Kurz-Protokoll 356. Verhandlungstag – 05. April 2017

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An diesem Prozesstag geht es um verschiedene Anträge, zu denen die Verfahrensbeteiligten Stellung nehmen. Darunter der Antrag um die beantragte Bestellung von Prof. Bauer als Sachverständigen. Außerdem wird von den Nebenklage-Vertreter_innen der Familie von Halit Yozgat angekündigt, das Gutachten des Instituts Forensic Architecture zur Anwesenheit des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme beim Mord an Halit Yozgat in den Prozess einzuführen.

Heute ist Fototermin. Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Götzl: „Wir setzen im Verfahren fort.“ Nach der Präsenzfeststellung verkündet Götzl den Beschluss, dass die Anträge von NK-Vertreter RA Reinecke auf Ladung von Tim St. von der Redaktion des „Kölner Stadtanzeigers“ abgelehnt werden, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung seien.

Götzl: „Mir geht es jetzt noch um Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten. Zunächst würde es mir gehen um den Antrag von der Behrens, Stichwort Gera.“ Bundesanwalt Diemer: „Hoher Senat, die Rechtsanwältin von der Behrens und acht ihrer Kolleginnen und Kollegen haben am 29.03.2017 beantragt, festzustellen, ob Aktenmaterial aus einem Verfahren gegen Unbekannt aus dem Jahr 1995 bei der Staatsanwaltschaft Jena oder Polizeibehörden noch vorhanden ist, es ggf. beizuziehen und Einsicht zu gewähren. Das ist ein Beweisermittlungsantrag, der abzulehnen ist, weil die Aufklärungspflicht diese Ermittlungshandlungen nicht gebietet. Begründet wird das Begehren damit, dass Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Angeklagte sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in antisemitische Taten involviert waren. Anhaltspunkte für eine tatsächliche Beteiligung werden aber weder von den Antragstellern vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.“ Die StA Jena habe das Ermittlungsverfahren damals gegen Unbekannt geführt. Ein Anhaltspunkt dafür, dass sich daran etwas durch die Beiziehung ändern würde, ergebe sich nicht, so Diemer. Das Gleiche gelte für eine Beteiligung von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Es würde selbst dann die Beiziehung der Akten zu keiner weiteren Aufklärung bzgl. der hier Angeklagten führen, so Diemer weiter. Die Qualität des Umfelds als solches, in dem sich die hier Angeklagten bewegt haben, sei ausreichend deutlich geworden. Der Antrag zeige keine sinnvollen Möglichkeiten zur Aufklärung auf.

Götzl: „Weitere Stellungnahmen? Keine. Dann wird es mir um Folgenden um Stellungnahmen zum Antrag von Rechtsanwalt Grasel gehen, Stichwort Sachverständiger Prof. Bauer, Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens.“ OStAin Greger nimmt für die BAW Stellung. Der Antrag sei abzulehnen, so Greger. Behauptet werde nun, dass die Angeklagte an einem psychisch abnormen Zustand gelitten hätte. Die Frage, ob sie in relevanter Weise von der Norm abweicht oder nicht, sei aber bereits Gegenstand des psychiatrischen SV-Gutachtens von Prof. Saß gewesen, so Greger. Der bereits gehörte SV sei klar, eindeutig und sicher zu dem Ergebnis gekommen, dass keines der Eingangsmerkmale des § 21 StGB bei der Angeklagten vorliegt. Dem Gutachten nach gebe es keine Anhaltspunkte, dass die Angeklagte an einem relevanten Persönlichkeitsdefekt leiden würde. Zweifel an dem SV Saß bestünden nicht; dieser habe eine langjährige forensische Erfahrung und Bildung, habe seine Methoden offengelegt, habe Schlussfolgerungen sicher vertreten, habe der Begutachtung anerkannte wissenschaftliche Kriterien zugrunde gelegt, die er im Übrigen selbst mit entwickelt habe, und habe das Ergebnis im Einzelnen ausgeführt.
Die Bereitschaft der Angeklagten, sich Bauer 12 Stunden für eine Exploration zur Verfügung zu stellen, ändere daran nichts. Die Exploration entziehe den Tatsachen, von denen Saß ausgegangen ist, auch nicht die Grundlage. Daraus folge laut BGH, so Greger, dass die Angeklagte nicht durch die Verweigerung einer Untersuchung einen anderen SV erzwingen und die Auswahl des Vorsitzenden unterlaufen könne.

NK-Vertreter RA Bliwier: „Eine Ankündigung, die ich machen möchte. Und zwar beschäftigt sie sich mit dem, was z. T. in den Medien veröffentlicht worden ist an Ergebnissen des renommierten Instituts Forensic Architecture. Dieses Institut hat anhand der Tatrekonstruktion im Video Temme versucht, wissenschaftlich nachzuvollziehen, welchen Blickwinkel Herr Temme gehabt haben und welche Wahrnehmungen er gemacht haben kann. Das ist in Form eines Videos und in Schriftstücken dargelegt. Das Institut ist wissenschaftlich unabhängig. Der Nebenklägerfamilie Yozgat liegen die Ergebnisse vor, aber sie sind nicht selbsterklärend. Es geht maßgeblich um das Sichtfeld von Herrn Temme, Wahrnehmungen, Schussgeräusche, Schmauchentwicklungen und ähnliches. Wir haben deshalb, weil wir es für zwingend halten, dem Senat diese Dinge zugänglich zu machen, uns an das Institut gewandt und geklärt, ob dort Bereitschaft besteht, als Sachverständiger aufzutreten [phon.]. Und deswegen mache ich die Ankündigung: Wir beabsichtigen und bitten um eine entsprechende Terminierung, den Leiter Prof. Weizman am 10. Mai oder 16. Mai hier als präsenten Sachverständiger zu hören. Die Ergebnisse, die uns gezeigt worden sind, sind so eindrucksvoll, dass ich denke, dass der Senat seine Ansicht möglicherweise ändert, auch zur Glaubwürdigkeit Temme.“
Der Verhandlungstag endet um 12:50.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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