Im 2. NSU-Prozess ging es am heutigen 5. Verhandlungstag weiter mit Vernehmungen von Kriminalbeamt*innen zu Aliasnamen und Bahncards. Am Nachmittag wurde dann im Rahmen einer Zeuginnenaussage das „Bekennervideo“ des NSU gezeigt.
Zeug*innen:
- Annika La. (KHK, Ermittlungen zu Aliasnamen des NSU-Kerntrios)
- Michael Ge. (KHK, Befragungen von Nachbar*innen der Emingers)
- Sascha A. (KHK, Verbindungsdaten der von Zschäpe genutzten Mobilnummer)
- Jeanette Pf. (KHK, Ermittlungen zum NSU-„Bekennervideo“)
Der 5. Verhandlungstag beginnt um 10:05 Uhr. Als erste Zeugin wird Kriminalhauptkommissarin Annika La. vernommen. La. referiert zu den verschiedenen vom Kerntrio genutzten Aliasnamen, beginnend mit Mandy St., die 1998 den Kontakt zu Max-Florian Bu. herstellte, bei dem das Kerntrio zunächst untertauchen konnte. St. soll Zschäpe laut der Zeugin auch ihre Krankenkassenkarte zur Verfügung gestellt haben. Inwiefern der Name St. darüber hinaus durch Zschäpe genutzt worden sei, könne sie nicht beurteilen. Ab 2001 mit dem Umzug in die Zwickauer Polenzstraße habe Zschäpe dann „Susann“ oder „Lisa Dienelt“ verwendet, durchgehend bis 2011. Unter diesen Namen seien unter anderem Einzahlungsbelege, Rechnungen und Reisebuchungen im Brandschutt gefunden worden. Ebenfalls durchgehend bis 2011 habe Zschäpe das Alias „Pohl“ mit den Vor
namen „Lisa“, „Mandy“, „Silvia“ oder „Susanne“ genutzt, zum Teil für „geschäftliche Zwecke“. Auch der Name „Lisa Mohl“ sei einmal verwendet worden. Im Jahr 2006 habe Beatrix Ja. einen Mobilfunkvertrag beantragt, dessen Rufnummer von Zschäpe genutzt worden sei. Im gleichen Jahr habe Holger Gerlach die Krankenkassenkarte von Silvia Ro. für Zschäpe besorgt, die für Zahnarztbesuche genutzt worden sein soll. Unter dem Namen Ro. seien im Brandschutt auch ein Bibliotheksausweis, ein Brillenpass und eine Payback-Karte gefunden worden. Laut Zeugin konnte jedoch nicht festgestellt werden, ob diese Dokumente tatsächlich auch genutzt wurden.
Der Name „Susann Eminger“ sei das erste Mal 2007 verwendet worden. La. berichtet von dem Wasserschaden in der Polenzstraße 2 und der folgenden polizeilichen Vernehmung Zschäpes. In diesem Zuge habe sich Zschäpe gegenüber der Polizei als Susann Eminger ausgegeben. Das Alias „Susann Eminger“ soll 2007 außerdem für den Kauf eines Schlauchboot-Außenbordmotors sowie für die Anmeldung bei einer Videothek genutzt worden sein. Von 2008 bis 2012 habe es zudem mehrere Urlaubsbuchungen unter dem Namen gegeben. Hierbei sei die reale Adresse der Emingers angegeben worden, aber die von Zschäpe genutzte Telefonnummer. La. beendet ihre Ausführung damit, dass Zschäpe bei ihrer Festnahme ein Bahnticket und eine Fahrradservicekarte auf den Namen „Susann Eminger“ mit sich geführt habe.
Die Vorsitzende Richterin Herberger hält der Zeugin vor, dass es in den Asservaten einen Fahrradpass datiert auf 2006 und ein weiteres Dokument datiert auf 2005 mit den Namen „Susann Eminger“ gebe. Die Zeugin sagt, wenn die Asservate so existierten, dann müsse sie bejahen, dass das Alias schon vor 2007 existiert habe. Auf Nachfrage ergänzt die Zeugin, dass im Brandschutt außerdem noch eine Bahncard gültig von Juni 2009 bis Juni 2010 auf dem Namen Susann Eminger, aber mit dem Foto von Zschäpe gefunden worden sei.
