Protokoll 47. Verhandlungstag – 16. Oktober 2013

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Am 47. Verhandlungstag steht der Verkauf einer Ceska durch einen Schweizer Waffenhändler an Peter Anton Ge. im Mittelpunkt. In weiteren Zeugenvernehmungen geht es um die Wohnmobilanmietungen und die Herkunft des Bargeldes, das nach dem Auffliegen des NSU im Wohnmobil und in der letzten Wohnung gefunden worden waren. Eine bemerkenswerte Erklärung verliest die Nebenklagevertreterin Rain Angelika Lex (sie vertritt die Angehörigen von Theodoros Boulgarides), in der die einseitigen Ermittlungen der ermittelnden Beamten kritisiert werden.

Zeug_innen:

  • Franz Schl. (ehem. schweizerischer Waffenhändler, hat die Tatwaffe Ceska 1996 legal an Peter Anton Ge. verkauft)
  • Hagen Ros. (Polizeibeamter, hat Entfernungsmessungen zu Autoanmietungen des NSU durchgeführt)
  • Gabriele Q. (Kriminalbeamtin, Fortsetzung der Vernehmung vom 46. Verhandlungstag)

Die Sitzung beginnt um 9.49 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung teilt Richter Götzl mit, dass der für 9.30 Uhr geladen Zeuge Ge. nicht anwesend ist und daher zunächst der Zeuge Schl. gehört werde.

Götzl fragt Schl., wie der Waffenhandel funktioniert, wie der Kauf dokumentiert und welche Bedingung es für einen Kauf gibt. Schl. sagt, er könne lediglich sagen, wie es damals funktioniert habe, er sei seit 2005 nicht mehr in der Branche tätig. Bei der „besagten Waffe“ gehe es um eine Faustfeuerwaffe. In der habe man dafür einen Waffenerwerbsschein gebraucht, der von der Behörde an berechtigte Personen ausgestellt worden sei. Die Faustfeuerwaffen seien in einem Register eingetragen worden. Dort seien der Lieferant, die Seriennummer und der Käufer aufgeführt worden. Der Waffenerwerbsschein habe den Käufer legitimiert, so einen Artikel zu besitzen. Der Käufer habe dann mit einem Ausweispapier belegen müssen, dass er der Eigentümer des Scheins ist. Waffen habe man bei ihm direkt im Geschäft kaufen oder über Versand bestellen können. Beim Versandfall habe der Waffenerwerbsschein mit einer Ausweiskopie an ihn geschickt werden müssen. Die Bezahlung sei per Vorkasse oder Nachnahme möglich gewesen. Die Ware sei dann per Post verschickt worden.

Schl. bestätigt auf Nachfrage, dass das Original des Waffenerwerbsscheins vorgelegt werden musste. Mit der „besagten Waffe“ meine Schl. jene, zu der er schon mehrfach befragt worden sei von den Schweizer Behörden. Ob er die Ceska meine, will Götzl von Schl. wissen. Dieser bejaht das. Dann wird eine handschriftliche Liste in Augenschein genommen, auf der zwei Einträge mit Textmarker markiert sind. Auf der linken Seite sei der Wareneingang dokumentiert, so Schl. Dann seien Art der Waffe, Hersteller, Modell, Kaliber und Seriennummer vermerkt. Auf der rechten Seite sei der Warenausgang dokumentiert. Götzl fragt, ob es Eintragungen über eine Ceska gebe, was Schl. bejaht. Schl. nennt die Seriennummer und sagt, die Waffe sei ausgetragen worden auf den Kunden Anton Ge. aus Steffisburg. Es handele sich um einen Versandauftrag. Weil der Kunde beim Versand nicht da gewesen sei, sei ein Eintrag gemacht worden, dass der Waffenerwerbsschein vom Kunden eigenhändig unterschrieben worden sei. Gekauft worden sei die Waffe von ihm, Schl., selbst am 10. April 1996, Lieferant sei die Firma Luxik.

