„Wir müssen lauter werden“ – Rede von Imran Ayata

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(c) Laika Alva / NSU-Watch

Rede von Imran Ayata (Schriftsteller, Initiative Freundeskreis #FreeDeniz) anlässlich der Veranstaltung „Kein Schlusswort: Der Nationalsozialistische Untergrund und der Stand der Aufklärung.“ am 08. Mai 2018 in der Akademie der Künste, Berlin

 

 

Guten Tag,

zu allererst möchte ich mich bei den Veranstalter*innen sehr herzlich bedanken, dass ich heute anlässlich dieser Buchvorstellung meine 50 Cents einbringen kann.

Dass ich heute hier spreche, liegt auch daran, dass ich vor einigen Jahren, genauer am 2. Juni 2012, hier in der Akademie der Künste den einleitenden Vortrag zum NSU-Hearing gehalten habe. Natürlich habe ich in Vorbereitung dieses Statements das Redemanuskript von damals aufmerksam gelesen, gerade im Hinblick auf die Bitte der Organisator*innen, auf die zentralen Veränderungen in Deutschland in Folge des NSU-Komplexes einzugehen. Diese Herausforderung nehme ich gerne an. Zuvor aber möchte ich vorwegschicken, wie erschreckend dieser Blick ins Manuskript von 2012 war: Viele Passagen meiner damaligen Rede hätte ich im Copy-Paste-Modus in das heutige Redemanuskript samplen können. Keine Sorge, das habe ich nicht getan. Aber eine Erkenntnis muss ich wiederholen, eindringlicher als damals: Es mangelt in Deutschland an einer breiten öffentlichen Debatte über Rassismus.

Denn dass sogar angesichts des NSU-Komplex noch immer eine solche Debatte über institutionellen und strukturellen Rassismus in Deutschland nicht ernsthaft geführt wird, kommt für mich einem gesellschaftlichen Versagen gleich. Dass der bewundernswerte Kampf der Familien der NSU-Opfer, der Unterstützergruppen, der solidarischen Initiativen und Projekte, der Nebenkläger*innen, Anwält*innen, Journalist*innen und anderer Mitstreiter*innen noch immer nicht dazu führt, dass zumindest bei politischen Entscheidungsträgern, gesellschaftlichen Akteuren und Institutionen sowie Medien das Verständnis über institutionellen und strukturellen Rassismus – euphemistisch gemeint – wächst, ist nicht hinnehmbar. Alleine deswegen scheint mir die Losung „Kein Schlusswort“ sehr gut gewählt, aber auch, weil „die Vergangenheit nicht tot, nicht einmal vergangen ist“, um es mit dem us-amerikanischen Schriftsteller William Faulkner zu sagen. Ein Schlusswort würde schließlich bedeuten, die NSU-Morde als räumlich oder zeitlich abgeschlossene Verbrechen abzutun, was immer wieder in den letzten Jahren versucht worden ist. Dem gilt es weiterhin entschieden entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass wir es mit einem Rassismus zu tun haben, „der über einen Fall oder über eine Serie von Fällen hinausgeht und der die Textur unserer Gesellschaften betrifft“, wie Manuela Bojadzijev es neulich formulierte.

(c) Laika Alva / NSU-Watch

Vermutlich wird es niemanden überraschen, dass bei einem Rückblick auf die vergangenen Jahre und dem Blick auf Heute vor allem die tektonische Verschiebung in der politischen Landschaft nach rechts die entscheidende Veränderung für mich darstellt. Sie zeigt sich im Erstarken der rechten Extremen, Nationalisten und Neofaschisten und dem Einzug der AfD in Landesparlamente und in den Bundestag. Sie begegnet uns in der Rede von der „konservativen Revolution“, in der Praxis „Mit Rechten reden“, im populistischen Überbietungswettbewerb gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen und in der Figur des Flüchtlings, der nahezu für jedes gesellschaftliche Problem verantwortlich gemacht wird.

