Kurz-Protokoll 282. Verhandlungstag – 11. Mai 2016

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An diesem Verhandlungstag werden zunächst einige Schreiben verlesen und die Urlaubsbilder des Kerntrios kurz nach dem Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Augenschein genommen. Danach lehnt Götzl umfassend den Beweisantrag zu Ralf Marschner ab.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl, für heute seien Verlesungen vorgesehen.

Götzl sagt, dann seien Lichtbilder von der CD „Urlaub 2004“ in Augenschein zu nehmen. Es sollen dann die Lichtbilder in digitaler Form gezeigt und an die Leinwände projiziert werden. Es folgt die Inaugenscheinnahme der Fotos. [Zu einer Beschreibung einiger Fotos siehe Beweisantrag von RA Reinecke vom 277. Verhandlungstag.]

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Man kann jedenfalls sagen, dass die Schlüsse, die der Antragsteller in seinem Beweisantrag gezogen hat, das sind keine zwingenden Schlüsse. Und da es keinen Untergrundcampingplatz und keine Untergrundfußgängerzone gibt, zeigen die Bilder lediglich, dass hier Menschen lediglich unter falscher Identität gelebt haben.“ Götzl: „An Sie, Frau Zschäpe, hätte ich die Frage, wer die Fotos gefertigt hat und bei Bild 21 und 23 wo Sie zu dritt zu sehen sind, wer die Fotos gefertigt hat.“ RA Grasel: „Die Bilder wurden abwechselnd gefertigt, und wo alle drei zu sehen sind, wurden sie per Selbstauslöser aufgenommen.“ Götzl: „Ist das zutreffend, Frau Zschäpe?“ [Eine Antwort Zschäpes ist nicht zu vernehmen.] RA Grasel: „Ich muss ergänzen: Die Bilder, die aus weiterer Entfernung gefertigt wurden, wurden von Passanten gefertigt, nicht per Selbstauslöser, da hat man Passanten gefragt.“ Götzl: „Ist das richtig?“ [Zschäpe nickt deutlich.]

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass die Beweisanträge aus der NK zu Ralf Marschner [siehe 274. Verhandlungstag]abgelehnt sind. Zur Begründung führt er aus: Die Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen Marschner konnten abgelehnt werden, weil die Vernehmung des Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Den Anträgen, den Zeugen Marschner im Wege der Beweisermittlung zu den in den Anträgen aufgeführten Sachverhalten zu befragen, wird nicht nachgekommen, weil die Aufklärungspflicht zu diesen Ermittlungen nicht drängt. Die Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen KHK St., auf Verlesung seines Schreibens vom 11.12.2001, auf Vernehmung des Zeugen Kaldrack und auf Verlesung des Lagefilms der PD Zwickau konnten abgelehnt werden, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung sind.

Das Wissen des Zeugen Marschner hat keinerlei unmittelbare oder mittelbare Auswirkung auf die mögliche Schuld- und/oder Straffrage bei den im vorliegenden Verfahren angeklagten Personen.

Unter Punkt I.e. ist für den Umstand der Beschäftigung des verstorbenen Mundlos durch den Zeugen Marschner Beweis angeboten: In das Wissen des Zeugen Marschner ist gestellt, dass er Uwe Mundlos in seiner Baufirma in Zwickau in den Jahren 2000 und 2001 unter der Aliasidentität „Max-Florian-Burghardt“ beschäftigt hat. Der Umstand, dass Uwe Mundlos vom Zeugen unter einer falschen Identität in seiner Baufirma beschäftigt wurde, hat keinen erkennbaren unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit den angeklagten Taten und/oder der möglichen Täterschaft oder Teilnahme der Angeklagten hier an. Auswirkungen dieses Umstands auf die möglichen Rechtsfolgen bei den Angeklagten erschließen sich ebenfalls nicht. Ein Aufklärungsgewinn ist demnach nicht zu erwarten.

