge Limbach bis 1,4 Millionen in Köln. In 32 Orten gab es anlässlich des CSD eine (extrem) rechte Demonstration, Kundgebung oder Massenmobilisierung, das sind bundesweit über 15 % aller CSDs. Die größte organisierte queerfeindliche Mobilisierung war der Neonaziaufmarsch in Bautzen am 10. August, bei dem 720 Neonazis auf 1000 CSD-Teilnehmende trafen. In dessen Folge nahmen die organisierten Naziaktivitäten stark zu – wie so oft kamen ein lange gepflegtes Thema und eine aus Nazisicht erfolgreiche Mobilisierung zusammen und erzeugten eine ungute Dynamik, in der viele andere (extrem) rechte Akteur*innen in anderen Regionen diesem Beispiel zu folgen versuchten.
Doch auch schon vorher und nicht nur in Ostdeutschland hatten sich Neonazis versammelt, um Prides anzugreifen, beispielsweise am 1. Juni in Dresden 100 Neonazis oder 40 am 22. Juni in München. An den auf Bautzen folgenden Wochenenden verzeichneten die rechten Demonstrationen anlässlich eines CSDs dann immer Teilnehmendenzahlen im unteren bis mittleren dreistelligen Bereich.
Im Kontext von mindestens 68 CSDs, also bei 32,5 % der CSDs, wurden Störungen, Sachbeschädigungen, verbale und/ oder körperliche Angriffe auf Teilnehmende vermeldet. Da bei vielen CSDs sowohl eine organisierte (extrem) rechte Demonstration als auch Störungen, also Bedrohungen oder Angriffe außerhalb der angemeldeten Veranstaltungen stattfanden (nämlich bei 8,1 % aller CSDs), lässt sich in der Summe sagen, dass fast 40 % aller CSDs und Prides von Neonazis und anderen Rechten auf unterschiedliche Art und Weise queerfeindlich angegriffen wurden.
In Sachsen haben eindeutig die häufigsten und größten organisierten Nazimobilisierungen stattgefunden. Queer Pride Dresden, die die Zahlen auch im Verhältnis zu den Vorjahren beurteilen, schreiben: „Zu den rechten Gegenaktivitäten konnten ca. 2.600 Personen mobilisiert werden, ein enormer Anstieg. Gab es bislang nur vereinzelte Proteste und Angriffe, beispielsweise in Pirna 2017, Döbeln 2022 und Radebeul 2023 sind nun 2/3 aller CSDs im Freistaat davon betroffen.“ [5]
In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gab es deutlich weniger CSDs, die relative Anzahl von Störungen und Demonstrationen war jedoch ebenfalls sehr hoch: in Thüringen wurden fünf von acht CSDs gestört, in Mecklenburg-Vorpommern gab es bei zwei der fünf CSDs Demos, bei zwei weiteren Störungen ohne Demos. In Brandenburg gab wurden von den insgesamt 14 CSDs und Prides neun gestört (64 %), allerdings bei nur einer angemeldeten rechten Demo. In Sachsen-Anhalt verliefen immerhin vier der zehn CSDs ungestört, doch bei drei gab es Demos inklusive Störungen, bei drei weiteren Störungen ohne Demos oder Kundgebungen.

Die Verteilung der CSDs je Bundesland, unterteilt in störungsfreie CSDs, CSDs mit Störungen, CSDs mit (extrem) rechter Demonstration, CSDs mit (extrem) rechter Demonstration und Störungen.
