Jetzt auch Hessen

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Drei Jahre nach dem Auffliegen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« soll nun auch in Hessen ein Untersuchungsausschuss das staatliche Handeln in der rassistischen Mordserie beleuchten.

von Adrian Gabriel, erschienen in der rechte rand, Heft 150

Hessen spielt im Komplex des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) eine wichtige Rolle. Zwei der NSU-Morde hatten Bezüge nach Hessen: So lebte der am 9. September 2000 in Nürnberg ermordete Enver Şimşek im hessischen Schlüchtern und Halit Yozgat wurde am 6. April 2006 in seinem Wohnort Kassel erschossen. Hinzu kommt die dubiose Rolle des hessischen Geheimdienstlers Andreas Temme mit dem Spitznamen »Klein Adolf« und der Vorwurf der Polizei gegen den hessischen Geheimdienst wegen einer »Unterstützungshaltung für Tatverdächtige«. Dazu kam der beispiellose Vorwurf der »Strafvereitelung im Amt« gegenüber dem heutigen hessischen Ministerpräsidenten und früheren Innenminister Volker Bouffier (CDU), der außerdem 2006 in Fragen zum Mord in Kassel und zu seiner Rolle beim Eingreifen in die Ermittlungen das Parlament hinters Licht führte. In den frühen 1990er Jahren wurden darüber hinaus die Thüringer Sicherheitsbehörden von Hessen mit aufgebaut: Zentrale Akteure aus Geheimdienst, Staatsanwaltschaft und Polizei im Thüringer NSU-Komplex sind frühere hessische Beamte – so zum Beispiel der damalige leitende Staatsanwalt in Gera, Arndt Peter Koeppen, und Peter Nocken, eine zentrale Figur beim Aufbau der Thüringer Nazi-V-Leute-Szene. All das ist mehr oder weniger bekannt, doch mitnichten aufgeklärt. Weil Hessen selbst bisher kaum zur Aufklärung beigetragen hat, stehen Fragen und gravierende Widersprüche im Raum.

Null-Aufklärung

Obwohl der Hessische Landtag sofort nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 einstimmig »eine rasche, vollständige und rückhaltlose Aufklärung« beschloss, geschah das Gegenteil. Fragen der damaligen rot-rot-grünen Opposition schmetterte die Landesregierung aus CDU und FDP ab. Es gab angeblich »keinerlei Pannen und Probleme in Hessen«. Man delegierte die Aufklärung in die Untersuchungsausschüsse in Berlin und München – um sie dort zu blockieren. Blieb trotzdem etwas hängen, leugnete man. Zum Beispiel den in Berlin von der Polizei öffentlich vorgetragenen und in den Akten dokumentierten Vorwurf der »Unterstützungshaltung für Tatverdächtige« und der Sperrung der Geheimdienst-Quellen durch Bouffier. Dazu befragt antwortete die Landesregierung: »Konflikte zwischen Polizei und Verfassungsschutz hat es nicht gegeben«. Die Opposition machte von ihrer Möglichkeit, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, lange keinen Gebrauch. »Die Linke« hatte nicht genügend Stimmen und SPD und »Grüne« setzten für Aufklärung – erfolglos – auf einen Sieg zur Landtagswahl 2013. Nach der Wahl schwenkten die »Grünen«, nun in der Regierung, um: Die Regierung sollte selbst und nur intern Vorschläge zur Neuausrichtung der Sicherheitsbehörden erarbeiten, statt Aufklärung zu betreiben.

Warum ein Untersuchungsausschuss?

Im Münchener NSU-Prozess tauchten immer neue brisante Details zur Rolle von »Klein Adolf« und des hessischen Verfassungsschutzes auf. Eigentlich glaubt niemand dem früheren Geheimdienstler Temme – bis auf Bouffier und Geheimdienst. Fest steht, dass Temme am Kasseler NSU-Tatort war und vier Tage später bei einer Dienstbesprechung gelogen hat, er kenne das Café und das Mordopfer Halit Yozgat nicht. Warum? Hingegen wusste er aber offenbar bereits damals, dass der Mord zur sogenannten »Česká -Serie« gehört, obwohl das zur damaligen Zeit noch nicht öffentlich bekannt war. In München nannte man das »Täterwissen«. Und die auf den Mord folgenden Treffen und Telefonate zwischen Geheimdienst und Innenministerium werfen ein bizarres Licht darauf, dass offenbar eine Nicht-Ermittlung das Ziel war. Sogar im NSU-Ausschuss in Berlin und im NSU-Prozess in München blieben hessische Akten verschwunden und die Aussagen der ZeugInnen waren widersprüchlich-lückenhaft. Ein vom »Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz« bezahlter Anwalt achtete darauf, dass die Interessen des Amtes gewahrt blieben. Doch welches angeblich bedrohte Staatswohl ist nach über sieben Jahren bedeutsamer als die Aufklärung des NSU-Komplexes? Im Februar 2014 stellte »Die Linke« den Landtag vor die Wahl: Für einen Untersuchungsausschuss und damit für Aufklärung dieser Fragen oder gegen einen Ausschuss – und damit gegen Aufklärung. Schließlich entschied sich auch die SPD dafür. Doch anders als bei allen anderen NSU-Untersuchungsausschüssen haben die Regierungsfraktionen und die FDP nicht für den Ausschuss gestimmt. Was das bedeutet, wurde schon bei dessen Konstituierung am 1. Juli 2014 deutlich, indem die schwarz-grüne Mehrheit die Arbeit massiv erschwerte. Von der Wahl des Ausschussvorsitzes über die Verfahrensregeln bis zum ersten Aktenbeschluss nutzte Schwarz-Grün ihre Mehrheit voll aus. SPD und »Die Linke« haben so nur eine schmale Basis für Aufklärung.

Erwartung an den Ausschuss

Die Familie von Halit Yozgat sagte, solange noch ein Blatt der Akten ungeklärt ist, bleibt der Fall offen. Doch wie weitgehend der Ausschuss aufklären kann, ist angesichts der vielen tausend Akten, möglichen Verfahrenstricks und einer mauernden Regierung offen. Der Ausschuss wird sich über Jahre hinziehen. Immerhin: Schon die bereits jetzt bekannten brisanten Fragen, Widersprüche und Hintergründe des Falls sowie die offenkundige Nervosität bei der Landesregierung und den Behörden sind Grund genug, die Aufklärung anzupacken. Die Vernehmungen der ZeugInnen aus den Behörden und der Regierung sind öffentlich, ihre mögliche Fallhöhe enorm. Das wissen sie.