Kurz-Protokoll 233. Verhandlungstag – 30. September 2015

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Der 233. Verhandlungstag beschäftigt sich erneut mit einer Taxifahrt, deren Fahrgast Beate Zschäpe gewesen sein soll. Genauer geht es um die Befragung des Taxifahrers zu dieser Fahrt durch Beamt_innen des BKA. Vor allem geht es um die Frage, wie die Lichtbildvorlagen, auf denen der Taxifahrer Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt erkannt haben will, in die Befragung eingebracht wurden. In den Aussagen, wie diese abgelaufen sei, widersprechen sich der der Taxifahrer He., der bereits als Zeuge gehört worden war (225.Verhandlungstag) und die Beamt_innen des BKA. Nachdem erneut Fotos der Tätowierungen des Angeklagten André Emingers in Augenschein genommen werden, lehnt der Senat zahlreiche Anträge der Verteidigung und Nebenklage ab. (http://www.nsu-watch.info/2015/10/gericht-lehnt-zahlreiche-beweisantraege-ab/).

Zeug_innen:

  • Britta Ko. (33, BKA-Beamtin, Befragung des Taxifahrers Patrick He.)
  • Ivar Kä. (31, BKA-Beamte, Befragung des Taxifahrers Patrick He.)
  • Paul Le. (Kriminaloberkommissar beim BKA)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:49 Uhr. Götzl ruft die Zeugin Britta Ko. auf. Er erklärt, es ginge um die Angaben des Taxifahrers Patrick He. und den Ermittlungen im Zusammenhang mit der Befragung des Taxifahrers (225. Verhandlungstag). Britta Ko. berichtet, das sei Anfang Dezember gewesen. Sie hätten den Auftrag bekommen, sich die Taxizentrale näher anzusehen. Weil sie in den Asservaten eine Telefonnummer gefunden hätten, die von Frau Zschäpe genutzt worden sein soll und mit der sie mehrfach telefoniert gehabt haben soll. Die Auswertung der Aufträge in der Taxizentrale habe Fahrten von der Frühlingsstraße und Polenzstraße aus ergeben. Am 16.06.2011 morgens um 05:30 Uhr sei eine Fahrt von der Frühlingsstraße aus beauftragt worden, durch Herr He. als Fahrer.
He. habe ausgesagt, die Fahrt sei mit einer Frau zum Bahnhof gewesen. Die Frau habe er auf der Wahllichtbildvorlage als Zschäpe identifiziert. Auf einer anderen Vorlage habe er Herrn Böhnhardt erkannt und angegeben, dass er diesen drei, vier Wochen vor der Fahrt im Juni schon mal gefahren hätte. Der Vorsitzende Richter fragt, ob von Frau Ko. oder Herr Kä. angesprochen worden sei, ob Herr He. die Personen auch vor dem Vorfall schonmal in den Medien oder durch Fahndungsfotos gesehen habe. Die Zeugin antwortet, Herr He. habe die Personen vom Fahnungsplakat des BKA gekannt und habe aber nur die zwei erkannt, andere angesprochene Personen habe er nicht erinnern können.
Von Seiten der Verteidigung fragt RA Stahl, ob die Reihenfolge der Befragung im Vermerk dem realen Ablauf der Befragung entspreche. Ko. gibt an, sie hätten mit der Wahllichtbildvorlage begonnen und dann die restliche Befragung gemacht. Stahl fragt erneut, ob sie nicht mehr wisse, ob sie He. vor Zeigen der Wahllichtbildvorlage gefragt habe, ob er Fahrgäste beschreiben könne. Ko. sagt, sie wisse das nicht mehr. Stahl hält der Zeugin vor, der Taxifahrer He. habe in der Hauptverhandlung am 02.09.2015 gesagt, er habe an dem Tag eine Frau zum Bahnhof gefahren und am selben Tag jemand abgeholt und sei dann zurückgefahren und so hätte er das auch der Polizei gesagt. Ko. sagt dazu, ihnen gegenüber habe He. diese Aussage nicht getroffen.
Als Götzl den nächsten Zeugen Kä. aufrufen möchte, bittet RA Stahl darum, eine kurze Erklärung abgeben zu dürfen. „Hohes Gericht, nicht zum ersten Mal begegnet uns in der Beweisaufnahme ein, ich habe ‚eher insuffizient‘ gesagt, ich meine aber dilettantisches Vorgehen, das hier gerade unter Beweis gestellt worden ist. Noch schlimmer ist, dass man mit der Arbeitshypothese, es handele sich um Susann Dienelt alias Zschäpe herangeht, sich den Fahrgast nicht beschreiben lässt, sondern mit einer Wahllichtbildvorlage beginnt, in der auch Zschäpe vorkommt und man dann noch über die gesuchten Personen spricht. Ein derart dilettantisches Vorgehen führt dann dazu, dass wir Ergebnisse bekommen, die sehr stark von einer Arbeitshypothese geleitet sind, das heißt nicht dass sie falsch sind, aber dass man sehr sehr vorsichtig sein muss.“

Götzl bittet, den Zeugen Ivar Kä. aufzurufen und erklärt, es ginge um die Durchführung und den Ablauf der Wahllichtbildvorlage mit Patrick He. Ivar Kä. Berichtet, sie hätten im Dezember verschiedene Taxifahrer befragt und Wahllichtvorlagen durchgeführt.
RA Stahl fragt: „Woran lag es, dass keine Vernehmungsniederschrift gefertigt wurde?“ Kä. antwortet, sie hätten den Auftrag bekommen, eine Befragung durchzuführen. Das sei im Nachgang besprochen worden, ob noch eine Vernehmung erforderlich sei, aber das sei nicht so empfunden worden. Stahl fragt, was der Unterschied sei, zwischen Befragung und Vernehmung. Kä. gibt an, bei einer Vernehmung unterschreibe der Zeuge am Ende ein Protokoll und bei einer Befragung würden sie im Nachhinein ein Protokoll erstellen.

