Protokoll 303. Verhandlungstag – 27. Juli 2016

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An diesem Prozesstag ist zunächst eine Sachverständige geladen, die Holger Gerlach auf Urlaubsfotos des NSU identifiziert hat. Im Anschluss daran lehnt Götzl einen Beweisantrag von Nebenklage-Vertreter_innen zu und (alias V-Mann ) ab.

Sachverständige:

  • Elisabeth Pi. (KHK, BKA Wiesbaden, SV für Personenidentifizierung anhand von Lichtbildern, Identifizierung von Holger Gerlach auf einem Urlaubsfoto des NSU)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Gehört wird die SV Elisabeth Pi. Götzl sagt, es gehe um Untersuchungen von Lichtbildern zum Zwecke der Identifizierung einer Person. Pi.: „Also, wenn das Gericht dem zustimmt, würde ich die ersten Teile nur allgemein gehalten kurz zusammenfassen und dann direkt zum Punkt 5 kommen, der Vergleich.“

Pi. berichtet, sie habe den Untersuchungsauftrag im April 2012 erhalten. Dieser habe sich auch auf den Vergleich einer PDF-Aufnahme einer männlichen Person, die eine Sonnenbrille trägt, mit ED-Aufnahmen des Holger Gerlach aus 2008 bezogen. Das sei beides aus dem Staatsschutzbereich beim BKA zur Verfügung gestellt worden. Damals habe sie nur einen kurz gehaltenen Auswertebericht für die Kollegen verfasst. Für das heutige Gutachten habe sie ein weiteres Bild hinzugezogen, das aber nicht in die Bewertung eingeflossen sei. [phon.] Untersuchungsmaterial seien, wie gesagt, eine Aufnahme einer unbekannten männlichen Person, dann eine dreiteilige Aufnahme Holger Gerlachs, die zusätzlich noch eine Ganzaufnahme beinhaltet habe [phon.], aus 2008 und die ED-Aufnahmen aus 2011. Die Identitätsfeststellung beruhe auf dem Grundsatz der Individualität jedes Lebewesens, also auch des Menschen, es gebe bestimmte individuelle anatomische Merkmale im Kopf- und Gesichtsbereich.

Die Bereiche, die sie untersuchen würden, seien benannt und beschrieben und würden unterschiedliche Aussagekraft besitzen. Man könne Personen auch identifizieren, wenn zwischen den Aufnahmen längere Zeit liege. Die Untersuchung erstrecke sich auf einen allgemeinen und einen Detailvergleich. Beim allgemeinen Vergleich werde eine Person erstmal von weitem eingeordnet in Bezug auf grobe Strukturen, Ähnlichkeit, Übereinstimmungen, aber auch Abweichungen. Beim Detailvergleich gehe man näher an die Person heran, zoome heran, schaue sich das Gesicht an. Die anatomischen Merkmale, die man sich anschaue, führten zu einer Wahrscheinlichkeitsaussage: mit hoher Wahrscheinlichkeit, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Es würden keine Prozentangaben gemacht. Voraussetzung für eine solche Aussage sei, dass Merkmale erkennbar seien und man dann auch eine Vergleichsaussage treffen könne. Die Qualität der Bilder sei entscheidend.

Störfaktoren einer Aufnahme könnten den Vergleich erschweren, sehr erschweren oder unmöglich machen. Das seien zum einen interne Faktoren, die von der Person ausgehen, gewollt oder ungewollt, wie Schminke oder Maskierungen. Dann gebe es aber auch externe Störfaktoren wie die Lichtverhältnisse, die Kameraqualität, die Speicherung bzw. die Kompression bei der Speicherung der Aufnahme. Wenn aufgrund der Störfaktoren kein Detailvergleich möglich sei, dann werde nur ein genereller Vergleich vorgenommen und dann sei nur eine tendenzielle Aussage möglich, die dann vorliege, wenn man wenige Merkmale sehen könne, bspw. bei Maskierungen nur mit Sehschlitz oder bei schlechter Qualität: es kann nicht ausgeschlossen werden oder es deutet darauf hin. Wieder keine Prozentangabe. Dann gebe es die letzte Variante, wenn man Merkmale festgestellt habe, aber auch mögliche Abweichungen, die man nicht als Abweichungen definieren könne, weil es sich um Störungen handeln könne, die Abweichungen vorgaukeln. Im konkreten Fall gebe es nur den Störfaktor der Verdeckung der Augenpartie durch die Sonnenbrille. Es handele sich um eine gute Aufnahme, das Gesicht sei fast formatfüllend dargestellt [phon.], einzelne Gesichtsmerkmale seien sehr gut herauszuarbeiten. Eine Auswertung der Merkmale sei möglich.

