Kurz-Protokoll 213. Verhandlungstag – 24. Juni 2015

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Zunächst wird an diesem Prozesstag noch einmal der Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße thematisiert. Ein Betroffener erzählt, wie er den Anschlag erlebte. Er blieb wohl nur unverletzt, weil zufällig ein Auto vor seinem Geschäft parkte. Dann nehmen noch einmal zwei Gutachter zu dem Anschlag Stellung. Anschließend geht es erneut um Andreas Temme und die Telefonate, die er nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel mit dem ehemaligen Geheimschutzbeauftragten des LfV Hessen führte. Es geht weiterhin um die Frage, ob Temme, der während des Mordes am Tatort war, vorher wusste, was passieren würde und/oder was er an diesem Tag sah.

Zeugen und Sachverständige:

  • [AL] (Betroffener des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße)
  • Rüdiger Mölle (Sprengstoffsachverständiger, Gutachten zum Anschlag in der Kölner Keupstraße)
  • Oliver Peschel (Rechtsmediziner, Gutachten zum Anschlag in der Kölner Keupstraße)
  • Gerald-Hasso Hess (ehem. Mitarbeiter des LfV Hessen, Telefonate mit Andreas Temme)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. [Hinweis: Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verzichten wir auf die namentliche Nennung der Betroffenen des Anschlags in der Kölner Keupstraße. Die Angaben der Zeug_innen zu ihren körperlichen Verletzungen, psychischen Folgen und Behandlungen geben wir hier in einem zusammenfassenden Text wieder.] Es folgt der Zeuge [AL]. Götzl: „Es geht uns um Ereignisse vom 09.06.2004 in der Keupstraße in Köln.“ [AL] berichtet: „Ja, mein Vater hat eine Reisevermittlungsagentur auf der Keupstraße, genau gegenüber von dem Frisörgeschäft. Ich bin an dem Tag in die Keupstraße reingefahren. Ich habe vielleicht 20 Minuten draußen gestanden, mich mit dem einen oder anderen auch unterhalten, dann bin ich rüber ins Geschäft. Vor dem Laden stand ein schwarzer Sprinter davor. Ich bin rein und genau dahinter, hinter dem Schaufenster befand sich mein Sitzplatz. Nach zwei, drei Minuten kam der Knall. Ich habe mich hingeschmissen. Nicht durch die Druckwelle. Aber meine Schwester ist durch die Druckwelle an [phon.] die Wand. Die war so weinerlich, ich habe versucht sie zu beruhigen. Ich hab an einen Heizkörper gedacht oder irgendwie Propangasflasche oder irgendwie so was. Dann sagte meine Schwester, dass Papa draußen ist. Ich habe erst versucht die Polizei anzurufen, aber es ging nicht, alle Leitungen besetzt. Ich habe den Schaden gesehen, Glück im Unglück. Ich bin raus, dem einen oder anderen Verletzten habe ich geholfen. Habe meinen Vater gesehen, er stand auf den Beinen, ist nichts passiert und habe mit ihm Kontakt gehabt. Ja, das war’s eigentlich.“

Dann folgen die Sachverständigen SV Rüdiger Mölle und SV Oliver Peschel. Sie ergänzen ihre Aussagen zu den Betroffenen des Anschlags in der Keupstraße um diejenigen Zeug_innen, die nach ihren bisherigen Aussagen gehört wurden. Sie sind sich einig, dass alle weiteren Zeug_innen in einem Nähebereich zum Sprengsatz gewesen seien, dass mit schwersten Verletzungen hätte gerechnet werden müssen mit durchaus potenziell tödlichen Folgen.

Danach verliest NK-Vertreter RA Langer einen Beweisantrag, zum Beweis der Tatsache, dass die Mitglieder des Trios am 28.10.2011 15,98 Liter Superbenzin erworben haben, ohne Verwendungsmöglichkeit in einem KFZ, und dass es sich dabei um das beim Brand in der Frühlingsstraße von Zschäpe eingesetzte Brandmittel handelt.

