Kurz-Protokoll 188. Verhandlungstag – 26. Februar 2015

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Am heutigen Verhandlungstag sagt zunächst eine Freundin von Carsten Schultze aus. Sie kennen sich seit ihrer Jugend und sind bis heute befreundet. Sie erählt von ihrer gemeinsamen Zeit in der Neonazi-Szene, ihrem gemeinsaem Beschluss zum Ausstieg und zur Zeit nach dem Bekanntwerden des NSU, in der Schultze ihr von der Waffenübergabe erzählte. Anschließend sat Armin Fiedler aus, der am Anfang der Zeit in Chemnitz den Dreien half, einen Schlafplatz zu finden. Er gibt bei vielen Fragen an, sich nicht mehr erinnern zu können. Nach diesen Vernhehmungen stellen die Nebenklagevertreter_innen der Familie Yozgat mehrere Anträge bezüglich Andreas Temme. Wir dokumentieren diese Anträge und die Diskussion um diese hier.

Zeug_innen:

  • Christine Ha. (Erkenntnisse zu Carsten Schultze)
  • Armin Fiedler (Erkenntnisse zu Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe, Wohlleben, Nazi-Szene Chemnitz)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:49 Uhr. Dann beginnt die Einvernahme der Zeugin Ha. Götzl sagt, es gehe um Kontakte zu Schultze und um Informationen, die Ha. von ihm bekommen habe. Ha.: „Mein Einstieg in die Szene war 1996, da war ich 12 Jahre alt. Ich bin dann zu der Gruppe nach Winzerla gestoßen, da war ich 13. Carsten habe ich in einer banalen Situation kennengelernt: die Tankstelle bei uns in Burgau war unser Treffpunkt.“ Der Kontakt bestehe bis heute, sie und Schultze hätten zusammen den Ausstieg gefunden: „Die Freundschaft hat so begonnen, dass er mich in Schutz genommen hat, denn ich war die Jüngste. Er hat sich für mich eingesetzt.“ Sie hätten sich ausgetauscht über ihre Gedanken in der Szene, sich als Verbündete gefunden und dann den Schritt gewagt zum Ausstieg.

Götzl fragt nach Funktion oder Rolle Schultzes. Eine Hierarchie habe sie bei der Gruppe in Winzerla nicht wahrgenommen, sagt Ha. Die habe aus mehreren Leuten bestanden, u.a. Wohlleben und Schultze. Götzl: „Kannten Sie Frau Zschäpe?“ Ha.: „Nee, die habe ich nicht kennengelernt. Eine Situation ist mir in Erinnerung, wo ich glaube sie gesehen zu haben. Ein Mädel hat mich auf Bierabende mitgeschleppt. Und in einen Keller in Jena-Zwätzen bin ich als Kind mitgenommen worden und vermute, sie da gesehen zu haben in einer Ecke.“ Götzl fragt nach Mundlos und Böhnhardt. Ha.: „Auch nicht.“ Götzl fragt zur Tätigkeit Schultzes in der Szene. Ha. sagt, nach ihrer Wahrnehmung sei es so gewesen, dass er sich um den Nachwuchs kümmern sollte, quasi geschickt worden sei. Das sei losgegangen mit Sonntagen der JN, wo man die Woche geplant habe, auf welche Demos man fährt. Und in Kahla habe es ein gepachtetes Grundstück gegeben, wo sich solche Gruppen immer mal getroffen hätten.