Es habe eine weitere Bestellung von Anton Ge. gegeben. bestätigt Schl. Die beiden Bestellungen seien innerhalb von zwei Wochen eingegangen. Dann wird ein offenbar behördliches Schreiben in Augenschein genommen. Schl. sagt, das sei kein Waffenerwerbsschein, sondern ein Gesuch für einen solchen Schein. Da stehe „Art der Waffe: Zwei Faustfeuerwaffen.“ Bei einem weiteren Schreiben handele es sich um ein Gesuch über eine Faustfeuerwaffe. Die Eintragungen ins Register habe wohl ein Kollege gemacht, so Schl. Gegen Rechnung habe er Waffen nur an Händlerkollegen verkauft, Ge. habe wohl per Vorkasse oder Nachnahme bezahlt. Probleme beim Versand oder Reklamationen habe es keine gegeben. Die Waffe sei natürlich per Einschreiben versendet worden, so Schl. auf Frage von Götzl. Geliefert worden sei an die Adresse in Steffisburg, die im Register stehe. Götzl sagt, Schl. habe die Firma nicht alleine betrieben, was dieser bestätigt. Er und sein Partner hätten die Firma bis 2003 14 bis 15 Jahre gemeinsam geführt, dann habe er noch alleine bis August 2005 weiter gemacht.

Es sei nicht vermerkt worden, wenn ein Schalldämpfer verkauft wurde. Damals sei im Kanton Bern der Verkauf von Schalldämpfern frei gewesen, deshalb habe das auch nicht im Register verzeichnet werden müssen. Bei der Ceska müsse es sich um eine Waffe handeln, die sie als Set verkauft hätten. Ob Munition dabei gewesen sei, könne er so nicht sagen, das müsse man im Munitionsregister nachschauen. Richter Kramer fragt, ob der Waffenerwerbsschein bei Schl.s Firma einbehalten wurde. Der Kunde habe einen Schein beantragt, ihn dann von der Behörde bekommen und den Schein im Original beim Händler abgegeben. Wenn der Kunde die Waffe besaß, habe er keine Legitimation der Behörde mehr benötigt, die Kaufquittung habe als Beleg genügt, dass man die Waffe rechtmäßig erworben hat, führt Schl. aus.

Nebenklagevertreter RA Kolloge möchte wissen, ob es theoretisch möglich sei, die Waffe an eine andere Adresse zu bestellen als an die auf dem Schein angegeben. Das verneint Schl., die Adresse müsse übereinstimmen. RA Ulucay fragt, ob es einen Preisunterschied zwischen Ceska mit Schalldämpfer und ohne gebe. Das bestätigt Schl. Er sagt, das sei im speziellen Fall schwer zu sagen, weil die Waffe ab Werk mit einem Dämpfer geliefert worden sei, das sei als Paket an sie geliefert worden. Auf Nachfrage von Götzl sagt Schl., diese Pistole habe man nicht ohne Schalldämpfer kaufen können, man habe nicht nur einen Artikel aus dem Paket kaufen können. Es habe einfach einen Preis für das ganze Paket gegeben, der habe vermutlich im Bereich von 1.000 Franken gelegen.

RA Daimagüler fragt, ob Schl. Informationen habe von Kunden, warum sie Waffen mit Schalldämpfer kaufen. Schl. sagt, in der Regel nicht, manche würden sammeln. Wenn ein Kunde illegale Absichten gehabt habe, habe er ihnen das sicherlich nicht mitgeteilt. Daimagüler: „Man kann sich seinen Teil denken. Danke.“ Schl. sagt, er hab das letzte nicht verstanden. Richter Götzl winkt ab und sagt: „Der Kollege hat sich bei Ihnen bedankt.“ Auf Frage von RA Erdal sagt Schl. im Set mit Waffe und Schalldämpfer sei keine Munition dabei gewesen. Ein Nebenklagevertreter sagt, aus dem Register gehe hervor, dass Schl. die Waffe am 10. April bestellt habe und sie am nächsten Tag schon verschickt wurde. Schl. erwidert, es könne sein, dass parallel ein Inserat in einer Zeitung erfolgt sei und, wenn die Ware da gewesen sei, der Kunde benachrichtigt und die Ware verschickt wurde. Unterlagen über das Datum des Wareneingangs und der Bestellung durch den Kunden habe er nicht mehr.

