Protokoll 173. Verhandlungstag – 12. Januar 2015

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An diesem Verhandlungstag wird sich zum ersten Mal mit dem Bombenanschlag vom 09.06.2004 in der Kölner Keupstraße befasst. Bevor in der nächsten Woche die Betroffenen als Zeug_innen gehört werden, sind zunächst die sich damals mit dem Fall befassenden Beamten des LKA NRW geladen. Der Tag ist geprägt von Beschreibungen der Asservate und des Tatorts.

Zeugen:

  • Dirk Sp. (LKA NRW, Spurensicherung und Auswertungsberichte Keupstraße)
  • Martin Wa. (LKA NRW, Lichtbilder Keupstraße)
  • Heribert Sch. (LKA NRW, Lichtbilder Keupstraße)

Anwesend neben dem Sachverständigen Prof. Sass ist der Explosionssachverständige Dr. Möller und der Gerichtsmediziner Dr. Peschel (zeitweise). Beginn 9:46 Uhr mit dem Zeugen Dirk Sp., LKA Düsseldorf. Zunächst wird seine eingeschränkte Aussagegenehmigung vom 29.12.2014 verlesen, in der es heißt, sie erstrecke sich nicht auf innerdienstliche Belange. Götzl führt den Zeugen an den Gegenstand der Vernehmung heran, den Anschlag am 09.06.2004 in der Kölner Keupstraße, und fragt ihn, welche Rolle er damals gespielt habe, um was für eine Örtlichkeit es sich gehandelt habe, welche Asservate aufgefunden wurden und wie die Spurensicherung (SpuSi) verlief. Der Zeuge antwortet, er sei der Sachgebietsleiter Sprengstoff/Brand gewesen, der Anschlag ereignete sich um etwa 16 Uhr, der Kollege sei schon zuhause gewesen, er, Sp. habe ihm gesagt, er solle sich zur Keupstraße begeben und sei selber mit Kollegen zum Tatort gefahren. Der Kollege Wa. sei Leiter der Tatortarbeit gewesen, auch die Tatortvermessung lag beim LKA NRW aus Düsseldorf, d.h. die Kölner Kollegen hätten sich fachlich nicht in der Lage gesehen, das zu machen und haben deshalb sie als Tatortgruppe angefordert. Der Kollege hatte sich schon einen Überblick verschafft und habe sie eingewiesen. Die Keupstraße sei eine Einbahnstraße, links und rechts gibt es geschlossene Häuserreihen, im Erdgeschoss sind überwiegend Geschäfte, ein Friseur, ein Dönerladen, ein Juwelier usw.; dort leben überwiegend türkischstämmige Bewohner, vereinzelt auch Deutsche. Vor der Keupstraße 29, einem Friseurladen sei es zur Explosion gekommen, eine Sprengvorrichtung war auf einem Fahrrad explodiert, es habe Hinweise von einem Kollegen auf das Fahrrad gegeben, das er erkannte: es handelte sich um ein silberfarbenes ALDI-Aktions-Fahrrad.