Um 11:21 Uhr wird der Zeuge Paul Le. aufgerufen. Götzl sagt, es gehe um zwei Fragestellungen: um eine Fahrt mit der Zeugin Sp. 2012 anlässlich ihrer Vernehmung und um Tätowierungen André Emingers. Paul Le. Berichtet, Anja Sp. sei am 26.06.2012 durch ihn und Kommissar Ri. in Chemnitz zeugenschaftlich vernommen worden. Sie habe angegeben, sie sei 1997/1998 die Freundin des Angeklagten Emingers gewesen und sei im Sommer/Herbst 1998 mit Eminger zusammen einmal in eine Wohnung in der Nähe Südbahnhof Chemnitz gefahren. In dieser Wohnung, so habe Sp. ausgesagt, hätte sie die Angeklagte Zschäpe getroffen. Sie hätten gemeinsam Kaffee getrunken und geraucht, es sei über Belangloses gesprochen worden. Die Zeugin habe dann auf einer Fahrt das Haus identifiziert.
Götzl fragt nach Emingers Tätowierungen. Le. sagt, er fange mit dem ersten Vermerk zur erkennungsdienstlichen Behandlung an. Am 30.11.2011 sei Eminger in der JVA durch das BKA erkennungsdienstlich behandelt worden. Weil sich der Angeklagte, damals noch Beschuldigter, geweigert habe, von einigen Tätowierungen Aufnahmen fertigen zu lassen, sei entschieden worden, dass die erkennungsdienstliche Behandlung erstmal nicht mit Zwang durchgeführt werde, sondern abgewartet werde. Le. sagt weiter, um den Angeklagten Eminger nicht weiter zu belasten, seien später Fotos von elektronischen Datenträgern zur Akte genommen worden.
Le. habe drei Ablichtungen ausgewählt: eine vom März 2010, die den Angeklagten frontal zeige mit SS-Totenkopf im Brustbereich und dem Schriftzug “Die Jew Die” auf dem Bauch, ein Bild vom August 2011 mit dem Angeklagten in einem Strandkorb mit einem seiner Söhne, wo der Bauchbereich zu sehen ist und ein Bild vom März 2010 mit seiner Frau Susann, auf dem die Tätowierung „Blut und Ehre“ am Arm zu sehen ist.
RAin v. d. Behrens bittet, weitere Bilder in Augenschein zu nehmen. Im Saal werden die Fotos von Emingers Tätowierungen projiziert, die eine Lebensrune zeigen. V. d. Behrens fragt Le. nach Ermittlungen zur Bedeutung der Tätowierung mit der Lebensrune. Le. gibt an, es handele sich um eine Lebensrune und darüber stehe der Name der Ehefrau Susann. Die Ehefrau habe ein gleichartiges Tattoo mit einer Lebensrune und dem Namen André im Nacken. Le. sagt, sie seien von einer partnerschaftlichen Tätowierung mit Bezug zum germanischen Glauben ausgegangen. Bei der Tätowierung auf dem Bild sei von oben nach unten das Wort Stolz auf dem Arm zu lesen. Zu dem Foto des Tattoos auf dem Bauch mit dem Schriftzug „Die Jew Die“ spricht Le. über die schwarzen Achterkugeln, die sich um ein Runenzeichen befinden. So könne man von rechts unterhalb des Bauchnabels im Uhrzeigersinn lesen: “Du bist nichts, dein Volk ist alles“. Das sei ein programmatischer Leitspruch aus dem NS-Regime. RA v. d. Behrens fragt den Zeugen, ob er auch den Schriftzug “Weiße Bruderschaft Erzgebirge” festgestellt habe. Le. bejaht, am linken Oberarm. Am rechten Oberarm stehe „Blut und Ehre“.

Im Folgenden verliest Götzl Beschlüsse zu Anträgen. Es sei beantragt worden, die dem BKA vorliegende CD „NSU-NSDAP“ und den Auswertebericht des BKA dem Verfahren beizuziehen und die Beamten zu laden, die geheimen Akten des Bundestagsuntersuchungsausschusses und die im zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschuss bezeichnete Akte beizuziehen, den V-Mannführer des Bundesamts für Verfassungsschutz zu vernehmen, die Ermittlungsakte zum Tod Thomas Richters sowie die Akte von Thomas Richter des Bundesamtes für Verfassungsschutz beizuziehen. Götzl sagt, diesen Anträgen werde nicht nachgekommen.
Weiter verliest Götzl den Beschluss zum Antrag, Sven Rosemann zu vernehmen. Der Antrag werde abgelehnt.
Götzl verliest einen weiteren Beschluss. Es sei beantragt worden, den Zeugen Norbert Marco Gottschalk zu vernehmen, mit der Begründung, dass er mit Seemann in Dortmund eine Combat-18-Zelle aufgebaut habe, die Turner-Tagebücher den Mitgliedern ausgehändigt wurden, er Waffen aus Belgien beschafft habe. Götzl sagt, dies werde abgelehnt, weil es für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung sei.
Götzl verliest einen weiteren Beschluss. Die Anträge, die Akte der Thüringer Landeskriminalamt-Zielfahndung beizuziehen und auszugsweise zu verlesen sowie den Zeugen Kriminalhauptkommissar Wunderlich zu laden, seien gestellt worden. Dieser Antrag wird ebenso abgelehnt. Götzl beendet den heutigen Prozesstag um 13:48 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/09/30/30-09-2015/