In der weiteren Befragung durch die Vorsitzende geht es darum, welche Aliasse fiktiv gewesen seien und welche realen Personen zugeordnet werden konnten. „Lisa“ und „Susann Dienelt“ seien fiktive Namen in Anlehnung an den real existierenden Namen Dienelt gewesen, die Namen „Pohl“ und „Mohl“ seien rein fiktiv, so die Zeugin. Mandy St., Silvia Ro. und Beatrix Ja. seien echte Personen. Im weiteren Verlauf der Befragung ergänzt die Zeugin, dass Silvia Ro. laut Vernehmung nicht gewusst habe, wofür sie Holger Gerlach ihre Krankenkassenkarte überließ.
Im Anschluss geht es um die von Mundlos und Böhnhardt genutzten Aliasse „Max Burkhardt“, „Matthias Dienelt“ und „André Eminger“. Die Nachfrage Herbergers, wer von den beiden genau „Burkhardt“ als Alias genutzt habe, kann die Zeugin nicht beantworten. Ebenso hat sie keine Erkenntnisse zu einer Bahncard unter dem Aliasnamen. Auch zur Frage, unter welchen Daten 1998 ein Reisepass ausgestellt worden sei, hat die Zeugin keine Antwort. An den Aliasnamen „Max Müller“ kann sie sich hingegen erinnern, der Name wurde für Online-Spiele und Online-Handel genutzt. Ihrer Erinnerung nach stecke dahinter jedoch keine real existierende Person. Anders verhalte es sich bei dem Alias auf den Namen von Gunter Fi. Die Zeugin hat jedoch keine Kenntnisse, inwiefern dieser Name genutzt wurde. Herberger verweist erneut auf einen Reisepass von 1998.
Bezüglich des Aliasnamens „Holger Gerlach“ erinnert sich die Zeugin, dass dieser unter anderem von Böhnhardt zur Anmietung von Wohnmobilen genutzt worden sei. Zu diesem Zweck sei außerdem auch der Name „André Eminger“ verwendet worden. Auf die Nachfrage, ob André Eminger auch selbst Handlungen vorgenommen habe, antwortet die Zeugin, dass sie die Ermittlungen ihrer Kolleg*innen so erinnere. Mindestens müsse es zu einem Austausch gekommen sein, da Buchungsbestätigungen adressiert an die Wohnung der Emingers im Brandschutt in der Frühlingsstraße gefunden wurden. Abschließend wird in der Befragung noch kurz auf die Aliasnamen „Andreas“ und „Gerri Müller“ eingegangen, die ebenso wie „Max Müller“ fiktiv gewesen sein sollen.
Als zweiter Zeuge des Vormittags sagt Michael Ge. aus. Der Kriminalhauptkommissar aus Chemnitz war nach der Selbstenttarnung des NSU im Ermittlungsteam für André Eminger zuständig. Dieses hatte unter anderem zur Aufgabe, die Nachbar*innen der Emingers im Haus in der Hans-Soph-Straße in Zwickau zu befragen. Ziel sei gewesen, Kontakte zwischen den Emingers und dem Kerntrio zu ermitteln. Hierzu seien laut Zeuge den Anwohner*innen acht Lichtbilder vorgelegt worden, die aus einer Mappe mit ursprünglich 30 Fotos stammten. Auf den Bildern sollen Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, Matthias Dienelt, Susanne Eminger, André Eminger sowie sein Bruder Maik zu sehen gewesen sein. Der Zeuge erinnert, dass das Paar Eminger in der Befragung erkannt worden sei. Zudem soll es mehrere Hinweise von Hausbewohner*innen gegeben haben, dass regelmäßig eine Person zu Besuch gewesen sei, die ähnlich wie Susann Eminger ausgesehen habe und als deren Schwester bezeichnet worden sei. Die Emingers seien als „dunkel“ beschrieben worden, zugehörig zur Gothic-Szene oder zur rechten Szene. Darauf hätten auch die Tätowierungen und „laute Musik“ hingedeutet. Regelmäßig seien „Kahlköpfe“ zu Besuch gewesen sowie ein PKW mit Brandenburger Kennzeichen. Auf Nachfrage der Vorsitzenden nach dem Verhältnis der Eheleute Eminger antwortet der Zeuge, dass es immer wieder Streitereien gegeben habe. 2010 solle André Eminger für einige Monate ausgezogen sein. Wenn er nicht zu Hause war, solle oft eine andere männliche Person zu Besuch gewesen sein, die später als Patrick Gö. ermittelt worden sei.
