„Also ich brauche mich für gar nichts entschuldigen.“ – Die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses Mecklenburg-Vorpommern am 29.11.2019

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Nachdem der NSU-Untersuchungsausschuss in Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen Sitzungen Polizeibeamte vernommen hat, die meist nur punktuell und unmittelbar nach dem Mord an Mehmet Turgut am 25.02.2004 mit dem Fall zu tun hatten, werden am 29.11.2019 zwei Zeugen vor den UA gehört, die länger zum Mord in Rostock ermittelten. Auch wenn weder Kriminaloberkommissar Ronald P. noch erster Polizeihauptkommissar (EKHK) a.D. Bernd Sch. die gesamten Ermittlungen im Blick hatten, so wird während der Sitzung doch klar, warum auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht an Neonazis als mögliche TäterInnen gedacht wurde. Hörte der eigene Zuständigkeitsbereich auf, interessierte man sich nicht mehr für den Fall. Es gab bei den gehörten Beamten kein Wissen um Funktionsweisen der Neonazisszene. Wurden die rassistischen Thesen von Organisierter Kriminalität als Motiv bezüglich des Mordopfers oder seines Umfelds vermeintlich bestätigt – ob von zufälligen Zeug*innen oder vom Landesamt von Verfassungsschutz – so wurde dies sofort für die plausibelste Möglichkeit gehalten.

Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin am 29.11.2019 (Foto: NSU-Watch)

Der erste Zeuge des Tages, Ronald P. ist auch heute noch Kriminaloberkommissar, damals wie heute im Bereich Tötungsdelikte. Der Zeuge erscheint wie alle Zeugen am 29.11.2019 mit dem Zeugenbeistand Rechtsanwalt Dr. Butz Peters. Sie geben auch alle an, sich mit ihm gemeinsam per Akteneinsicht auf die Sitzung vorbereitet zu haben. P. berichtet, er sei an dem betreffenden Tag mit rausgefahren „zu diesem Sachverhalt“, da es einen klaren Verdacht auf ein Tötungsdelikt gegeben habe. Er sei aber nur hinter der Absperrung gewesen. In der Akte habe gestanden, dass Menschen aus dem Umfeld des Imbissbetreibers dorthin gekommen seien, weil sich die Nachricht verbreitet habe.

P. sagt, er habe noch an diesem Tag nach dem Mittagessen den Bruder und den Imbissbesitzer Haydar Ay. vernommen. Er sei zuständig für die „Opferaufklärung“ gewesen und habe dafür gesorgt, dass die Umfeldermittlungen am Tatort vollständig waren. P. berichtet, dass er mit mehreren Ausländerbehörden, u.a. in Hamburg im Kontakt gestanden habe, er habe Daten zu ‚Yunus Turgut‘ zusammengetragen. Bis zur Selbstenttarnung des NSU gab es im Rostocker Mordfall eine Namensverwechslung und Mehmet Turgut wurde unter dem Namen seines Bruders Yunus geführt. Der Zeuge P. sagt, das Mordopfer sei ihm immer als ‚Yunus Turgut‘ bekannt gewesen, deswegen behalte er das bei. P. berichtet dann ausführlich, was er zu Mehmet Turgut bei den Ausländerbehörden und bei der Polizei herausgefunden habe, er habe einfach alle möglichen Informationen aufgehäuft, ob man die brauche oder nicht, sei bei der Opferaufklärung im ersten Moment egal.

Am 15.04.2004 habe er eine ausführliche Vernehmung des Imbissbetreibers durchgeführt. Er habe nach der Beerdigung Mehmet Turguts, nach dessen Familie und nach vielen türkischen Namen gefragt. Im Anschluss daran hätten ihn auch Beamte aus Bayern vernommen, da sei er, P., aber nicht dabei gewesen. 2005 habe es dann eine Durchsuchung bei dem Besitzer des Imbisses gegeben, dazu seien Beamte des BKA da gewesen.