Dann betritt der Zeuge Gerald-Hasso Hess den Saal. Nach Personalienfeststellung und Belehrung verliest Götzl die Aussagegenehmigung. Dann sagt er: „Es geht uns bei Ihrer heutigen Vernehmung um den Inhalt von Telefonaten zwischen Ihnen und dem Herrn Temme am 09. Mai 2006, am 20. Juni 2006 und am 01.08.2006. Und dann geht es noch um die Frage, ob das LfV Hessen mit Herrn Temme die polizeilichen Ermittlungen durch Zugänglichmachen oder Vorenthalten von Informationen gesteuert hat, ob Mitarbeiter des LfV bereits vor dem Mord an Halit Yozgat Kenntnisse von der Tat, Tatzeit, Tatort, Täter gehabt hat, und schließlich, ob Sie aufgrund Ihrer Tätigkeit Kenntnisse hatten, aufgrund derer Sie Temme für die Person gehalten haben, die den Mord an Herrn Yozgat verursacht hat. Zunächst beginnen wir damit, dass Sie Ihre Tätigkeit beschreiben und inwiefern Sie mit diesem Gegenstand dann auch befasst waren.“ Hess: „Ich war Geheimschutzbeauftragter des LfV, das heißt für die materielle und persönliche Sicherheit des LfV verantwortlich zu sein. Ich muss vielleicht gleich vorneweg beantworten, bezüglich der Arbeit des Herrn Temme: hatte ich nichts mit zu tun. Nur im Punkt Geheimschutzbeauftragter.“
Götzl: „Sie sagten, dass Sie im Groben über den Sachverhalt informiert gewesen seien, den Temme geschildert hat. Welcher Sachverhalt war das?“ Hess: „Das war der Sachverhalt, dass er nach Dienstschluss ein Internetcafé aufgesucht hat, um eine Kontaktbörse oder Ähnliches aufzusuchen. Und da wohl mit Frauen gechattet hat. Dass er dann auch gesagt hat, dass er von dem Mord nichts mitbekommen hat, dass er, nachdem er seine Internetsitzung beendet hat, vorne hingegangen ist, niemanden vorgefunden hat, kurz auf die Straße raus ist, niemanden gesehen hat, wieder zurück ist, Geld auf den Tresen gelegt hat und dann weggefahren ist.“
Götzl: „Zu der angesprochenen Frage: Hatten denn Mitarbeiter des LfV Hessen vor der Tötung Herrn Yozgats Kenntnisse von dieser Tat, der Tatzeit, irgendwelchen Umständen?“ Hess: „In Kassel?“ Götzl: „Ja.“ Hess: „Nein. Also das was ich Ihnen geschildert habe, ist ja, er hat ein gewisses Internetportal aufgesucht. Er hätte dort dienstlich gar nicht sein dürfen und daher wurde ihm das auch zum Vorwurf gemacht. Und es geht ja nach meiner Meinung nur eins: Entweder sage ich, ich mache Dir dienstlich einen Vorwurf, an dem Ort hättest Du nicht sein dürfen. Dann kann man nicht dienstlich da gewesen sein und keine Kenntnis gehabt haben. Eins ist nur folgerichtig.“ [phon.]
Götzl fragt, ob Hess dafür zuständig gewesen sei, dass es keine Beantwortung bei den Quellen gegeben habe. Hess: „Im Endeffekt entscheidet sowas die Amtsleitung bzw. der Minister. Wobei meiner Erinnerung nach es ja auch um das Prozedere ging, nicht um das Ob, sondern das Wie, wenn ich mich richtig erinnere. Und im Endeffekt wurden die Quellen ja auch befragt, aber indirekt. Die Fragen gingen an uns und wir haben sie weitergeleitet.“Götzl: „Worum ging es bei den Telefonaten, was war der Anlass, von wem ging die die Initiative aus?“ Hess: „Das war wohl unterschiedlich, mal hat Temme angerufen, mal ich. Am Anfang ging es um seine dienstliche Erklärung, um Anfragen der Polizei. Das ist mir soweit erinnerlich.“
Götzl fragt, was Hess zum Telefonat mit Temme am 09.05.2006 sagen könne. Hess: „Bei diesem Telefonat war ich, als ich’s gehört habe, wirklich erstaunt, wie oft ich dem Herrn Temme auch gesagt habe, wie er bei der Wahrheit bleiben soll. Das einzige, was dann auch in der Presse kursierte: ‚Nah bei der Wahrheit‘. Gemeint ist: Es gibt auch andere Vorschriften, an die du dich zu halten hast. Aber gleichzeitig, wenn du was nicht sagen kannst, dann artikuliere das bitte: Ich kann es nicht sagen. Und dann kann man überlegen, was man vielleicht doch machen kann. Am Ende kriegt die Polizei alles. Wir waren uns einig, alles der Polizei zu geben und mitzuteilen, was sie haben will. [phon.]“ Götzl: „Warum wollte er Sie erreichen?“ Hess: „Ja, ich habe ja drauf gewartet, mit ihm in Kontakt zu kommen. Er hatte ja auch eine dienstliche Erklärung abzugeben, ich wollte schon mal was von ihm hören.“ Götzl: „Ja, worum ging es Ihnen?“ Hess: „Ihn dazu aufzufordern, wie Sie mir als Zeugen auch nahegelegt haben, dass ich hier die Wahrheit zu sagen habe, ihm das auch nahezulegen: Bleibe bei der Wahrheit, weiche nicht aus, aber bitte immer unter Beachtung der anderen Vorschriften, die für einen Verfassungsschützer gelten.“