Die Verhältnisse in den West-Bundesländern sind größtenteils anders, aber auch in Bayern waren 5 von 34 CSDs mit organisierten rechten Demonstrationen und Kundgebungen konfrontiert (14,7 %) und sieben mit Störungen. In Baden-Württemberg waren es jeweils drei von 23 (13 %; keine rechte Demonstration und Störung in Verbindung miteinander). In Schleswig-Holstein gab es zwar keine rechten Demonstrationen, aber es kam bei vier von zehn CSDs zu Störungen (40%). In Niedersachsen gab es bei 6 von 23 CSDs (26 %) Störungen, bei zwei rechten Demonstrationen. Auch hier war also eine signifikante Anzahl der Prides Störungen und Demonstrationen ausgesetzt. Auch zu den ganz großen CSDs in den Metropolen Berlin und Köln fanden sich Gruppen von Neonazis zusammen, die stören und vermutlich Queers auf der An- oder Abreise angreifen wollten.
In kleineren Städten und bei kleineren CSDs kann aber das Kräfteverhältnis grundsätzlich schnell kippen, im Osten wie im Westen. So standen in Albstadt/Ebingen in Baden-Württemberg am 6. September 2024 mindestens 80 Neonazis 400 CSD-Teilnehmenden gegenüber. Entsprechend ist für die Einschätzung einer Bedrohungslage nicht unbedingt die Lage in West oder Ost entscheidend, sondern ein Stadt-Land-Gegensatz.
Erstmalige CSDs und politische CSDs nicht besonders gefährdet
39 der 209 bundesdeutschen CSDs fanden 2024 erstmals statt, das sind somit immerhin 18,7 %, verteilt über das gesamte Bundesgebiet: Limbach (Sachsen), Herzberg im Harz (Niedersachsen), Heilbronn (Baden-Württemberg), Hof (Bayern), Sonneberg (Thüringen), Itzehoe (Schleswig-Holstein) oder Zeitz (Sachsen-Anhalt) zählen zu den Newbies in der wachsenden CSD-Familie. Genauso wenig wie es eine offensichtliche Häufung von neuen Prides in bestimmten Gegenden zu geben scheint, genauso wenig lassen sich Rückschlüsse auf die Bedrohungslage ziehen: Viele neue CSDs blieben unbehelligt, viele wurden bedroht, in kleinen Städten, in großen, in Ost und in West: In Euskirchen in Nordrhein-Westfalen hatte der erste CSD der Stadt am 17. Mai 2024 schon im Vorfeld Drohungen erhalten, CSD-Teilnehmende wurden am Bahnhof von Jugendlichen beleidigt und bespuckt. In Eberswalde, Brandenburg, hingegen versammelten sich am 8. Juni ca. 1000 Menschen zum ersten CSD auf der Straße. Hier blieb es laut unseren Erkenntnissen friedlich, störungsfrei und es gab keinen organisierten rechten Protest.

39 der 209 bundesdeutschen CSDs fanden 2024 zum ersten Mal statt. Einen Zusammenhang zwischen Erstmaligkeit und queerfeindlichen Angriffen und rechten Demonstrationen konnte nicht festgestellt werden.
Die Zahlen lassen auch keinen Zusammenhang zwischen dem Motto oder der politischen Ausrichtung des CSDs bzw. der Pride und der Wahrscheinlichkeit von rechten Gegenmobilisierungen erkennen. CSDs, die mit einer bunten karnevalesken Parade, einem Regenbogenvolksfest mit Prosecco und Bratwurst, mit Dragshows und Schlagern schwul-lesbisches und queeres Leben sichtbar machen und feiern, wurden genauso Zielscheibe von angemeldeten rechten Demonstrationen und Kundgebungen, Angriffen und Störungen wie queere Prides, die mit klaren linken Botschaften nach außen traten, etwa durch Bezüge auf das Erstarken rechtsextremer Einstellungen in der Gesellschaft, gegen die AfD oder in Solidarität mit Geflüchteten. Letztere erinnerten zudem daran, dass „Stonewall was a Riot“ bedeutet, dass Kommerzialisierung und Entpolitisierung sowie vermeintliche politische Neutralität in der eigenen Szene langfristig ein Problem darstellen können. Entpolitisierte Prides verschleiern nicht nur die andauernde weltweite Diskriminierung, Gewalt und Benachteiligung von queeren Menschen, insbesondere jene von nicht nicht-weißen, nicht-cisgeschlechtlichen, sexarbeitenden, behinderten und nicht-wohlhabenden LGBTIQA+Personen, sondern verkennen auch die andauernde Notwendigkeit politischer Kämpfe. Gerade die Anmeldungen von Winterprides gegen rechts 2024 / 2025 zeigen jedoch, dass dies großen Teilen der queeren Szene(n) durchaus bewusst ist und sich in Aktivität übersetzt.