Wir begleiten diese Entwicklungen sehr intensiv, mal sprachlos, mal wütend, mal protestierend. Gewissermaßen im Livefeed verfolgen wir, wie Politiker und Medien gewollt oder unbeabsichtigt Rechtsstaat und Demokratie aushöhlen. Der Erfolg von AfD & Co. liegt also nicht nur darin begründet, dass sie sich im politischen System weiter verankert, Ausschüsse im Bundestag leitet, Strukturen aufbaut und ihren Einfluss vergrößert – und wahrscheinlich schon im nächsten Jahr auf Landesebene in Regierungsverantwortung kommen wird. Nein, ihr Erfolg zeigt sich auch darin, dass andere Parteien, zuletzt vor allem die CSU, beim Populismus-Battle ganz vorne dabei sein und die Rechtsverschiebung mitgestalten wollen. Es ist erstaunlich, dass es sich noch immer nicht herumgesprochen hat, dass rechten Extremen und selbsternannten Rechtpopulisten nach dem Mund zu reden und ihrer Politik nachzueifern, vornehmlich dazu führt, ihren politischen Vorstellungen und Forderungen im Ergebnis mehr Legitimation zu verschaffen.

Immer wieder begegne ich Argumenten und Schilderungen, die mich glauben machen wollen, dass viele Deutsche Angst vor der Globalisierung hätten, verunsichert wären, keinen Zusammenhalt mehr erlebten und deswegen sich zu Protestwählern und Wutbürgern wandeln. Das erinnert sehr an Analysen in den USA. Eine davon lautet, dass in der Unterstützung von Donald Trump sich der Groll der weißen Arbeiterklasse artikuliere. Diesen Groll als Rassismus zu bezeichnen sei herablassend gegenüber den Arbeitenden. Dem hält Ta-Nehesi Coates entgegen: „Deindustrialisierung, Globalisierung und große Einkommensunterschiede sind zweifelslos real. Sie haben Schwarze und Latinos in unserem Land mit mindestens ebensolcher Wucht getroffen wie Weiße. Und dennoch sind diese Gruppen in dem neuen Populismus eigentümlich unterrepräsentiert.“

Daraus lässt sich durchaus die Frage ableiten, wie in Zeiten der Globalisierung, der fortwährenden Bewegung von Menschen über Grenzen hinweg, trotzt aller Differenzen, ein gemeinsames, pluralistisch-solidarisches Leben möglich ist. Daraus erwächst nicht nur die Notwendigkeit, sich globalen Entwicklungen wie Migration und Einwanderung zu stellen, sondern das politische System, gesellschaftliche Institutionen und Organisationen entsprechend weiterzuentwickeln. Wie viele andere habe ich den Eindruck, dass die Bundesregierung spätestens seit der letzten Bundestagswahl dafür den Rückwärtsgang gewählt hat. Bundeskanzlerin Merkel hat zwar ausgerufen, dass es eine vordringliche Aufgabe der Politik sei „Zusammenhalt im Land zu vergrößern“ und zwar den „Zusammenhalt aller, die dauerhaft in Deutschland leben“. Ihr Heimatminister Seehofer hat sich elaboriert in der FAZ über Zusammenhalt und Heimat ausgelassen. Das war fast so umfangreich wie die Ausführungen zur Einwanderungsgesellschaft im Koalitionsvertrag. Von den 185 Seiten widmen sich gerade mal fünf Seiten diesem Thema. Und wer sich die Mühe macht, sich das Organigramm der

Bundesregierung zu Gemüte zu führen, wird feststellen, dass Menschen mit Migrationshintergrund dort nicht auftauchen. Because it‘s 2018!

(c) Laika Alva / NSU-Watch

Und Wir?
Was tun Wir?

Ich räume ein, dass das WIR inflationär im Umlauf ist und oft nicht definiert wird, wer dieses WIR ist, wie es sich konstituiert, wie es ein politischer Akteur wird.

Wir, die nicht den Hass schüren,
Wir, die Einwanderung und Migration nicht als Randthemen verstehen,
Wir, die den NSU-Komplex nicht als singuläres Verbrechen begreifen,
Wir, die für Zusammenhalt und gegen Ausgrenzung sind,
Wir, die soziale Gruppen nicht gegeneinander ausspielen und soziale Fragen ethnisieren.
Wir, die sich nicht daran gewöhnen, dass rassistische Diskriminierungen verharmlost, Menschengruppen stigmatisiert, Flüchtlingsheime, Aktivisten und Politiker angegriffen werden,
Wir, die nicht nach ethnischer Herkunft Menschen kategorisieren,
Wir, die Geflüchtete nicht als Bedrohung sehen,
Wir, die Armut und Prekarisierung nicht als selbstverschuldetes Scheitern stigmatisieren,
Wir, die niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu lieben hat,

Wir müssen endlich raus aus unseren Nischen.
Wir müssen in die Öffentlichkeit.
Wir müssen auf die Straßen.
Wir müssen in die sozialen Netzwerke.
Wir müssen in die Medien.
Wir müssen auf die Podien und Bühnen.
Wir müssen in die Schulen.
Wir müssen viel stärker öffentliche und gesellschaftliche Präsenz leben, um dem zunehmenden Rechtsruck und den wachsenden Rassismus in der Gesellschaft zurückzudrängen.