Im Anschluss wird im Gerichtssaal die vom Zeugen erwähnte Lichtbildmappe gezeigt. Hierbei gibt es Unstimmigkeiten zwischen der Version, die dem Senat vorliegt und der Version, die der Zeuge erinnert. Laut Ge. sei ein Auszug von acht Bildern verwendet worden, auf dem die sieben bereits erwähnten Personen zu sehen gewesen seien sowie ein weiteres Bild von André Eminger. Dieses liegt dem Gericht jedoch nicht vor. Zu sehen sind im Gerichtssaal aber mehr als acht Fotos, unter anderem vom NSU-Kerntrio, den Emingers sowie Personen aus dem Umfeld.
Zum Ende der Befragung erkundigt sich Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot nochmals nach dem Verhältnis der Emingers. Der Zeuge schildert seinen Eindruck, dass aus der Befragung der Nachbar*innen hervorgegangen sei, dass Susann Eminger der „dominantere“ Part in der Beziehung gewesen sein soll.
Als letzter Zeuge des Vormittags sagte mit Sascha A. ein Kriminalhauptkommissar zu Verbindungsdaten der Mobilnummer mit der Endung -587 aus, die Beate Zschäpe ab 2006 nutzte. Die Prepaid-Karte hatte Zschäpe sich von einer Nachbarin der Wohnung in der Zwickauer Polenzstraße besorgen lassen. Zeitraum der Verkehrsdaten sei Januar bis Dezember 2011. Ergebnis der Auswertung sei gewesen, dass die Nutzung der Nummer durch Zschäpe habe bestätigt werden können. Die Nummer habe Zschäpe bei Urlaubsbekanntschaften angegeben und wenn es um Campingplätze beziehungsweise Stellplätze und Campingwagen gegangen sei. Zschäpe habe dort angerufen und sich dort als Susann Eminger ausgegeben. In den Daten der Firma stehe „Susann Edinger“ (phon.), aber das Geburtsdatum stimme mit dem von Eminger überein. Von der Nummer habe es außerdem Verbindungen zu der Familie gegeben, die für Zschäpe Katzensitting gemacht habe.
Besonders wichtig für das Verfahren gegen Susann Eminger sind Verbindungen vom 4. November 2011. Viermal wurde von der von Zschäpe genutzten Nummer auf der Nummer von André Eminger angerufen. Zweimal kam es tatsächlich zu Verbindungen: einmal 43 Sekunden lang, einmal 1:27 Minuten. Die Nummer sei nicht überwacht worden, daher hätten sie keine Gesprächsinhalte gehabt, sondern sich mit den Verbindungsdaten zufriedengeben müssen. Auf spätere Nachfrage der Verteidigung von Susann Eminger sagt der Zeuge, bei der Verbindung von 43 Sekunden könne es Mailbox sein, bei der längeren eher nicht. Zur Nachfrage, ob das nicht davon abhängen könne, wie lange man auf die Mailbox spricht, sagt A.: „Gebe ich Ihnen recht.“
Die Nummer war nach der Explosion der Wohnung des NSU-Kerntrios am 4. November 2011 auch von Behörden angerufen worden. Eine Nummer war auf das Innenministerium Sachsen zugelassen, was in der Folge zu Irritationen in der Öffentlichkeit geführt hatte, ob es sich möglicherweise um eine Nummer des Verfassungsschutzes handeln könne. Dieser Anschluss sei, bejaht der Zeuge einen Vorhalt von Oberstaatsanwalt Barrot, eine Nummer des Kriminaldauerdienstes gewesen. Dieser habe die von der Bewohnerin der Frühlingsstraße, also Zschäpe, genutzte Nummer erfahren und sie nach der Explosion versucht zu erreichen.
Nach der Mittagspause sagt die Beamtin Jeanette Pf., Kriminalhauptkommissarin beim Staatsschutz des BKA, aus. Wie schon bei ihren Aussagen im ersten NSU-Prozess kannte Pf. den von ihr verfassten Vermerk beinahe auswendig. Im 2. NSU-Prozess sagte sie heute zum „Bekennervideo“ des NSU aus. Sie berichtete – wie bereits im Prozess in München – davon, wie viele Exemplare des Videos in der Frühlingsstraße und im Wohnmobil in Eisenach gefunden wurden, dass man 16 von Zschäpe versendete Videos gefunden habe und an welche Stellen diese gingen. Das erste Video, das festgestellt worden sei, sei an die PDS Halle adressiert gewesen, die damals aber eigentlich schon Die Linke geheißen habe. Heute in Erinnerung sei ihr, so Pf., die 16. festgestellte DVD. Die sei an die Stadtratsfraktion der Linken in Weimar gegangen und erst im Jahr 2013 festgestellt worden. Eine Mitarbeiterin habe sie unter eine Schreibtischunterlage gesteckt und dort sei sie erst deutlich später festgestellt worden.
