Kurz-Protokoll 221. Verhandlungstag – 28. Juli 2015

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An diesem Prozesstag wird Sandro Tauber gehört, ein weiterer Zeuge aus dem Umfeld des Kerntrios vor ihrem Untertauchen. Er bestätigt in seiner Aussage u.a., dass auf verschiedenen Konzerten Geld für die drei Untergetauchten gesammelt wurde.

Zeuge: Sandro Tauber (Erkenntnisse zu THS, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Wohlleben, Schultze)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:49 Uhr. Dann wird der Zeuge Sandro Tauber vernommen. Bei der Personalienfeststellung sagt er, er sei 40 Jahre alt, Mechatroniker und lebe seit zehn Jahren in Kuwait City. Götzl sagt, es gehe um Erkenntnisse zu Andreas Graupner, Christian Kapke, insbesondere im Zusammenhang mit einer NPD-Schulungsveranstaltung im Januar 2000. Tauber: „Dass die Frage kommt, ist mir natürlich klar, weil ich mich ein bisschen vorbereitet habe. Ich kann aber zu dem Andreas Graupner überhaupt nix sagen.“ Der ihm einfalle zu dieser Veranstaltung, sei der Jan Werner, der damals wahrscheinlich mit Graupner befreundet gewesen sei. Werner kenne er von der Bundeswehr: „Wir waren beide auf der Veranstaltung und haben uns aufgrund der Bundeswehr-Vergangenheit unterhalten.“ Götzl: „Worüber?“ Tauber: „Ich gehe davon aus, dass wir uns über die Bundeswehr oder Gott und die Welt unterhalten haben, aber über das Thema sicher nicht, denn das Thema war ein Tabuthema.“ So gut habe er Werner oder die anderen nicht gekannt, dass man darüber gesprochen hätte.
Götzl bittet Tauber zu erklären, was es mit dem „Tabuthema“ auf sich habe. Tauber: „Gut, es ist ja bekannt, dass wir zwei Personen hatten, die damals auf der Flucht waren, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Die Anklagen sind ja bekannt, die waren uns auch bekannt. Und dieses Thema war natürlich ein Tabuthema. Wenn jemand auf der Flucht ist, spricht man natürlich nicht über das Thema. Zum anderen waren natürlich die Informationsquellen über die Flucht natürlich limitiert. Zu mir wurde gar nichts zugetragen. Man hat auch nicht nachgefragt. Im Jahr 2000 oder 2001 ist ja auch die Geschichte mit Tino Brandt aufgeflogen. Es war klar, dass es in der nationalen Bewegung zig Spitzel, Agenten und Provokateure gegeben hat, somit war das Vertrauen sehr limitiert.“
Er fragt, was „wir“ bedeute. Tauber: „Das ‚Wir“ ist am Ende des Tages eine Freundschaft, eine Kameradschaft oder eine Organisation, wie auch immer man es bezeichnet. Organisation ist zu viel gesagt, aber es war eine Freundschaft da zwischen den beiden Uwes und auch meiner Wenigkeit und auch dem Herrn Brandt auf jeden Fall. Die Freundschaft war limitiert von der Zeit her, denn ich war sehr wenig in Thüringen und habe die überwiegende Zeit in Bayern gewohnt. Und man hat sich vielleicht einmal im Monat getroffen, würde ich sagen.“
Götzl: „Kennen Sie Frau Zschäpe?“ Tauber: „Die Beate kenne ich, jawohl [phon.].“ Weiter sagt er: „Die Frau Zschäpe gehörte mit zu der Gruppe aus Jena, die wir des öfteren besucht haben und die uns auch besucht haben. Und aus dieser Jugendgruppe kannten wir viele, unter anderem die Frau Zschäpe und die beiden Uwes oder der Herr Wohlleben und verschiedene andere Personen.“ Götzl fragt nach Gerlach. Tauber: „Den Holger Gerlach kenne ich auch.“ Götzl: „Carsten Schultze?“ Tauber: „Jawoll.“ Götzl: „Und André Eminger?“ Tauber: Der Name sagt mir jetzt nichts.“