Außerdem habe er an fallübergreifenden Maßnahmen teilgenommen. Er habe eine Dienstreise nach Mittelfranken gemacht, es sei um die Mordserie gegangen, mehr wisse er nicht. Da sei nichts mitgegeben worden, was man in Rostock hätte machen sollen, alle bisherigen Taten seien ausführlich dargestellt worden. Am 20.04.2006 sei er zu einer Dienstreise zum BKA Wiesbaden gefahren, da sei es um ein ähnliches Thema gegangen, die Auswertung der Mordserie. Im Wesentlichen habe das BKA dargestellt, was es leisten könne, es habe die Hoffnung gegeben, sie würden alles übernehmen, das sei aber nicht der Fall gewesen. Es sei auch über Öffentlichkeitsarbeit diskutiert worden. Der Zeuge sagt, zu dieser Zeit seien keine Ermittlungen in Rostock gelaufen, daher habe man auch keine neuen Erkenntnisse auf dem Treffen oder bei der anschließenden Telefonkonferenz liefern können. Als es am 3.5.2006 bei einer Telefonkonferenz Neuigkeiten gegeben habe, seien diese auch nicht von ihnen gekommen. Offenbar sei „ab unserem Fall“ ein Schalldämpfer benutzt worden. Bei dem Treffen habe schon im Raum gestanden, dass eine übergeordnete Ermittlungsgruppe in Mecklenburg-Vorpommern die Arbeit wieder aufnehmen müsste. In Bayern sei dann eine Steuerungsgruppe bei der BAO Bosporus eingerichtet worden, die Ermittlungen seien aber in den einzelnen Ländern verblieben. Bei dem Treffen seien Vorschläge für Ermittlungen in Mecklenburg-Vorpommern angekündigt worden: „Also es waren ja in der Zwischenzeit wieder Mordfälle passiert“. Beim Treffen sei neben der Organisationstheorie auch gleichbereichtigt die „Einzeltätertheorie“ diskutiert worden. Es sollte aber in alle Richtungen ermittelt werden. Er, P., habe in der Zwischenzeit Anfragen zu Personen beantwortet. Seine letzte Amtshandlung sei gewesen, dass er die Aussage eines Zeugen aufgenommen habe. Dieser habe ein Phantombild bei RTL gesehen und habe sich gemeldet, er habe so eine Person schon mal am Imbiss gesehen.

Die Abgeordneten stellen nun ihre Fragen. Es zeigt sich, dass P. nach 2006 und auch nach 2011 nie wieder an dem Fall gearbeitet hat. Gefragt nach einem Ermittlungskonzept sagte der Zeuge, der Leiter habe ja oft eine Idee, die werde nicht jedem mitgegeben, es habe aber Zusammenkünfte gegeben. Seine Aufgabe sei gewesen, alle Informationen zu sammeln. Die SPD fragt, ob es üblich sei, einen Zeugen, der – wie der Imbissbesitzer – unter Schock stehe, direkt am Tag eines Verbrechens zu vernehmen. P. sagt, es sei nur mit ihm geredet worden, eine Vernehmung habe erst später stattgefunden. Es würden üblicherweise Leute in allen Situationen befragt. Auf die Frage, warum es in Mecklenburg-Vorpommern keine Ermittlungsgruppe gegeben habe, sagt P. nach allen Erfahrungen sei das soweit ausermittelt gewesen, aber bei dem Treffen sei gesagt worden, man müsse sich für weitere Ermittlungshinweise aufstellen. Bei der Soko Kormoran sei er, P., aber nicht mehr involviert gewesen, es habe auch keine Nachfragen mehr an ihn gegeben.

