Kurz-Protokoll 301. Verhandlungstag – 21. Juli 2016

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An diesem Verhandlungstag geht es um den Angriff an einer Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla. Es werden zwei ehemalige Mitglieder der damaligen rechten Szene befragt.

Zeugen:

  • Christian Kapke (heute M., Bruder von André Kapke, Erkenntnisse zu einem von Carsten Schultze geschilderten Angriff an einer Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla)
  • Sven Kl. (Erkenntnisse zu einem von Carsten Schultze geschilderten Angriff an einer Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:53 Uhr. Es beginnt die Befragung des Zeugen Christian Kapke, heute M. [im Folgenden Kapke; zuletzt 189. Verhandlungstag]. Götzl: „Es geht uns um, ein zusätzlicher Punkt, der sich ergeben hat, um Kenntnisse, die Sie haben zu einer Schlägerei an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla, Ende der 90er Jahre. Was können Sie dazu sagen?“ Kapke: „Ich kann mich nicht erinnern. Ich bin dazu in meiner Vernehmung 2012 gefragt worden und habe da schon gesagt, dass ich dazu keine Erinnerung habe und wahrscheinlich nicht beteiligt war.“ Götzl: „Haben Sie denn Schlägereien in der Zeit bezogen auf die Örtlichkeit erlebt?“ Kapke: „Das ist ja in der Nähe des Winzerclubs, da gab es sicherlich Auseinandersetzungen und Schlägereien. Aber mir ist nur eine Auseinandersetzung im Club erinnerlich, 1996 würde ich sagen [phon.].“ Götzl: „Worum ging es da?“ Kapke: „Unter den Jugendlichen, eine alkoholgetriebene Schlägerei.“

Klemke: „Der Vorsitzende hat Sie zu einer Auseinandersetzung an einer Straßenbahnhaltestelle befragt. Da sollen dabei gewesen sein, der Herr Wohlleben, Schmaler, Barney und wer mit dem Spitznamen Torte. [phon.] Sagt Ihnen so eine Auseinandersetzung was?“ Kapke: „Die Auseinandersetzung sagt mir nichts.“ Klemke: „Sie sollen möglicherweise dabei gewesen sein und definitiv Herr Wohlleben, der Barney, der Schmaler und wer mit dem Spitznamen Torte.“ Kapke: „Ich kann mich daran null erinnern. Ich bezweifele, dass ich dabei gewesen bin. Die Namen sagen mir was, aber nicht in Zusammenhang mit einer Schlägerei.“ Der Zeuge wird um 10:12 Uhr entlassen.

Um 11:07 Uhr geht es weiter mit dem Zeugen Sven Kl. Götzl: „Es geht uns um Erkenntnisse zu einer Schlägerei Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla Ende der 90er Jahre. Was können Sie dazu sagen?“ Kl.: „Ich habe von der Schlägerei erst bei der polizeilichen Vernehmung erfahren, so richtig, das ist ja schon sehr lang her. Und habe auch da schon gesagt, dass es sehr gut sein kann, dass es so eine Schlägerei gab, ich mich aber nicht dran erinnern kann, richtig. Es ist schon sehr lange her, aber ich habe es nicht ausgeschlossen, daran beteiligt gewesen zu sein.“ Götzl: „Die Frage ist einfach: Können Sie sich an so etwas erinnern und wenn, was haben Sie in Erinnerung?“ Kl.: „Es hat ein bisschen gedauert nach der Vernehmung, da kamen so Bilder wieder hoch. Ich habe es ja auch dort schon nicht ausgeschlossen. Aber irgendwelche Einzelheiten da zu erinnern, ist echt schwer.“