Zeugin Pf. fasst den Inhalt des Videos kurz zusammen. Dann geht sie auf das in der Frühlingsstraße gefundenen Asservat „EDV 11“ ein. Darin waren unter anderem die Vorgängerversionen des Videos sowie Sequenzen aus Paulchen-Panther-Trickfilmen gefunden worden. Selber gemacht habe sie, so Pf., die Ermittlungen zu Aufzeichnungen von Berichterstattung über den Anschlag in der Keupstraße. Es seien Videoschnipsel verwendet worden, von ntv und WDR, bei denen die Uhrzeit so nah an der Tat gewesen, dass sie sich gefragt hätten, wer denn das aufgenommen habe. Die Tat sei am 9. Juni 2004 gegen 16 Uhr gewesen, bereits von Sendungen um 18 Uhr habe es Aufzeichnungen gegeben. Ergebnis der Ermittlungen sei gewesen, dass es in der Wohnung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in der Polenzstraße die technischen Voraussetzungen gegeben habe, das aufzunehmen. Pf. sagt, jemand habe es aufgenommen, mutmaßlich Zschäpe: „Aber da weiß ich nicht, ob sie sich dazu eingelassen hat.“
Pf. geht dann auch auf das „Drehbuch“ des Videos – mehrere handbeschriebene Seiten aus einem karierten DIN A4-Block mit Schriftleistungen, bei denen nicht auszuschließen sei, dass sie von Böhnhardt und Mundlos sind –, das „Zeitungsarchiv“ und den „Spendenbrief“ des NSU ein.
Im Rahmen der Befragung wird dann das „Bekennervideo“ des NSU, das Zschäpe am 4. November 2011 verschickt hat, auch in Augenschein genommen. Es wird auf die in der Mitte des Saals angebrachten Bildschirme übertragen – auch der Ton wird abgespielt. Die Vorführung des Machwerks verdeutlicht, um was es auch im 2. NSU-Prozess geht, nämlich um die mörderischen Taten des NSU.
Die Zeugin wird schließlich auch zu einem weiteren ihrer Vermerke gefragt. Thema: die auf Susann und André Eminger ausgestellten Partner-Bahncards, die von Zschäpe und Böhnhardt genutzt wurden. Die Bahncards wurden zweimal verlängert. Die dritte Verlängerung lief dann bis 2012. Während die dritte Bahncard auf den Namen André Eminger im Wohnmobil in Eisenach gefunden worden sei, sei die dritte Bahncard auf den Namen Susann Eminger (eigentlich genutzt von Zschäpe) im Portemonnaie von Susann Eminger gefunden worden, so die Zeugin.
Damit endet der 5. Verhandlungstag im 2. NSU-Prozess.
Der 5. Verhandlungstag zeigte erneut, welcher Aufwand vom NSU-Kerntrio betrieben wurde, um unerkannt aus dem Untergrund agieren zu können. Dies wäre ohne ein Unterstützer*innen-Netzwerk nicht möglich gewesen, welches bereitwillig Namen und Dokumente zur Verfügung gestellt hat. Die Konsequenzen dieser Handlungen wurden allen Anwesenden durch das Zeigen des „Bekennervideos“ verdeutlicht. Ebenso deutlich wurden einmal mehr die Leerstellen in den Ermittlungen, sowohl bei der Telekommunikationsauswertung als auch hinsichtlich der Entstehung des besagten Videos.
Protokolle und Berichte aus dem ersten NSU-Prozess zur ergänzenden Lektüre
Transkript des NSU-Bekennervideos
Aussagen der Zeugin La. (damals noch Al.):
218. Verhandlungstag. 15. Juli 2015
222. Verhandlungstag. 29. Juli 2015
Aussagen der Zeugin Pf.:
220. Verhandlungstag, 21. Juli 2015
272. Verhandlungstag, 17. März 2016
295. Verhandlungstag, 6. Juli 2016
(Text: scs/jc; Redaktion: ck)