Wohllebens Verteidiger RA Klemke will wissen, ob Schl. schon früher Geschäftskontakte zur Firma Luxik gehabt habe, was dieser bejaht. Waffen mit Schalldämpfer seien gut gegangen, so Schl. auf Frage Klemkes. Den Anteil an den Verkäufen könne er nicht mehr nennen, weil über Schalldämpfer kein Register geführt worden sei, er könne aber sagen, dass das „so wie es da war, das war“ relativ selten sei. Ob die Initiative zur Lieferung von Schalldämpfer-Waffen von ihm oder von der Firma Luxik ausgegangen sei, wisse er nicht mehr, er wolle aber darauf hinweisen, dass das ein ganz normaler Warenhandel gewesen sei. Das hier behandelte Modell sei „sehr, sehr selten“, so Schl., da seien mehrere Waffen in einer Sendung gekommen, es sei aber eine kleine Anzahl gewesen. In den meisten Fällen seien Lieferungen an seine Firma mit der Post geschickt worden, das sei wohl bei der Lieferung der Ceskas auch so gewesen, so Schl. Er schätze, dass bei der Lieferungen acht bis zehn Stück gekommen seien. Klemke will wissen, ob die Lieferung bei Eingang kontrolliert wurde. Schl. sagt, der Kollege habe den Eingang gemacht. Nach erneuter Inaugenscheinnahme des Registers sagt Schl., er nehme an, dass es sich um die Handschrift des Kollegen Marcel Tsch. handele. Beim Wareneingang sei das Paket jeweils ausgepackt worden, die Nummern und der Lieferumfang sei kontrolliert worden und die Waffen seien außerdem auf Funktion geprüft worden. Tsch. lebe im Moment in Schönbühl, so Schl. auf Frage Klemkes. Dann müsse man aber auch Tsch. fragen, ob er seine Handschrift wieder erkennt. Klemke sagt, das hätte er getan. Schl.: „Ja, das glaube ich auch.“ Er wisse nicht, ob er jede einzelne Waffe der Lieferung mit Nummer gesehen habe, denke es aber nicht. An der Verkaufsabwicklung sei er selbst nicht beteiligt gewesen. Wieder geht Schl. nach vorn und schaut sich das Register an. Er sagt, das sei nach der Handschrift sein Geschäftspartner Andreas Sp. gewesen. Der lebe in Ecuador, wo genau wisse er nicht. Sp. sei ausgewandert, weil er eine Frau aus Ecuador geheiratet habe, außerdem sei das Waffengeschäft seit der neuen Waffengesetzgebung in der Schweiz ab 1999 schlechter gelaufen. Klemke will wissen, ob Schl. vor 1996 geschäftliche Beziehungen mit Anton Ge. gehabt habe. Er denke nicht, so Schl., er sei auch schon gebeten worden, das nachzuschauen. Das Ergebnis sei vermutlich gewesen, dass Ge. zumindest nichts gekauft habe, was eintragungspflichtig war. Ob beim Kauf der Waffe durch Ge. per Vorkasse oder Nachnahme bezahlt worden sei, wisse er nicht mehr, dass eine der beiden Zahlungsweisen bei Privatkunden häufiger gewesen sei, könne man nicht sagen.

RA Stahl, Verteidiger von Zschäpe, fragt, ob Schl. noch eine konkrete Erinnerung an eine Waffe mit Schalldämpfer habe. Schl. antwortet, dass es ein seltenes Modell sei, daher sei er sicher, dass sie das Set nicht auseinandergerissen hätten, sondern alles zusammen in einem Paket verschickt worden sei. Stahl fasst noch einmal zusammen: „Sie haben vom Zwischenhändler ein Set eingekauft und das auch als Set weiter verschickt und wenn Sie das auseinandergerissen hätten, wäre Ihnen das erinnerlich?“ Schl. bestätigt das.

RA Hösl, Verteidiger von Carsten S. möchte, dass dem Zeugen das „Waffenhandelsbuch“ vorgehalten wird. Nach einer Unterbrechung wird diese Liste in Augenschein genommen. Hösl fragt, ob das die angesprochenen Sets seien, was Schl. bestätigt. Götzl sagt, diese Liste sei aus 1993. Das seien zwanzig solche Sets, so Hösl. Auch das bestätigt Schl. Der zweite Verteidiger von Carsten S., RA Pausch, fragt, ob ein Vergleich der Adressen auf dem Waffenerwerbsschein und dem Ausweisdokument vorgenommen worden sei. Schl. sagt, man habe ein amtliches Dokument mit Adresse, etwa einen Führerschein, benötigt, und das sei verglichen worden. Auch die Unterschriften seien kontrolliert worden, es sei aber „kein graphologisches Gutachten“ angefertigt worden.

