Kurz-Protokoll 249. Verhandlungstag – 9. Dezember 2015

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An diesem Verhandlungstag lässt Beate Zschäpe ihren Verteidiger Grasel ihre Einlassung zur Anklageschrift verlesen. Dabei gibt sie u.a. an, von den Morden stets erst im Nachhinein erfahren zu haben. Die Zuschauer_innenempore ist bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Interessierte haben keinen Einlass mehr bekommen. Im Anschluss an die Erklärung beantragt RA Grasel erneut die Aufhebung der Bestellung der Verteidiger_innen Sturm, Heer und Stahl als Pflichtverteidiger_innen.

Das Gericht betritt um 09:46 Uhr den Saal. Nach der Begrüßung geht Richter Götzl zur Präsenzfeststellung über. Bei der Verteidigung Zschäpe sagt er: „Erstmals zugegen Herr Rechtsanwalt Borchert.“ Anwesend sind die Nebenkläger_innen Elif und Gamze Kubaşık, Adile und Abdulkerim Şimşek, Ayşe und İsmail Yozgat, Michaela und Yvonne Boulgarides sowie Sandro D’Alauro.
Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Für heute ist angekündigt eine Erklärung der Angeklagten Frau Zschäpe. Ich bitte darum, wenn Sie abgegeben werden sollte, sie vorzutragen.“ RA Grasel beginnt mit der Verlesung.

Zunächst dreht sich die Erklärung um die Kindheit Jugend von Zschäpe, die sie erst bei ihrer Mutter verbrachte, deren Alkoholkonsum sie darstellt, dann bei ihrer Großmutter.

[nachfolgende Fehler im Original, auch Rechtschreibfehler sind unkorrigiert, die Red.]