Nazi-Mobilisierungen

Die (extrem) rechten Aktivitäten gegen CSDs im Jahr 2024 waren dezentral, in ihrer Summe aber die zahlenmäßig größte extrem rechte Mobilisierung in den letzten Jahren, mit Häufung in Sachsen.
Dort, wo die Nazistrukturen gut dokumentiert sind, zeichnet sich immer dasselbe Muster ab: Die Anmeldungen werden von etablierten Strukturen vorgenommen, die (Online-)Mobilisierung von jüngeren Gruppen, die oft erst im Zusammenhang mit den Aktivitäten gegen CSDs öffentlich in Erscheinung treten. Im letzten Jahr wurden die meisten Anmeldungen von extrem rechten Kleinstparteien vorgenommen, also der „Heimat“, Junge Nationaldemokraten (JN) und Der III. Weg, teils auch gemeinsam.
Die AfD meldete nur in Baden-Württemberg Demonstrationen an (Überlingen sowie Ulm, wo aber die angemeldete AfD-Demo kurzfristig abgesagt wurde) und eine in Bayern (Wasserburg). Die AfD trat zudem eher in anderen Rollen in Erscheinung: Sie meldete lokale Infostände in der Nähe der CSDs an. In München sammelten sich so in zeitlicher, nicht aber in direkter räumlicher Nähe zum CSD, immerhin 30-50 Rechte an. In mehreren Fällen wurden Abgeordnete der Partei oder Mitglieder der JN beobachtet, wie sie CSD-Teilnehmende bedrängten, in oder neben der Demo Fotos oder Livestreams machten, oder an Veranstaltungen anderer rechter Akteur*innen teilnahmen. In Koblenz wiederum organisierte die AfD zeitgleich mit dem CSD ein Treffen rechtsextremer Netzwerke im Wahlkreisbüro von Joachim Paul (AfD) u.a. mit Compact und der Rheinlandrevolte. [6]
Die Stadt Leverkusen sah am 1. Juni 2024 auch ihren ersten CSD „Pride am Rhein“, an dem 1.000 Queers teilnahmen. Die rechte Splitterpartei „Aufbruch Leverkusen“ unter Markus Beisicht hatte die Kundgebung „Leverkusen braucht keinen CSD“ angemeldet, den Fotos nach zu urteilen kamen rund 10-15 Personen, die sich weitab vom CSD noch einer Vielzahl antifaschistischer Gegendemonstrant*innen gegenübersah.