Auf Frage von Nebenklagevertreter RA Langer sagt Schl., die Nummern seien ganz sicher immer auf der Waffe direkt verglichen worden. Auf Frage von Langer sagt Schl., wenn eine Waffe aus einem Blatt des Register nicht verkauft worden sei, dann habe man einen Übertrag auf das nächste Blatt der Liste gemacht. Langer weist darauf hin, dass Schl. in Bezug auf die in Rede stehende Lieferung von Ceskas mit Schalldämpfern von acht bis zehn Exemplaren gesprochen habe, in der Liste die Lieferung aber offenbar nicht unmittelbar untereinander eingetragen sei. Schl. sagt, er wisse nicht mehr, wie es damals war. Die Bücher und Unterlagen seien aber von der Kantonspolizei Bern kontrolliert worden: „Wir haben nicht den Kasper gemacht mit diesen Unterlagen.“ RA Stahl fragt noch einmal zu der vorgehaltenen Liste aus 1993.

Dann fragt Nebenklagevertreter RA Hoffmann, wie ein Kunde die Waffe weiter verkauft hätte. Schl. sagt, damals habe ein Privater die Waffe einfach weiter verkaufen können. Einen Waffenerwerbsschein vom weiteren Käufer habe der Private nicht haben müssen. Die Logik sei gewesen, dass eine Privatperson keinen Handel mit Waffen treiben dürfe. Im Saal und auf der Besuchertribüne wird gelacht. Es sei akzeptiert worden, wenn ab und zu einem Sammlerkollegen eine Waffe weiter gegeben worden sei, aber nicht, wenn man gewerbsmäßig Waffen verkauft habe, dazu benötige man ein Waffenverkaufspatent. Hoffmann will wissen, ob die selben Regeln auch für Schrotflinten galten. Schl. sagt, Langwaffen seien nicht erwerbsscheinpflichtig gewesen im Kanton Bern. Die Unterscheidung sei gewesen, ob es Kriegsmaterial war oder nicht. Jagd- und Sportwaffen seien frei gewesen, bei Kriegsmaterial habe man einen Eintrag im Register machen, den Ausweis vorlegen und unterschreiben müssen.

Danach fragt RA Klemke erneut zur Liste aus 1993, da gehe es ja auch um Ceskas mit Schalldämpfer. Klemke sagt, Schl. habe vorhin gesagt, es sei ein ganz seltenes Modell, aber schon 1993 seien es 20 Stück gewesen. Schl. sagt, er erinnere sich nicht an die Lieferung 1993, 20 Stück sei aber immer noch sehr selten. Klemke: „Das macht mir Angst.“ Dann will Klemke wissen, ob die Polizei bei Schl. wegen des Waffenerwerbsscheins Nachschau gehalten habe. Schl. sagt, er habe nur noch das Register zur Seite gelegt, damit könne er seiner Auskunftspflicht nachkommen, der Rest sei weg. Die Vernehmung endet um 11.32 Uhr.

Nebenklagevertreterin RAin Angelika Lex verliest eine Erklärung zur gestrigen Aussage des Zeugen Blumenröther. Der Zeuge, so Lex, habe in seiner Vernehmung bestätigt, dass es bereits bei der personellen Zusammensetzung der „Soko Theo“ keinerlei Konzept bezüglich der inhaltlichen Qualifikation der ermittelnden Beamten gegeben habe. So sei kein einziger Beamter des Staatsschutzes beigezogen worden. Obwohl bereits am Tag nach der Tat durch Ermittlungen des BKA bekannt geworden sei, dass der Mord an Theodoros Boulgarides in die Mordserie einzuordnen war, und bei den vorherigen Taten keinerlei konkrete Täterhinweise vorlagen, seien vom Zeugen keine Überlegungen hinsichtlich eines rechtsterroristischen Hintergrundes angestrengt worden. Die Frage nach Hinweisen auf ein rassistisches Motiv der Taten habe der Zeuge verneint, die Frage nach einem ausländerfeindlichen Motiv habe er damit beantwortet, dass sich bei der Ermordung von sieben Ausländern natürlich ein „ausländisches Motiv“ ergebe, ohne dass hieraus irgendwelche Konsequenzen gezogen worden seien. Die Vernehmung habe gezeigt, dass der Zeuge selbst heute nach dem Aufliegen des NSU nicht in der Lage sei, rassistische oder ausländerfeindliche Motive in Ermittlungsansätze mit einzubeziehen und das, obwohl sogar die BAO Bosporus schließlich im Mai 2006 neben der Organisationstheorie auch die sogenannten Einzeltätertheorie verfolgt habe.