[…]Zur Wendezeit 1989/1990 wurde meine Mutter arbeitslos und die Geldprobleme, die bis dahin sowieso schon bestanden, wurden immer größer. Ich erhielt von meiner Mutter so gut wie kein Geld, was dazu führte, dass ich mich innerhalb des Freundeskreises an kleineren Diebstählen beteiligte. […]
Ebenfalls zur Wendezeit 1989/1990 lernte ich Uwe Mundlos kennen. Er und ich wohnten in Jena im Wohngebiet „Winzerla“. […] Wir verbrachten unsere Freizeit in einer Clique, die sich regelmäßig [.] traf. Wir hörten gemeinsam Lieder mit nationalistischem Inhalt und sangen – manchmal könnte es auch als grölen bezeichnet werden – diese Lieder auch nach.
[…] An meinem 19. Geburtstag lernte ich Uwe Böhnhardt kennen, der mir auf meiner Geburtstagsparty von einer Freundin vorgestellt wurde. Ich verliebte mich in ihn, war aber zu diesem Zeitpunkt noch mit Uwe Mundlos zusammen. Auch als ich von meiner Freundin erfuhr, dass er bereits vielfach straffällig geworden und auch schon im Gefängnis war, änderte sich an meiner Liebe zu ihm nichts. […] Schon als ich Uwe Böhnhardt kennenlernte bestand seine Kleidung aus Bomberjacke sowie Springerstiefeln, sodass schon äußerlich unschwer zu erkennen war, welche politische Einstellung er hatte.
Seine Einstellung zu Waffen konnte man schon damals daran erkennen, dass er eine Vielzahl an Waffen, wie etwa eine Armbrust, einen Morgenstern oder einen Nunchaku an der Wand in meiner                             Wohnung aufgehängt hatte.
[…] Die Clique um Uwe Böhnhardt, der ich mich nach dem Kennenlernen des Uwe Böhnhardt angeschlossen hatte, nannte sich „Kameradschaft Jena“ und bestand aus vier bis fünf Personen. Es wurden kleine finanzielle Beiträge bezahlt, wobei Uwe Böhnhardt der Kassenwart war. Ich war kein Mitglied dieser Kameradschaft und hatte auch keinen Beitrag bezahlt. Ich hatte mich auch nicht zugehörig gefühlt.
Aktiv wurde ich erst, nachdem Tino Brandt zu unserer Gruppe gestoßen war, womit sich unser Zusammenleben und Tun drastisch veränderte. […]
Tino Brandt war diejenige Person, die Geld zur Verfügung stellte und somit unsere Aktivitäten erst ermöglichte. […] Tino Brandt war derjenige, der die Initiative ergriff, sei es durch Ideen, sei es durch Geld, das er zur Verfügung stellte oder durch Übergabe von Lesematerial mit nationalistischem Inhalt. Mit seinem Geld wurden Plakate geklebt, Aufkleber gefertigt, rechtes Propagandamaterial verteilt und die angesprochenen Reisen bezahlt. […]
Ich erinnere mich daran, dass unsere Aktionen in Form der Gedenkmärsche und unser Auftreten allgemein in der Presse verfälscht wiedergegeben wurde und die Dinge nicht so berichtet wurden, wie sie aus unserer Sicht stattgefunden hatten.
Wir wollten deshalb durch gezielte Aktionen darauf aufmerksam machen, dass es einen politischen Gegenpol zu den Linken gibt und wir wollten die Polizei und damit die Öffentlichkeit in Aufruhr versetzen, um damit Aufmerksamkeit zu erreichen. […]
Zwischen April 1996 und Dezember 1997 initiierten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mehrere Aktionen, an denen ich teilweise beteiligt war. […] Mit der Verwendung von Bombenattrappen sollte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und die Ernsthaftigkeit unseres Tuns erhöht werden, jedoch ohne dass eine tatsächliche Gefahr für Leib und Leben besteht. Dies war jedenfalls meine Motivation und ich war davon ausgegangen, dass die beiden dies genauso sahen. […]
Einige Tage später trennte sich Uwe Böhnhardt von mir, worunter ich sehr litt. Als Grund für die Trennung nannte er mir gegenüber, dass ich zu sehr klammern und ihm keine Luft lassen würde. In den folgenden Wochen war ich von beiden Uwes und der Clique getrennt, geradezu ausgeschlossen.
Meine Gefühle zu Uwe Böhnhardt waren nach wie vor sehr intensiv vorhanden. Wir sahen uns zwar – ich fühlte mich aber endlos weit getrennt von ihm.
In den folgenden Wochen versuchte ich, mich wieder der Gruppe um Uwe Böhnhardt anzuschließen und Uwe Böhnhardt für mich zurück zu gewinnen. Zu diesem Zweck mietete ich am 10. August 1996 die Garage Nr. 5, An der Kläranlage, in Jena an. In der Vergangenheit hatten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und ich darüber gesprochen, dass man eine abgelegene Garage anmieten sollte, um dort beispielsweise Propagandamaterial zu deponieren.
Das Anmieten der Garage war für mich ein voller Erfolg. Ich traf mich daraufhin wieder mit den beiden.
Die beiden brachten sodann Propagandamaterial und eine Vielzahl sonstiger Gegenstände, welche sie nicht zu Hause aufbewahren wollten, in der Garage unter. Sie befürchteten stets eine Hausdurchsuchung, so dass ihnen die Garage sehr gelegen kam.
Beide deponierten darüber hinaus Schwarzpulver und TNT in der Garage. Von der Existenz des Schwarzpulvers habe ich etwa im Frühjahr/Sommer 1997 erfahren. Dass in der Garage auch TNT gelagert wurde wusste ich bis zu unserem Untertauchen am 26.01.1998 nicht. […]