Für die neueren Gruppen kann vermutlich die Entwicklung der „Elblandrevolte“ als typisch angesehen werden, die das Antifa Recherche Team Dresden herausgearbeitet hat: Entstanden als ein Ableger der JN, haben sich die erfahreneren Personen aus der Gründungsphase schnell zurückgezogen, während die Gruppe nun aus nur wenigen, teils wechselnden Aktivist*innen besteht, die jedoch auf die Unterstützung erfahrener Kader bauen können und Kontakte zu (vor allem) JN-Strukturen in Sachsen und bundesweit suchen. Die Mobilisierungsfähigkeit und vor allem die Online-Präsenz der Elblandrevolte suggerieren allerdings deutlich höhere Mitgliederzahlen als tatsächlich vorhanden sind. So ist es die aufgeregte, aber manchmal dünn recherchierte Berichterstattung großer Medien, die dem Dutzend Nazis dabei hilft, sich viel größer darzustellen und zu fühlen. [7]
Vermutlich auch inspiriert durch den medialen Erfolg der Elblandrevolte, der auch im Zuge der Beteiligung eines ihrer Mitglieder an einem Angriff auf einen SPD-Abgeordneten entstand, gründeten sich eine Reihe weiterer Neonazigruppen mit ähnlichen Namen und ähnlichem Konzept: Sachsen-Anhalt Revolte, Pforzheim Revolte, Elbjugend sowie Deutsche Jugend Zuerst als Abbild der ebenfalls erfolgreichen Deutsche Jugend Voran. Bei den meisten sind einzelne ältere Kader sichtbar, oft aus Parteistrukturen, die ein Interesse an Einbindung und Verstetigung haben. Sachsen-Anhalt Rechtsaußen sieht z.B. die Elbjugend Magdeburg als einen Versuch, eine Reihe von aktionsorientierten Jugendlichen an die JN zu binden. [8]
Auch dort, wo es keine angemeldeten neonazistischen Demonstrationen gab, können antifaschistische Recherchestrukturen die rechten Angreifer*innen auf die CSDs diesen neuen rechten Gruppen zuordnen: In Berlin sammelten sich 30 Neonazis von “Deutsche Jugend Voran” DJV [9] bevor sie von der Polizei aufgegriffen wurden, in Köln ein gutes Dutzend Männer, die inzwischen “Der Störtrupp” DST zugeordnet werden. [10] Im Südwesten griffen Neonazis unter dem neuen Label “Unitas Germanica” CSDs an. [11] Aufgrund ihres hohen Gewaltpotentials sind mehrere größere Medien auf diese Gruppen aufmerksam geworden, ebenso wie auf die sogenannten Active Clubs, in denen zunächst scheinbar unpolitische junge Männer zusammen Kampfsport trainieren. Sie sind aber angelehnt an eine Organisationsform der nordamerikanischen extremen Rechten die Steigerung ihrer Wehrhaftigkeit als Vorbereitung sehen, um den imaginierten „weißen Genozid“ zu verhindern.
Es ist auffällig, dass alle diese Gruppen, die sogar vom notorisch langsamen Verfassungsschutz als eine neue extrem rechte Jugendbewegung diskutiert werden, im Zusammenhang mit sowohl angemeldeten Demonstrationen als auch gewalttätigen Angriffen auf CSDs vorkommen. Das bedeutet, dass Queerfeindlichkeit bei jungen, frisch politisierten Neonazis eine besondere Rolle spielt. Die älteren Strukturen hingegen lassen das Thema schon lange eher am Rande mitlaufen. Während die AfD und christliche Fundamentalist*innen (“Im Namen des Herrn” in Remscheid sowie das christlich-rechte Querdenker-Milieu von “Team Menschenrechte” in Erlangen und Nürnberg) seit geraumer Zeit Queerfeindlichkeit unter dem Deckmantel eines vermeintlichen „Kinderschutz“ verbreiten, steht bei aktionsorientierten Neonazi-Gruppen im Vordergrund, ihren „Nazikiez“ von queeren Einflüssen zu säubern und ein Klima der Angst zu verbreiten.
Alleinig Der III. Weg hatte bereits seit 2021 u. a. in Olpe, Weißenfels, Ravensburg, Stuttgart, Reutlingen und Berlin gegen CSDs zu mobilisieren versucht, jedoch mit deutlich weniger Erfolg.