Es sei großer Schaden entstanden, sowohl im Bereich der Straßenführung, als auch an Geschäften und auch in Hinterhöfen. Es wurden Spurenbereiche gebildet, das seien an die 26 Spurenbereiche im Radius von 250 Metern gewesen. Denn sie hatten in dieser Entfernung Splitter aufgefunden, die sie der Explosion zuordneten. Vom Sprengzentrum weg seien die Spurenbereiche immer kleiner geworden. Es wurden alle Splitter, bei denen man nicht gewusst habe, wozu sie gehören, mit eingetütet, um sie dann auf der Dienststelle zu sortieren. Der ganze Bereich sei praktisch besenrein gemacht worden. Es durften keine externen Personen, auch keine Anwohner sich im Spurensicherungsbereich bewegen, nur die SpuSi und vereinzelte Polizeibeamte. Am ersten Tag hätten sie die Spurensuche mit Licht fortgesetzt, am zweiten Tag sei es wettermäßig ungemütlicher geworden, dennoch hätten sie fortgesetzt. Am beschriebenen Tatort sei es vom Sprengzentrum aus zu erheblichem Sachschaden gekommen. Als er angekommen sei, seien keine verletzten Personen mehr vor Ort gewesen. Es sei ihnen gesagt worden, dass 22 Personen unterschiedlich schwer verletzt worden waren. Es wurde eine Vielzahl von schwarzen Kunststoffsplittern, Stofffetzen, großflächigen Splittern blauer Färbung sichergestellt, einer habe in einem Auto gesteckt. Auch Nägel haben in Autos gesteckt. Es seien elektronische Bauteile aus dem Bereich des Modellbaus gefunden worden, Teile von Batterien, verschiedene Drähte und Litzen, ein einzelner Kippschalter nebst Kunststoffgehäuse und Wippe, zwei Plastikhülsen eines Quarz [Empfänger] aus dem Bereich des Modellbaus, dem Flugmodellbau. Es sei die akribische Tatortarbeit mit den Splittern und Teilen gefolgt, davon seien Lichtbilder gemacht worden und diese seien dann zu Lichtbildmappen zusammengestellt worden. Anhand der Tatortvermessung sei eine Skizze vom Tatort angefertigt worden.

Auf der Dienststelle seien die Teile in einzelnen Tüten aus den einzelnen Spurenbereichen sehr genau angeschaut worden und es sei versucht worden, sie zu identifizieren. Die blauen Splitter konnten so einer Camping-Gasflasche, die schwarzen Hartkunststoffteile konnten einem Koffer der Firma Kappa zugeordnet werden, die Textil-Teile gehörten zu einer Fahrradtasche, einer Kunststofftasche mit Klipp zum Anhaken, es war eine „Umarex“-Tasche. Elektronische Bauteile konnten identifiziert werden, es waren zwei so genannte „Servos“ aus dem Flugzeugmodellbereich. Der Quarz sendete auf Frequenz von 35 Megahertz, auf Kanal 72 speziell für Flugmodelle, eine aufgefundene Platine konnte dem Empfängerteil zugeordnet werden und stammte ebenfalls aus dem Modellbau, daraus sei gefolgert worden, dass die Sprengvorrichtung, die dort abgelegt worden war, funkferngezündet worden sein könnte. Zahlreiche Nägel steckten in Gebäuden, es wurden 702 solcher Nägel gefunden, sie waren voll erhalten allerdings verbogen und verformt, auch einige zerbrochene Nägel waren darunter, es waren mehrere mehrkabelige elektrische Leitungen sowie Batterien als Energiequellen gefunden worden. Die Nägel waren für die Splitterwirkung, zusätzlich zu den Splittern der Campingflasche, wenn diese zur Umsetzung [= Explosion] kommt. An großflächigeren Splittern konnte chemisch nachgewiesen werden, dass Bestandteile von Schwarzpulver anhafteten, bei Schwarzpulver kommt es zu einem raschen Abbrand, wenn es offen entzündet wird. wenn es eingeschlossen ist, entsteht ein Überdruck und es kommt zur explosionsartigen Umsetzung, die stark genug ist, die Gasflasche zu zerreißen und die Teile entsprechend zu beschleunigen.