Der Zeuge verneint die Frage von Peter Ritter (Die Linke), ob er etwas von dem mutmaßlichen Brandanschlag auf den Kiosk wisse, das habe er erst im Nachhinein erfahren, der Imbissbesitzer habe dazu nichts gesagt. Es habe keinen Hinweis von der Leitung gegeben, dass man da nachfragen solle. Ritter sagt, ein Zeuge habe angegeben, Mehmet Turgut sei eigentlich immer freundlich gewesen, Zurückhaltung habe es nur gegeben, wenn er, der Zeuge, mit seiner Jacke dort erschien, die einer Bomberjacke glich. Ritter fragt, ob das beim Zeugen Assoziationen auslöse. P. sagt, das könne er verstehen: „Darüber hinaus assoziiere ich nichts.“ Ritter: „Kann man daraus schließen, dass das Umfeld von Leuten mit solcher Kleidung geprägt war?“ Der Zeuge sagt, er sei erst nach der Wende nach Rostock gekommen, nach Toitenwinkel habe er keinen Kontakt gehabt, es sei ihm auch nichts bekannt geworden, „in Sachen rechts oder eben auch links“, das sei ein ganz normaler Stadtteil. Seine Vorgesetzten hätten keine Anweisungen in Richtung politischer Extremismus gegeben: „Aber immer wenn ich darüber nachdenke…. Aber das ist aus meiner Sicht nicht vorstellbar, einfach ins Blaue reinzuermitteln.“ Peter Ritter fragt, warum es bei Haydar Ay. eine Hausdurchsuchung gegeben habe. P. sagt, diese sei vom BKA gewesen, er wisse es nicht.

Die SPD fragt, ob er, P., Kontakte zum Staatsschutz oder zum Verfassungsschutz gehabt habe. P. sagt, das würde auf dem morgendlichen Leitertreffen stattfinden, da sei bestimmt auch die Frage gestellt worden, ob der Staatsschutz was weiß. Er selbst habe keine Gespräche mit dem Verfassungsschutz geführt: „Keiner von uns spricht selbst mit dem VS.“ Da gebe es keinen direkten Draht.

Die Abgeordnete Karen Larisch (Die Linke) sagt, man habe versucht in alle Richtungen zu ermitteln, nach Hamburg, es sei um Frauen, um die Haftzeit, um den Lebenswandel, die PKK, Geld, und Schulden gegangen, aber sei denn niemand auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen, auch nach Nazi-Organisationen zu fragen? P. sagt, er habe nicht nach der PKK gefragt, er habe sich seine Fragen noch einmal angesehen, er habe immer offene Fragen dabei gehabt, ob sein Gegenüber eine Idee haben könnte, dann könne derjenige auch selbst mitteilen. Haydar Ay. sei beim NSU-Prozess auch gefragt worden und dieser habe gesagt, die Leute im Viertel hätten ihn gekannt, er habe keine Probleme gehabt. Bei Ay. hätte seine Frage also keine Früchte getragen.

Ritter fragt nach der Steuerungsgruppe, dort habe Herr Ge. aus Bayern gesagt, man solle noch einmal in Richtung Rauschgift ermitteln, nach neun Morden. P. sagt, das könne er verstehen, man suche ja nach einem Motiv. Ritter sagt, Mecklenburg-Vorpommern hätte aber auch nicht widersprochen. P.: „Um zu ermitteln brauchen wir Ansatzpunkte, es gab sie nicht. Wir wissen ja: es ist üblich, dass es ein Bekennerschreiben gibt oder anderes Bekenntnis,“ aber das habe es nicht gegeben. Larisch fragt, wie P. zu dem Vorschlag gestanden habe, dass direkt nach zweiten Fallanalyse noch eine dritte erstellt werden sollte. P. sagt, er finde das plausibel, weil es viele Morde und immer neue Morde gegeben habe. Es habe eine unermütliche Suche nach einem Motiv gegeben: „Es ist nicht so einfach, dass man einfach hätte nach rechts gucken müssen.“