Vorhalt aus der Abschrift des Telefonates: Hess: Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren. Götzl: „Was sagen Sie dazu?“ Hess: „Es kam ja einen Satz vorher raus, dass die Situation für Temme nicht ganz einfach ist. Und dass wenn er gewusst hätte, welche Schwierigkeiten er sich mit dem Besuch dieses Internetcafés einhandelt, dass er dann eine großen Bogen um den Ort geschlagen hätte.“ Götzl: „Aber hier steht: ‚Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.'“ Götzl: Ja, worauf bezieht sich das?“ Hess: „Ja, wenn er das gewusst hätte im Vorhinein, was sich alles abspielt [phon.], dann hätte er seinen Besuch nicht getätigt. Und er hat ihn ja nun getätigt.“
Götzl: „Gab es denn mal Diskussionen mit der Polizei darüber, dass sie mit dem Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht einverstanden ist, gab es da ein Gespräch an dem Sie beteiligt waren?“ Hess: „Mir gegenüber nicht.“ Götzl: „Gab es solche Gespräche, von denen Sie Kenntnis hätten?“ Hess: „Ich habe nur gehört, aber erst nach dem Gespräch, dass manche der Polizeibeamten nicht so ganz zufrieden wären. Warum, wieso weiß ich nicht, kann ich nichts zu sagen. Ich habe keine Kenntnis davon. Wenn ich mit der Polizei telefoniert habe, wurde mir das jedenfalls nicht deutlich gemacht. Das hat man mir nicht zur Kenntnis gegeben. Das ist bei mir nicht so angekommen.“
[Es folgt die Wiedergabe der Audiodatei des Telefonats vom 20.06.2006. Aus redaktionellen Gründen können wir das Telefonat hier nicht wiedergeben. Auf wichtige Stellen gehen die Verfahrensbeteiligten im Verlauf der weiteren Vernehmung mit Vorhalten ein. Siehe zum Inhalt des Telefonats auch die Beweisanträge der NK Yozgat vom 188. Verhandlungstag.] Götzl: „Können sie sich an das Gespräch jetzt wieder erinnern?“ Hess: „Das Gespräch deutet wieder darauf hin, dass wir versucht haben, auch er, möglichst alles zu tun um den Sachverhalt aufzuklären. Natürlich zu seinem Nutzen und unserem. Davon waren wir überzeugt. Denn die Fakten, die die Polizei vorgelegt hat, haben mich nicht überzeugt.“ Vorhalt: Temme: Da ist der Computer an gewesen und wurde auch bedient. Also das ist, das ist unstrittig. Das Problem ist wirklich diese Minute. Götzl: „Hat Ihnen das irgendwas gesagt?“ Hess sagt, das sei schwierig zusammen zu bekommen jetzt: „Denn die Polizei hat ein Schema aufgestellt: Wie lang war er da drin, wann hat er sich ausgeloggt?“ Hess sagt, das interessiere einen nicht als LfV-Mitarbeiter, aber ihn, Hess, habe es es persönlich interessiert: „Ich gehe nach vorne, sehe ihn nicht, gehe raus, sehe ihn nicht, lege das Geld hin und gehe raus: Wie lang dauert das? Das Ausloggen am Computer ist ein Anhaltspunkt.“
Bliwier: „Es soll so gewesen sein, dass Sie erklärt haben sollen, dass eine Vernehmung der Quellen ‚das größtmögliche Unglück für das LfV bedeuten würde‘.“ Hess: „Ja.“ Bliwier: „Das haben Sie so geäußert?“ Bliwier sagt in einem Vermerk von We. zu der Besprechung sei Hess so wiedergegeben, dass es für einen „fremden Dienst“ ja ein Leichtes sei, den Dienst lahmzulegen, man müsste nur eine Leiche daneben legen. Bliwier: „Sind Sie richtig wiedergegeben?“ Hess: „Theoretisch ja.“ Bliwier fragt, was Hess damit meine. Hess: „Eine Theorie, die ich geäußert habe. Einer kann die Quellen in einen Sachverhalt reinziehen. Im Ausländerbereich, ist ja gerade aktuell, da ist man dann blind. Und wenn der nächste Anschlag kommt, da möchte ich nicht weiterdenken.“
Dann macht RA Narin einen Vorhalt aus dem Schriftstück von Hess Kollegin Pi.: Seit 2000 gab es in München, Nürnberg, Hamburg und Rostock sieben Tötungsdelikte gegen Türken mit einem geschäftlichen Bezug … Gibt es Dinge, die VM dazu sagen können? Narin: „Ist Ihnen eine solche Rundmail bekannt geworden?“ Hess: „Dass so eine Rundmail rumging, habe ich beim Untersuchungsausschuss erfahren, vorher weiß ich es nicht mehr. Ich war in dem Bereich nicht zuständig. Nach der Verschlusssachenanweisung heißt es auch: Kenntnis nur wenn nötig. Ich darf also nur Kenntnis haben, wenn ich es für meine Arbeit brauche. Also darf ich von dieser Sache überhaupt keine Kenntnis haben.“ Der Verhandlungstag endet um 18:05 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/06/24/24-06-2015/

Zur vollständigen Version des Protokolls geht es hier.