Der Zeuge habe auch Hinweise des Bruders von Boulgarides nicht aufgenommen, der in einer Vernehmung angegeben habe, dass er davon ausgehe, „dass ein ausgetickter Typ rumliefe, der Ausländer umbringe.“ Durch die Vernehmung des Zeugen sei auch offensichtlich geworden, dass Spuren zu zwei Personen nicht weiter verfolgt worden seien, die drei Tage nach dem Mord in einem Fahrzeug am Tatort festgestellt wurden und Beziehungen zu führenden Neonazis der bayerischen Szene, nämlich zu und , hatten. Die Vernehmung dieser beiden Personen durch den Zeugen sei ohne jegliche Sachkunde vorgenommen worden. Der Zeuge habe sich mit der Behauptung der beiden abspeisen lassen, diese Kontakte seinen lediglich privater Natur gewesen und einer von ihnen wäre sogar mit einem Muslim befreundet. Dies habe ihm ausgereicht, um Verbindungen in die Neonazi-Szene auszuschließen. Es seien keine weitergehenden Ermittlungen, auch keine Nachfragen beim Staatsschutz oder Verfassungsschutz erfolgt. Sonst wäre, so Lex, bekannt geworden, dass die ehemalige WG von Martin Wiese in der Landsberger Straße in Sichtweite des Tatortes lag. Diese Erkenntnis, so Lex, hätte die BAO Bosporus vielleicht schon im Jahr 2006 bei ihren Ermittlungen in Richtung Einzeltäter weiter gebracht, auf jeden Fall wäre sie im Jahr 2011 – nach dem Auffliegen des NSU – relevant gewesen. Der Zeuge habe auch vorgetragen, dass selbst die Tatsache, dass nach den sechs Morden an türkischstämmigen Männern, nun ein griechisches Opfer getötet wurde, keine Überlegungen in Richtung Ausländerfeindlichkeit in Gang gebracht habe. Stattdessen sei er davon ausgegangen, dass Boulgarides Opfer einer Verwechslung gewesen sein könne, weil er angeblich wie ein Türke ausgesehen habe, oder weil eigentlich sein Bruder gemeint gewesen sei. Überlegungen dahingehend, dass denknotwendig eine Verwechslung ein persönliches Motiv voraussetzen würde, oder bei einer Verwechslung zwischen einem türkischen und einem griechischen Staatsangehörigen allein die ausländische Herkunft für die Tötung relevant sei, habe der der Zeuge nicht angestellt. Stattdessen seien Ermittlungen nach dem Schema einer Beziehungstat geführt worden, mit der Folge, dass Angehörige observiert und abgehört sowie mit intimen Fragen belästigt worden seien, die in keinerlei Zusammenhang zu den Ermittlungen stünden. Durch die Vernehmung des Zeugen, der vom Tattag bis heute Hauptsachbearbeiter im Mordfall Boulgarides war, offenbarten sich, so Lex, die massiven Defizite bei den Ermittlungsbehörden in allen Bereichen und Varianten, die die Folgen der Tat für die Opfer noch verstärkten. Die Familie von Theodoros Boulgarides habe nicht nur ihn verloren, sondern habe auf einmal selber im Fokus der Verdächtigungen gestanden. Die Mutter sei nach Griechenland zurück gekehrt, weil sie sich hier nicht mehr in Sicherheit gefühlt habe, auch sein Bruder habe Deutschland für längere Zeit verlassen: „Trotzdem fand der Zeuge für die betroffenen Familien kein Wort des Bedauerns und der Entschuldigung.“

Nach der Mittagspause folgt um 12.56 Uhr die Vernehmung des Bundespolizisten Ros. Dieser bestätigt, dass er gemeinsam mit seinem Kollegen Vo. [siehe Protokoll zum 44. Verhandlungstag] die Entfernungsermittlung von den Autovermietungen zu möglichen Tatorten oder Urlaubszielen des NSU durchgeführt habe. Vo. habe die Straßennamen angegeben und er habe mit „Nokia Maps“ Berechnungen durchgeführt, die er dann Vo. mitgeteilt habe, der sie in seinen Vermerk aufgenommen habe. Damit ist die Vernehmung abgeschlossen.