Es folgt der Zeuge Bernd Sch., er ist Erster Polizeihauptkommissar a.D. seit 2016 in Pension. Sch. sagt, er habe erstmal erhebliche Erinnerungslücken gehabt, der ganze Vorgang sei ihm nicht mehr präsent gewesen, er habe mit seinem Zeugenbeistand Butz Peters Akteneinsicht genommen. Er sei zum damaligen Zeitpunkt Leiter der Mordkommission bei der KPI Rostock gewesen, er habe noch einen Chef gehabt. Er habe an den Tattag keine Erinnerung mehr, aber sei vor Ort gewesen. Als er dort eingetroffen sei, habe er sich erste Erkenntnisse schildern lassen, habe sich einen Überblick verschafft, um zu gucken, wie viele Leute brauche man noch und habe die erste Meldung an die Staatsanwaltschaft abgesetzt. In den beiden darauffolgenden Wochen habe es über das übliche Maß hinausgehende Ermittlungstätigkeiten gegeben. Während der Ermittlungen hätte es zwei Zeugen gegeben, die im Vorfeld Gespräche des Imbissbesitzers mit anderen wahrgenommen hätten. Diese hätten ausgesagt, es habe Streit gegeben. Die Zeugen hätten bei Haydar Ay. nachgefragt und der habe gesagt, es sei um Schulden gegangen. Sch. schließt daraus, es seien Schuldeneintreiber vor der Örtlichkeit gewesen. Die Zeugen hätten Phantombilder erstellt. Tatzeugen habe es aber keine gegeben. Keine DNA, keine Hinweise auf die Täter, keine eindeutigen Hinweise auf ein Motiv.

Der 11.3.2004 sei der entscheidende Wendepunkt gewesen. Bis dahin hätten sie gedacht, es sei eine Einzeltat, ab dann sei bekannt gewesen, es handle sich um eine bundesweite Tötungsserie, das LKA habe angerufen. Kurze Zeit später habe er einen Anruf des ehemaligen Leiters der „Soko Halbmond“, Vögeler, bekommen. Die „Soko Halbmond“ sei ja zu dem Zeitpunkt schon eingestellt gewesen, Vögeler habe die Möglichkeit gesehen, die Ermittlungen weiterzuführen. Man habe sich dann getroffen, an dem Treffen hätten die Staatsanwaltschaft, der Leiter des Fachkommmissariats, die Kollegen vom BKA von der Abteilung Organisierte Kriminalität und sein Stellvertreter und Auswerter der Mordkommission, S. teilgenommen. Man sei sich einig gewesen, alle Tötungsdelikte sollten durch eine Dienststelle bearbeitet werden, bei ihnen habe daraus resultiert, dass seine KPI eine Tötungsserie nicht hätte bearbeiten können. Damit sei die Staatsanwaltschaft einverstanden gewesen, allerdings sei dann die Antwort aus Nürnberg gekommen, dass sie den Fall nicht übernehmen, dann sei es darum gegangen, ob das BKA den Fall übernehmen könnte. Letztlich sei im Juni 2004 entschieden worden, dass das BKA das Gebiet der Strafverfolgung übernehmen würde. Die Zuständigkeit sei bei der Staatsanwaltschaft Rostock geblieben. Es habe Abhörmaßnahmen, Finanzermittlungen zu dem Opfer, zur Familie des Opfers, der Familie des Imbissbesitzers gegeben. Sie hätten dann als Mordkommission das BKA beispielsweise bei Hausdurchsuchungen oder Personenüberprüfungen unterstützt. Trotz umfangreicher Ermittlungen habe es es keine Anhaltspunkte für mögliche Täter, aber viele Anhaltspunkte für ein Motiv im Bereich Organisierte Kriminalität gegeben. Die Zuständigkeit habe dann aufgrund eines Beschlusses auf der Innenministerkonferenz, dass alle Tatortländer Sokos gründen sollten, die sich nur um den Fall kümmern sollten, geendet. Sie hätten dann alle Akten und Asservate an die Soko Kormoran übergeben.

Auf Frage der Ausschussvorsitzenden sagt der Zeuge, es habe keine Probleme oder Defizite gegeben, bis zum 11.3. sei der Fall ein „normales Tötungsdelikt“ gewesen. Er habe sich nach 2011 nicht noch einmal mit dem Fall befasst, es habe keine Analyse gegeben. Aus heutiger Sicht, wenn man wüsste wer es war, hätte man vieles anders machen können, aber damals – er bestimme ja nicht, wo es lang ginge, das seien viele Faktoren. „Damals haben wir nichts verkehrt gemacht.“ Er würde heute nicht anders handeln als damals. Eine Soko sei vor den bundesweiten Treffen 2006 kein Thema gewesen.