Sie hätten einen kleinen Sockel mit Glühbirnchen gefunden, wie aus einer Taschenlampe, der Glühwendel des Birnchens, könne, wenn er erhitzt werde, explosionsgefährlichen Stoff zur Explosion bringen. Sie hätten dann den Vorrichtungsaufbau rekonstruiert, sie hatten das Fahrrad aus der ALDI-Werbung der Marke „Cyco“, den Hartschalenkoffer mit den Nägeln und der Campinggasflasche und die Campingtasche und darin die Zündvorrichtung bestehend aus dem Quarz, einem Ein-Aus-Wippschalter, damit während des Transports die elektrische Ladung gekappt werden konnte, eine Art Transportsicherung. Wenn die Vorrichtung abgestellt war, musste die Ladung dann wieder eingestellt werden, damit wieder Strom fließen konnte. Bei der Umsetzung der Sprengvorrichtung auf dem Fahrrad seien Splitter in 200 Meter Umkreis geschleudert worden. Götzl fragt, ob die Lichtbilder und die Mappen vom Kollegen angefertigt worden seien. Der Zeuge bejaht das, Martin Wa. habe die Verantwortung dafür gehabt, das sei aber insgesamt Teamwork, aber Wa. wisse, wo welche Aufnahmen gefertigt wurden und habe die Texte zu Bildern verfasst.

Es kommt zu einer Inaugenscheinnahme eines Stadtplans, der Zeuge orientiert sich mühsam auf der Karte: „Wir kommen ja aus Düsseldorf, da muss ich selber erst suchen“; da sei die Schanzenstraße, wo der Fernsehsender „Viva“ sei, die Hausnummer 29 der Keupstraße sei etwa mittig bei dem Friseurladen. Der Zeuge beschreibt die Spurensicherungsbereiche. Götzl fragt, bis wohin Nägel gefunden worden seien. Sp. antwortet, vor allem gegenüber vom Friseurladen, mindestens ein Nagel steckte in einem Transporter, in Hinterhöfen wurden auch welche gefunden, das heißt, da es sich um eine geschlossene Häuserzeile handelt, müssen die über die Häuser drübergeflogen sein. Es sei eine Vielzahl von Nägeln gefunden worden und Splitter der Stahlflasche, die z.T. in Fahrzeugen steckten. Götzl fragt, ob sie zu einzelnen Asservaten und ihrer Herkunft Ermittlungen getätigt haben. Sp. sagt, zunächst sei es um die Identifizierung des Fahrrades der Firma ALDI gegangen. ALDI habe ein solches Fahrrad zur Verfügung gestellt. So konnten sie das Fahrrad rekonstruieren. Sp. sagt, hier müsse er noch einpflegen, dass das ALDI-Fahrrad angebotsmäßig einen Kippständer hatte, das Tatfahrrad hatte aber einen zweifüßigen Aufbockständer. Das sei nachvollziehbar, die Schwere der Gasflasche plus 5,5 Kilo Sprengstoff und andere Tatmittel seien doch recht schwer gewesen, das Fahrrad wäre umgefallen. Deshalb sei es mit dem Aufbockständer versehen worden, ein solcher Ständer konnte ermittelt und besorgt werden.

Götzl fragt, wann das Fahrrad bei ALDI im Angebot gewesen sei. Sp. sagt, in der 17. KW im April 2004, in dieser Form sei es bei ALDI-Süd für 249 Euro zu haben gewesen – aber eben mit Seitenständer. Götzl fragt nach dem Campinggasbehälter. Sp. sagt, da habe er auch irgendwas ermittelt, das wisse er im Detail nicht mehr. Sie hatte die Artikelbezeichnung, glaube er, 1004. Er sei selber Camper, die Flasche sei ihm bekannt, schon von Färbung her; sie verfüge über einen Standring, der beidseitig lackiert sei, die Kuppel sei nur einseitig blau lackiert. Bei der Größe habe die Flasche eine Mittelnaht, so konnten sie ermitteln, welche Art von Flasche das war. Götzl fragt nach den Servos. Sp. antwortet, die Firma Graupner hatte diese Servos seit dem Jahr 2002 nicht mehr hergestellt, sie müssen also noch in Gebrauch gewesen sein oder aus Restbeständen in den Läden. Fast baugleiche Servos sind später hergestellt worden. Sie seien dann noch an die Firma Umarex herangetreten wegen der Satteltasche. Dann sei da noch die Plantine gewesen. „Wo sollten wir die zuordnen?“ Das ALDI-Rad hatte ja auch Rücklicht, es hätte ja auch diese Platine gewesen sein können. Die Platine konnte dann dem Empfängerteil zugeordnet werden. Die aufgefundenen Batterien wurden für den Bereich des Modellbaus hergestellt, sie waren stark zerstört. Da war ein 9-V-Block, z.T. zerstört, zur Herkunft konnten sie nichts sagen. Hartschalenkoffer der Firma Kappa gibt es nur in Spezialgeschäften für Helme, es gibt sie auch abschließbar. Das seien alles Teile gewesen, die ganz normal käuflich zu erwerben waren. „Die Nägel waren 100 mm lang und hatten 5 mm Stärke und werden als Zimmermannsnägel bezeichnet.“