Götzl fragt, wer mit „uns“ gemeint sei. Tauber: „Wenn wir eine Veranstaltung gemacht haben, Stichwort Fußballturnier, dann wurde natürlich Jena eingeladen, Personen aus Erfurt, Weimar, Saalfeld, Rudolstadt, dann sind aus diesen Städten zwei, drei, vier Autobesatzungen gekommen.“  Götzl: „Wer ist mit ‚uns‘ gemeint, die dann besucht wurden?“ Tauber: „Die Hauptperson war der besagte Tino Brandt.“ Götzl fragt, ob Tauber außer Brandt weitere Personen nennen könne. Tauber: „An den Tino kann ich mich gut erinnern, kann aber nicht sagen, wer da noch großartig mit dabei war.“ Götzl: „War das eine Gruppierung?“ Tauber: „Ja gut, Gruppierung hin oder her. Ich selber war in den JN, den Jungen Nationaldemokraten, sehr früh eingetreten, mit 16 oder 17 Jahren.“
Götzl sagt, Tauber habe von zwei Personen auf der Flucht gesprochen und fragt, ob auch der Name Zschäpe gefallen sei. Tauber: „Selbstverständlich ist Frau Zschäpe danach auch genannt worden. Aber für uns persönlich war das natürlich eine sehr ungewöhnliche Sache. Weil wir sie gut kannten und uns nur einen Reim darauf gemacht haben, dass sie rein aus Solidarität oder Abenteuerlust mit auf die Flucht gegangen ist.“ Götzl: „War mal die Rede davon, ob für die Flüchtigen Geld gesammelt wurde?“ Tauber: „Ich habe so was noch in Erinnerung. Es gab verschiedene Konzerte, wo es hieß, da würde Geld gesammelt, aber ich kriege das nicht mehr zusammen, welche Konzerte, und wer gesammelt hat.“
Götzl: „Sie hatten viel Kontakt mit Carsten Schultze?“ Tauber: „Ja.“ Götzl: „Worum ging es?“ Tauber: „Der war oder ist möglicherweise noch eine sehr angenehme Person gewesen. Er war damals in Jena sehr stark, hatte auch eine kleine Gruppe um sich rum. Er war ja Teil der Gruppe und einer davon, der sie geführt hat. Und ist damals auch in die JN mit eingetreten. Und wir waren dann aufgrund der JN-Tätigkeit sehr häufig zusammen.“
Götzl: „Haben Sie sich mit Carsten Schultze mal über die Flüchtigen unterhalten?“ Tauber: „Ich habe das auch gelesen, aber ich kann mich nicht erinnern. In Erinnerung geblieben ist: Der Herr Schultze kam zu mir nach Hause und wollte mit mir sprechen. Und da hat er sich mir gegenüber offenbart, dass er homosexuell ist, und deswegen blieb mir das sehr gut in Erinnerung, die Begebenheit. Und sagte mir in dem Zusammenhang, dass er aussteigen möchte. Das war die Geschichte, mehr gibt es zu dem Punkt nicht zu sagen. Ich weiß nur: Der Carsten ist kurze Zeit später auch ausgetreten, hat sein Amt niedergelegt in der JN, ist aus der Kameradschaft gegangen.“
Götzl bittet Tauber, Wohlleben zu beschreiben. Tauber: „Der Herr Wohlleben als Person, wenn ich ihn beschreiben müsste: ein sehr besonnener, ruhiger, intelligenter Mensch, politisch, sehr politisch, fair, also ich kann eigentlich nur Positives über den Herrn Wohlleben berichten. Organisationstalent. Guter Mann.“
Götzl: „Zurück zu dieser Schulungsveranstaltung bei Eisenberg. Uns liegt eine Deckblattmeldung vor vom 01.02.2000. Vorhalt: An der NPD-Schulungsveranstaltung am 29.01.2000 in der Jugendherberge Froschmühle nahmen zeitweise zwei namentlich nicht bekannte B&H-Leute aus Chemnitz teil, die mit einem Kombi mit dem amtlichen Kennzeichen C-ND 88 zum Veranstaltungsort kamen. Tauber: „Das Nummernschild ist Chemnitz. Und soweit ich in Erinnerung habe, kam der Herr Werner aus Chemnitz.