Dann geht Pi. nach vorn an den Richtertisch, um die Ergebnisse anhand der Bilder zu erläutern. Zum ersten gezeigten Bild sagt Pi., das sei das PDF-Dokument mit der Aufnahme der unbekannten männlichen Person, das ihr zugesandt worden sei. Man könne hier die männliche Person sehen, die obere Stirnregion sei verdeckt durch eine Kappe und die Augenpartie durch eine spiegelnde Sonnenbrille. Die Auflösung sei sehr gut, man könne einzelne Bereiche im Gesicht erkennen: „Das wäre das fragliche Bild gewesen zum Lichtbildvergleich.“ Zu den nächsten Bildern sagt Pi., es handele sich um die ED-Aufnahmen von Holger Gerlach aus 2008. Dabei habe das Bild eine annähernd gleiche Perspektive wie das Vergleichsbild. Bei den nächsten gezeigten Bildern habe sie die Vergleichsbilder gegenübergestellt, so Pi. weiter.

Pi. führt dann aus, welche Merkmale sie festgestellt habe. Es hätten beim allgemeinen Vergleich Ähnlichkeiten und optische Übereinstimmungen bzgl. perspektivische Gesichtsumrissform, der Stirn-, Nasen-, Mund- und Kinnregion, der Wangenpartien, sowie bezüglich der Ohren und des Halses festgestellt werden können. Beim Detailvergleich habe sie nur Merkmale aufgeführt, die herausragend seien, weil es bei den Besonderheiten genügend Merkmale gebe. Zuerst habe sie die Form des Gesichts [phon.] genommen. Sie führt aus, dass immer zuerst die Aufnahme der fraglichen Person angeschaut werden müsse und man dann erst schaue, ob man das auf der ED-Aufnahme erkennen könne. Sie spricht im Folgenden u.a. über „nach außen hin ansteigende Augenbrauen“, „parallel verlaufende Furchen im mittleren Stirnbereich“, „Nasenrücken mittelbreit bis breit und kaum von der Wangenstruktur abgesetzt“, eine „horizontale, rötliche Besonderheit am unteren Nasenrücken“, „Nasenflügel vollfleischig, wülstig“, „eine kleine dunkle längliche Stelle neben Nase, Mutterfleck“, eine „schwach ausgeprägte Nasen-Lippenrille“; „zwei punktförmige Besonderheiten im Hautlippenbereich“, „Einschnitte in die Schleimhautoberlippe“, „schwach ausgebildete Schleimhautunterlippe“.

Pi.: „Aufgrund der Vielzahl der Besonderheiten bin ich nicht mehr weiter auf das Aufzählen klassischer Merkmale eingegangen, die man auch hätte beschreiben können. Ich gehe mal davon aus, dass Holger Gerlach Sommersprossen hat, erkennt man auf der ED. Aber wir haben gesagt, bei 26 Merkmalen sollte das ausreichend sein.“ Abweichende Merkmale, die man nicht durch z. B. unterschiedliche Kopfhaltung und Ausleuchtung erklären könne, seien nicht festgestellt worden. Pi. sagt dann, dass sie insgesamt nach der Auswertung der Merkmale zu dem höchsten Untersuchungsergebnis gekommen seien, dem höchsten Prädikat, das vergeben werden kann: Dass es sich bei der unbekannten männlichen Person auf der einen Aufnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein und dieselbe Person wie auf der anderen Aufnahme, also Holger Gerlach, handele. Es könne allenfalls ein Vergleich mit einem Zwillingsbruder zu einem gleichen Ergebnis führen, so Pi.