Götzl sagt, Sp. habe angegeben, sie hätten keine Geschädigten angetroffen, im Bericht vom 24.08.2004 sei aber von einer Geschädigtenliste die Rede. Sp., er habe verletzte Personen gemeint. Geschädigte, also Geschäftsinhaber seien schon vor Ort gewesen. Die Kollegen hätten nach Sprengwirkung auch in den Geschäften gesucht, dazu seien Geschädigte befragt worden, von Herrn Wa. vernommen und aufgenommen. Götzl sagt im Tatortbefundsbericht von KHK He. heißt es, zerstörte Schaufensterscheiben seien in bis zu 150 Metern Entfernung festgestellt worden und fragt: „Waren das Nägelschäden?“ Sp. sagt, das beziehe sich auf Nägel, aber die Sprengwirkung reichte auch weiter, kleinere Teile seien von der Druckwelle weiter fortgetragen worden. Weiter entfernt seien aber keine Nägel mehr zu finden gewesen. In den Teilbereichen seien auch andere Kollegen unterwegs gewesen, die Erkenntnisse seien dann von ihm und Herrn Wa. zusammengetragen worden.

BAW Greger fragt, ob er auch Zeugen befragt habe. Sp. verneint. Greger fragt, ob sie letztendlich die Vorrichtung aufgefunden hätten, mit der die Explosion herbeigeführt wurde. Sp. fragt, ob er den Sender meine. Greger sagt, die Fernzündeinrichtung. Der Zeuge sagt, eine solche Vorrichtung sei ihnen nicht bekannt geworden, ein Sender nicht. Zschäpe-Verteidiger RA Heer fragt, was ein Servo sei. Sp. sagt, das sei ein mechanisches Bauteil in einem Rahmen, wo ein Schenkel beweglich gelagert ist. Es könne angesteuert werden, um bestimmte Funktionen auszulösen. Sachverständiger Dr. Möller fragt, sie das Gewicht eines einzelnen Nagels ermittelt haben. Sp.: „Nein, leider nicht.“
Dr. Möller fragt, ob noch weiteres Füllmaterial im Koffer gewesen sei. Sp. bejaht, sie haben zahlreiche Wattereste gefunden, sowohl an Stahlsplittern und Nägeln als auch im Nahbereich der Explosion. Dr. Möller hakt nach, ob die Stahlflasche im Helmkoffer lag oder stand. Sp. antwortet, die Rekonstruktion besage, dass sie liegend im Helmkoffer gelagert war, das wisse er nur so aus der Erinnerung. Dr. Möller möchte wissen, ob Sp. die ungefähre Höhe des Fahrrads nennen könne, dort wo der Sprengsatz befestigt gewesen sei. Sp. sagt, er wisse nur noch, dass es ein 28-Zoll-Fahrrad gewesen sei, er habe die Höhe nicht ausgemessen.