Wir müssen endlich den hassproduzierenden Dialog mit jenen, die Rassismus instrumentalisieren, um daraus politisches Kapital für sich zu schlagen, beenden.

Ich meine also, dass wir unsere Energie nicht nur dafür einsetzen sollten, reaktionäre Politik zu verstehen, sondern sie auch zu bekämpfen. Dafür gibt es kein Rezept, das uns irgendjemand verschreiben kann. Und ja, vieles wird nicht klappen, es wird Rückschläge geben. Aber all das ist besser als dem Rechtsruck passiv beizuwohnen oder alleine Schlachten auf Facebook und Twitter zu schlagen.

Nicht nur die von mir kursorisch beschriebene Rechtsverschiebung, auch die Erfahrungen aus dem NSU-Komplex erfordern aus meiner Sicht eine neue Haltung und eine gesellschaftliche Gegenposition. Sie wird nicht aus der Politik kommen. Sie muss gesellschaftlich organisiert werden. Selbstverständlich gehören dabei die Aktivitäten, den NSU-Komplex zu dechiffrieren dazu. Sie sind Teil des anderen Narrativ, das viele einfordern.

Gegen die Politik des Hasses könnten in Stadtteilen und Kommunen, aber auch bundesweit neue Allianzen und Netzwerke geschmiedet werden. Allianzen und Netzwerke, die gelernte Pfade verlassen und neue politische Bündnisse aus Politik, Kultur und gesellschaftlichen Institutionen eingehen. Ja, es geht um Präsenz. Es geht um die Besetzung öffentlicher Räume. Oder – an Hannah Arendt – erinnernd sollen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass im demokratischen Gesellschaften Öffentlichkeit in Gestalt der öffentlichen Meinung eine ganz entscheidende Rolle spielt. Denn in ihr findet letztlich die politische Meinungsbildung statt.

Es geht nicht so sehr um die eine Idee, um die eine Lösung, um die eine große Kampagne, es geht um vielfältige neue Interventionen im öffentlichen Raum, die sich immer wieder finden und dann wieder eigene Wege gehen, die so viel öffentliche Sichtbarkeit und Kraft entfalten, dass die populistisch-reaktionären Politiken der Gaulands, Dobrinths, Gabriels, Palmers, Wagenknechts und wie sie alle heißen mögen, sich nicht mehr so einfach verfangen.

Wir müssen lauter werden,
schneller sein,
komplexe Verhältnisse einfach vermitteln.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, sind wir viel mehr als die meisten denken, wenn es gelingt, im politischen Koordinationssystem die entscheidende Trennungslinie nicht als eine ethnische oder gar religiöse zu begreifen. Sie verläuft also auch nicht zwischen Migrant*innen und Deutschen oder Geflüchteten. Dies ist für mich keine Randbemerkung, sondern inzwischen zentral. Ich kann verstehen, wenn immer wieder das Plädoyer für eine postmigrantische Gesellschaft erklingt, weil es sich um ein „zentrales Moment in die Gestaltung der Gesellschaft“ handelt wie Mark Terkessidis anmerkte. Mit der Anrufung der postmigrantischen Gesellschaft verbinden einige das Momentum eines gesellschaftliches Narrativs. Als politische Kategorie taugt sie aus meiner Sicht jedoch weniger, auch weil darin eine Projektion sich artikuliert, Migranten würden gemeinsam für ein Gesellschaftsmodell, das sich auf das Versprechen der Gleichheit stütze, kämpfen. Ich sehe nicht, wo dieser Kampf stattfindet. Das Gemeinsame in dieser Kategorie zu suchen wird auch deswegen immer schwieriger, weil sich diese gesellschaftliche Gruppe zunehmend ausdifferenziert. Ohnehin erfordert der Kampf gegen die AfD & Co. und für ein solidarisches Miteinander weitaus größere Spielfelder, in denen wir Wagnisse eingehen, Barrieren abbauen, endlich rausgehen und machen, statt uns darüber zu wundern, wie die Rechten gesellschaftliche Räume erobern.

Anders gesagt:
Die Bekämpfung des Rassismus muss endlich ins Pflichtenheft der Mehrheitsgesellschaft. Denn genau das hat uns der NSU-Komplex gelehrt.

Vielen Dank!