Götzl fragt nach der genauen Bezeichnung des Bildes der Person mit der Sonnenbrille. Pi. nennt die Nummer. Götzl: „Können sie noch ein paar Worte zu Ihrer Ausbildung als Sachverständige sagen?“
Pi. sagt, sie habe 1989 in dem Fachbereich beim BKA begonnen. Es habe damals keine Ausbildung gegeben, es sei learning by doing gewesen. Sie habe das bis letztes Jahr, also 26 Jahre lang, gemacht. Mittlerweile gebe es eine eigene Sachverständigenausbildung, die habe sie selber mit aufgebaut. Sie sei 2005 [phon.] von der Leitung des BKA zur SV ernannt worden. Götzl: „Gibt es Fragen?“ Zschäpe-Verteidiger RA Stahl sagt, Pi. habe von 26 Merkmalen gesprochen und auch von einem Merkmal 13, das habe er jetzt aber nicht gesehen. Pi. sagt, sie habe ja vorher gesagt, dass nur die Besonderheiten markiert seien. Es seien nicht alle auf der Bildtafel aufgeführt, Nummer 13 sei erläutert worden, sei nur nicht markiert. Auf Nachfrage sagt sie, es handele sich um den „Nasenlippenrinneneinschnitt“ [phon.]. NK-Vertreter RA Reinecke: „Haben Sie nur dieses eine Bild untersucht oder auch überprüft, ob die Person auf weiteren Bildern zu erkennen ist?“ Pi.: „Als fragliches Bild nur das eine und als Vergleich das Foto ED aus 2008. Ich habe aber noch 2011 hinzugezogen, habe ich aber nicht beide berücksichtigt. [phon.]“ Die SV wird entlassen.

Dann werden die Bilder „Urlaub 2006“ in Augenschein genommen. Es handelt sich um Urlaubsfotos von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Zu sehen ist z. B. Böhnhardt beim Kartenlesen, Zschäpe an einem Campingtisch, Zschäpe und Böhnhardt, wie sie über eine Straße laufen, Böhnhardt beim Spülen, Böhnhardt umarmt Zschäpe, Böhnhardt in einem Stockbett, drei Personen in einer Fußgängerzone, das Bild von Holger Gerlach, das die SV zum Vergleich benutzt hat, ein Bild, auf dem Böhnhardt und vermutlich Gerlach und Zschäpe zu sehen sind.

RA Reinecke gibt eine Erklärung ab: „Ich wollte kurz darauf hinweisen: 25, 26 und 29 sind dieselbe Person. Herr Gerlach ist an dem blau-weißen [phon.] T-Shirt zu erkennen, wie er neben Frau Zschäpe durch die Stadt geht.“ NK-Vertreter RA Langer: „Wenn man das Bild von Herrn Gerlach immer weiter vergrößert, so dass man nur das rechte Sonnenbrillenglas sieht, dann würde man m. E. darin die Spiegelung von Uwe Mundlos sehen, der fotografiert.“ NK-Vertreter RA Matt und Zschäpe-Verteidiger RA Grasel behalten sich jeweils Erklärungen vor.

Götzl sagt in Richtung der Verteidigung Wohlleben, dass man die Zeugen Ga. und Ko. gehört habe, und fragt, ob der Antrag auf Einvernahme von OStA Weingarten aufrecht erhalten werde. Wohlleben-Verteidiger RA Klemke bejaht das. Götzl legt eine Pause ein.

Um 10:57 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet den Beschluss, dass der Antrag der Verteidigung Wohlleben auf Einvernahme von OStA Weingarten zum Beweis der Tatsache, dass Carsten Schultze in seiner Beschuldigtenvernehmung gesagt habe, er könne sich nicht einmal konkret erinnern, das Geld von Wohlleben erhalten zu haben, abgelehnt wird. Die unter Beweis gestellte Tatsache sei bereits erwiesen: „Erwiesene Tatsachen bedürfen keines Beweises mehr.“

Es folgt dann die Verkündung eines Beschlusses durch Götzl, mit dem die Gegenvorstellung einiger NK-Vertreter_innen gegen die ablehnenden Beschlüsse zum Beweisantrag zu BfV-Akten zu Michael See und zur Ladung des Zeugen „Lothar Lingen“ (BfV) [286. Verhandlungstag] zurückgewiesen wird. Götzl nennt noch einmal die Beweistatsachen und sagt dann, dass es mit dem ablehnenden Beschluss „sein Bewenden“ habe. Dann sagt er, dass den im Rahmen der Begründung der Gegenvorstellung neu gestellten Anträgen, „Lingen“ zum Beweis der Tatsachen zu vernehmen, dass ihm bekannt war, dass eine oder mehrere VS-Behörden bereits vor dem 04.11.2011 Erkenntnisse zum Aufenthaltsort von Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos, zur Existenz des NSU bzw. zu den in der Anklage Mundlos und Böhnhardt zugeschriebenen und den Angeklagten Zschäpe, Wohlleben, Gerlach, Eminger, Schultze vorgeworfenen Taten hatten, nicht nachgekommen wird. Götzl zeichnet den prozessualen Hergang nach und fasst die Argumentation der Gegenvorstellung zusammen. Dann sagt er, dass der Senat nach „erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage unter besonderer Berücksichtigung des Vortrags der Gegenvorstellung“ keine Umstände erkennen könne, die es rechtfertigen würden, die Beschlüsse abzuändern:

