Kurz-Protokoll 299. Verhandlungstag – 19. Juli 2016

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An diesem Prozesstag geht es zunächst um die Auswertung von Festplatten. Anschließend daran geht es um verschiedene Anträge. Eine größere Rolle spielt an diesem Tag die Ablehnung von verschiedenen Anträgen der Verteidigung Wohllebens zum Lieferweg der Mordwaffe Ceska durch Richter Götzl. Er sieht die ursprünglichen Feststellungen durch die Beweisaufnahme als bestätigt an.

Zeuge:

  • Andreas Di. (Auswertung von Dateien von Festplatten bzgl. der Erstellungs- bzw. Änderungsdaten)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Erster und einziger Zeuge ist heute Andreas Di., KHK beim BKA Meckenheim und dort im Bereich Computerforensik tätig. Di. wird neben der üblichen Zeugenbelehrung auch bzgl. Sachverständigenausführungen belehrt. [Wiedergaben von Daten, Zeiten und Zahlen unter Vorbehalt.] Götzl fragt nach dem Asservat 2.12.702.24 . [Es handelt sich um die CD „Urlaub 2004“] Di. sagt, es handele sich um eine CD-Rom mit Fotos drauf. Die habe er ebenfalls als Image in die Untersuchungssoftware eingebunden. Es sei darum gegangen, sie nach Dateinamen zu sortieren und die zugehörigen Zeitstempel zu dokumentieren. Er habe zunächst eine Signaturüberprüfung gemacht. Das sei Standard, dass man überprüft, ob alle Dateien das sind, was sie vorgeben zu sein. Es seien alles JPG-Bilder gewesen. Götzl: „Aus welchem Zeitraum sind die Dateien?“ Di: „Also, es muss Juli/August 2004 gewesen sein, Juli 2004 auf jeden Fall.“ Götzl hält vor, dass im Bericht der Zeitraum vom 20.07.2004 bis 06.08.2004 genannt sei.

NK-Vertreter RA Elberling verliest einen Beweisantrag. Er beantragt einen Ausdruck der Internetseite des THS vom 22.05.2000 zu verlesen zum Beweis der Tatsache, dass es darin unter der Überschrift „DER THÜRINGER HEIMATSCHUTZ – Wer wir sind und was wir wollen“ u.a. heiße: „Wir sind systemkritisch und -feindlich und bekennen uns zum nationalen Sozialismus, zum Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals und die menschlich-moralische Ausbeutung durch dieses.“, „Die Errichtung einer multikulturellen Gesellschaft ist eines der größten Verbrechen, was an der Menschheit verübt wurde und wird. Das ist die systematische Ausrottung kultureller Identitäten und somit ganzer Völker. Der einzige Träger des Nutzens ist das Großkapital, welches durch die Entwurzelung universell einsetzbare Arbeitsmaschinen heranzüchtet. Dies gilt es mit allen Mitteln zu bekämpfen.“ sowie „Die nordische Seele ist in uns verhaftet und führt uns der Sonne entgegen.“ Außerdem beantragt er Friedrich-Karl Schr., zu laden über das TLfV, als Zeugen zu vernehmen zum Beweis der Tatsachen, dass dieses Dokument am 22.05.2000 auf der vom THS betriebenen Internetseite mit diesem Inhalt abrufbar gewesen sei, dass auf dieser Internetpräsenz zum selben Datum u.a. zwei Fotos abgebildet gewesen seien, auf denen vermummte und überwiegend in militärischen Tarnanzügen gekleidete Personen im Stil einer Wehrsportgruppe posieren bzw. an einen „militärfarbenen“ Geländewagen lehnen.
Zur Begründung führt er aus:
Die Beweisaufnahme wird ergeben, dass auf der Webseite des THS am 22. Mai 2000 – also kurz nach der Überbringung der Ceska an Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe – die zitierte Selbstdarstellung online war. Es handelt sich also um die für den Tatzeitpunkt relevante Selbstdarstellung des THS, dessen Mitglied der Angeklagte Wohlleben auch nach seiner eigenen Einlassung war. Auch diese Selbstdarstellung enthält zum Teil bereits Entlehnungen aus der neu-rechten Ideologie des „Ethnopluralismus“, die rassistische Einstellungen unter dem Deckmantel zu verbergen versucht, man habe ja gar nichts gegen Menschen aus „anderen Kulturen“, solange die in ihrer jeweiligen „Heimat“ blieben. Die Selbstdarstellung aus dem Jahr 2000 zeigt aber vor allem sehr deutlich, in welchem Ausmaß der THS die „multikulturelle Gesellschaft“ – und damit bereits die Präsenz von nach Definition des THS „nichtdeutschen“ Menschen in Deutschland – als Bedrohung darstellt und welche Reaktion hierauf er in Aussicht stellt: So wird die „multikulturelle Gesellschaft“ als eines der „größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“ dargestellt, dessen Folge die „systematische Ausrottung kultureller Identitäten und somit ganzer Völker“ sei. Aus dem Absatz im Zusammenhang ergibt sich auch, dass es eben diese „multikulturelle Gesellschaft“ – und damit die Präsenz von als „nichtdeutsch“ definierten Menschen in Deutschland – ist, die es nach Auffassung des THS „mit allen Mitteln zu bekämpfen“ gilt.