Der Umstand, dass Ralf Marschner seinem V-Mann-Führer über sein unter Beweis gestelltes Wissen berichtete, ist für sich genommen für eine mögliche Schuld- oder Rechtsfolgenfrage ohne Bedeutung. Der aus der Information folgende Umstand, dass der V-Mann-Führer und damit im Regelfall auch die zuständigen Stellen im BfV hierüber informiert waren, lässt ebenfalls keinen direkten oder indirekten Zusammenhang mit den angeklagten Taten oder möglichen Rechtsfolgen erkennen.

Die Antragsteller begehren die Vernehmung des Zeugen KHK St. und die Verlesung von dessen Schreiben vom 11.12.2001 zum Beweis der Tatsachen, dass die Landeskriminalämter Sachsen und Thüringen spätestens im Dezember 2001 Kenntnisse zur Herkunft der Unterstützer des „NSU“ aus der Blood & Honour-Szene hatten, dass ihnen der Aufenthalt von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Zwickau bekannt war und dass zu den möglichen Unterstützern neben Jan Werner, Hendrik Lasch, Thomas Starke auch Ralf Marschner gehörte. Weiter wird unter Beweis gestellt, dass diese Erkenntnisse auch an das LfV Sachsen weitergegeben wurden. Diese Umstände beziehen sich zusammengefasst auf die „subjektive Kenntnislage“ bei verschiedenen Behörden. Es ist nicht ersichtlich, wie sich diese auf die Beurteilung einer möglichen Schuld- und/oder Straffrage bei den Angeklagten auswirken könnte. Auch für die Beurteilung des Beweiswerts eines anderen Beweismittels spielt die Kenntnislage innerhalb verschiedener Behörden keine Rolle.

Danach beantragt RA Klemkeeinen Text auf einer Festplatte Wohllebens zu verlesen. Auf den Vorhalt: „Solange die NPD und sonstige Rechte Parteien ihren extremen Ausländerhass und Ihre teils sehr fragwürdigen Mitglieder [hier fehlt Original offenbar ein ’nicht‘ – nsu-watch]in den Griff bekommt sehe ich schwarz.“ habe sich Wohlleben folgendermaßen geäußert: „Was für einen Ausländerhass?Ich bin Nationalist und Nationalist bedeutet nichts anderes, als sein Heimatland zu lieben und andere Völker zu ehren.Wenn man etwas gegen die Überfremdung tut, heißt das nicht, dass man Ausländer hasst.“Dabei handele es sich um einen durch Wohlleben kommentierten Gästebucheintrag, der zuvor an die Internetseite des NPD-Kreisverbandes Jena gesendet worden sei. Er sei, zumindest ausweislich des Zeitstempels, am 22.11.2001 als Textdokument abgespeichert worden. Die Beweiserhebung werde die Behauptung der Anklage widerlegen, Wohlleben habe „ideologisch motivierte Tötungsdelikte an Mitbürgern ausländischer Herkunft“ billigend in Kauf genommen. Der zu verlesende Text belege vielmehr die Glaubhaftigkeit der Angaben Wohllebens in der Hauptverhandlung. Weiter mache er deutlich, dass sich eine Gleichsetzung der „vom Angeklagten Wohlleben praktizierten kritischen Betrachtung der damaligen und auch der aktuellen Überfremdungspolitik mit einer ihm in der Anklageschrift unterstellten ‚ausländerfeindlichen Gesinnung'“ verbiete.

Dem Senat sei es erlaubt, aufgrund der engen zeitliche Nähe zwischen der Wohlleben vorgeworfenen Tat und der Erstellung des Textes belastbare Schlüsse auf die Einstellung Wohllebens gegenüber Ausländern zu ziehen. Dies werde zu der Wertung führen, dass Herr Wohlleben keinen Tötungsvorsatz gehabt habe. Schon gar nicht seien bei Wohlleben niedrige Beweggründe nachweisbar. Der Verhandlungstag endet um 13:08 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/05/11/11-05-2016/