Götzl: „Von wem wurde er hingeschickt?“ Ha.: „Kann ich nicht sagen, aber Leitpersonen waren Wohlleben und Kapke. An dem Abend auf diesem Grundstück hatten wir einen recht angenehmen Tag, und abends haben sie das Grundstück umkreist mit Autos, um ein so genanntes ‚Cops Running‘ zu inszenieren, der Name für Davonlaufen und auf der Jagd sein. Die haben uns wirklich Angst eingejagt.“ Götzl fragt nach der Beschreibung „Leitpersonen“ für Wohlleben und Kapke. Ha.: „Es waren halt die Respektspersonen. Ich war jung. Für mich hatten die beiden eine angst- und respekteinflößende Aura. Wenn es um Demos ging und sowas, das waren die, die das Handy am Ohr hatten.“

Es sei eine Machthierarchie zu denen gewesen, sie habe auch weniger Kontakt zu denen im zwischenmenschlichen Kontext gehabt: „Und Carsten war das Bindeglied, der mit uns über das Zwischenmenschliche sprach.“ Götzl fragt, ob Wohlleben und Kapke auch bei Schulungen mit Schultze zugegen gewesen seien. Das bejaht Ha.: „Aber immer mit so einer geheimnisvollen Aura im Hintergrund. Es war nie so, dass alle zusammen am Tisch saßen.“ Götzl fragt nach Veränderungen bei Schultzes Persönlichkeit und Verhalten. Ha. sagt, das habe mit seiner Sexualität angefangen: „Ich habe damals schon vermutet zum Ende hin, dass er homosexuell ist.“ Es sei dann auch zum Outing gekommen. Im Jahr 2001 hätten sie den Sommer verbracht und die Freiheit genossen nach dem Ausstieg. Schultze sei dann nach Köln gegangen und zuerst sei es ihnen nicht so gut gelungen, Kontakt zu halten, aber sie hätten es dann trotzdem gepflegt, es hätten gegenseitige Besuche stattgefunden: „Und er hat sein Leben neu angefangen mit seinen Idealen und Werten die er wirklich in sich trägt.“

Götzl fragt, ob Böhnhardt, Zschäpe, Mundlos damals in der Szene Gesprächsthema gewesen seien. Ha.: „Ein direktes Gespräch über die Drei, die waren ja als die Drei bekannt, hatte ich nicht. Was ich wahrgenommen habe, ist dass es die Drei gibt, Jena und Bombenbau, und dass die weg sind. Und sie wurden hochgelobt für ihre Taten.“ Götzl: „Wofür?“ Ha.: „Dafür, dass sie sich einsetzen, Werte umsetzen, ernst machen. So ein Märtyrerdasein, so war das schon fast: die Drei haben sich für uns eingesetzt, haben das und das gemacht und sind jetzt weg.“

Vorhalt aus Ha.s Vernehmung: Frage: Haben Sie nach den Presseveröffentlichungen nochmal mit Carsten Schultze über das Trio gesprochen? – Antwort: Ja, damals in der Szene waren das ja Märtyrer, die Drei. Dazu sagt Ha., Silvester 2011/ 2012 habe sie Schultze besucht in Düsseldorf, und da habe er sich ihr anvertraut. Dass ihn das unmittelbar betrifft, habe sie nicht vermutet: „Er war tierisch angespannt und abends in der Kneipe hat er mir gesagt, das er vermutet, dass er mit der Sache zu tun hat, was er hier danach auch eingestanden hat.“ Auf Frage sagt Ha., Schultze habe erzählt, dass eine Waffe verwendet worden sei für die Morde und dass er Angst habe, dass er damit etwas zu tun habe. Und dass es da eine Sache gegeben habe. Das sei das erste Mal gewesen. Götzl: „Hat er Ihnen berichtet, inwiefern er jetzt mit der Waffe zu tun hatte?“ Ha.: „Das war so eine Situation in der Kneipe, er musste das jetzt los werden. Und ich habe versucht ihn zu beruhigen: Jetzt reden wir erst mal nicht darüber, steigere dich nicht rein, beruhige dich erstmal. Im Detail haben wir uns nicht unterhalten.“