Dennoch kann Queerfeindlichkeit bei den Mobilisierungen gegen die CSDs nicht als „Scharnierfunktion“ zwischen extremer Rechter und breiteren gesellschaftlichen Kreisen verstanden werden, denn das Auftreten der Neonazis zeigt deutlich, dass es ihnen nicht um Anschlussfähigkeit geht. Sie suchen keine Bündnisse mit anderen konservativen Akteur*innen oder der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Es geht ihnen auch nicht in erster Linie darum, andere von ihren Standpunkten zu überzeugen, sondern vielmehr ein Klima der Angst zu verbreiten. Kombiniert mit dem hohen Gewaltpotential, dem nahezu uniformierten Auftreten und den aggressiven Parolen, in denen nicht nur Queers, sondern vornehmlich Linke, Antifas und “Nicht-Deutsche” angegriffen wurden, legen die Aktivitäten nahe, dass es vor allem um Dominanz im (klein)städtischen Raum geht, eine Art national und heteronormativ befreite Zone. [12]
Zusammenfassung und Ausblick
Die Aktivitäten gegen CSDs im Jahr 2024 stellen die zahlenmäßig größte extrem rechte Mobilisierung der extremen Rechten in den letzten Jahren dar, dezentral zwar, aber aus deren Sicht ungemein erfolgreich. Ein einfach und breit verfügbares Thema, Queerfeindlichkeit, wird für erlebnisorientierte Ausflüge genutzt, bei denen oftmals völlig unvorbereitete CSD-Teilnehmende eingeschüchtert und bedroht werden. Die Neonazis können dabei auf ein gesellschaftliches Klima bauen, in dem es fatalerweise ziemlich normal erscheint, dass die einen einen CSD machen und die anderen halt dagegen protestieren.
Unsere Auswertung zeigt eine signifikant höhere Anzahl von angemeldeten Neonazi-Demonstrationen im Zusammenhang mit CSDs als alle bisherigen Analysen und Zählungen. Erstmals haben wir auch alle dokumentierten Angriffe, die nicht im Rahmen angemeldeter Demonstrationen stattfanden – von Sachbeschädigungen bis zu Körperverletzungen – unter dem Begriff „Störungen“ erfasst und so das ganze Ausmaß von extrem rechter Queerfeindlichkeit sichtbar gemacht.
Die Nazimobilisierungen leben von einer Gleichsetzung von queer und links, und beides wird als Feind markiert – unabhängig von der Ausrichtung der CSDs werden diese als Ausdruck einer als vermeintlich links ausgerichteten Gesellschaft wahrgenommen. Die Politisierung, die einige CSD-Organisator*innen nicht (mehr) haben wollen, wird so notwendigerweise wieder an sie herangetragen, denn ein langfristiges Ziel dieser Angriffe ist die Entsolidarisierung von bürgerlichen Akteur*innen und letztlich die Verunmöglichung von CSDs – mit dem Hinweis auf die Sicherheitslage, aber aus politischen

Proteste anlässlich rechter und antifeministischer Mobilisierung gegen eine Drag Lesung in München 2023. Foto: Lina Dahm
Gründen. Die Erfahrungen der letzten Jahre beispielsweise in Polen, wo CSDs mittlerweile einer umfassenden Diskriminierung und in Ungarn sogar einem Komplettverbot ausgesetzt sind, zeigen, wohin die Entwicklung gehen kann, wenn nicht eine ausreichend breite gesellschaftliche Front sich gegen die Naziangriffe stellt. Weder die Demonstrationen noch abendliche Parties etc. sollten mit dem Verweis auf Nazidrohungen abgesagt oder verlegt werden können.
Denn das würde genau das bedeuten, was die Nazis wollen: Dominanz über (klein-)städtische Räume, in denen ihr Diktum „weiß, normal und hetero“ alles umfasst, was sich noch nach draußen trauen soll. Dies geschieht über explizite Gewaltandrohungen, ein martialisches Auftreten und konkrete physische Angriffe.
Die neonazistischen Mobilisierungen gegen die CSDs sind weder vom Himmel gefallen, noch finden sie in einem luftleeren Raum statt. Extrem rechte, konservative und christlich-fundamentalistische Akteur*innen arbeiten seit Jahren gegen queere Sichtbarkeit, versuchen, erkämpfte rechtliche Verbesserungen und gesellschaftliche Akzeptanz wieder zurückzudrängen und die vermeintlich natürliche Ordnung von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität wieder herzustellen. Die queerfeindlichen Einstellungen mit ihrem inhärenten Mobilisierungs- und Gewaltpotenzial, wo sich aktionsorientierte organisierter Jungmännerbünde auf der Straße und in den Schulen formieren, werden im Kontext des sich zuspitzenden weltweiten Aufschwung der (extremen) Rechten weiterhin unterschätzt. Hier zeigen sich erneut die Leerstellen in der Analysefähigkeit der weiterhin cis-männlich dominierten Rechtsextremismusforschung in Bezug auf Gender und Sexualität.
