Kurz-Protokoll 260. Verhandlungstag – 16. Februar 2016

0

An diesem Prozesstag wird Jens L. vernommen, der in den 1990er Jahren in der organisierten Kriminalität in Jena, u.a. Waffenhandel mitgewirkt hat. Er gibt an, die Angeklagten Wohlleben und Eminger zu kennen. Er spricht immer wieder von einer Bedrohungslage gegen sich und als es um andere Mitglieder der „Bande“ und deren Kennverhältnis zu Mundlos und Böhnhardt geht, verweigert er die Aussage.

Zeuge:

  • Jens L. (Mögliche Waffenbeschaffung, organisierte Kriminalität in Jena in den 1990ern)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Als Zeuge soll heute Jens L. gehört werden. Nach der Belehrung und der Feststellung von Alter und Beruf des Zeugen fragt Götzl nach dessen Anschrift. L.: „Herr Vorsitzender, das will ich hier nicht angeben, die kann ich ja dann bei Spiegel Online wieder lesen.“ Götzl: „Gut, das wäre jetzt kein Grund, die Anschrift zu verweigern.“ L.: „Ich lege da schon großen Wert drauf. Ich bin ja nicht umsonst umgezogen. Wenn ich das gerne bekannt geben würde, könnte ich das ja dann in den Medien selber machen. Tun Sie mir den Gefallen.“
Götzl fragt, ob L. unabhängig von Spiegel Online Befürchtungen habe. L. sagt, er sei ja Bandenmitglied gewesen: „Sie werden zu Bewaffnung fragen und es wird vielen nicht schmecken, was ich dazu zu sagen habe, und es wird auch hier einigen Beteiligten nicht gefallen. Und letztendlich spricht heute kein Richter mehr das Urteil, sondern die Presse. Und die Angeklagten sind ja auch schon verurteilt. Und deswegen werde ich nichts sagen, weil einige Bandenmitglieder wieder raus gekommen sind aus dem Knast, einer sitzt noch, schon seit 18 Jahren [phon.].“
Götzl: „Dann wird dem Zeugen L. gestattet, seine Dienstadresse anzugeben. Vom Beweisthema geht’s darum: Um Erkenntnisse zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, Carsten Schultze, André Eminger, weitere Personen: Enrico Theile, Hans-Ulrich Mü., deren Umfeld und Kontaktpersonen. Hier spielt insbesondere das Thema Waffen eine Rolle. Es würde mich interessieren, Herr L., welche Personen Sie kennen und des weiteren bitte ich Sie, darauf einzugehen, inwiefern Kenntnisse zu Waffen in Zusammenhang auch mit diesen Personen bestanden. Ich hatte Sie so verstanden, dass Bandenmitglieder in Haft waren und entlassen wurden. Mich würde der Gesamtzusammenhang interessieren.“
[Hinweis: L. spricht sehr schnell und undeutlich und berichtet sprunghaft und anekdotisch. Besonders unsichere Teile sind mit „phon.“ gekennzeichnet.]
L. „Also, von 1992 bis 2000 waren wir eine der führenden Banden in Thüringen. Unser Gebiet erstreckte sich von Anfang Landesgrenze [phon.] bis Zwickau, Plauen bis leicht nach Chemnitz rüber. Wir wurden am 04.04.2000, wurden wir durch Oberstaatsanwalt Riebel, OK [Organisierte Kriminalität], durch Sondereinsatzkommandos ausgehoben. Unser Gebiet waren Drogenhandel, Waffenbeschaffung, Prostitution. Wir haben alle einzeln durch Rechtsabsprachen so neuneinhalb Jahre Strafen gekriegt.“ Er selbst habe 2 Jahre, 10 Monate, 17 Tage und 16 Stunden [phon.] in Haft gesessen. 1996 bis 2000 haben wir von Jena aus agiert, da habe ich auch in Jena gewohnt. Aufgrund der Türkenbanden, Tschetschenen, Polen, wo sie alle hergekrochen sind aus ihren Löchern, haben wir alle auch eine Bewaffnung angestrebt.“
L. berichtet, es seien auch Bandenmitglieder ums Leben gekommen. [phon.] Einen „Steffen“ habe man mit Bauchschuss [phon.] in der Saale gefunden. Auch in Erfurt [phon.] habe es einen Toten gegeben. „Die wurden durch ausländische Banden niedergeschossen.“ [phon.] Götzl bittet L. das zu wiederholen. L.: „1990/91 wurde in Erfurt jemand niedergestreckt, das dürfte eigentlich bekannt sein. Daraufhin haben wir eine Bewaffnung angestrebt und die Waffen auch hinterhergeworfen gekriegt. Ich war Beschützer von Gil und Ron [phon.], also für die Sicherheit unserer Bandenchefs war ich verantwortlich. Von den Angeklagten kenne ich ihn [zeigt vermutlich auf Wohlleben], ihn [zeigt vermutlich auf Eminger], Frau Zschäpe kenne ich nicht, aber ich kann mich täuschen, vielleicht ist sie mal in der Wasserelse an uns vorbei gelaufen.“
