Kurz-Protokoll 217. Verhandlungstag – 14. Juli 2015

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Am heutigen Prozesstag geht es zunächst um einen Reisepass, der 2011 auf Holger Gerlach ausgestellt wurde, den dieser an das Trio weitergab. Dann geht es um eine Wohnmobilanmietung, ebenfalls aus dem Jahr 2011. Dabei gibt die Zeugin, die bei der Autovermietung arbeitet, an, ein Pärchen, eine Frau und ein Mann, hätten dieses Wohnmobil gemietet, bei der Abholung sei auch ein Kind mitgewesen. Danach sagt ein ehemaliges Mitglied der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ aus. Er wird befragt zu Matthias Dienelt, der die Wohnung in Zwickau anmietete und zu André Eminger. Diesen sah der Zeuge zuletzt auf einer Demonstration in Schneeberg gegen eine Geflüchtetenunterkunft.

Zeugen:

  • Timo Ko. (BKA Meckenheim, Ermittlungen zu einem auf Holger Gerlach ausgestellten Pass)
  • Michele Ar. (Anmietung eines Wohnmobils im Oktober 2011)
  • Marcel Schenke (ehem. Mitglied der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“, befreundet bzw. bekannt  mit Matthias Dienelt und André Eminger)

Der Prozesstag beginnt um 09:57 Uhr. Erster Zeuge ist Timo Ko. vom BKA Meckenheim. Götzl: „Es geht uns um Ermittlungen im Hinblick auf einen Reisepass.“ Ko. solle berichten. Ko.: „Wir hatten ja aus Beschuldigtenvernehmungen von Holger Gerlach die Erkenntnis, das er einen Reisepass übergeben haben möchte an Böhnhardt. Wir haben dieses Asservat im Wohnmobil gefunden 2011.“ Das sei ein Reisepass mit Foto und vollständigem Namen von Gerlach. Sie hätten bei der zuständigen Ausweisstelle von Gerlach ermittelt. Eine Mitarbeiterin habe ihnen mitgeteilt, dass der Ausweis am 19.05.2011 dort beantragt und dann am 16.06.2011 dort abgeholt worden sei. Beantragung und Abholung seien per Unterschrift quittiert worden. Bei diesen Unterschriften und der Unterschrift von Gerlach aus der Vernehmung handele es sich dem Augenschein nach um identische Unterschriften, also würden sie davon ausgehen, dass Gerlach den Pass selbst beantragt und abgeholt hat.

Nach einer Pause bis 10:17 Uhr sagt Götzl, es stehe noch eine Erklärung von NK-Vertreterin RAin von der Behrens zum Zeugen Ha. (zuletzt 214. Verhandlungstag) aus. V. d. Behrens: Wie bereits andere Zeugen beschrieb auch Ha. die Radikalisierung von Uwe Mundlos seit Beginn der 90er Jahre. Hinsichtlich der Angeklagten Zschäpe bestätigte der Zeuge ebenfalls die Angaben vorangegangener Zeugen: Zschäpe habe sich in der Gruppe behaupten können, sei „nicht dumm oder gutgläubig“ gewesen, habe „gewusst, was sie wollte“. Die geschilderten Umstände zeigen das hohe Maß an Konspiration und den routinierten Umgang mit Repressionsmaßnahmen, auch der Angeklagten Zschäpe. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass sie schon damals auf allen Ebenen gleichberechtigtes Mitglied der KS Jena war. Weiter ist durch die Angaben des Zeugen bekannt geworden, wie eng die bundesweite Vernetzung des Trios vor dem Untertauchen war. Der Zeuge bestätigte insofern seine beim BKA gemachten Angaben, dass es Einladungen von „Altnazis“ gegeben habe, die „Nachwuchs aus dem Osten“ hätten unterstützen wollen und diesen eine „finanzielle Basis“ gegeben hätten.
Die Aussagen des Zeugen hätten außerdem nahe gelegt, dass es einen länger angelegten Plan zum Untertauchen gegeben habe. V. d. Behrens weiter: Somit spricht in Zusammenschau der Angaben des Zeugen Ha. und der genannten Indizien viel dafür, dass das Trio bereits vor der Durchsuchung der Garage geplant hatte, in den Untergrund zu gehen und von dort aus weiter Anschläge zu begehen: Entweder nach einem erfolgten Anschlag mit den in der Garage gebauten Rohrbomben oder bevor Böhnhardt seine Jugendstrafe hätte antreten müssen. Die Frage, wann der Entschluss zum Untertauchen und damit auch zur Verfolgung ihrer völkisch-rassistischen Ziele mit terroristischen Mitteln aus dem Untergrund heraus gefallen ist, ist für den Vorsatz und die Strafzumessung der Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Gerlach sowie für die Feststellungen hinsichtlich des Organisationsdeliktes relevant.