Vorhalt: Er hat mir eigentlich nur erzählt, dass er eine Waffe mit Schalldämpfer besorgt hat, sich mit einem von denen getroffen hat, mit wem weiß ich nicht, und die Waffe auf einem Abbruchgelände übergeben hat. Ha. sagt, dann stimme sie zu, dass er ihr das so gesagt habe. Das sei jetzt drei Jahre her und die Aussage sei nicht lange danach gewesen. Vorhalt: Dass er Angst habe, dass damit Menschen umgebracht worden sein könnten. Das sei Schultzes Unsicherheit und Angst gewesen, dass es die Waffe war, die für die Morde verwendet wurde, so Ha. Götzl fragt, ob Schultze gesagt habe, welche Gedanken er sich damals bei der Übergabe gemacht habe. Ha.: „Eigentlich nicht wirklich.“ Der Zeitpunkt sei bei ihm erst später gekommen, wo er sich tief in seine Gedanken, in seine verdrängten Dinge reinbegeben habe.

Dann wird Armin Fiedler vernommen. Götzl sagt, es gehe um Erkenntnisse zu Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, zu Wohlleben, ob Fiedler Kenntnisse über den Aufenthalt der drei Personen in Chemnitz habe, insbesondere 1998. Es gehe auch um das Thema „88er“, ob Waffen ein Thema gewesen seien und auch um das Thema finanzielle Unterstützung und um B&H. Fiedler solle von sich aus berichten. Fiedler: „Wir wurden Anfang 1998 von Thomas Starke angerufen, ob wir drei Leuten helfen können, die Mist gemacht haben, eine Wohnung suchen und sie unterbringen. Wir haben sie dann zu einer Bekannten, Mandy Struck, gebracht. Der ihr Freund war so nett und hatte eine Wohnung, die er nicht brauchte, weil er viel bei der Mandy war. Wir haben sie dort einquartiert, noch zwei, drei Mal besucht. Dann ist der Kontakt gerissen.“ Auf Frage, ob sie danach nochmal Kontakt gehabt hätten, sagt Fiedler, das sei dann auseinandergegangen. Und dann habe er erst wieder aus der Presse was erfahren.

Götzl fragt, wer denn dann gekommen sei. Fiedler: „Augenscheinlich waren es Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe die wir abgeholt haben.“ Götzl fragt, ob Fiedler die vorher schon gesehen oder gekannt habe. Fiedler: „Nein.“ Götzl: „Wer ist wir?“ Fiedler: „Mein Bruder und ich.“ Götzl fragt, ob Starke Einzelheiten mitgeteilt habe. Fiedler: „Nein. Nur: Mist gemacht, Scheiße gebaut, und müssten jetzt mal untertauchen.“

Götzl fragt, ob Fiedler wisse, wie dann der Aufenthalt in der Wohnung abgelaufen sei, ob da noch jemand gewesen sei, der Freund Strucks. Fiedler: „Soweit ich mich erinnern kann, nicht, und wenn ich mal da war mit meinem Bruder, dann war niemand da.“ Götzl fragt, wer bei den Besuchen anwesend gewesen sei. Fiedler nennt Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Auf Frage, wie lange die Besuche jeweils gedauert hätten, sagt er, er schätze 20 Minuten, halbe Stunde. Götzl fragt, ob sich Fiedler erinnere, worum es bei den Besuchen gegangen sei. Fiedler: „Allgemeines Reden, also, nee, tut mir leid.“ Götzl fragt, ob angesprochen worden sei, warum die drei Personen eine Wohnung benötigten. Fiedler: „Nein.“