Der Zeuge sagt dann zu einer Frage, es sei ein LfV-Mitarbeiter gekommen, den er kenne. Der Zeuge wendet sich an einen Beauftragten der Landesregierung im Untersuchungsausschuss, der sagt, der Zeuge dürfe den Namen nicht sagen. Daraufhin wird die Öffentlichkeit von der Sitzung ausgeschlossen.

Als die Sitzung wieder öffentlich ist, fragt der Abgeordnete Dirk Friedriszik (SPD) nach dem Verlauf des Gesprächs mit dem LfV-Mitarbeiter. Sch. sagt, der Mitarbeiter sei bei ihm gewesen, dieser habe gesagt, er hätte eine Quelle, diese Quelle hätte mitgeteilt, „dass unser Opfer im Raum Rostock großzügig mit Drogen für Hintermänner gehandelt hätte.“ Die Gelder aus dem Drogenhandel habe dieser nicht an die Hintermänner abgeführt, aus diesem Grunde sei er getötet worden. Das sei zu einem Zeitpunkt gewesen, als das BKA die Strafverfolgung übernommen habe, also habe er den Ermittlungsführer angerufen, habe dann den Telefonhörer an den LfV-Mitarbeiter übergeben. Ergebnis sei ein Treffen zwischen BKA und LfV am 2.9.2004 gewesen. Diese Beratung habe in der KPI Rostock stattgefunden, er selbst habe nicht teilgenommen, aber der Auswerter der Mordkommission, Herr S. Danach hätten alle Zusammenkünfte zwischen BKA und LfV direkt stattgefunden.

Der Abgeordnete Ritter sagt, beim Prozess in München sei Sch. gefragt worden, warum Rechtsextremismus ausgeschlossen worden sei. Er hält dazu den Vorschlag für eine Pressemitteilung vom 4.3.2004 vor, in der es geheißen habe: „Ein ausländerfeindlicher Hintergrund kann derzeit ausgeschlossen werden.“ Ritter fragt, ob das üblich sei, wenn der Verfassungsschutz sage, sie hätten nichts, ob das dann so sei. Der Zeuge bestätigt: „Ja, so ist das zu verstehen.“ Sie selbst hätten keinen Einblick in die Strukturen von rechts, von links, islamistisch: „Ich habe keinen Rechten zum Zeitpunkt der Tat gekannt, sie seien Mordermittler, wenn es keinen Anhaltspunkt gebe, dann sei das so. „Ich muss es mal so sagen: Was hätten wir denn ihrer Meinung nach machen sollen? Hätten wir zu jeder Glatze hingehen sollen, und fragen, ob er damit zu tun hat?“ Ritter sagt, man hätte sich ja mal austauschen können: „Ich verstehe es nicht.“ Der Zeuge sagt, das könne der Abgeordnete nicht verstehen, weil er ja kein Ermittler sei: „Sie haben wahrscheinlich zu wenige Erkenntnisse darüber, wie Ermittlungen geführt werden. Das ist jetzt kein Vorwurf.“ Ritter hakt nach, was die Selbstenttarnung des NSU bei Sch. ausgelöst habe. Der Zeuge zuckt mit den Schultern und wirkt ein wenig aufgebracht: „Ich hätte unter den Gesichtspunkten, wie wir damals vorgefunden haben, hätte ich nicht anders ermittelt.“