Danach folgt die Vernehmung der Zeugin Ar. Ar. ist mit einem Zeugenbeistand, RA Schmidt, erschienen. Götzl: „Es geht uns um die Frage der Anmietung eines Wohnmobils im Oktober 2011 bei der Firma K. Was können Sie uns dazu berichten?“ Ar.: „Eine Vermietung wie jede andere, die bei uns täglich stattfindet.“ Es sei ein Pärchen gewesen, die ein Wohnmobil gewollt hätten, um damit ihren Urlaub zu verbringen. Sie habe das erklärt und gezeigt, den Vertrag gemacht und die Miete. Götzl fragt, ob Ar. mit den Personen noch weiter befasst gewesen sei. Ar.: „Ich selber nicht. Ich habe das Fahrzeug gezeigt, den Mietvertrag gemacht. Aber die Übergabe hat der Kollege gemacht damals.“ Götzl: „Wann hat die Übergabe stattgefunden?“ Ar.: „An dem Tag der Abholung, an dem Oktobertag: Ich glaube, der 19. Weiß es nicht mehr ganz genau.“ Götzl: „Der Abschluss des Vertrages, wann hat der stattgefunden?“ Ar.: „Das war eine gewisse Zeit vorher.“ Götzl fragt, ob Ar. zum Thema Urlaub Näheres erfahren habe. Ar.: „Ich denke, wir hatten darüber gesprochen, wo es hingehen soll. Die Reise sollte irgendwo nach Deutschland gehen.“ Götzl: „Haben Sie eine Erinnerung, für welchen Zeitraum das gemietet werden sollte?“ Ar.: „Dachte, 14 Tage.“

Sie bejaht, dass ihr von der Polizei Lichtbilder gezeigt worden seien. Sie bejaht, jemanden erkannt zu haben. Es folgt eine Inaugenscheinnahme. Ar.: „Die Bilder habe ich schon mal gesehen und hier habe ich damals Bild 02 erkannt und hier das Bild 8.“ [vermutlich Böhnhardt und Zschäpe] Vorhalt zur Abholung des Wohnmobils: Anfügen möchte ich noch, dass die beiden Kunden diesmal in den Verkaufsraum mit einem Kind gekommen sind. Ar.: „Ja, es war ein Kind dabei, aber mehr kann ich dazu nicht mehr sagen.“ Götzl fragt nach dem Alter. Ar. sagt, das könne sie nicht mehr sagen. Götzl fragt, ob es ein Mädchen oder ein Junge gewesen sei. Ar.: „Ein Mädchen.“

Vorhalt: Das Mädchen hatte längere blonde Haare, vielleicht Zöpfe; die Haare waren, konkreter gesagt, hellblond-wellig: zur Länge kann ich nichts sagen; das Mädchen trug zudem eine Mütze, dazu kann ich keine weiteren Angeben machen; gehört habe ich noch, wie das Kind zur Frau „Mama“ gesagt hat. Ar.: „Kann sein, wie gesagt, da kann ich mich jetzt nicht mehr dran erinnern.“

Es folgt die Einvernahme des Zeugen Schenke. Götzl: „Es geht uns um, ja, Erkenntnisse, Informationen zum einen zu André Eminger. Dann geht es auch um Kontakte im Hinblick auf Herrn Mundlos, Herrn Böhnhardt, Frau Zschäpe, zu Matthias Dienelt. Ich würde Sie bitten, zunächst mal zu schildern, ob Sie sie kannten, gegebenenfalls woher, wie lange.“ Schenke: „Also, André Eminger, kenne ich aus der Schule. Kontakt, keine Ahnung, in den letzten zehn Jahren eigentlich so gut wie gar nicht. Dienelt kenne ich, naja, auch aus der Schule und wir sind halt Kumpels.“

Götzl bittet Schenke, den Verlauf des Kontakts zu André Eminger zu schildern, wie intensiv der gewesen sei. Schenke: „Früher sind wir halt öfter zusammen in die Disko gefahren, und das aber seit 15 Jahren oder was nicht mehr.“ Götzl: „Ja, wie war denn jetzt der Kontakt in den letzten 15 Jahren?“ Schenke: „Sporadisch, ab und zu mal, alle vier, fünf Jahre mal gesehen.“ Götzl fragt, bei welchen Gelegenheiten: Schenke: „Durch einen dummen Zufall mal in der Disko. Auf einer Demo. Und sonst gar nicht.“