“ Vorhalt: Während einer Pause unterhielten sich zwanglos Ralf Wohlleben, Christian Kapke und Quelle als Kapke von einem Chemnitzer B&H-Mann – 1,85 bis 1,90 m, schlank, ca. 28 bis 30 Jahre, blond, mit Ziegenbart – auf seine neue Eichenlaub-CD mit dem Titel „5. Februar“ angesprochen worden sei, welches er, Kapke, den Drei gewidmet habe. Tauber: „Ich habe das auch gelesen, kann aber gar nichts damit anfangen.“ Vorhalt: Der Chemnitzer habe gesagt, sie bräuchten sich keinen Gedanken machen, den Drei gehe es gut; daraufhin sei er verärgert von Wohlleben unterbrochen worden, dass dies hier niemanden etwas anginge. Tauber: „Ich war nicht unmittelbar in dem Gesprächskreis, den Sie zitieren. Aber das würde ja bestätigen, dass das ein Tabuthema war. [phon.]“
Vorhalt: Nach der schroffen Erwiderung von Wohlleben habe sich der Gesprächskreis aufgelöst und habe sich der Chemnitzer weiter mit Sandro Tauber unterhalten. Tauber: „Das habe ich auch gelesen, aber keine Erklärung dafür. Der Chemnitzer, also nicht der Jan, sondern der andere welche, also den kannte ich überhaupt nicht. Und ich kann mir nur vorstellen, dass ich mich mit Werner über die Bundeswehrzeit unterhalten habe. Zu Chemnitz hatten wir null Kontakte zu dem Zeitpunkt.“ Vorhalt: Chemnitzer B&H-Mann: 1,85 bis 1,90 m, ca. 28 bis 30 Jahre, blond, mit Ziegenbart. Tauber: „Das könnte vielleicht hinhauen, Jan Werner war vielleicht 1,80. Aber an einen Ziegenbart kann ich mich nicht erinnern. Er hatte immer relativ kurze Haare.“ Götzl: „Sie hatten Andreas Graupner zu Beginn der Vernehmung erwähnt.“ Tauber: „Sie hatten den erwähnt. Ich kann mich nicht erinnern dass ich zu wem aus Chemnitz Kontakt hatte, bis auf Werner.“ Götzl: „Kannten Sie Graupner?“ Tauber: „Vielleicht flüchtig, der Name, aber in Zusammenhang zu einem Gesicht, ich krieg das nicht zusammen.“ Vorhalt: Wohlleben habe Quelle noch mitgeteilt, dass allein Carsten Schultze den Telefonkontakt zu den Dreien halte und dies auch nur noch im Notfall, weil er über den Telefonkontakt entgegen der Absprache mit Jana A. und Ronny Ar. gesprochen habe. Tauber: „Ich weiß darüber gar nichts.“
Götzl: „Sagt Ihnen der THS was?“ Tauber: „Selbstverständlich.“ Götzl: „Was sagt er Ihnen?“ Tauber: „THS als Dachverband der Organisationen, das ist der Sinnbegriff, wie ich ihn gesehen habe. Als Verein war er aus meiner Sicht ja nicht existent. Ich habe den THS als Mutter aller Organisationen bezeichnet, als Organisationsplattform, als Vernetzungsplattform von den Parteien und Kameradschaften in Thüringen.“ Götzl fragt nach Personen in Zusammenhang mit dem THS. Tauber: „Tino Brandt würde ich damit in Verbindung bringen.“ Götzl: „Und außer Tino Brandt Personen?“ Tauber: „Ich war nicht immer da, ich weiß das nicht genau, aber es gab des öfteren die Stammtische, das waren die Sammelsurien, Treffpunkte der verschiedenen Organisationen und Kameradschaften. Und das Ganze hat man dann als THS betitelt.“
Schneiders: „Können Sie was zur ‚Anti-Antifa Ostthüringen‘ sagen?“ Tauber: „Die erste Generation des politischen Zusammenschlusses unter einem Namen. Vater war Brandt und sehr, sehr tief involviert war der Kai Dalek. Ich war nicht beteiligt, weiß es aber durch Gespräche.“ Schneiders fragt, wie oft es Stammtische gegeben habe und wo die stattgefunden hätten. Tauber: „Es gab zwei Stammtische. Einen für Hinz und Kunz, um es salopp auszudrücken. Der hat am Mittwoch stattgefunden, da konnte ich nur selten teilnehmen. Und einer fand am Sonntag statt. Da haben wir gesagt das ist so ein bisschen der Koordinationsstammtisch. THS als einziges Ziel: Vernetzung, Kontakt zu den anderen Thüringern zu halten. [phon.] Der einzige Zweck des Sonntagsstammtisch war dann, diesen Mittwochsstammtisch zu organisieren.“