Gleichzeitig ist auch klar, dass alle queerpolitischen Errungenschaften der letzten Jahre auf Sand gebaut sind, wenn sich nicht alle den Angriffen von rechts stellen: Auch queere Konservative und saturierte Großstadtbewohner*innen, die grundsätzlich queere Sichtbarkeit akzeptabel finden, können nicht ignorieren, dass LGBTIQA+ nicht nur am Christopher Street Day und nicht nur im ländlichen Raum angegriffen werden. Die Parole “weiß, normal und hetero” ist schließlich eine umfassende Disziplinierungs- und Gewaltandrohungen.
In diesen Artikel sind auch Einschätzungen und Erfahrungen eingeflossen, die wir auf verschiedenen Vernetzungstreffen mit Organisator*innen und Teilnehmenden vieler CSDs und Prides sowie queerfeministischen Solistrukturen ausgetauscht haben, vielen Dank! Wir danken auch den vielen antifaschistischen Recherche- und Publikationsstrukturen, NSU-Watch und den Fotograf*innen für ihre unermüdliche Arbeit. Und ein ganz großer Dank geht an Nina Arthur für die erstellten Karten und Grafiken. Für Korrekturen, Anmerkungen, Fragen und Austausch sind wir erreichbar unter ak_fein@riseup.net
Fußnoten:
[1] Drucksache 20/12792 und die Antwort der Bundesregierung Drucksache Nr. 20/13144, 23.9.2024, https://dserver.bundestag.de/btd/20/131/2013144.pdf.
[2] Jessa Mellea, Joe Düker: Eine neue Generation von Neonazis: Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Jugendgruppen im Internet. November 2024, online: https://cemas.io/publikationen/neue-generation-neonazis-mobilisierung-gegen-csd-veranstaltungen/cemas_-_2024-11_-_research_paper_-_neue_generation_neonazis.pdf.
[3] QueerPride Dresden: Rechtsextreme gegen CSDs 2024 – Daten, Analysen, Strategien, 15.11.2024, online: https://www.queerpridedd.org/index.php/2024/11/15/rechtsextreme-gegen-csds-2024-daten-analysen-strategien/.
[4] Drei weitere CSDs wurden aus unterschiedlichen Gründen durch die Organisator*innen abgesagt.
[5] QueerPride Dresden: Rechtsextreme gegen CSDs 2024 – Daten, Analysen, Strategien, 15.11.2024, online: https://www.queerpridedd.org/index.php/2024/11/15/rechtsextreme-gegen-csds-2024-daten-analysen-strategien/.
[6] Die Linke schreibt dazu: „In der Nacht ereignete sich ein Angriff auf eine queere Person aus dem Awareness-Team des CSD während der Einsatzzeit. Es liegt nahe, dass es sich bei den Täter*innen um rechte Personen handelt, die wohl das am selben Tag stattgefundene Treffen rechtsextremer Netzwerke im Wahlkreisbüro von Joachim Paul (AfD) besucht hatten und anschließend am Abend gezielt queere Menschen aufsuchten, um ihrem Hass Taten folgen zu lassen. Einen Tag vor der CSD-Pride wurde bekannt, dass Joachim Paul diese Veranstaltung in seinem Büro stattfinden lässt. Geladen waren u.a. Paul Klemm vom rechtsextremen Propagandablatt „Compact“ sowie Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung „Revolte Rheinland“. Einige Tage vor dem Vorfall wurden nationalsozialistische Parolen in Ehrenbreitstein gerufen, einige Tage später eine Regenbogenfahne verbrannt.“ Loriana Metzger: angriff auf queeres Leben, Pressemitteilung der Linken, Bezirksverband Koblenz / Rhein-Lahn, 21.8.2024, online: https://www.dielinke-rhlp.de/die-linke/presse/pressemitteilungen-des-landesverbandes/detail/angriff-auf-queeres-leben/.
