Pressemitteilung: „NSU Watch NRW“ fordert Untersuchungsausschuss zum Wehrhahn-Anschlag

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Pressemitteilung vom 19. Januar 2018

Am 25. Januar 2018 beginnt vor dem Landgericht Düsseldorf der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter des Bombenanschlags am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn vom 27. Juli 2000, bei dem zehn Menschen zum Teil schwer verletzt wurden und eine Frau ihr ungeborenes Kind verlor. Die Initiative „NSU Watch NRW“ fordert vom Gericht, die Hintergründe der Tat umfassend aufzuklären, insbesondere hinsichtlich möglicher Mittäter_innen bzw. Helfer_innen des angeklagten Ralf S.

NSU Watch NRW“ dokumentierte zuvor die Arbeit des Untersuchungsausschusses des NRW-Landtags, ist Teil eines bundesweiten Netzwerks, das die Aufarbeitung des NSU-Komplexes begleitet und wird vor diesem Hintergrund auch über den Wehrhahn-Prozess berichten. Nach Ansicht der Initiative muss ein weiterer Untersuchungsausschuss des Landtag die Ermittlungsfehler der Polizei und die Geheimdienstverstrickungen untersuchen, die dazu geführt haben, dass erst nach über 17 Jahren Anklage erhoben werden konnte. Allein der Strafprozess gegen Ralf S. könne dies nicht leisten.

NSU Watch NRW“ kritisiert auf das Schärfste den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags NRW, der sich trotz seines expliziten Auftrags nur rudimentär mit dem Wehrhahn-Anschlag befasst und lediglich den leitenden Oberstaatsanwalt sowie zwei Ermittlungsleiter der Polizei vernommen hatte. „Der Untersuchungsausschuss des Landtags hat bei der Aufklärung eines möglichen behördlichen Fehlverhaltens im Zusammenhang mit dem Wehrhahn-Anschlag auf ganzer Linie versagt. Die Abgeordneten weigerten sich, weitere Zeuginnen und Zeugen zu vernehmen, der Vorsitzende Sven Wolf unterband Fragen zur Rolle des Verfassungsschutzes und dessen V-Leuten“, kritisiert Maria Breczinski, Sprecherin von „NSU Watch NRW“.

Durch Medienberichte wurde bekannt, dass der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz im Jahr 2000 einen V-Mann mit dem Decknamen „Apollo“ führte, der eng mit Ralf S. bekannt war und zeitweise sogar für dessen Firma arbeitete. Der Ermittlungskommission der Polizei wurde die Existenz dieses V-Manns, der sich auch im Kreis der neonazistischen „Kameradschaft Düsseldorf“ bewegte, über Jahre verheimlicht. Erst 2012 legte der Verfassungsschutz gegenüber der Polizei die V-Mann-Tätigkeit von „Apollo“ offen und präsentierte gleichzeitig dessen Alibi für den Zeitpunkt des Bombenanschlags. Obwohl der Verfassungsschutz die Zusammenarbeit mit „Apollo“ bereits zwei Monate vor dem Anschlag beendet haben will, soll sich der V-Mann zur Tatzeit mit einem Verfassungsschutzagenten getroffen haben. Die Umstände dieses Alibis bewertet „NSU Watch NRW“ als wenig glaubhaft.

„Die naheliegende Frage ist doch: Was wusste der Verfassungsschutz über die Hintergründe des Wehrhahn-Anschlags und warum hat er die Polizei nie informiert? Welche Aufträge hat ‚Apollo‘ im Jahr 2000 erhalten, als er über einen direkten Zugang zum bereits damals Hauptverdächtigen Ralf S. verfügte? Bekannt ist, dass ‚Apollo‘ im September 2000 das Gespräch mit dem Verfassungsschutz über den Wehrhahn-Anschlag suchte. Doch der Inhalt dieses Gesprächs liegt im Dunkeln“, so Breczinski. Außerdem soll „Apollo“ im Jahr 2004 geäußert haben, dass der Anschlag von Rechten aus dem Osten unter Abdeckung durch die hiesige rechte Szene verübt worden sei.

Maria Breczinski von NSU Watch NRW kritisiert: „Der Untersuchungsausschuss hat sich geweigert, auf eine Beantwortung dieser Fragen nach der Verstrickung des Geheimdienstes hinzuwirken. Dabei lagen bereits seit Juli 2016 einstimmig gefasste Beweisbeschlüsse vor, den V-Mann ‚Apollo‘, dessen V-Mann-Führer vom Verfassungsschutz sowie mehrere Polizisten als Zeugen zu vernehmen. Diese Beweisbeschlüsse hat der Ausschuss ohne Begründung wieder kassiert. Damit hat er sich zum Erfüllungsgehilfen der Vernebelungstaktik des Verfassungsschutzes degradiert.“

Weitere Informationen sind hier zu finden:

Zeugenvernehmungen der Polizeiermittler Wixfort und Moll vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags NRW

Zeugenvernehmungen des Staatsanwalts Herrenbrück vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags NRW

Artikel zum Stand der Wehrhahn-Aufklärung nach der Verhaftung von Ralf S.

Artikel über den Schlussbericht des Untersuchungsausschusses