26. Januar 1998
An diesem Tag fand eine Hausdurchsuchung in der Wohnung des Uwe Böhnhardt statt. Ihm wurde der Durchsuchungsbeschluss vorgelegt. Uwe Böhnhardt erkannte, dass sich der Durchsuchungsbeschluss auch auf die von mir angemietete Garage bezog. Während der Hausdurchsuchung ließen ihn die anwesenden Polizeibeamten gehen und Uwe Böhnhardt fuhr mit seinem Auto davon. […]
Mir war zu diesem Zeitpunkt klar, dass ich als Mieterin der Garage für den dort gelagerten Sprengstoff verantwortlich gemacht werden würde. Ich ging davon aus, dass ich für die zurückliegenden Aktionen und für den in der Garage gelagerten Sprengstoff eine mehrjährige Haftstrafe würde antreten müssen. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und ich beschlossen deshalb, dass wir das Ganze erst einmal aus der Ferne beobachten. Ich dachte nicht daran, dass dieser Zustand viele Jahre andauern würde. […]
Ende des Jahres 1998 lebten wir bereits seit fast einem Jahr in der ständigen Angst entdeckt zu werden. Außerdem war unser Geld aufgebraucht.
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt machten deshalb den Vorschlag, Geld mittels eines Raubüberfalles zu besorgen. Ich war damit einverstanden, weil auch ich keine Möglichkeit sah legal und ohne Gefahr der Verhaftung an Geld zu kommen. Gleichzeitig hatte ich meine Überlegung in den Raum gestellt, mich der Polizei zu stellen – auch wenn dies die Trennung von den beiden bedeuten würde. Die zwei überzeugten mich es nicht zu tun und die Angst vor dem Eingesperrt werden und meine Gefühle zu Uwe Böhnhardt hielten mich davon ab. […]
Am 18. Dezember 1998 überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den Edeka-Markt in Chemnitz. Ich war weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung dieses Überfalls beteiligt, habe aber insoweit davon profitiert, dass auch ich von dem erbeuteten Geld gelebt habe. […]
09.09.2000
Vor dem 09. September 2000 gab es zwischen mir und Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt keinerlei Gespräche darüber, was an diesem Tag in Nürnberg passieren sollte.
Ich wusste von Nichts. Ich hatte keinerlei Vorbereitungshandlungen mitbekommen.
Wir waren nicht von morgens bis abends ständig zusammen. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verließen des Öfteren die Wohnung ohne mir konkret mitzuteilen, wohin sie gingen und was sie vorhatten. Auch ich bin des Öfteren losgezogen, um Besorgungen zu machen oder einfach joggen zu gehen.
Ich hatte weder eine Pistole der Marke Ceska noch der Marke Bruni in der Wohnung gesehen. Ich hatte auch nicht mitbekommen, wann und wie sie sich diese besorgt hatten.
Als sie Anfang September 2000 fortfuhren wusste ich nicht, was sie vorhatten. Ich hatte vermutet, dass sie einen Raubüberfall planten. Nach ihrer Rückkehr teilten sie mir nur lapidar mit, dass „nichts los gewesen sei“.
Erst Mitte Dezember 2000, während der Adventszeit, erfuhr ich von den Geschehnissen am 09.09.2000. Ich weiß nicht, ob es an der Stimmung zur Weihnachtszeit lag, jedenfalls merkte ich an den Blicken des Uwe Mundlos, dass etwas nicht stimmte. Ich sprach ihn darauf an, was mit ihm los sei und er berichtete mir, was rund drei Monate zuvor passiert war.
Ich war geschockt. Ich konnte nicht fassen was die beiden getan hatten. Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt. Ich wusste nicht, wie ich auf diese unfassbare Tat reagieren sollte. Auf meine massiven Vorwürfe, wie man so etwas tun könne, reagierte Uwe Mundlos lediglich dahingehend, dass „eh alles verkackt sei“ und dass er es zum „knallenden Abschluss“ bringen wolle. Was er damit meinte, erfuhr ich kurze Zeit später von Uwe Böhnhardt. […]
Auf meine Frage, warum sie einen Menschen getötet hatten, erhielt ich keine klare Antwort. Es wurden Argumente vorgetragen wie: Perspektivlosigkeit, Gefängnis und insgesamt bestehende Frustration. Für mich waren dies keine nachvollziehbaren Erklärungen. Es wurde mit keinem Wort erklärt, dass der Mord politisch motiviert gewesen sei. Beide berichteten mit keinem Wort, dass Enver Simsek deshalb sterben musste, weil er Ausländer war. Bis zum heutigen Tag weiß ich die wahren Motive der beiden nicht und ich schließe nicht aus, dass sie mir nicht die Wahrheit gesagt haben, was ihre wahren Motive waren. Gedanken, sich öffentlich zu dieser Tat zu bekennen oder sich damit zu brüsten oder damit öffentlich zu politisieren wurden nicht mit einem Wort erwähnt.
Mit dem Umstand konfrontiert, dass ich nun auch in einen Mord verwickelt war, eröffnete ich den beiden, dass ich mich der Polizei stellen wolle. Angesichts der drohenden langjährigen Freiheitsstrafe wegen der Raubüberfälle war ich mir zwar nicht im Klaren, ob ich mich tatsächlich stellen würde, wollte den beiden aber klar machen, dass ihr Handeln für mich inakzeptabel und unerträglich war.
