Kurz-Protokoll 298. Verhandlungstag – 14. Juli 2016

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Der heutige Prozesstag ist sehr kurz. Er beschäftigt sich mit Beweisanträgen der Verteidigung Wohlleben und der Befragung eines Sachverständigen, der Fingerabdrücke von Beate Zschäpe untersucht hat.

Zeuge:
Markus Lo. (Kriminalhauptkommissar BKA, Sachverständiger für Daktyloskopie)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. RA Klemke von der Verteidigung Wohlleben beantragt, sämtliche beim GBA geführten Verfahrensakten zu Ermittlungen gegen namentlich bekannte und unbekannte Unterstützer des NSU, insbesondere gegen Jan Botho Werner, beizuziehen sowie der Verteidigung Einsicht in die Akten durch Übersendung der Originalakten in die jeweilige Kanzlei zu gewähren.
Klemke führt aus, dass die Verteidigung Wohlleben am 06.07.2016 [295. Verhandlungstag] die Beiziehung der Vernehmungsniederschriften von Frank Wu., genannt „Schmaler“, und Mirko Sz., genannt „Barny“, beantragt habe. Dabei sei u.a. um von Carsten Schultze behauptete Körperverletzungshandlungen an der Endhaltestelle in Jena-Winzerla gegangen, an welchen Wohlleben laut Schultze beteiligt gewesen sein solle.
Beide Zeugen hätten die Teilnahme an den von Schultze behaupteten Körperverletzungen in Abrede gestellt. Es handele sich damit um für Wohlleben entlastende Aussagen.
RAin Schneiders stellt dann einen weiteren Antrag und bezieht sich dabei auf das Verfahren gegen die Musikgruppe „Landser“. Sie beantragt Aktenbestandteile aus dem sogenannten „Landser“-Verfahren der StA Dresden beizuziehen. Außerdem beantragt sie die Vernehmung des Zeugen Jörg An. und die Vernehmung des Zeugen Ralf Marschner bzw. hilfsweise des schweizerischen Vernehmungsbeamten von Jörg An.
Aus der TKÜ des „Landser“-Verfahrens von Werner werde sich ergeben, so Schneiders, dass Jan Werner vom Zeugen Carsten Sczcepanski eine scharfe Schusswaffe habe erwerben wollen und deshalb bei Szczepanski mehrfach telefonisch und per SMS nachgefragt habe; dass Werner Erlöse aus B&H-Konzerten für die Beschaffung von scharfen Schusswaffen verwendet habe; dass Werner Kontakt zu den verstorbenen Böhnhardt und Mundlos gehabt habe; dass Werner den Auftrag gehabt habe, für Böhnhardt und Mundlos scharfe Schusswaffen zu beschaffen. Aus der TKÜ des „Landser“-Verfahrens von Marschner werde sich ergeben, so Schneiders, dass Marschner vom Zeugen An. scharfe Schusswaffe habe erwerben wollen; dass Marschner Erlöse aus B&H-Konzerten für die Beschaffung von scharfen Schusswaffen verwendet habe; dass Marschner den Auftrag gehabt habe, für Böhnhardt und Mundlos scharfe Schusswaffen zu beschaffen; dass Mundlos bei Marschner unter der Aliaspersonalie „Max-Florian Burkhardt“ gearbeitet habe.
Die Beweiserhebung, so Schneiders, werde ergeben, dass sowohl Werner als auch Marschner nach dem Untertauchen Kontakte zu Böhnhardt und Mundlos gehabt hätten; beide hätten den Auftrag gehabt, Waffen zu besorgen. Schneiders sagt, es bestünden konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich aus den beizuziehenden Akten weitere Erkenntnisse bezüglich Werner und Marschner ergäben. Dies diene der Entlastung Wohllebens, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Tatwaffe über Werner und Marschner zu Böhnhardt und Mundlos gekommen sei.
Ferner beantragt Schneiders, die V-Mann-Akten von Ralf Marschner, alias „Primus“, des BfV, die Akten des Strukturverfahrens gegen Unbekannt und die Verfahrensakten der BAW gegen Werner und Marschner beizuziehen. Aus den Akten des BfV werde sich ergeben, so Schneiders, dass der VS über „Primus“ über den Aufenthaltsort von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe informiert war. Eine Festnahme der Gesuchten sei damit bei Weitergabe dieser Informationen an die Ermittlungsbehörden möglich gewesen. Die gezielte Vereitelung der Festnahme durch die Nichtweitergabe dieser Information an die Ermittlungsbehörde sei im Falle einer Verurteilung strafmildernd für Wohlleben zu berücksichtigen.

Dann betritt der Zeuge Lo. den Saal. Götzl bittet den Zeugen darüber auszusagen, was er untersucht habe. Der Zeuge Lo. berichtet: „Daktyloskopie ist ein Gebiet der Kriminalistik und befasst sich mit Papillarbildern. Ziel ist es, Spurenverursacher zu identifizieren oder auszuschließen, dass Spuren von Personen verursacht wurden. Man hinterlässt aufgrund des Hydrolipidfilms eine Spur. Wenn man etwas berührt, die Tischplatte oder ein Blatt Papier, bilden sich die Papillarleisten als Papillarlinien ab. Die sind nicht beziehungsweise nur latent sichtbar, können aber sichtbar gemacht werden. Bei den vorliegenden Spuren handelt es sich um Spuren auf Papier. Im vorliegenden Fall wurden Spurenfragmente sichtbar gemacht, die relativ klar noch zur Abbildung gekommen sind, schön schwarz auf grauem Untergrund.
Wir sprechen dann von Identität, wenn genügend übereinstimmender Informationsgehalt vorhanden ist, in der Regel bei 12 anatomischen Merkmalen, die in Form und relativer Lage zueinander übereinstimmen. Bei den hier zu begutachtenden Spuren hab ich jeweils 12 anatomische Merkmale, die in Form und Lage übereinstimmen, im Vergleichsmaterial von Frau Zschäpe gefunden und kann daher sagen, dass diese beiden Fingerabdrücke von Frau Zschäpe verursacht wurden.“
Götzl fragt weiter, ob der Zeuge etwas zur Übertragung daktyloskopischer Spuren sagen könne. Lo. antwortet: „Ich hatte noch nie so einen Fall und habe auch unter Kollegen keinen Fall gefunden, der einen Fall der Übertragung Papier-auf-Papier hatte. Die Ausnahme wäre ein Deckblatt einer Illustrierten: Wenn ich da ein stark saugendes Papier drauflege, da könnte es zu einer Spurenübertragung kommen. Aber dann wäre die Spur ja seitenverkehrt! Und hier ist keine Spur seitenverkehrt gewesen.“ Der Sachverständige Lo. wird um 10:36 Uhr entlassen.

Götzl wendet sich an die Angeklagte Zschäpe und fragt, ob er bzgl. der Angaben zum Thema Alkohol den SV Peschel laden und Antworten auf die Fragen von Professor Dr. Saß erwarten könne. [phon.] RA Grasel antwortet: „Das können Sie erwarten, ja.“ Götzl fragt: „Wann? Haben Sie eine zeitliche Vorstellung?“ Grasel: „Momentan nicht, nein.“ Der Prozesstag endet um 10:39 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/07/14/14-07-2015-2/