Die Abgeordnete Larisch fragt nun nach einer Pressemitteilung, die an die Hürriyet geschickt worden sei. In dieser sei ein rechtes Motiv ausgeschlossen worden, es sei ein Bild des Ermordeten angehangen worden. Der Zeuge wiegelt zunächst ab, das sei nicht von ihm. Larisch hakt nach, Sch. habe den Vorschlag gemacht. Das bestätigt der Zeuge, verneint aber, die Formulierung gemacht zu haben. Larisch legt ein Dokument vor, in dem der selbe Text von Sch. unterschrieben, stehe. Larisch fragt nach dem Foto des Ermordeten, dieses sei mit der Bezeichnung „Döner.jpg“ verschickt worden: „Werden Opfer immer mit Lebensmitteln bezeichnet?“ Der Zeuge sagt, er habe das Bild nicht so benannt.: „Ich weiß nicht, wer das reingebracht hat, vielleicht die türkische Presse selbst.“ Das verneint die Abgeordnete, das sei in der Ausgangsmail an die Presse so gewesen. Der Zeuge sagt nach einer kurzen Auseinandersetzung noch aufgebrachter: „Im Gegensatz zu Ihnen Frau Larisch bin ich ihr zur Wahrheit verpflichtet.“ Niemand reagiert darauf.

Die SPD möchte nochmal auf das Treffen vom 2.9.2004 zurückkommen und fragt, ob es üblich sei, dass der Verfassungsschutz Kontakt aufnehme. Sch. sagt, generell nicht, generell sei der Verfahrensweg ein anderer. Der Kollege sei jahrelang Mitarbeiter in der KPI Rostock gewesen, daher habe man sich persönlich gekannt, vielleicht sei dieser zufällig in Rostock in der KPI gewesen. Die SPD fragt, was der normale Weg gewesen sei. Der Zeuge antwortet, sie als ermittelnde Behörde hätten Ansprechpartner in den Dienststellen, die sie kontaktieren. Er geht aber davon aus, dass das LfV alle anderen informiert habe. Auch die SPD fragt nun zu der Pressemitteilung. In dieser stehe, ein „ausländerfeindlicher Hintergrund“ könne ausgeschlossen werden. Der Zeuge sagt, die Frage sei gewesen, welche Möglichkeiten es für eine Pressemitteilung in einer türkischen Zeitung gegeben habe. In dem Zusammenhang sei ihm gesagt worden, man müsse sich dahingehend äußern, wenn man in der Türkei eine Pressemittelung veröffentlichen wolle und man habe keinerlei Anhaltspunkte zu diesem Zeitpunkt gehabt, daher komme die Formulierung. Die SPD sagt, nach dem Mord habe die Familie Ay. Bedrohungen bekommen: „Ich haben einen Türken getötet, du bist dran.“ Sch. sagt, daran könne er sich erinnern, er meine auch, dass sie im Nachhinein alle hier Benannten, die bei Trauerfeier gewesen seien und von der Textnachricht wussten, gehört haben. Alle hätten erklärt, dass sie das als nicht ernst-gemeint hingenommen haben, für sie war das „ein Penner“. Auf Nachfrage sagt der Zeuge, daraus könne man ja auch keinen rechten Bezug entnehmen: „Ich denke nicht, dass man Böhnhardt und Mundlos als Penner bezeichnen könnte.“ Man habe ja immer alle gefragt, warum sie denken, dass das passiert war. Selbst der Imbissbetreiber sei im Laufe des NSU-Prozesses gefragt worden, ob er jemals einen Hinweis darauf gehabt habe und er habe geantwortet, er habe nie einen gehabt.

Ritter: „Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie sich an einige Sachen nicht erinnern können und an andere Sachen schon.“ Im NSU-Prozess habe der Nebenklageanwalt Hardy Langer herausgefunden, auf den Imbissbetreiber habe es eine Prügelattacke gegeben und der Imbiss sei ausgebrannt. Ritter fragt, ob der Zeuge das gewusst habe, das verneint dieser. Ritter sagt, das engste Umfeld sei überwacht worden, und dazu habe gestanden, es sei ein Auftragsmörder gewesen, was habe man dabei gedacht. Sch. sagt, mit Beginn der Ermittlungen habe man keine Anhaltspunkte, dann beginne man beim Opfer und beim näheren Umfeld, das aufzuhellen, um Motivlagen zu ermitteln. Das sei das Ansinnen der Überwachung gewesen. Ritter: „Wenn man keinen Anhaltspunkt hat, wie kann man dann schon schreiben: Auftragsmord?“ Dazu die Vermutung, dass der Auftrag aus dem Ausland stamme. Sch. sagt, das sei das einzige gewesen, wofür es sprach. Das seien Anhaltspunkte aus den Ermittlungen zu Morden mit der gleichen Waffe gewesen.