Götzl fragt, welche Demos das gewesen seien. Schenke: „Es war mal eine Demo gegen das, naja gut, gegen das Asylantenheim in Schneeberg.“ Götzl fragt, wann diese Demo etwa gewesen sei. Schenke: „Voriges Jahr im November, Dezember.“ Götzl fragt, was Schenke zu Dienelt sagen könne. Schenke: „Wir sind Freunde und treffen uns ab und zu mal.“ Er bejaht, die vorhin genannten Personen Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe aus der Presse zu kennen. Götzl: „Haben Sie im Anschluss an die Berichterstattung da dann mal Kontakt mit André Eminger gehabt?“ Schenke: „Nein.“ Götzl: „Zu Dienelt?“ Schenke: „Ja.“ Götzl: „Erzählen Sie!“ Schenke: „In den Nachrichten kam, dass in Zwickau ein Haus abgebrannt wäre, und dass der Mieter oder Vermieter der Matthias Dienelt gewesen wäre. Ich habe gefragt, ob er das war, hat er gesagt: Ja.“ Götzl: „Hat er Näheres erzählt?“ Schenke: „Nein.“ Götzl: „Haben Sie sich im weiteren Verlauf mal mit ihm über das Thema unterhalten?“ Schenke: „Nein.“ Götzl fragt, wie häufig sich Schenke und Dienelt gesehen hätten. Schenke: „So alle drei, vier Monate.“
Götzl: „Und es ist nie über diesen Vorwurf gesprochen worden oder die Information?“ Schenke: „Er wollte nicht drüber reden und ich wollte es nicht wissen.“ Götzl: „Können Sie erklären, warum Sie es nicht wissen wollten?“ Schenke: „Weil, wenn ich mich hier so umschaue, genug Leute es wissen wollten. Er musste zu dem Zeitpunkt, glaube ich, genug Fragen beantworten.“
Vorhalt: Ich bin davon ausgegangen, dass es sich um die Sache mit dem Herrn Eminger handelte. Die Leute, die er angeschleppt hat. Schenke: „Weiß ich nicht mehr, keine Ahnung, von welchen Leuten da die Rede war.“

Götzl: „Wie sind Sie überhaupt auf Dienelt gekommen?“ Schenke: „In den Nachrichten kam Matthias D. und Zwickau irgendwie, weiß es nicht mehr genau.“ Es sei im Radio ein Matthias D. im Zusammenhang mit einem Brand in Zwickau genannt worden. Götzl fragt, wie Schenke da auf Dienelt komme. Schenke: „Weil es wahrscheinlich nicht so viele Matthias D. gibt.“ Götzl: „Matthias ist sicher ein häufiger Vorname und D. auch kein seltener Familienname und die Kombination wahrscheinlich auch nicht. Ich versuche nur, ihre Gedankengänge nachzuvollziehen.“ Schenke: „Deswegen habe ihn angerufen und gefragt.“

Götzl: „War zu einem früheren Zeitpunkt mal von dem Anmieten einer Wohnung die Rede?“ Schenke: „Weiß ich nicht mehr.“ Götzl: „Was heißt denn das?“ Schenke: „Kann sein, dass mal die Rede war, aber ich weiß es nicht.“ Götzl: „Aufgrund welcher Umstände kommen Sie zu: Kann sein?“ Schenke: „Es ist 15 Jahre her. Es ist möglich.“ Vorhalt: Ich meine, das ging von Herrn Eminger aus, damit meine ich André Eminger; der hat Matthias angesprochen und gesagt, dass er irgendwelche Kameraden habe, die wegen Schulden Ärger bei der Bank haben und keine Wohnung selbst mieten konnten. Schenke: „Möglich.“ Götzl: „Was können Sie dazu sagen?“ Schenke: „Nichts.“

Götzl: „Sagt Ihnen WBE etwas?“ Schenke: „Ja.“ Götzl: „Was?“ Schenke: „Dass ich mal Mitglied war.“ Götzl: „Wann?“ Schenke: „Keine Ahnung, ’98 bis etwa 2000.“ Götzl: „Wer war noch Mitglied?“ Schenke: „Die meisten Namen kenne ich nicht mehr. Weil ich zu den ganzen Leuten so gar keinen Kontakt mehr habe.“ Götzl: „Kein einziger Name?“ Schenke: „Matthias D., André E., Maik E.“ Götzl fragt, warum Schenke Abkürzungen nenne, er solle die Namen vollständig nennen. Schenke: „Ach so.“ Götzl: „Ich werde etwas ungeduldig mit Ihnen, Sie sollten nicht meine Geduld strapazieren. Verstehen wir uns richtig? „Schenke: „Ja.“

Götzl: „Was bedeutet das, Mitglied in der WBE zu sein?“ Man habe „schicke T-Shirts“ gekriegt und ein „Ärmelband“ für die Bomberjacke, das sei ein Aufnäher. Götzl fragt, von wem man das bekommen habe. Sie hätten zusammen bestellt, so Schenke. Götzl: „Worum ging es denn der WBE?“ Schenke: „Für mich? Irgendeine Gruppenzugehörigkeit.“ Götzl: „Irgendeine?“ Schenke: „Ner rechten Gruppe.“ [leicht fragend]Götzl: „Erzählen Sie mal! Inwiefern war das für Sie bedeutsam, dass es eine rechte Gruppe war?“ Schenke: „Weil wir zu dem Zeitpunkt alle rechts waren. Und da lag das nah.“ Götzl: „Worum ging es der WBE?“ Schenke: „Für mich ging es eigentlich bloß, wenn wir in die Disko gegangen sind, man macht viel mehr Eindruck, wenn man mit, was weiß ich, zehn Mann da rein geht und wir sehen alle gleich aus.“ Götzl: „Inwiefern war das von Bedeutung?“ Schenke: „War gut fürs Ego.“

Der Verhandlungstag endet um 16:04 Uhr.

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