L. weiter: „Die Bewaffnung hatte damals nur ein Ziel: Das Vorrücken der ausländischen Banden aufzuhalten. Wurde ja in Thüringen immer mehr damals. Und wir hatten auch mehrere Depots angelegt. Es wurde damals in Erwägung gezogen, die rechte Szene zu bewaffnen, weil sie uns hätte helfen können, das aufzuhalten.“
Götzl sagt: „Wenn es darum geht, jemandem Waffen zukommen zu lassen: Waren denn Waffen vorhanden, die man weitergeben konnte?“ L.: „Ja.“ Götzl: „Welche Waffen, Größenordnung, Art?“ L.: „Ich hatte zwei oder drei [phon.] Kalaschnikow und drei, vier [phon.] Handfeuerwaffen und mehrere Handgranaten. Wir hatten vier Depots, die waren gut bestückt. Wir haben die Waffen verkauft. [phon.] Die Nachfrage war da. Damals war sie beim Einkauf billig.“
Um 11:08 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort. Wir waren stehengeblieben, Herr L., beim Thema Waffen. Sie hatten angegeben, dass Waffen aus russischen Beständen kamen, Schweiz und Italien [phon.]?“ L.: „Genau.“ Götzl: „Wenn Waffen aus russischen Beständen kamen, welche Personen stehen hinter: ‚russische Bestände‘?“ L.: „Ehemalige Soldaten, Offiziere. Die Verbindungen zum Einzelnen beruhten auf DDR-Offiziersverbindungen [phon.], Kampfgruppenverbände, die damals durch die Polizei entwaffnet wurden. Die Kampfgruppen, das war die freiwillige Privatarmee, die es in DDR-Zeiten gab.“
Götzl: „Bestimmte Waffentypen?“ L.: „Kann ich nicht sagen. Wenn Sie jetzt auf die Cessna [gemeint ist wohl: Ceska]ansprechen, kann ich sagen: In meinem Besitz befanden sich auch zweie. Entweder 2004 [phon.] oder 2002 [phon.], wo ich das Lager aufgelöst habe, habe ich die verkauft. Das hat mit den Herren und Damen hier nix zu tun, das war ja da schon Geschichte.“
Götzl: „Mir ging es auch um die Personen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, kannten Sie die beiden?“ L.: „Ich bin mir da nicht ganz sicher. Ich habe damals schon mal gesagt, ich glaube, ich habe sie mal in der Wasserelse gesehen.“
L. weiter: „Aber aus dem Spektrum, was rechts war, bin ich ab ’92, ’93 wieder raus. Ich habe mich andere Aufgaben gewidmet und wurde dann vom Gil nach Jena geholt. [phon.] Und ich habe in meinem Leben so viele Ganoven, böse Menschen, gute Menschen, schlimme Menschen, ganz schlimme Menschen [phon.] kennengelernt, so viel erlebt und ich kann mir nicht jeden einzelnen Menschen merken.“
Götzl: „Haben Sie Informationen, ob jetzt Gil E. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kannte?“ L.: „Mindestens ist es ein Jahrgang.“ Götzl: „Das ist keine Antwort auf meine Frage.“ L.: „Wer Ron und Gil nicht kennt, dann ist es ja sehr traurig, der hat nicht in Jena oder Thüringen gelebt. Beide haben einen Namen, das geht ja bis hin zum Bundesnachrichtendienst, selbst jeder Richter kennt den.“ Götzl sagt, es gehe darum, ob einer der beiden oder beide Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt kannten, und ggf. ob L. dazu Situationen in Erinnerung habe. L.: „Sie bringen mich mit solchen Fragen in sehr große Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, was Sie daran nicht verstanden haben. Ich habe ein kleines Kind und werde zu keinen Bandenmitgliedern aussagen, ob die die gekannt haben. Damit ich nach Hause komme und dann einen Schuss in den Kopf kriege? Weil ich ein treuer Staatsbürger bin, soll ich mein Leben opfern für dieses marode System?“ [phon.] Götzl: „Weil sie verpflichtet sind nach dem Gesetz.“ L.: „Dann werde ich von meinem Recht, die Aussage zu verweigern Gebrauch machen, wenn Sie das so wollen. Was wollen Sie hören?“ [phon.] Götzl: „Ich will wissen, ob Sie Informationen haben, ob Gil und Ron E. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos kannten.“ L.: „Ich mache von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und mache keinerlei Aussage mehr.“
Götzl: „Sie hatten bei den Vernehmungen Herrn Rechtsanwalt Streibhardt beigeordnet. Für den Fall dass Ihnen ein Zeugenbeistand beigeordnet wird, wären Sie mit Rechtsanwalt Streibhardt einverstanden?“ L.: „Da hätte ich kein Problem.“ Götzl: „Sie müssen dann nochmal kommen. Über die Frage eines Zeugenbeistands wird noch entschieden werden. Wir werden Sie neu laden. Dann darf mich für heute bedanken.“ L. verlässt den Saal. Der Verhandlungstag endet um 12:56 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage.

Die vollständige Version des Protokolls ist hier zu finden.