Es hat demnach bei den Beschlüssen sein Bewenden. Zur Begründung wird Bezug genommen auf die angegriffenen Beschlüsse, wobei im oben erstgenannten Beschluss dargelegt wurde, dass es die Aufklärungspflicht nicht erfordere, die im Einzelnen von den Antragstellern benannten Deckblätter bzw. Akten beizuziehen und den Verfahrensbeteiligten hierin Einsicht zu gewähren sowie den Zeugen „Lingen“ im Wege der Beweisermittlung zu befragen und schließlich dienstliche Erklärungen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu erholen. Im oben zweitgenannten Beschluss wurde dargelegt, dass die ins Wissen des Zeugen „Lingen“ gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung sind. Die Aufklärungspflicht drängt auch unter zusätzlicher Berücksichtigung des Vortrags der Gegenvorstellung nicht zur beantragten Deckblätter- und Aktenbeiziehung, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass Aktenteile Relevanz für eine mögliche Schuld- und/oder Straffrage bekommen können:

1. Die Gegenvorstellung geht davon aus, dass eine Wohnungsbeschaffung durch einen V-Mann den staatlichen Behörden eine Möglichkeit der Festnahme von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eröffnet hätte. Aus dem Umstand, dass es zu keiner Wohnungsvermittlung durch den V-Mann kam, ergebe sich, so legt der Senat den Vortrag aus, eine staatliche Mitverantwortung für die angeklagten Taten. Bei dieser Schlussfolgerung wird aber von der Gegenvorstellung übersehen, dass die Behauptung, staatliche Stellen hätten die untergetauchten Personen nach einer Wohnungsvermittlung durch den V-Mann festnehmen können, eine rein spekulative Prognose ist. Es kann schon nicht als sicher angenommen werden, dass die untergetauchten Personen eine eventuell über den V-Mann vermittelte Wohnung auch tatsächlich bezogen hätten. Ohne den Bezug der Wohnung hätte sich aber überhaupt kein Ansatzpunkt für eine Festnahme ergeben. Aber auch bei Bezug einer vermittelten Wohnung ist nicht sicher, dass es zu einer Festnahme der untergetauchten Personen gekommen wäre. Durch Auffallen von Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld oder unmittelbar vor einem Festnahmezugriff kann eine Festnahme jederzeit vereitelt werden. Eine staatliche Mitverantwortung an den angeklagten Taten kommt daher schon deshalb nicht in Betracht, weil es an der Kausalität staatlichen Verhaltens dafür fehlt. Zudem ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass staatlichen Stellen zum Zeitpunkt der Wohnungsanfrage durch André Kapke beim V-Mann [See] Kenntnis davon hatten, die untergetauchten Personen würden weitere Straftaten begehen. Somit fehlt es auch im Zusammenhang mit der behaupteten staatlichen Mitverantwortung an der Vorwerfbarkeit staatlichen Verhaltens.

2. Die Gegenvorstellung führt aus, der bloße Umgang mit den genannten Akten nach ihrer rechtswidrigen Vernichtung im November 2011 indiziere die „Verfahrensrelevanz“. Dieser Spekulation kann der Senat nicht beitreten. Nach dem Vortrag der Gegenvorstellung wurde im Oktober 2014 eine Kleine Anfrage in der Weise beantwortet, dass weitere Aktenteile der Akte „Tarif“ nicht rekonstruiert werden konnten. Der Umstand, dass nach Erteilen dieser Antwort später weitere Aktenteile rekonstruiert werden konnten, führt nicht dazu, dass die ursprüngliche Antwort, wie es die Gegenvorstellung annimmt, „unrichtig“ war. Der zusätzlich von der Gegenvorstellung herangezogene Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Köln wegen unvollständiger Akten aufgrund einer unrichtigen Einschätzung keine förmlichen Ermittlungen aufgenommen hat, belegt nicht, dass die Akten für das vorliegende Strafverfahren von Bedeutung sind.