Götzl: „Können Sie sagen, waren Sie mal mit Herrn Schultze zusammen bei irgendeiner Auseinandersetzung?“ Kl.: „Ich hatte ziemlich viel mit Herrn Schultze zu tun, ich kann es aber nicht bejahen und nicht verneinen.“ Götzl fragt, inwiefern Kl. viel mit Schultze zu tun gehabt habe. Kl.: „Wir wohnten halt gegenüber und hatten uns eigentlich mehr danach – nachdem ich ausgestiegen war und er auch – hatten wir einen engeren Kontakt als zu der Zeit. Aber wir haben gegenüber gewohnt und ich war oft mit ihm zusammen da halt, ja.“
Götzl: „Von welcher Zeit sprechen Sie?“ Kl.: „Das wird schon Ende der 90er gewesen sein.“ Götzl: „Seit wann kannten Sie ihn?“ Kl.: „Auch diese Zeit. Dann hatten wir lange keinen Kontakt mehr und dann, wie ich finde, intensiveren Kontakt.“ Götzl: „Ab wann?“ Kl.: „Schwer zu sagen, 2007? Ich bin nicht so gut in Zeiten.“ Götzl: „Und eine Zeit lang hatten Sie keinen Kontakt, wann ist der abgebrochen, wann war das?“ Kl.: „Das wird so 2000er-Wende [phon.] gewesen sein.“ Götzl: „Kennen Sie die Angeklagten, Frau Zschäpe, Herrn Wohlleben?“ Kl.: „Herrn Wohlleben kenne ich, ja.“ Götzl: „Und Frau Zschäpe?“ Kl.: „Vom Hörensagen, ja.“ Götzl: „Zu Herrn Wohlleben: Woher kennen Sie ihn und wann haben Sie ihn kennengelernt?“ Kl.: „Ähnlich. Wir haben halt in einem Haus gewohnt, daher kannten wir uns dann halt auch. Ich kenne ihn aber schon früher, bevor wir im Haus gewohnt haben.“ Götzl fragt, wann das gewesen sei und wie lang der Kontakt gewesen sei. Kl.: „Es wird auch so Ende der Neunziger gewesen sein und hat mit Sicherheit auch geendet so um 2000, als ich dann ausgestiegen war. Genaue Zeitangaben kann ich da nicht machen.“
Götzl: „Wie intensiv war der Kontakt?“ Kl.: „Auch so wie mit Herrn Schultze. Man hat sich halt auch getroffen. Man hat ja damals noch die gleiche Meinung vertreten.“ Götzl: „Was meinen Sie mit ‚gleiche Meinung vertreten‘?“ Kl.: „Ich rede von dieser rechten Meinung damals. Politische Einstellung, wie auch immer.“
Götzl: „Kannten Sie Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos?“ Kl.: „Nee, auch nur vom Hörensagen halt.“ Götzl fragt, ob Kl. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe namentlich in der damaligen Zeit gekannt habe. Kl.: „Ja, man hat davon in der Szene gehört.“ Götzl: „Was?“ Kl.:“Irgendwann habe ich erfahren, dass die halt auf der Flucht waren, so was. Und das war schon einprägsam, wie auch immer.“ Götzl: „Können Sie mir das näher erklären, was Sie erfahren haben? Wann und von wem und was wurde denn über die Flucht gesagt?“ Kl.: „Von wem kann ich gar nicht genau sagen. Da hat man einfach drüber gesprochen, es war auch in den Lokalmedien gewesen. Ich hatte davon erfahren mit dieser Bombenattrappe bei diesem Theatervorplatz. Ich weiß nicht, ob das aus den Medien war oder von jemand gesagt wurde. Das war eher so: ‚dummerweise‘, oder dass man da vielleicht aufgeschaut hat und dachte: ‚Krass, was die da gemacht haben‘. [phon.] Deshalb war es einprägsam. Aber persönlich kannte ich sie nicht, man hat halt die Namen mal verlauten hören zu dem Zeitpunkt.“