Sie überraschten mich mit der Erklärung, dass sie sich in diesem Fall selbst töten wollten.
Sie hätten miteinander besprochen und sich gegenseitig geschworen, sich niemals von der Polizei festnehmen zu lassen. Sie hätten sich geschworen, dass sich beide „die Kugel geben würden“. Sollte dies, aus welchen Gründen auch immer, misslingen so sollte zunächst der eine den anderen und dann sich selbst erschießen.
Wenn ich also zur Polizei gehen, die beiden dadurch entdeckt und ihre Verhaftung drohen würde, so wollten sie sich der Verhaftung auf diese Weise entziehen. […]
Ich stand vor einem, für mich unlösbaren Problem: sollte ich mich der Polizei stellen und die langjährige Haftstrafe in Kauf nehmen, so müsste ich wahrscheinlich den Tod der beiden einzigen Menschen, die mir neben meiner Oma lieb waren, auf mein Gewissen nehmen. […]
In den folgenden Wochen wurde nur das Nötigste gesprochen. So erfuhr ich vom Bombenanschlag in der Probsteigasse in Köln erst, als ich sie nach Berichten in der Presse darauf ansprach, ob sie etwas damit zu tun hätten. Vor der heftigen Diskussion Mitte Dezember 2000 hatte ich mehrfach mitbekommen, dass die beiden über Köln sprachen.
Beide berichteten mir, dass sie die Aktion vor Weihnachten vorbereitet hätten. Uwe Böhnhardt habe die Bombe in seinem Zimmer gebaut und nach unserer intensiven verbalen Auseinandersetzung hätten sie diese nach Köln verbracht. Es war Uwe Böhnhardt, der den Korb mit der Bombe im Geschäft deponierte, während Uwe Mundlos in Sichtweite vor dem Geschäft gewartet hatte.
Ich hatte vom Bau der Bombe nichts mitbekommen. Auf meine entsprechende Nachfrage erfuhr ich, dass sie arbeitsteilig tätig waren, wenn ich zum joggen unterwegs war und sie wussten, dass ich erst einige Stunden später zurückkommen würde. Sie wollten die Aktion vor mir verheimlichen, weil sie keine Lust hatten, mit mir zu diskutieren.
Angesprochen darauf, was sie mit dieser, aus meiner Sicht brutalen und willkürlichen, Aktion erreichen wollten, erwiderten sie in abfälliger Weise, dass sie „Bock darauf gehabt hätten“. Es kam mir der Gedanke, wie gefühllos beide waren und es kamen mir erstmals Zweifel, wie ich beiden gefühlsmäßig gegenüber stand. Die Kraft mich zu trennen – insbesondere von Uwe Böhnhardt – und mich der Justiz zu stellen, hatte ich jedoch nicht. […]
Mit Blick auf die Tatvorwürfe vom 13.06.2001 sowie 27.06.2001 kann ich mich nur insoweit äußern, dass ich weder an irgendwelchen Vorbereitungshandlungen noch an den Ausführungen beteiligt war. Weder Uwe Mundlos noch Uwe Böhnhardt hatten mich zuvor informiert, was sie in Nürnberg und Hamburg vorhatten.
Sie berichteten mir davon, nachdem sie am 05.07.2001 den Raubüberfall auf die Post in der Max-Planck-Straße in Zwickau verübt hatten. Sie hatten mich vorher nicht informiert, um eine Auseinandersetzung bzw. Diskussion mit mir zu vermeiden. Sie zeigten mir das Geld, welches sie am 05.07.2001 erbeutet hatten, und berichteten davon, dass sie Reizgas eingesetzt hätten.
Im Rahmen dieses Gespräches berichteten sie mir von ihren Mordtaten vom 13.06. und 27.06.2001.
Ich war einfach nur sprachlos, fassungslos und war nicht in der Lage, auf ihre Ausführungen zu reagieren. Ich hatte nicht nach Details gefragt. Ich wollte es nicht hören. Ich fühlte mich wie betäubt.
Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass sie nach unserer Auseinandersetzung Mitte Dezember 2000 nochmals auf einen Menschen schießen würden. […] Meine Frage nach dem Warum wurde wiederum mit inhaltlosen Floskeln beantwortet. Diesmal äußerten sie sich auch in ausländerfeindlicher Richtung. Damals hatte ich nicht für möglich gehalten, dass die beiden die Hetzlieder, wie sie einst an der „Schnecke“ gegrölt wurden, in die Tat umsetzen würden. […]
Ich befand mich im Zwiespalt der Gefühle:
– den finanziellen Vorteil der Raubüberfälle hatte ich akzeptiert und von diesen profitiert,
– gegenüber Uwe Mundlos hegte ich enge freundschaftliche Gefühle und Uwe Böhnhardt liebte ich – die beiden waren meine Familie,
– die Mordtaten lehnte ich zutiefst ab ,
– vor einer langjährigen Inhaftierung hatte ich Angst,
– vor der Nachricht, dass sich beide getötet hätten, hatte ich noch größere Angst.
Aus diesem emotionalen Dilemma fand ich keinen Ausweg und ließ die weiteren Geschehnisse auf mich zukommen.
Nach dem für mich schockierenden und deprimierenden Gespräch Anfang Juli 2001 (über die Taten vom 13.06.2001, 27.06.2001 und 05.07.2001) begingen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 29.08.2001 den Mord an Habil Kilic in München.