NK-Vertreter RA Reinecke fragt, wie lange war seine Gruppe in die Tatortermittlungen einbezogen war. Sp. sagt, am Tatort seien sie zwei Tage eingebunden gewesen und dann habe sich das Ganze über Wochen und Monate hingezogen, die kriminaltechnischen Untersuchungen und der objektive Tatortbefund mit Abschlussmaßnahmen. Reinecke fragt weiter, ob Sp. schon beim Anschlag in der Probsteigasse mit Ermittlungen befasst war. Der Zeuge bestätigt das. Reinecke hakt nach, ob er da für sich eine Verbindung gesehen habe. Sp. verneint, für sie habe es keinen Zusammenhang gegeben. NK-Vertreter RA Narin fragt, ob er die Tatmittelmeldestelle nach der USBV [Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung] vorgenommen habe. Sp.: „Ja, Kollegen vom BKA haben den Abgleich gemacht.“ Narin hält aus den Akten vor, dass es eine Abfrage bei der Meldestelle bitte bis 5 Jahre zurückliegend gegeben habe. Er fragt, warum 5 Jahre. Sp. sagt, das sei richtig, er könne nicht mehr sagen, warum. NK-Vertreter RA Erdal fragt, ob er dafür eine vernünftige Erklärung habe. Der Zeuge verneint. Das könne er nicht sagen, warum, es sei Standard gewesen, einen Zeitraum festzulegen, bis wann die Auswertung zurückreichen sollte. Der Zeuge wird entlassen.

Der zweite Zeuge des Tages ist KHK Martin Wa., 44, LKA NRW Düsseldorf. Der Vorsitzende Richter Götzl fragt den Zeugen nach Verlesung von dessen Aussagegenehmigung nach dem Anschlag in der Keupstraße und nach der Ermittlungsarbeit, mit der er betraut gewesen sei. Wa. antwortet, als Mitglied der Tatortgruppe Sprengstoff/Brand habe er um 16 Uhr die Mitteilung, zur Keupstraße zu kommen, erhalten. Er habe dort erste Erkundigungen eingeholt und sich mit den Kollegen verständigt. Er habe sich mit den Kollegen geeinigt, dass er die Tatortkoordination übernehme, dann seien die Spurenbereiche festgelegt worden. Sie hätten das auch mit Kollegen, die nicht zu ihrer Dienststelle gehörten und auch mit dem Polizeipräsidium abgeglichen, dann seien sie zur Tatortarbeit übergegangen. Sie seien mit den Beamten die Spurensicherungsbereiche durchgegangen, sie hätten alle Gegenstände, die zur Sprengvorrichtung gehören könnten, eingesammelt. Jeder Bereich habe eine eigene Spurensicherungstüte erhalten, es wurde eingesammelt und verwaltet. In der Dienststelle hätten sie dann gesichtet, was tatsächlich Bestandteil der Sprengvorrichtung war und was nicht, das haben sie sortiert, beschriftet und beschrieben. Der Rest sei zurück in die Tüte gekommen. Alles sei fotografiert worden und genau aufgelistet, die Lichtbilder seien in drei Aktenordnern abgelegt worden, mit der Tatortskizze sei gut darstellbar, was wann wo aufgefunden wurde. Götzl regt an, die Lichtbilder aus der Mappe vom 17.06. in Augenschein zu nehmen.