[7] ART Dresden: Medialer Hype und Wirklichkeit: Analyse zum Dresdner JN-Ableger Elblandrevolte, online am 15.11.2024 auf https://naziwatchdd.noblogs.org/post/2024/11/15/medialer-hype-und-wirklichkeit-analyse-zum-dresdner-jn-ableger-elblandrevolte/
[8] Sachsen-Anhalt rechtsaußen: Von West nach Ost: Wie zugezogene Neonazis die Szene neu vernetzen, 9.4.2025, online: https://lsa-rechtsaussen.net/von-west-nach-ost-wie-zugezogene-neonazis-die-szene-neu-vernetzen/.
[9] Antifaschistischer Monitor Berlin schreibt: “Am 27. Juli 2024 sammelte sich eine Gruppe von rund 30 Neonazis am Potsdamer Platz in Berlin. Mit schwarzen Jacken und größtenteils vermummt bewegten sie sich in Richtung der Strecke vom „Christopher Street Day“ bis sie von der Polizei festgesetzt wurden. Organisiert haben sie sich alle unter dem Namen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV). […] Laut Polizeiangaben war mehr als die Hälfte der AngreiferInnen in der Umgebung des Berliner CSD unter 18 Jahre alt.” Antifaschistischer Monitor Berlin: Deutsche Jugend Voran – Vernetzung junger Neonazis in Berlin, 9.5.2025, online: https://monitorberlin.blackblogs.org/2024/08/01/deutsche-jugend-voran/
[10] Neonazis sammelten sich, skandierten homofeindliche und neonazistische Parolen, die Polizei griff 13 Männer zwischen 18 und 30 Jahren auf. Die Antifa Bochum rechnet die Neonazis “Der Störtrupp” DST zu, die (auch) in Duisburg und Bochum aktiv sind. Vgl. Infoportal Antifaschistischer Gruppen aus Bochum: Update zur Linie 5: „Wir sind nicht rechts…am 23.7.2024 auf https://antifabochum.noblogs.org/2024/07/update-zur-linie-5-wir-sind-nicht-rechts/
[11] vgl. ”Antifas aus dem Süden”: Unitas Germanica – Neue Nazigruppe im Südwesten, online am 29.4.2025 auf https://antifa-info.net/2024/10/03/unitas-germanica-neue-nazigruppe-im-suedwesten/
Desweiteren versammelt die Ausgabe Nr. 146 des Antifaschistischen Infoblatts (Frühjahr 2025) im Themenschwerpunkt “The kids are all right?” wichtige Recherchen und Analysen u.a. zur Queerfeindlichkeit und neuen Neonazi-Gruppen (*aze), zur “Chemnitz Revolte” (Antifaschistische Recherche Chemnitz), zu “Deutsche Jugend Voran” (Antifaschistischer Monitor Berlin), zur “Elblandrevolte” (ART Dresden), zu den “Active Clubs” (Exif-Recherche), der “Rheinlandbande” (Mia Hill, AROB) und zu der “Nationalrevolutionären Jugend” (ausdemweg.net). https://antifainfoblatt.de/aib146
[12] Wir haben dies bereits einmal thematisiert, bevor wir die gesamte Recherche gemacht hatten: AK Fe.In: „Weiß, normal, hetero“: Wenn Neonazis gegen CSDs mobilisieren, Neues Deutschland, 29.9.2024, online: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185627.queerfeindlichkeit-weiss-normal-hetero-wenn-neonazis-gegen-csds-mobilisieren.html.