Ich war weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung dieser Tat beteiligt. Ich wusste nicht, dass sie nach München fuhren. Sie hatten mir gesagt – so meine ich mich heute zu erinnern – dass sie nach einer Bank für einen weiteren Raubüberfall Ausschau halten würden. […] Meine Reaktion war wiederum Entsetzen. Es gab jedoch keine verbale, lautstarke Auseinandersetzung – wie Mitte Dezember 2000 -, sondern ein gegenseitiges Anschweigen. Diese Stimmung hielt einige Wochen an. Ich hatte den Gedanken, dass wir drei schließlich jede Nacht in der gleichen Wohnung verbringen müssten. […]
Mit dem Mord vom 25.02.2004 an Yunus Turgut in Rostock hatte ich nichts zu tun. Von irgendwelchen Vorbereitungshandlungen, wie dem Anmieten eines Wohnmobils, hatte ich nichts mitbekommen. Es war mir auch nichts davon bekannt, dass sich die beiden einen Schalldämpfer besorgt hatten, wie es in der Anklage zu lesen ist. Uwe Mundlos berichtete davon, dass er „in Rostock einen Türken erschossen“ hätte. Details schilderte er nicht, er wiederholte nur mehrfach, dass „es wieder passiert sei“.
Ich erinnere mich, dass ich auf beide stundenlang eingeredet hatte mit dem Töten aufzuhören. Auch wollte ich die beiden nicht dadurch verlieren, dass sie von der Polizei erschossen werden oder sich gegenseitig erschießen würden. Gebetsmühlenartig erhielt ich zur Antwort, dass es nicht mehr passieren würde. Sie hielten ihr Wort nicht. […]
Am 09. Juni 2004 begingen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den Bombenanschlag in der Keupstraße in Köln. Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt. […]
Nach ihrer Rückkehr berichteten sie mir davon, dass sie in Köln einen Bombenanschlag auf Türken verübt hatten. Sie berichteten keine Details, nur dass sie eine Nagelbombe zur Explosion gebracht hatten.
Ich war einfach nur entsetzt und konnte diese Aktion nicht nachvollziehen. Ich verstand ihr Handeln auch deshalb nicht, weil es absolut sinnlos war. Beide begründeten ihr Tun damit, die türkische Bevölkerung in Köln in Angst und Schrecken versetzen zu wollen und – zum wiederholten Male – dass sie ihr „Leben verkackt“ hätten.
Über die Zeitung hatte ich mich informiert, was passiert war. Mit den Schilderungen der beiden allein hatte ich mich nicht zufrieden gegeben. […]
Im Verlauf der nächsten zwei Jahre dachte ich, dass nichts weiter passiert sei. Dies war aber ein Irrtum.
Anfang Oktober 2006 beging Uwe Böhnhardt den Überfall auf die Sparkasse in der Kosmonautenstraße in Zwickau. […] Uwe Böhnhardt kehrte zurück und berichtete in Anwesenheit des Uwe Mundlos, von dem „schief gegangenen“ Überfall, wie er es nannte. Er berichtete davon, dass er auf einen Mann geschossen habe, um zu entkommen. Die Mitteilung, dass er nichts erbeutet habe, erfolgte eher nebensächlich. Fast übergangslos erzählten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, dass sie Ende November 2005 einen weiteren erfolglosen Raubüberfall auf die Sparkasse in der Sandstraße in Chemnitz begangen hatten.
Damit nicht genug: sie erzählten mir bei dieser Gelegenheit auch von den weiteren vier Morden, die sie am 09.06.2005 in der Scharrer Straße in Nürnberg, am 15.06.2005 in der Trappentreustraße in München, am 04.04.2006 in der Mallinchrodstraße in Dortmund und am 06.04.2006 in der Holländische Straße in Kassel begangen hatten.
Sie berichteten nicht von den genauen Örtlichkeiten – diese kenne ich erst aus den Ermittlungsakten. Sie nannten auch keine Namen. Sie brüsteten sich vielmehr damit, dass sie „vier weitere Ausländer umgelegt“ hätten.
Meine Reaktionen sind nur schwer zu beschreiben: Fassungslosigkeit, Entsetzen, das Gefühl der Machtlosigkeit. Ich war unglaublich enttäuscht darüber, dass sie erneut gemordet hatten. Auch hatten sie mich erneut hintergangen, obwohl sie mir zuvor versprochen hatten, keinen Menschen mehr zu töten. […]
Während ihrer Abwesenheit spielte ich den ganzen Tag Computerspiele und trank zunehmend Sekt, etwa drei bis vier Flaschen am Tag, bis ich angetrunken war. Ich vernachlässigte unsere Katzen, was für mich völlig untypisch war. […]
Am 25.04.2007 ermordeten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Polizistin Michele Kiesewetter und verletzten den Polizisten Martin Arnold schwer.
Sie hatten mich zuvor nicht darüber informiert, dass sie eine solche Tat begehen wollten. Sie hatten mich nicht einmal dar über informiert, dass sie wegfahren wollten.
Als die beiden einige Tage später in die Wohnung zurückgekehrt waren berichteten sie davon, dass sie zwei Polizisten ermordet hatten.
Ich war regelrecht ausgeflippt, hysterisch und ihnen gegenüber sogar handgreiflich geworden, wobei ich versucht hatte sie zu schlagen. Nachdem ich wieder einen vernünftigen Gedanken fassen konnte fragte ich nach dem Warum.