Mappe I enthält zunächst einen Stadtplan, dann Luftaufnahmen. Zeuge: „Wir sind hier rechtsrheinisch, in Köln-Mühlheim, das ist, wie soll man sagen, ein recht multikulturelles Viertel, und im Bereich der Keupstraße hier sehr stark von türkischen Zuwanderern geprägt.“ Er beschreibt, dass die Schanzenstraße zu sehen sei, der Eingang zum Firmensitz von Viva, da waren zwei Kameras montiert. Es seien ja immer wieder Promis bei Viva gewesen, deshalb die Überwachungskamera. Dann kommen Luftaufnahmen. Wa. beschreibt, man sehe den „Umsetzungsort“ [= Sprengstelle], das Sprengzentrum, der Abstellort der Sprengvorrichtung. Es folgen zahlreiche Bilder vom Tatort aus unterschiedlichen Perspektiven, um das Ausmaß der Zerstörung zu dokumentieren. Wa. sagt: „Das war so heftig, dass es Glas geregnet hat.“ Es habe sehr große Glasschäden an den Fensterscheiben gegeben. Auf den folgenden Bildern sind die Schäden zu sehen, die durch die Explosion entstanden sein. Der Zeuge sagt jeweils, was auf den Bildern zu sehen ist. Hinter z.B. Fahrzeugen gibt es so genannte „Explosionsschatten“, wo deutlich geringere Schäden entstanden. Eine Fahrradbremse durchschlägt ein Autofenster vor der Keupstraße 68. Eine Säule vor einem Schaufenster ist „wegen des Druckereignisses“ verschoben, davor ist ein Fahrzeug abgeparkt, man sieht einen Nageleinschlag in der Säule. Ein Splittereinschlag in Autoheck, ein großes Stück Metall mit blauer Farbe und Schweißnaht. Das Zentrum der Zerstörung war die Keup-Str. 29, dort gibt es Flammwirkung, es muss eine Stichflamme gegeben haben, denn es gibt deutliche „Beschmauchung“. Daraus lasse sich ableiten, dass sie von einer Sprengvorrichtung stammt, die Markise des Friseurgeschäfts hängt herunter, liegt auf dem Gehweg. Das Fahrzeug davor ist massiv beschädigt, Verbeulungen etc. Trümmer vom Haus liegen herum. Keupstr. 29: Erster Stock, erste Wohnung, die Badezimmertür ist raus gerissen.

Nach der Mittagspause geht es um 13 Uhr weiter mit der Mappen II b. Wieder sind die Auswirkungen der Explosion zu sehen, die der Zeuge beschreibt. Der Friseursalon innen, Verwüstung; Blutanhaftungen. Vor der K-Straße 31, das Fahrrad, völlig deformiert, Vorderrad fehlt, Hinterrad stark deformiert, starke Beschmauchung, Rekonstruktion der Position des Fahrrades,Marke „Cyco“. Vor der Nr. 33 liegt ein größerer Teil des Campingzylinders. Mappe III, der Zeuge beschreibt Bilder von vor dem Friseurladen, hier konnte ausgeschlossen werden, dass die Sprengvorrichtung am Boden lag. Kellerfensterverblendung, die nach innen in den Keller gedrückt worden war. Es gebe Schmauch bis 3 Meter Höhe, d.h. es müsse grob gesagt eine 2 Meter hohe Stichflamme gegeben haben. Haustür wird aufgesprengt, Tür reißt, Klinke in Holz eingestanzt. Splitter schlagen durch zusammengerollte Markise, Beschmauchung und Hitze lassen sie teilweise schmelzen. Zeuge: „Jetzt haben wir den Tatort abgearbeitet, was die Lichtbildmappen angeht.“

Es geht weiter mit den Mappen IV a bis IV o. In diesen befinden sich die Fotos der einzelnen Asservate. Jede Mappe steht für einen Spurensicherungsbereich, den der Zeuge jeweils angibt. Wa. benennt die einzelnen Asservate, die auf den Fotos zu sehen sind. Dabei handelt es sich um Asservate, die der Zeuge Sp. bereits am Vormittag beschrieb. Hauptsächlich Nägel, Teile der Sprengvorrichtung, Teile des Fahrrads. Wa. sagt dazu, so würde halt gearbeitet, man asserviert und nimmt mit. Zeuge wird entlassen, Fortsetzung der Befragung am nächsten Tag.