Danach verliest Götzl den Beschluss, dass der Antrag der Verteidigung Wohlleben auf Ladung und Vernehmung von Andreas Zb. abgelehnt wird, dass der Antrag der Verteidigung Wohlleben auf Ladung und Vernehmung von Zb., Marcel Tsch., Stephan Ba. und Daniel Ny. abgelehnt werden. Auch die Anträge auf Ladung und Vernehmung von Rolf Ba., auf Ladung und Vernehmung von Werner Ludwig F., auf Ladung und Vernehmung von KOK Schn. vom BKA und auf erneute Einvernahme von Hans-Ulrich Mü. im Wege der Rechtshilfe in der Schweiz werden abgelehnt. Die Beweisanträge auf Vernehmung der Zeugen Zb., Tsch., Stephan Ba., Ny. und Rolf Ba. hätten abgelehnt werden können, weil die Vernehmungen der benannten Zeugen, deren Ladungen im Ausland, d.h. in Ecuador oder in der Schweiz, zu bewirken wären, nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich seien. Die Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen F. und des Zeugen KOK Schn. hätten abgelehnt werden können, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung seien. Den Anträgen, die Schweizer Justizbehörden zu ersuchen, den Zeugen Hans-Ulrich Mü. erneut im Wege der Rechtshilfe zu den Beweistatsachen, die der Zeuge Mü. dem Zeugen RA Ünlücay mitteilte, zu vernehmen, werde nicht nachgekommen, weil die Aufklärungspflicht zu diesen Ermittlungen nicht dränge.
Götzl macht dann im Teil A zunächst allgemeine Ausführungen zur Frage der Vernehmung eines
Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, nach § 244 Absatz 5 Satz 2 StPO. Dann führt er konkret aus:
Unter Beweis gestellt wurde die Tatsache, dass der Zeuge Zb. die Ceska mit der Seriennummer 034678 nicht an die Zeugen Hans-Ulrich Mü. oder Peter Anton Ge., sondern an den Zeugen Dieter Sch. verkauft hat. Der Zeuge wird nach der vom Senat durchgeführten prognostischen Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses diese unter Beweis gestellte Tatsache nicht bestätigen:
Aus dem durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführten Waffenhandelsbuch der Firma Schläfli & Zbinden ergibt sich, dass in diesem Handelsbuch der Verkauf einer Pistole der Marke Ceska 83 mit der Nummer „34678“ nach Vorlage eines Waffenerwerbsscheins an Anton Ge. in Steffisburg per Versand dokumentiert ist. Die Eintragungen im Waffenhandelsbuch sind im Hinblick auf den dort dokumentierten Verkaufsvorgang dieser Ceska 83 mit der Nummer „34678“ nach dem bisherigen Beweisergebnis zutreffend:
Anhaltspunkte dafür, dass Eintragungen in das Waffenhandelsbuch der Firma Schläfli & Zbinden hinsichtlich des Datums der Rechnung, hinsichtlich des Lieferanten der Firma Schläfli & Zbinden, hinsichtlich der Art, der Nummer, der Marke, des Typs, des Kalibers der verkauften Waffe und hinsichtlich des Verkaufsdatums unzutreffend vorgenommen wurden, sind nicht vorhanden und wurden von den Antragstellern auch nicht vorgetragen.
Die Eintragungen im Waffenhandelsbuch hinsichtlich des hier gegenständlichen Verkaufsvorgangs der Ceska 83 werden hinsichtlich der Person des Erwerbers, der Vorlage eines Waffenerwerbsscheins und der Waffenlieferung durch „Versand“ bestätigt durch die nach dem bisherigen Beweisergebnis glaubhaften Angaben des Zeugen Peter Anton Ge. Dieser führte schlagwortartig zusammengefasst aus, ein Waffenpaket per Post erhalten zu haben. Er hat damit die Eintragung im Waffenhandelsbuch, die einen Verkauf mit Versand der Ware an ihn dokumentiert, bestätigt.
Der Zeuge Ge. hat sich in mehreren Vernehmungen wie folgt zusammengefasst eingelassen: 1. Bei seinen Vernehmungen am 16.08.2007 und 06.11.2009 räumte der Zeuge Ge. zusammengefasst ein, einen oder zwei Waffenerwerbsscheine bestellt und erhalten zu haben. Er habe aber keine Waffen im Waffengeschäft von Schläfli & Zbinden bestellt. Er könne sich die Eintragung im Waffenhandelsbuch dieser Firma, die eine Waffenlieferung an ihn dokumentiere, deshalb nicht erklären. In seiner Vernehmung vom 20.01.2012, deren Richtigkeit der Zeuge in einer weiteren Vernehmung am 21.01.2012 bestätigte, führte der Zeuge Ge. zusammengefasst aus, er habe seine Waffenerwerbsscheine an den Zeugen Hans-Ulrich Mü. verkauft.