3. Die Gegenvorstellung führt aus, im angegriffenen Beschluss sei unberücksichtigt geblieben, dass die Akten, deren Beiziehung beantragt wurde, in einem zweiten Schritt ab Oktober 2014 weitergehend rekonstruiert wurden. Es sei nicht dargelegt, ob das Bundeskriminalamt oder der Generalbundesanwalt die weitergehend rekonstruierten Akten ausgewertet haben. a. Im angegriffenen Beschluss bezüglich der Beweisermittlungsanträge wurde bereits ausführlich dargelegt, dass keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die beantragten Akten inhaltliche Bezüge zu Tatsachen haben, die in diesem Strafverfahren rechtlich erheblich sind. b. Aus dem Umstand, dass die Akten in der Zwischenzeit noch weitergehender rekonstruiert werden konnten, ergeben sich aber auch unter Berücksichtigung des diesbezüglichen Vortrags der Gegenvorstellung keine Anhaltspunkte dafür, dass nunmehr eine inhaltliche Relevanz dieser Akten entstanden und auch erkennbar wäre.

4. Die Vernichtung der Akten führt nicht dazu, dass das Ermessen des Gerichts im Hinblick auf die Beiziehung entfallen wäre und hinsichtlich der Verfahrensrelevanz die Anforderungen an die Darlegung verringert wären. a. Im angegriffenen Beschluss zur Beiziehung wurde dieser Vortrag bereits ausführlich abgehandelt. b. Der erneut vorgetragene Umstand, dass ein Kontakt verschiedener V-Personen zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt oder deren unmittelbares Umfeld bestand, ist nicht als Indiz für die Verfahrensrelevanz zu werten. Der Kontakt an sich weist nicht darauf hin, dass in den Akten Umstände dargestellt sind, welche für eine mögliche Schuld- und/oder Straffrage im vorliegenden Verfahren von Bedeutung sind. c. Aus dem Umstand der Vernichtung der Akten und der Tatsache, dass die Gegenvorstellung den Inhalt der rekonstruierten Akten nicht kennt, kann der Senat nicht folgern, dass die Darlegungslast der Gegenvorstellung für die Verfahrensrelevanz der Akten „verringert“ sei. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Gegenvorstellung, anders als bei Spurenakten, nicht die Möglichkeit hat, dass ihr von der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht gewährt werden kann. Mit Spurenakten, die außerhalb der Ermittlungen gegen Beschuldigte von den Ermittlungsbehörden angelegt werden, sind die Akten des Verfassungsschutzes nicht vergleichbar, weil letztere nicht im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren erstellt wurden und deren Relevanz für das Strafverfahren auch nicht erkennbar ist. d. Anhaltspunkte dafür, dass die Sicherheitsbehörden Kenntnis von einem Mordfall hatten oder direkt oder mittelbar an diesem beteiligt waren, sind nicht vorhanden.

Dann sagt Götzl, dass die Aufklärungspflicht auch unter zusätzlicher Berücksichtigung der Gegenvorstellung nicht zur beantragten Vernehmung des Zeugen „Lingen“ zu den genannten Themenbereichen im Wege der Beweisermittlung dränge. Es seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Zeuge Kenntnisse hat, welche für eine mögliche Straf- und/oder Schuldfrage von Bedeutung sind und zu einem Aufklärungserfolg führen können:
1. Im angegriffenen Beschluss wurde ausgeführt, dass weder dargetan noch ersichtlich ist, dass der Zeuge Kenntnisse zu den von den Antragstellern aufgezeigten Themenkomplexen hat.
2. Die Gegenvorstellung führt aus, es müsse berücksichtigt werden, dass die Vernichtung der Akten in einem „nicht ordnungsgemäßen Verfahren“ erfolgt sei, dass es zu weiteren „Unregelmäßigkeiten“ im Zusammenhang mit den Akten gekommen sei und dass die Gegenvorstellung die Relevanz des Inhalts der Unterlagen vermutet habe. Sofern aufgrund dieser Umstände festzustellen sei, dass es das Motiv des Zeugen „Lingen“ gewesen sei, Hinweise auf die Angeklagten und die angeklagten Taten zu vernichten, sei dies ein gewichtiges Indiz für die Relevanz des Inhalts der Unterlagen. Aus den genannten Umständen vermag der Senat nicht auf das von der Gegenvorstellung skizzierte Motiv des Zeugen „Lingen“ zu schließen, weil ein Zusammenhang der dargestellten Umstände mit den Angeklagten bzw. den angeklagten Taten nicht erkennbar ist.