Götzl fragt, ob es mal ein Gespräch gegeben habe, wie lange sie noch in der Wohnung bleiben wollen, was sie vorhaben. Er sei sich nicht sicher, so Fiedler, es sei mal das Gespräch gekommen, dass sie ins Ausland gehen wollten, nach Südafrika: „Weil das nicht passiert ist, hab ich den Kontakt abgebrochen, weil mir das zu lange gedauert hat.“ Götzl fragt zum Zeitpunkt des Gesprächs. Das sei schon am Anfang gewesen, sagt Fiedler. Götzl: „Haben Sie Erkenntnisse dazu, wie es dann anschließend weiterging, wo sich die drei Personen aufgehalten haben?“ Fiedler: „Ich habe erst aus den Medien erfahren, dass sie in Zwickau gewohnt haben und was dann noch alles passiert ist.“ Götzl fragt, ob Fiedler um Hilfe gebeten worden sei, Besorgungen, Unterstützung, Geld. Fiedler: „Nein.“ Götzl: „Wissen Sie, ob Ihr Bruder um Hilfeleistungen gebeten wurde?“ Fiedler: „Er wurde gebeten, seinen Ausweis zur Verfügung zu stellen, um einen Reisepass zu beantragen.“ Es sei damit argumentiert worden, um die Flucht nach Südafrika oder ins Ausland zu organisieren. Götzl: „Wie ist es weitergegangen?“ Fiedler: „Er hat nachgedacht und es dann gemacht, seinen Ausweis zur Verfügung gestellt.“ Götzl: „Für wen?“ Fiedler: „Uwe Böhnhardt.“ Er bejaht, dass Böhnhardt einen Pass dann auch erhalten habe. Götzl: „Wissen Sie, was aus dem Pass geworden ist?“ Fiedler: „Den haben wir uns dann zurückgeholt. Weil mit der kurzfristigen Flucht ja nix geschehen ist. Und weil wir doch ein mulmiges Gefühl hatten, wurde der Pass von meinem Bruder zurückgeholt und vernichtet.“ Das sei ungefähr Herbst 1998 gewesen.

Er bejaht, dass ihm der Begriff „88er“ etwas sagt: „Ein Aufnäher, der früher auf Jacken genäht wurde, um Zusammenhalt zu symbolisieren.“ Götzl fragt, wie viele Personen das gewesen seien. Fiedler: „30, 50, ganz grob gesagt.“ Götzl: „Gehörten Sie dazu?“ Fiedler: „Ich hatte so eine Jacke.“ Götzl fragt, worum es dabei gegangen sei. Fiedler: „Wir haben uns früher normal getroffen, mittwochs zum Biertrinken, am Wochenende ist man auf Partys und Konzerte gefahren. Das war ohne und mit den Aufnäher so. Es hat sich nichts geändert. Es war ein Aufnäher. Es waren auch viele dabei, die den Aufnäher nicht hatten. Es hat sich nix geändert. Es war keine Mitgliedschaft, kein Verein oder sowas.“
Er bejaht, dass ihm B&H Sachsen etwas sage. Götzl: „Was denn?“ Fiedler. „Würde ich sagen, ist ein
Verein, die Aufnäher auf der Jacke hatten und Konzerte organisiert haben. Ist meine Vermutung.“ Götzl: „Hatten Sie was damit zu tun?“ Fiedler: „Nein, ich bin nur auf Konzerten gewesen, wo welche waren, die so einen Aufnäher hatten.“ Götzl: „Wer gehörte aus Ihrem Freundeskreis zu B&H?“ Fiedler. „Ich bin mir sicher, Jan Werner wird dazugehört haben. Andere kannte ich nur vom Sehen her.“ Götzl: „Und Starke?“ Fiedler: „Ich glaube schon.“ Auf Frage, wie das Verhältnis zu denen gewesen sei, sagt Fiedler: „Ich kannte Thomas Starke, auch Jan Werner, nicht ganz so gut. Nichts Negatives und Positives. Man kannte sich halt. Untereinander kannten sie sich sicherlich besser, die Zwei.“ Er verneint, dass bei den „88ern“ Waffen ein Thema gewesen seien: „Also nicht mit denen ich mich da unterhalten hab. Das war: Wochenende Biertrinken und Partys machen.“

Hier endet die Vernehmung der Zeug_innen an diesem Tag. Nach einer Pause bis 15:29 Uhr werden die angekündigten Beweisanträge der NK Yozgat verlesen. Diese und die anschließende Diskussion dokumentieren wir hier.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/02/26/26-02-2015/