Ich erhielt die unfassbare Antwort, dass es ihnen nur um die Pistolen der zwei Polizisten ging. Sie seien mit ihren Pistolen wegen häufiger Ladehemmungen unzufrieden gewesen. Das war der einzige Grund, warum erneut ein Mensch sterben musste. Ich war nur noch fassungslos – eine weitere Beschreibung meiner Gefühle ist mir nicht möglich. […]
Beide erwähnten mehrfach, dass sie sich frei schießen würden, sollten sie durch die Polizei entdeckt werden oder, wenn dies nicht gelingen würde, dass sie sich durch Erschießen das Leben nehmen.
Bei diesen Gesprächen über den Tod musste ich beiden mehrfach das „absolute Versprechen“ geben: Sollten beide erschossen werden oder sollten sie sich selbst erschießen, um einer Verhaftung zuvor zu kommen, so sollte ich die von Uwe Mundlos erstellten und versandfertig vorbereiteten DVDs in den Briefkasten stecken und versenden. Ich sollte die Wohnung in Brand setzen und ich sollte die Eltern des Uwe Mundlos und des Uwe Böhnhardt benachrichtigen.
Uwe Mundlos wollte, dass alle Beweise im Zusammenhang mit ihren Taten vernichtet werden und der einzige Beweis ihres Tuns die DVD sei. Uwe Böhnhardt wollte, dass alle Beweise vernichtet werden, die Rückschlüsse auf unsere Lebensweise in den vergangenen Jahren zulassen würden.
Ich gab ihrem jeweiligen Drängen nach und gab ihnen wiederholt mein ausdrückliches Versprechen, ihre letzten Wünsche zu erfüllen. Beide wussten, dass ich ein Versprechen, welches ich einmal gegeben hatte, nicht brechen würde. […]
04.11.2011
Am Freitag, den 04.11.2011, waren die beiden „überfällig“, nachdem sie am Wochenende zuvor losgezogen waren. Sie wollten ein Objekt für einen Raubüberfall auskundschaften und erwähnten, am Dienstag Geld besorgen zu wollen. […]
An diesem Freitag erfuhr ich über das Radio, dass in Thüringen ein Wohnmobil entdeckt worden sei, welches brennen würde, dass Schüsse gefallen seien und dass sich – so meine ich mich zu erinnern – zwei Leichen im Wohnmobil befinden würden.
Ich war mir sofort sicher, dass dieses Wohnmobil die beiden betraf und dass sie sich getötet hatten. In gewisser Weise war eine unglaubliche Leere in mir. Es war der Tag gekommen, vor dem ich mich immer gefürchtet hatte – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos werden nicht mehr zurückkommen.
In diesem Augenblick hatte ich nur den einen Gedanken: ihren letzten Willen und mein Versprechen ihnen gegenüber zu erfüllen – nämlich die gemeinsame Wohnung „abzufackeln“ und die DVDs zu verschicken. […]
Im Abstellraum der Wohnung befand sich der Kanister, gefüllt mit Benzin, welchen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seit längerer Zeit dort deponiert hatten. […]
Bevor ich dieses Benzin verschüttete, begab ich mich zur Nachbarin, Frau Charlotte [E.], um sie zu warnen und zu veranlassen, das Haus zu verlassen. […] Ich wartete geschätzte ein bis zwei Minuten und klopfte und klingelte mehrfach. Nachdem ich keine Geräusche vernahm und die Tür nicht geöffnet wurde, begab ich mich wieder in meine Wohnung. […]
An dieser Stelle weise ich den Vorwurf der Anklage, ich hätte billigend in Kauf genommen, dass die Handwerker [P.] und [K.] durch die Brandlegung zu Tode kommen würden, mit Entschiedenheit zurück.
[…] Sodann nahm ich etwa die Hälfte der DVDs, welche sich versandfertig und frankiert verpackt im Abstellraum befanden an mich und steckte diese in den Briefkasten, der sich vor dem Haus befand. […]
Zur Wohnung zurückgekehrt verschüttete ich das Benzin in allen Räumen der Wohnung.
[…] Ich nahm mein Feuerzeug, entzündete dies und hielt die Flamme an das Benzin, das sich auf dem Boden verbreitet hatte. Das Benzin fing sofort Feuer und dieses schoss geradezu durch den gesamten Raum. […]
Ich fuhr anschließend vier Tage lang mit dem Zug planlos kreuz und quer durch Deutschland, bis ich mich zu Rechtsanwalt Liebtrau in Jena begab. Mit diesem stellte ich mich anschließend der Polizei, nachdem ich dies telefonisch angekündigt und verlangt hatte, vorher noch mit meiner Oma sprechen zu können. […]
Der Generalbundesanwalt wirft mir vor, ich hätte als gleichgeordnetes Mitglied an der Tätigkeit der Organisation „NSU“ teilgenommen und aktiv deren Aufbau und Bestand gefördert. Ich hätte mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt arbeitsteilig ein spezielles Tatkonzept entwickelt, das Maßnahmen zur sicheren Abtarnung, Finanzierung und Bewaffnung der Gruppe sowie die Anmietung von Fahrzeugen zur Tatbegehung vorgesehen hätte und ich hätte gleichberechtigt bei der Entscheidungsfindung und der jeweiligen Tatplanung mitgewirkt.
Diese, im Zusammenhang mit dem „NSU“ erhobenen, Vorwürfe entbehren einer sachlichen Grundlage und basieren offensichtlich nur auf den Vorstellungen und unzutreffenden Schlussfolgerungen, die aus bestimmten Indizien gezogen werden, auf welche ich nachfolgend näher eingehen möchte.