In seiner Vernehmung vom 22.01.2012 führte der Zeuge Ge. dann aus, der Zeuge Mü. Habe ihn darauf angesprochen, dass man mit „Waffenscheinen“ (gemeint offensichtlich: Waffenerwerbsscheinen) Geld verdienen könne. Er habe sich auf den „Deal“ eingelassen. Das eingeschriebene Paket sei dann gekommen. Er habe Mü. kontaktiert und ihm gesagt, die Ware sei eingetroffen. Mü. habe ihm gesagt, er wolle die Waffen in Deutschland verkaufen. Später habe ihm Mü. berichtet, dass er kurz darauf nach Deutschland gefahren sei und dort die Waffen verkauft habe.
Die Angaben des Zeugen Hans Ulrich Mü. sind nicht geeignet, die Eintragungen im Waffenhandelsbuch hinsichtlich des hier relevanten Verkaufsvorgangs und die diese bestätigenden Angaben der Zeugen Peter Anton und Brigitte Ge. zu widerlegen:
Der Zeuge Mü. stand dem Senat in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung. Der Zeuge ist in der Schweiz wohnhaft und weigerte sich zur Vernehmung nach München zu kommen. Herr Mü. wurde von den schweizerischen Behörden zunächst mehrmals als Beschuldigter und im Rahmen der vom Senat beantragten Rechtshilfevernehmung am 24.06.2014 als Zeuge vernommen. Seine Angaben wurden mit besonderer Vorsicht gewürdigt.
Der Zeuge Hans-Ulrich Mü. sollte in der Hauptverhandlung in München im Zusammenhang mit dem im Waffenhandelsbuch vermerkten Waffenverkauf an den Zeugen Ge. gehört werden. Er wurde unter dem 05.08.2013 an seinem Wohnort in der Schweiz geladen, als Zeuge am 17.10.2013 in der Hauptverhandlung in München auszusagen. Der Zeuge teilte dem Gericht daraufhin zusammengefasst mit, er befürchte, er müsse sich mit einer Aussage selbst belasten und mache daher von seinem „Zeugnisverweigerungsrecht“ Gebrauch. Der Zeuge Hans-Ulrich Mü. ist, wie von ihm angekündigt, nicht zum Termin am 17.10.2013 in München erschienen und konnte daher in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden.
In Vernehmungen bestritt der Zeuge Mü., jemals eine Waffe vom Zeugen Ge. erhalten zu haben. In den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen wurde jeweils die im vorliegenden Verfahren als Tatwaffe in Rede stehende Ceska 83 angesprochen. Der Zeuge Mü. machte in keiner dieser Vernehmungen Angaben dazu, dass ihm zu dieser Waffe irgendetwas bekannt geworden sei. Auf Ersuchen des Senats vom 18.12.2013 wurde der Zeuge Mü. am 24.06.2014 in Thun von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern im Rechtshilfewege als Zeuge vernommen. Der Zeuge Mü.
führte bei dieser Vernehmung zusammengefasst aus, er habe keine Waffenerwerbsscheine vom Zeugen Ge. erhalten, gekauft oder geschenkt erhalten und auch niemals Waffen nach Deutschland verkauft. Die sogenannte Ceska-Serie wurde in dieser Vernehmung erneut thematisiert. Der Zeuge Mü. machte keine Angaben dazu, dass ihm zu dieser Waffe irgendetwas bekannt geworden sei.
Rechtsanwalt Ünlücay, der als Nebenklägervertreter an der Vernehmung des Zeugen Mü. in Thun/Schweiz am 24.06.2014 teilgenommen hatte, berichtete als Zeuge in der Hauptverhandlung
zusammengefasst folgendes Geschehen: Er – Ünlücay – habe am 25.06.2014 auch an der Vernehmung des Zeugen Ge. in Thun teilgenommen. Nach dieser Vernehmung sei er vom Zeugen
Mü. vor einem Imbiss angesprochen worden. Mü. habe ihm mitgeteilt, die Waffe sei von Herrn Zb. an einen Herrn Sch. verkauft worden. Abgeholt worden sei die Waffe von Frau Il. und Herrn Pe. Dies habe er alles von Herrn Zb. erfahren. Er – Mü. – könne beweisen, dass es sich bei der abgeholten Waffe um die hiesige Tatwaffe handele. Die Zeugin Il. würde ihn zu Unrecht belasten. Der Zeuge Theile habe „damit nichts zu tun“. Diese Angaben des Zeugen Mü. sind nicht glaubhaft.
Die Anklageschrift geht davon aus, dass der Zeuge Länger über den Zeugen Theile in Kontakt zu Mü. und damit an die Ceska 83 mit Schalldämpfer gelangt ist. Der Zeuge Länger wiederum soll die Waffe wiederum nach den Ausführungen in der Anklageschrift an den Zeugen Schultz und dieser soll sie an den Angeklagten Carsten Schultze weitergegeben haben.
Der Verhandlungstag endet um 13:36 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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