Dann geht Götzl zu den weiteren Anträgen aus der Gegenvorstellung über und sagt, diese würden nicht den Anforderungen an Beweisanträge im Sinne des § 244 Abs. 3 bis 5 StPO. Sie würden daher als Beweisermittlungsanträge behandelt. Die Aufklärungspflicht dränge nicht dazu, den Zeugen „Lingen“ zu den genannten Themenbereichen zu vernehmen, weil keine Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass der Zeuge Kenntnisse hat, welche für eine mögliche Straf- und/oder Schuldfrage von Bedeutung sind und zu einem Aufklärungserfolg führen können:
Die Antragsteller wurden am 15.6.2016 in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen, dass die Anträge als Beweisermittlungsanträge behandelt würden, sofern keine Konkretisierung erfolgen würde. Die Antragsteller teilten mit, sie seien zu einer Konkretisierung nicht in der Lage, diese sei aber auch nicht nötig.

1. Die Antragsteller wurden insbesondere darauf hingewiesen, dass ein Beweisantrag eine bestimmte Behauptung einer Tatsache voraussetzte, denn auf nur vage formulierte Beweisthemen könnten die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 bis 5 StPO nicht exakt und sinnvoll angewendet werden. Um Beweistatsachen im Sinne des Beweisantragsrechts handele es sich nicht, wenn letztlich Wertungen aus äußeren Umständen und Handlungen im Antrag unter Beweis gestellt würden, die ihrerseits gerade wieder einer Beweiserhebung zugängliche Tatsachen seien.

2. In den Anträgen werden, worauf die Antragsteller hingewiesen wurden, keine bestimmten Tatsachen behauptet, auf die die Beweisantragsregeln sinnvoll angewendet werden könnten: a. Den drei unter Beweis gestellten Themenkomplexen ist die Behauptung gemeinsam, der Zeuge wisse, eine oder mehrere Verfassungsschutzbehörden hätten bereits vor dem 4.11.2011 Erkenntnisse zu verschiedenen Themen gehabt. Über Erkenntnisse zu verfügen, ist jedoch keine bestimmte Tatsachenbehauptung. Der Ausdruck „Erkenntnisse“ umfasst sowohl das sichere Wissen von konkreten Umständen und Details als auch vage, unbestätigte und in keiner Weise konkrete Hinweise auf unsichere Umstände. Eine bestimmte Behauptung der Art dieser „Erkenntnisse“ ist aber unabdingbar für die Beurteilung der Frage, ob die behauptete Tatsache für die Entscheidung tatsächlich von Bedeutung ist. b. Die Beweisbehauptung, die Dienste hätten Erkenntnisse zum „Aufenthaltsort“ der Angeklagten Zschäpe und der Verstorbenen Mundlos und Böhnhardt gehabt, ist zu unbestimmt. Dabei umfasst dieser unscharfe Begriff den Bereich von einer konkreten Adresse mit Straße und Hausnummer über die Kenntnis des Aufenthalts lediglich begrenzt auf z.B. ein kleines Dorf bis zu einer Millionenstadt oder gar nur geographisch weite Begriffe, wie z.B. Mitteldeutschland oder Nordeuropa.

Auch hier ist eine bestimmte Behauptung der Art dieses „Aufenthaltsorts“ unabdingbar. Die Antragsteller vermuten, staatliche Stellen hätten Erkenntnisse zum „Aufenthaltsort“ und wären deshalb in der Lage gewesen, die drei geflohenen Personen festzunehmen. Diese würde dann im Rahmen der Beurteilung eines staatlichen Mitverschuldens bei einer möglichen Strafzumessung relevant. Eine konkrete Festnahmemöglichkeit hätte aber jedenfalls dann nicht bestanden, wenn unter „Aufenthaltsort“ nur eine geographisch weite Bezeichnung zu verstehen sein sollte. Eine bestimmte Behauptung der Art des „Aufenthaltsorts“ ist aber unabdingbar für die Beurteilung der Frage, ob die behauptete Tatsache für die Entscheidung tatsächlich von Bedeutung ist. c. Ähnlich ist die Sachlage hinsichtlich der unter Beweis gestellten Umstände der „Existenz des NSU„. Beide Begriffe umschreiben in diesem Zusammenhang keine Tatsachen, die der Wahrnehmung durch den Zeugen zugänglich sind. Es handelt sich um das Beweisziel, in dem Sinne, dass eine terroristische Vereinigung im Sinne des § 129a StGB gegründet war.