Als dritter und letzter Zeuge des Tages ist Heribert Sch., 62, geladen, damals LKA Düsseldorf, jetzt Pensionär in Bottrop. Götzl verliest die Aussagegenehmigung und bittet den Zeugen, seine Aufgabe im Zusammenhang mit dem Tatort zu schildern. Sch. sagt, er sei schon zuhause gewesen und wurde um 17:15 Uhr von KOK Sp. alarmiert; er habe dann den Fliegerhorst alarmiert und sei zum Tatort transportiert worden. Sie verwendeten das Messverfahren Rolleimetrik, es seien Referenzstrecken festgelegt und dann Luftaufnahmen von der Keupstraße gefertigt worden, alles weitere geschehe dann am Dienstort am Rechner. Bei genauer Vermessung liege der Fehler bei nur 3 Zentimeter pro 100 Meter, das sei dann wie ein Foto, senkrecht von oben, und werde dann mit Maßen vermessen. Alle Maße werden dann eingelesen mit AutoCad, Maßstab 1:200, für Demonstrationszwecke auch mal 1:100. Götzl fragt, ob die Tatortskizze von ihm stamme und von Herrn Vo. und was alles eingezeichnet war. Sch. antwortet, es sei nur darum gegangen, entsprechende Maße, v.a. Spurenbereiche, Fahrbahnbreite, Gehwege etc zu erheben, um sich ein Bild machen zu können, wenn man nicht mehr am Tatort ist.

Es folgt eine Inaugenscheinnahme von Lichtbildmappen der Tatortvermessung, der Zeuge blättert die Mappe durch, meint aber, dass er zum Tathergang kaum was sagen könne, es sei nur um Vermessung gegangen. „Ich bin kein Sprengstoff- oder Brandexperte, ich gucke nur nach den Punkten, damit ich eine genaue Abbildung erzielen kann. Die Darstellung der Keupstraße habe ich noch lange an der Wand gehabt, das war eine schöne Sache, die man zu Schulungszwecken verwenden kann.“ Götzl fragt, was er alles vermessen habe. Sch sagt, das könne er im einzelnen nicht mehr sagen. Inaugenscheinnahme Lichtbildmappe 2. Der Zeuge erklärt, das seien Bilder der Videokameras bei „Viva“. Er habe dann Vermessungen vor Viva vorgenommen und Messpunkte ausgewählt. So seien dreidimensionale Abbildung entstanden, so könne man aufgrund einzelner Punkte abmessen, in welcher Entfernung Bilder aufgenommen worden seien. Aufgrund der Berechnungen hätten sich folgende Größen der mutmaßlichen Täter ergebe. Täter 2, ca. 1,76 m groß, ohne Berücksichtigung von Mütze oder Schuhwerk. Täter 1, ca. 1,80 m.

NKRA Hoffmann fragt, ob man auf den Messbildern der Bombenexplosionsstelle Messungen vornehmen könne. Sch. antwortet, das ergebe sich als dreidimensionaler Messverbund aller erhobenen Daten, AutoCad rechnet das dann um. Hoffmann hakt nach: „Ich will nur wissen, kann ich da drin was messen?“ Der Zeuge verneint. NKRA Erdal sagt, der Zeuge habe gesagt, das sei „ein Tatort gewesen, der nicht alltäglich war“. Sch. antwortet, das sei der einzige Bombenanschlag, den er vermessen habe, in seinen 12 Jahren beim LKA. Erdal fragt, ob das ein Terroranschlag gewesen sei. Sch. sagt, das könne er nicht sagen, das sei nicht seine Zuständigkeit. Erdal sagt: „Ich habe nach Ihrer Meinung gefragt.“ Götzl interveniert, Meinungen spielten keine Rolle, es gehe um Tatsachen hier. Der Zeuge wird entlassen. Die Sitzung endet 15:02 Uhr.

Der Blog NSU-Nebenklage kommentiert:
„Den Beginn machten zwei Sprengstoffermittler vom LKA Nordrhein-Westfalen, die eindrücklich von der extremen Zerstörungswirkung der berichteten: Diese enthielt über 5kg Schwarzpulver und über 700 Zimmermannsnägel zur Verstärkung der Verletzungswirkung, durch die Detonation und die umherfliegenden Nägel waren noch in 150 m Entfernung Scheiben geborsten. Die Bombe wurde mit Bauteilen aus dem Flugzeug-Modellbau ferngezündet.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/01/12/12-01-2015/

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