Götzl: „Wenn Sie zeitlich zurückgehen, dass Sie erfahren hätten, dass Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe auf der Flucht gewesen seien. Wann ordnen Sie das zeitlich ein?“ Kl.: „Ende der 90er. Und es gab dann das, dass ich Schmiere gestanden hätte, als Carsten bei Frau Zschäpe eingebrochen war. Das wurde mir erzählt, aber keine Ahnung.“ Götzl: „Was bedeutet das?“ Kl.: „Ich wollte es erwähnen, weil das ja auch damit zu tun hat.“ Götzl: „Erzählen Sie, was damals war.“ Kl.: „Es ist schwer, sich daran zu erinnern. Ich hatte schon mal ausgesagt, dass ich mit Carsten natürlich um die Häuser gezogen bin und wenn er mich gefragt hat, ob ich für so was Schmiere stehe, dann wäre ich sicher dabei gewesen.“ Götzl: „Haben Sie denn mal Schmiere gestanden?“ Kl.: „Ich kann da nicht nein sagen, ich kann da auch nicht ja sagen.“ Götzl: „Was bedeutet diese Formulierung wieder? Was haben Sie dazu in Erinnerung?“ Kl.: „Eigentlich nix.“ Götzl: „Was führt dann zu dieser Formulierung?“ Kl.: „Weil ich es plausibel finde. Ich weiß, dass ich zu der Zeit mit Carsten Zeit verbracht hatte und …“ Kl. schweigt kurz und sagt dann: „… ja. Vielleicht kommt da auch ein Bild hoch, aber ich kann es nicht mit Gewissheit sagen. Ich kann nicht nein sagen, ich kann nicht ja sagen, es tut mir auch leid.“
Götzl: „Wie eng war der Kontakt zwischen Ihnen und Carsten Schultze in den 90er Jahren, bis er abgebrochen ist? Wie gut kannten Sie sich?“ Kl.: „Man hat sich halt getroffen, wie in einer Clique, weil man halt gegenüber gewohnt hat. Ich habe vorher gesagt, dass der Kontakt intensiver war, weil wir nach dem Ausstieg aus der Szene, naja, ganz anders waren, zueinander auch. Das vorher war halt, ich will nicht sagen hierarchisch aufgebaut. Aber ich war doch jünger und habe zu ihm aufgesehen, nicht freundschaftlich, sondern so wie in der rechten Szene halt. Und später dann hat man sich auf gleicher Höhe begegnet, deswegen sage ich halt intensiver. Da ging es nicht mehr so um was Politisches, sondern das, was halt alles andere ausmacht.“
Götzl: „Können Sie sagen, wie es zum Ausstieg Carsten Schultzes aus der rechten Szene kam?“ Kl.: „Ich bin mir unsicher, ob sein Coming-out zeitgleich kam und ob es der Auslöser war, da bin ich mir unsicher. Aber es wird schon alles miteinander zu tun haben.“ Götzl: „Ja, haben Sie dazu Kenntnisse?“ Kl.: „Ach so, Kenntnisse, nein. Ich weiß auch nicht, ob wir zur gleichen Zeit ausgestiegen sind.“ Götzl: „Wie war es bei Ihnen?“ Kl.: „Ich hatte halt irgendwann angefangen mit Drogen und das war halt nicht mehr vereinbar, und ich musste halt der Sache entsagen, ich hatte einfach nachgedacht und, dass das halt nicht geht.“ Götzl: „Da muss ich schon nachfragen: Nachgedacht?“ Kl.: „Ja, über diese politische Einstellung.“ Götzl: „Welche Überlegungen haben Sie sich gemacht?“ Kl.: „Es war ja nicht so, dass ich zwei Tage lang nachgedacht habe und dann ausgestiegen bin, sondern dass man drauf kommt, dass egal welche extreme Einstellung, dass das menschenverachtend ist. Das ist für mich nicht mehr vereinbar gewesen.“ Götzl fragt, wann das gewesen sei. Kl.: „2001, 2002, glaube ich, da bin ich sehr unsicher.“
Vorhalt: Wusste man, dass Wohlleben da mehr seine Finger drin hatte? – Man hat es schon vermutet, aber wusste es nicht, seine Arroganz hat es vermuten lassen, dass er da was wusste. Kl.: „Es ist ein hierarchisches Konstrukt [phon.] gewesen, damals diese Szene. Und er stand höher auf der Leiter als Carsten und ich.“ Götzl: „Haben Sie eine Erinnerung daran, dass Sie das so gesagt haben?“ Kl.: „So ähnlich, ja. Ich würde es auch jetzt so ähnlich sagen.“