Götzl teilt mit, dass der Zeuge Ge. nicht gekommen ist, und dass der vorgesehene Zeuge Ta. [siehe Protokoll zum 41. Verhandlungstag] sich in der Mittagspause krank gemeldet habe. Dann werden Videosequenzen der VIVA-Überwachungskamera aus Köln vom 9. Juni 2004 (Tag des Bombenanschlags in der Keupstraße) vorgeführt . Gezeigt wird eine Sequenz von 15.24 Uhr bis 15.30 Uhr. Darauf ist eine Frau mit offenem Haar und trägerlosem, weißem Top zu sehen, die telefoniert bzw. auf ihr Handy schaut. Aus der Distanz hat die Frau Ähnlichkeit mit . Dann legt Götzl Bilder aus einem Untersuchungsbericht vor, auf denen das Gesicht der Frau vergrößert ist. Es handelt sich bei der Frau nicht um Zschäpe.

Es folgt die Fortsetzung der Vernehmung der Kriminalbeamtin Q. Zunächst geht es um aufgefundenes Geld und Banderolen. Q. berichtet, es seien 390 Euro in der Wohnung Frühlingsstraße aufgefunden worden, die aus einem Raubüberfall von 2004 stammten. Im Wohnmobil seien 71.915 Euro gefunden worden, das sei um 5 Euro die Summe aus dem Raubüberfall in Eisenach und dabei sei auch Registriergeld gewesen. In einem Rucksack im Wohnmobil seien einmal 1.000 und einmal 2.000 Euro gefunden worden, aus einem Raubüberfall im September 2011. Und es seien zweimal 10.000 Euro gefunden worden aus einem Raubüberfall im Januar 2007. Die Banderolen stammten überwiegend von der Deutschen Post oder der Sparkasse allgemein. Sie meine nicht, dass das Geld auf Spuren untersucht wurde, weil man das bei Geldscheinen in der Regel nicht mache, wenn doch müsse es im Vermerk stehen. Götzl hält vor, es sei ein Bündel Bargeld mit 100 mal 20 Euro gefunden worden, und will wissen, ob das aus dem Rucksack stamme, was Q. bejaht. Außerdem sei ein Bündel mit 1.000 Euro im Rucksack gefunden worden. Sie bestätigt, dass der Rucksack in der oberen mittigen Schlafkabine im Wohnmobil gefunden worden sei. Götzl nennt eingeschweißte Geldscheine mit Bezug zu einem Raubüberfall im Januar 2007 in Stralsund. Götzl fragt dann zu einem Vermerk vom 15. Februar 2012 zu aufgefundenem Bargeld im Wohnmobil. Der Gesamtvermerk sei ihr nicht mehr in Erinnerung, so Q. Also geht Götzl den Vermerk durch. Da sei es zunächst um die 71.915 Euro gegangen. Götzl nennt dann weitere Beträge, die sich z.B. lose in einer Kakaopulververpackung in einer braunen Tasche in der Spüle des Aufenthaltsraums befunden hätten oder lose in einer Bauchtasche in einer Schlafkabine des Wohnmobils. Sie habe den Auftrag gehabt, zusammen zu fassen, welche Beträge im Wohnmobil gelegen hätten, Grundlage seien Asservatenverzeichnisse oder Ermittlungsberichte, so Q. auf Frage von Götzl. Zur Größenordnung der Gesamtsumme im Wohnmobil sagt Q., sie meine, dass es sechsstellig gewesen sei. Götzl hält die Zahl 112.227 Euro vor, die Q. bestätigt. Dann fragt Götzl zu einem Vermerk über Mountainbikes. Q. sagt, es seien ein Mountainbike Marke Scott, und eines Marke GT gefunden worden, die beide zum Raubüberfall benutzt worden seien. Dazu gebe es eine Zeugenvernehmung eines Fahrradhändlers. Zu einem Multitool befragt, sagt Q., das sei ein frei verkäufliches Multitool und es seien keine Spuren gefunden worden. Dann geht es um drei Asservate mit Schwarzpulver. Q. sagt, es seien ca. 2.500 g kommerziell hergestelltes Schwarzpulver sichergestellt worden, der Großteil sei in einem Glas gewesen, kleinere Teile seien lose