Die Abgeordnete Larisch sagt, Turgut und Ay. hätten sich nicht ähnlich gesehen, inwiefern die Auftragsmörder-These da Sinn ergeben würde. Die Vorsitzende von Allwörden interveniert an dieser Stelle und nimmt den Zeugen in Schutz, den sie „Kollegen“ nennt, um sich dann selbst zu verbessern: „äh, Zeugen“.

Nachdem die SPD den Dienstweg zum Treffen am 2.9. hinterfragt und ob es V-Leute bei der Polizei gegeben habe, die sie in dem konkreten Verfahren unterstützt haben und der Zeuge antwortet, es hätte damals in der KPI jemanden gegeben, der V-Leute führte, wird die Öffentlichkeit erneut ausgeschlossen.

Danach sagt Larisch, ein rechtes Motiv sei schnell ausgeschlossen worden. Der Zeuge sagt, es habe keine Hinweise in diese Richtungen gegeben, niemand habe ihnen irgendeinen Hinweis genannt. Von Allwörden unterstützt den Zeugen und erklärt, wenn ein Tatmotiv ausgeschlossen werde, könne es dann wieder aufgenommen werden. Das bestätigt der Zeuge. Larisch sagt, sie wisse wie Ermittlungen laufen, weil sie schon welche erlebt habe, der Zeuge unterbricht sie und sagt mehrfach: „Ich weiß.“ Sch. sagt dann gereizt, es habe keine Anhaltspunkte gegeben, selbst als es bekannt geworden sei, habe sich gezeigt, es sei eine abgekapselte Tätergruppe gewesen, an die von niemanden in entferntester Weise gedacht wurde. Er wendet sich an die Abgeordnete: „Sie haben doch die Plakate auch gesehen, warum haben sie uns nicht gesagt, wir sollen in Richtung rechts suchen?“ Larisch: „Was ich getan habe oder nicht, steht hier nicht zur Debatte.“ Sch.: „Entschuldigung, ich hatte keine Hinweise.“ Larisch fragt den Zeugen, ob er sich vorstellen könne, dass das für Betroffene von Gewalt verletzend sei, das etwas merkwürdig sei und fragt, ob sich jemand entschuldigt habe. Die Vorsitzende sagt, die Frage müsse Sch. nicht beantworten. Dieser sagt, er wisse nicht, wie Betroffene das empfinden. „Wenn sie meinen, ich habe mich entschuldigt, nein. Es gab genügen Anhaltspunkte, dass hier was anderes läuft, also ich brauche mich für gar nichts entschuldigen“. Wenn er das alles mit nach Hause nehmen würde, würde er heute nicht hier sitzen.

Als letzter Zeuge ist Hauptkommissar Holger S., heute im Ruhestand, geladen. Er war der dritte Kontaktbeamte, der am Tag des Mordes an Mehmet Turgut vor Ort war. Wie seine Kollegen sagt er aus, dass sie eine männliche Person wahrgenommen hätten, diese hätte auf der Straße gestanden, beim Dönerstand hätten sie weitere Personen gesehen, einer habe gekniet, der andere geblutet, er selbst sei nicht nicht näher als zehn Meter herangegangen. Er habe dann die Sicherung übernommen. Zwei Jahre später habe er die Aussage beim Herrn S. gemacht.

Zwei weitere für den Tag geladene Zeugen, einer von ihnen der damalige Auswerter der Mordkommission zu Mehmet Turgut, S., wurden auf einen anderen Tag geladen.