Schneiders: „Thema Gewalt, so 1997 bis 2000, wie war die Haltung von Wohlleben, erinnern Sie sich an Gespräche?“ Tauber: „Gewalt wurde von unserem Kreis komplett abgelehnt. Das hat natürlich der Ralf genauso abgelehnt wie ich oder andere. Gewalt war natürlich ein Thema, aber nicht zur Umsetzung politischer Zwecke. Am Ende des Tages ging die Gewalt nicht von uns aus, sondern die Gewalt kam von Linksextremen und mitunter auch Polizei. Hier hat man reagieren müssen.“
Klemke fragt, ob es bei den Mittwochsstammtischen mal Gewaltdiskussionen gegeben habe. Tauber: „Eine Diskussion gab es mit Sicherheit nicht drüber. Ich bin ja nicht komplett naiv, natürlich gab es Gewalt von Nationalgesinnten, die in losen Kameradschaften organisiert waren und das als Jugendliche wie in einer Straßengang betrieben haben, und sich vom Leitbild in den Medien haben orientieren lassen, eine Bomberjacke angezogen, Glatze geschoren und Leute vermöbelt. [phon.] Aber dass man darüber gesprochen hat: Definitiv nicht.“ Sie hätten wenn dann nur darüber gesprochen, dass sie das verurteilt hätten, so Tauber weiter. Sie seien eine politische Organisation gewesen und hätten viel Energie da reingesteckt, seien „Idealisten“ gewesen. Es wäre, so Tauber, doch dumm gewesen, wenn man eine Gewaltaktion gebilligt hätte, weil es doch von der Presse ausgeschlachtet worden wäre: „Wo wäre der Sinn in so einer Diskussion?“ [phon.]
NK-Vertreterin RAin Basay: „Sie sagten, dass Uwe Böhnhardt aufbrausend und gewalttätig war, könnten Sie nicht bestätigen.“ Vorhalt aus einer Vernehmung von Tino Brandt zu Uwe Böhnhardt: Ein militanter Mensch, er hat sich auch innerhalb der Szene mit extrem militanten Typen zusammengetan; ich denke da etwa an Sven Rosemann aus der KS Saalfeld-Rudolstadt, der ganz sicher dem militanten Flügel angehörte; Rosemann ist meines Erachtens ein echter Psychopath, der auch Wehrsportübungen durchführte. Tauber: „Also, in meiner Gegenwart, ich war nicht jedes Wochenende da, ich bin nicht der Experte was da täglich ablief, aber da wo ich war, war der Herr Böhnhardt nie aufbrausend oder alkoholisiert und aufbrausend.“ Basay: „Haben Sie den Herrn Böhnhardt mal paramilitärisch gekleidet angetroffen?“ Tauber: „Na gut, es war damals leider der Fall, dass man mal in Bundeswehrhosen und Bomberjacken rumgelaufen ist.“ Er bejaht, dass das seiner Erinnerung nach bei Böhnhardt auch der Fall gewesen sei.
V. d. Behrens: „Wenn Spenden gesammelt wurden, wer hat die Konzerte organisiert?“ Tauber: „Die Organisatoren kenne ich nicht, das waren Einladungen, diesen Einladungen ist man gefolgt. Man hat 5 Euro bezahlt und es stand ein Schild da, dass das Geld für die Drei verwendet wurde.“ V. d. Behrens: „Wo?“ Tauber: „Ein Konzert in Heilsberg in der Nähe von Rudolstadt. Dann gab es ein Konzert in Erfurt, möglicherweise auch mal selbst in Jena im Winzerclub. Ich habe das noch so im Kopf, aber nichts Konkretes, das war schon eine sehr lokale Geschichte gewesen.“ Der Verhandlungstag endet um 17:24 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blog NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/07/28/28-07-2015/

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