1. Der Begriff des NSU
Uwe Mundlos hatte sich diese drei Buchstaben einfallen lassen. […] Es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass ich ein Gründungsmitglied einer Vereinigung namens „NSU“ gewesen sein soll. Eine solche Gründung hatte niemals stattgefunden. „NSU“ war einzig und allein die Idee des Uwe Mundlos.
In den vielen Jahren des Zusammenlebens hatten wir – also Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und ich – niemals untereinander darüber gesprochen, dass wir drei Mitglieder einer nationalsozialistischen Untergrundbewegung seien, die
– „bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit,
– bei im vorhinein gefasstem übergeordnetem Gruppenwillen,
– und bei gemeinsamer politisch-ideologischer Grundhaltung gemeinsame Ziele verfolgen“,
wie es der Generalbundesanwalt in seiner Anklageschrift unterstellt.
Ich habe mich weder damals noch heute als Mitglied einer solchen Bewegung gesehen.
NSU“ als „Vereinigung“ betrachtet hätte maximal aus zwei Personen bestehen können: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, wobei ich betone, dass sich Uwe Böhnhardt niemals einer anderen Person untergeordnet hätte. […]
Ich weise den Vorwurf zurück, dass ich mich mit den Mordtaten von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie ihrem „ideologischen Hintergrund“ identifiziert hätte oder hätte identifizieren müssen, um einen „Aussteigereffekt“ zu vermeiden.
Insbesondere meine Gefühle zu Uwe Böhnhardt standen einem „Aussteigereffekt“ entgegen, den der Generalbundesanwalt spekulativ in den Raum stellt.