3. Eine Konkretisierung der Beweistatsachen erfolgte nicht, obwohl die Antragsteller darauf hingewiesen worden waren, dass die Anträge ansonsten als Beweisermittlungsanträge behandelt werden würden. Die Nebenkläger sind auch nicht von der Pflicht befreit, Anträge, die als Beweisanträge behandelt werden sollen, entsprechend den strafprozessualen Vorschriften und Grundsätzen zu formulieren. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Zeuge „Lingen“
Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz vernichten ließ.

Götzl sagt dann, dass es sich bei den Anträgen demnach um Beweisermittlungsanträge handele und macht die üblichen Ausführungen dazu, wann bzw. wann nicht solchen Beweisermittlungsanträgen nachzukommen sei. Zur konkreten Begründung der Ablehnung führt er dann aus: Die Aufklärungspflicht drängt nicht dazu, den Zeugen „Lingen“ zu den beantragten Themenkomplexen zu hören: a. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Zeuge „Lingen“ als Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz überhaupt Wahrnehmungen zu den behaupteten Umständen gemacht hat. Lediglich der Umstand, dass der Zeuge Behördenakten vernichten ließ, lässt nicht den Schluss zu, dass ihm – also dem Zeugen – bekannt war, dass allgemein die Verfassungsschutzbehörden „Erkenntnisse“ zum „Aufenthaltsort“ der geflohenen Personen, zur „Existenz des NSU“ bzw. zu den vorgeworfenen Taten hatten. Ein Zusammenhang zwischen der Vernichtung der Akten und diesen „Erkenntnissen“ der Verfassungsschutzbehörden ist reine Spekulation der Antragsteller. b. Die Antragsteller stellen weiter in den Raum, Motiv des Zeugen „Lingen“ für seine Handlungsweise bezüglich der Akten könnte gewesen sein, „Hinweise auf die Angeklagten und die angeklagten Taten zu vernichten“. Auch dies ist eine reine Vermutung. Umstände, die diese Motivation des Zeugen belegen würden, sind nicht vorhanden und werden auch von den Antragstellern nicht vorgetragen.

Götzl: „Frage an die Verteidigung Zschäpe und Sie, Frau Zschäpe, es betrifft auch die weiteren Verfahrensbeteiligten: Ich nehme an, dass Wert auf ein vorbereitendes schriftliches Gutachten von Prof. Saß gelegt wird?“ Grasel: „Ja, das ist zutreffend.“ Götzl: „Mir geht es isoliert [phon.] um die Fragen des Prof. Saß: Besteht die Möglichkeit, dass die noch vor der nächsten größeren Pause beantwortet werden?“ Grasel: „Wir werden den frei gewordenen Tag morgen nutzen und Ihnen nächste Woche mitteilen, ob wir es beantworten werden oder nicht.“ Der Verhandlungstag endet um 11:25 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage„: „Das Gericht hörte heute einzig eine BKA-Sachverständige für ‚Personenidentifizierung anhand von Lichtbildern‘. Sie hatte einen Schnappschuss, den Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in ihrem Sommerurlaub 2006 von einem Begleiter gemacht hatten, mit Fotos des Angeklagten Gerlach verglichen. Heute stellte sie ausführlich und anschaulich dar, dass es sich mit ‚an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit‘ um Gerlach handelt. Ihr Gutachten ist relevant, weil es erneut eine unwahre Behauptung Beate Zschäpes aufzeigt: die hatte ausgesagt, Gerlach nach 2004 nicht mehr getroffen zu haben, insbesondere nicht im Urlaub. Auch diese Angabe – eine der wenigen überprüfbaren Detailangaben, die Zschäpe überhaupt gemacht hat – ist damit widerlegt. Damit ist das Gericht auch heute einen weiteren Schritt auf dem Weg zu der zu erwartenden Verurteilung Zschäpes gegangen. Schließlich bewies das Gericht erneut, dass es eine Aufklärung der staatlichen Mitverantwortung für die NSU-Morde mit allen Mitteln abblocken will, indem es auch die Gegenvorstellung der Nebenklage hinsichtlich der rekonstruierten Akten aus der Operation ‚Konfetti‘ zurückwies.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/07/28/27-07-2016/

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