im Brandschutt Frühlingsstraße aufgefunden worden. Sie sagt, ab einer Menge von einem Kilogramm könne das ohne Verdämmung zur Explosion führen. Götzl fragt zu zwei Asservaten, Geldscheinen mit handschriftlichen Notizen bzw. Stempel. Q. sagt, das müssten die 390 Euro aus der Frühlingsstraße sein. Auf einem Schein sei etwas handschriftlich angefügt, das sie nicht hätten zuordnen können. Auf einem anderen Schein sei ein Stempel gewesen, so dass er aus Raubüberfall stammen könnte. Dann geht es um eine Telefonkarte „Ersatzkarte Comfort“ der Deutschen Telekom. Diese habe sich in der Handtasche Zschäpes befunden, an dem Tag, an dem sie sich gestellt hat, so Q. Aus anderen Ermittlungen seien die vollzogenen Gespräche nachvollziehbar. Einmal sei das ein Anruf bei André E. im Oktober, dann einer beim Vater von Böhnhardt gewesen. Götzl hält vor, am 13. Oktober 2011 sei von einer öffentlichen Fernsprechnummer in Zwickau der Anschluss E.s angerufen worden und am 15. Oktober 2011 ebenfalls André E. Das seien die ersten beiden Anrufe, so Q., sie habe das aber nicht ausgewertet. Das nächste Asservat ist die schon erwähnte Auftragsbestätigung des „Caravan Vertrieb H.“ mit dem handschriftlichen Vermerk „Aktionspreis 325 Euro, Kaution 500 Euro“ [siehe Protokoll zum 46. Verhandlungstag]. Nach einer Inaugenscheinnahme sagt Q., bei der daneben stehenden Unterschrift könne man den Namen des Angeklagten E. erkennen, es sei dazu ein Auftrag an die Kriminaltechnik ergangen, das Ergebnis kenne sie aber nicht. Nebenklagevertreterin RAin Clemm fragt, ob Q. auch Kleidung untersucht habe, was Q. bestätigt. Aus einem Vermerk gehe hervor, so Clemm, dass Zschäpe, als sie sich gestellt habe, eine braune Damen-Funktionsallwetterjacke in der Größe 36-38 der Marke TCM getragen habe, die nur zu einem früheren Zeitpunkt in Tchibo-Filialen habe gekauft werden können, laut Zeugenaussagen aber als sie das Haus in der Frühlingsstraße verlassen habe, einen roten Mantel. Diese Abklärungen seien in der Regel von anderen Kollegen gemacht worden, so Q. Die Frage von RAin Sturm, Verteidigerin von Zschäpe, ob Q. abgeklärt habe, unter welchen Umständen Stempel an Banderolen oder Geldschein selbst angebracht werden, verneint die Zeugin. RA Stahl fragt, ob Q. die Asservate selbst in der Hand gehabt habe. Q. sagt, es seien überwiegend Fotografien gewesen, nur selten Originale. Klemke fragt, ob Q. den Rucksack aus dem Wohnmobil gesehen habe, was Q. verneint. Klemke sagt, es sei ja eine Menge Geld aus einem Überfall in Arnstadt im Wohnmobil gefunden worden, und fragt, ob sich Q. gefragt habe, warum Bankräuber die Beute aus einer früheren Tat mitnehmen. Die Bundesanwaltschaft beschwert sich über die Frage. Dann sagt die Zeugin, sie habe keine Antwort gefunden. Klemke: „Dachte ich mir, deshalb fragte ich, danke.“ Auf Frage von Klemke sagt Q., ihre Einschätzung, dass es sich um kommerzielles Schwarzpulver handele, müsse aus dem Gutachten kommen, sie sei keine Chemikerin. Die Feststellung, dass dieser Sprengstoff bei einem Gewicht von 1 kg ohne Verdämmung zur Explosion gebracht werden könne, habe sie aus frei verfüglichen Quellen im Internet. Welche und wieviele Quellen sie benutzt habe, könne sie heute nicht mehr sagen.

Der Verhandlungstag endet um 13.54 Uhr. Weiter geht es am 22. Oktober.

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