2. Die DVDs
Den 15-minütigen „Bekennervideofilm“ habe ich erstmals in der Hauptverhandlung gesehen.
[…] Der Vorwurf des Generalbundesanwaltes, ich hätte am Schneiden des Films mitgewirkt und dies ergebe sich aus der Wette „200 x Videoclips schneiden“, erfolgt zu Unrecht. […]

3. Die Waffen
Ich hatte nicht eine einzige Waffe besorgt. Ich hatte ab und zu eine Pistole in den Schrank weggeräumt, wenn sie offen herumlag, weil, ich dies nicht wollte. Ansonsten hatte ich die Waffen der beiden nicht angerührt. […]

5. Kassenwart
Es gab keine Zuständigkeit bei der Bezahlung der alltäglichen Kosten. Regelmäßige Ausgaben wie Lebensmittel, Kleidung und anderes wurden mal von dem einen, mal von dem anderen bezahlt. Die Miete zahlte meistens ich.
Während der Urlaube habe meistens ich mich um das Geld gekümmert, weil ich am sparsamsten war. […]

6. Abtarnung
In der Anklageschrift ist wiederholt aufgeführt, ich hätte die „Abtarnung“ der Abwesenheit von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt während aller Tatbegehungen vorgenommen.
Es ist richtig, dass ich im Laufe von 13 Jahren ein paar Mal – ich erinnere mich an zwei oder drei Begebenheiten – die Identität der beiden gegenüber Nachbarn geleugnet hatte, wenn diese mich auf die beiden und deren Tätigkeiten angesprochen hatten.
Die Schlussfolgerung des Generalbundesanwaltes, ich sei deshalb mit den Morden der beiden einverstanden gewesen, weise ich zurück.
Mein Handeln muss vor dem Hintergrund beleuchtet werden, dass nicht nur Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, sondern auch ich auf der Flucht waren, beziehungsweise in der Illegalität lebten. […]

Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte. Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich nicht in der Lage war auf Uwe
Mundlos und auf Uwe Böhnhardt entsprechend einzuwirken, unschuldige Menschen nicht zu verletzen und nicht zu töten. Ich hatte Angst davor, dass sich beide umbringen und dass ich mit
ihnen meine Familie, allen voran Uwe Böhnhardt, verlieren würde.
Ich fühle mich moralisch schuldig, dass bei 15 Raubüberfällen die betroffenen Personen körperlichen und seelischen Schaden davon getragen haben – um selbst finanziell gesichert leben zu können.
Ich wünschte, dass Tino Brandt früher aufgeflogen, wir noch vor dem Untertauchen verhaftet und die vielen Straftaten nicht passiert wären.
Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten. […]
Unterschrift: Beate Zschäpe.

Götzl: „Bei Ihnen, Frau Zschäpe, ist das ihre Erklärung?“ Zschäpe nickt. Götzl: „Ja.“ Dann sagt Götzl, dass man jetzt eine Pause zum Kopieren einlege.

Dann verliest Grasel für Zschäpe die Anträge, 1. die Bestellung von RA Wolfgang Heer, 2. von RA Stahl und 3. von RA Sturm zu Pflichtverteidigern zu widerrufen. Der Verhandlungstag endet um 13:46 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage“: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/12/09/09-12-2015/

Pressemitteilung der NK-Vertreter RA Scharmer und RA Stolle: http://www.dka-kanzlei.de/news-reader/beate-zschaepe-ich-war-weder-an-den-vorbereitungshandlungen-noch-an-der-ausfuehrung-beteiligt-gamze-kubasik-die-angebliche-entsc.html

Statements der Betroffenen des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße finden sich hier: http://keupstrasse-ist-ueberall.de/zschaepe-aussage-jetzt-antworten-die-betroffenen/

Zur ausführlichen Version des Protokolls geht es hier.