Vorhalt: Gab es in der rechten Szene des öfteren Schlägereien mit der linksextremen Szene? – Ja, man hat schon öfters von Schlägereien mit Linken gehört. Die rechte Szene, damals in Jena, wie auch die linke Szene, war sehr gewaltbereit. Götzl: „Haben Sie das so gesagt?“ Kl.: „Ich denke schon, das würde ich heute genauso sagen. Und alle extremen Gruppen, ob sie nun links oder rechts waren, es war halt schon aggressiv. Ich habe viel von Schlägereien gehört von noch früher, die frühen Neunziger. Und auf Demonstrationen pöbelt man sich an. Wären da keine Polizisten gewesen, hätte es da sicher Schlägereien gegeben.“
Götzl: „Waren Sie mal an Schlägereien beteiligt?“ Kl.: „Wahrscheinlich Endhaltestelle Winzerla“ Götzl: „Wahrscheinlich?“ Kl.: „Ich kann mich halt nicht erinnern. Ich war schon vor der Skinheadszene ein ziemlich aggressiver Junge gewesen und bin in jede Keilerei verwickelt gewesen, schon in der Schule. Ich hatte einfach so ein aggressives Potenzial. Ich war bestimmt mal in ein Handgemenge verwickelt. Aber es kam nicht, dass ich wüsste zu irgendwelchen großen Ausschreitungen. Bei der Endhaltestelle, das wurde in meiner Vernehmung geschildert, da ging’s ja richtig hart her. Wenn ich das so höre, da wird mir ja auch schlecht. Ich kann das mit meinem jetzigen Wesen auch null vereinbaren.“
Vorhalt aus einer Vernehmung von Carsten Schultze: Wir sind nachts in Winzerla angekommen, im Winzerclub, wir kamen von der Kirmes in Stadtroda, ich meine mit zwei Autos. Der Jimmy kam und sagte, ich wurde gerade an der Haltestelle als Scheißnazi beschimpft. [phon.] Kl.: „Ich glaube, es geht jetzt um die Situation an der Endhaltestelle. Ich habe das schon mal vorgelesen bekommen. Ich kann mich leider nicht erinnern. Vorhalt: Er kam von da und auf einmal sind alle los. Man geht so runter und ich sehe, dass rechts der Sven Kl. angefangen hat auf einen einzuschlagen und der andere ist losgerannt und der Ralf Wohlleben ist dem hinterhergerannt. [phon.] Kl.: „Das wurde mir schon mal vorgelesen. Ich kann mich nicht erinnern, aber ich würde es auch nicht verneinen.“ Kl. schweigt etwas und sagt dann: „Es ist nicht schön so was zu hören über sich selbst.“ Götzl: „Was meinen Sie damit. Haben Sie da irgendeine Erinnerung?“ Kl.: „Ich habe da keine Erinnerung daran. Aber ich schließe es nicht aus, dass es passiert ist. Wie soll ich das denn sonst sagen?“
Danach fragt der Angeklagte Carsten Schultze selber. Schultze: „Hallo Sven!“ Kl.: „Hallo.“ Schultze: „Ich wollt dich fragen, ob es auch zwischen Wohlleben und mir eine Hierarchie gab?“ Kl.: „Ich denke ja. Du willst sicher wissen ob Du höher standst oder niedriger.“ Schultze: „Einfach zur Hierarchie.“ Kl.: „Ich denke, dass Ralf eine Stufe höher stand als du, allein schon wegen dem Alter und der ganzen Erfahrung.“ Schultze: „Weißt du noch, wer NPD-Kreisvorsitzender war?“ Kl.: „Weiß nicht, war es Ralf?“ Schultze: „Zu meinem Coming-out. Hast Du Wahrnehmungen gemacht, wie die Leute in der Szene reagiert haben?“ Kl.: „Nicht wirklich, weil ich ja auch nicht mehr viel damit zu tun hatte.“ Schultze: „In der Band?“ Kl.: „Eigentlich nicht, nee.“ Schultze: „Okay, danke.“
Der Zeuge wird entlassen. Die Verteidigung Wohlleben sowie mehrere NK-Vertreter_innen behalten sich Erklärungen vor. Der Verhandlungstag endet um 17:02 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage.

Die vollständige Version des Protokolls ist hier zu finden.