11. Prozesstag, 13.08.2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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Am vierten Verhandlungstag in Folge wurde der Hauptangeklagte Stephan Ernst von Verfahrensbeteiligten befragt. Dabei ging es zunächst um die örtlichen Verhältnisse am Tatort, dem Haus der Familie Lübcke. Dazu wurde der Nebenkläger und Zeuge Jan-Hendrik Lübcke unter anderem gebeten, darzustellen, wohin die Scheinwerfer, die er wegen der Kirmes angebracht hatte, geleuchtet haben. Da der Tatort durch die Rettungsmaßnahmen zerstört wurde, konnte er nur nach den Angaben der Familie, wie die Terrasse üblicherweise eingerichtet war, nachgestellt werden. Anhand dieser Simulation hinterfragte OStA Killmer den von Ernst in seinem dritten Geständnis angebenen Tathergang. Laut der Simulation wäre Ernst zweimal um einen Stuhl und einen Tisch herumgegangen, an die sich Ernst aber nicht erinnern konnte. Killmer legte hier noch einmal die Tatversion aus dem ersten Geständnis von Ernst nahe. Auch im weiteren Verlauf ging es um die Abfrage von Details durch die Verfahrensbeteiligten.

Zu Beginn des Prozesstages wurde von Richter Dr. Koller der Beschluss verlesen, dass der Befangenheitsantrag des Angeklagten Hartmann gegen den Vorsitzenden Richter Sagebiel wegen angeblicher Gleichgültigkeit gegenüber dem Video bei STRG-F, „Exklusiv: Die Vernehmungen des Stephan Ernst“, als unbegründet zurückgewiesen wurde. Außerdem wurde eine E-Mail von einer Vertreterin des hessischen Justizministeriums zur Anfrage zu einem Ausstiegsprogramm für Stephan Ernst verlesen. Sie stellte darin das Ausstiegsprogramm „IKARus“ vor, das beim LKA Hessen angesiedelt ist. Dieses hätte ein standartisiertes Verfahren. Feste Ansprechpartner*innen würden erst ein Anbahnungsgespräch mit Ernst führen, schon „ab nächster Woche“. Der Senat händigte Ernst den ausgedruckten Flyer von „IKARus“ aus, der der Email angehangen war. Ernst sollte sich dazu verhalten, der Senat würde sich um den Rest kümmern.

Dann hatte die Bundesanwaltschaft das Fragerecht. Oberstaatsanwalt Killmer bat Jan-Hendrik Lübcke noch einmal, anhand von Fotos zu den örtlichen Umständen am Haus der Familie Lübcke, Angaben zu machen. Dieser erklärte, dass er Baustrahler wegen der Kirmes am Haus angebracht hatte, damit keine Kirmesbesucher*innen auf das Grundstück kämen. Diese Strahler hätten die Auffahrt beleuchtet und bis zu einem Seiteneingang über eine Wiese auf das Grundstück geleuchtet. Die Terrasse, auf der er seinen Vater fand, sei im Dunkeln gewesen. Danach forderte Killmer Stephan Ernst auf, er sollte auf Fotos zeigen, auf welchen Wegen er und Hartmann auf Lübcke zugekommen seien. Killmer hinterfragte die aktuelle Version von Ernst von der Tatnacht hier an mehreren Stellen. Zum einen ging es um Ernsts Angaben zu Hartmanns Weg zur Terrasse, dieser hätte nach den Angaben durch den Lichtkegel eines der Baustrahlers, sowie über eine ca. ein Meter hohe Mauer geführt. Killmer fragte, ob bzw. warum Hartmann nicht den Weg über Einfahrt gewählt hatte, die nicht vom Sitzplatz Walter Lübckes auf der Terrasse aus einsehbar gewesen sei. Ernst sagte, in ihren Augen sei das nicht kompliziert gewesen.

Es ging auch um Fotos des rekonstruierten Tatorts. Dieser wurde durch die Rettungsmaßnahmen verändert, danach wurde für die Rekonstruktion die Terrasse wieder so eingerichtet, wie sie nach Angaben der Familie immer gewesen war. Auf diesen Fotos wurde deutlich, dass zwischen Ernst und Walter Lübcke ein Stuhl und ein Tisch stand, wenn die Rekonstruktion zutrifft. Ernst stand vor dem Richtertisch, blickte auf das Foto und sagte, an Stuhl und Tisch könne er sich nicht erinnern. Killmer machte deutlich, dass diese Konstellation nur zu Ernsts erstem Geständnis passen würde. In der jetzigen Version hätte Ernst Stuhl und Tisch zweimal umlaufen müssen: Als er Walter Lübcke zurück in den Stuhl gedrückt und sich dann wieder zurückgezogen hatte. Ernst blieb bei seiner aktuellen Version.

Killmer hinterfragte nach einer kurzen Pause den langen Zeitraum zwischen der Veranstaltung in Lohfelden und dem Mord. Ernst sagte, sie hätten Informationen sammeln wollen, sie hätten erst an einen Farbanschlag gedacht. Es sei immer mal mehr oder weniger Thema gewesen und habe sich an Ereignissen aufgeladen, wie dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Vor der „Sache in Chemnitz“ sei noch „die Sache in Köthen“ gewesen und in Chemnitz hätten sie dann die Entscheidung getroffen.

Killmer hinterfragte kleinere Details, wie die Anschaffung und den Einsatz der Wärmebildkamera. Ernst bestritt, diese für den Mord an Walter Lübcke angeschafft zu haben, er habe sein Grundstück absichern wollen. Außerdem habe er die Kamera nicht in der Nacht vor dem Mord, 31. Mai auf 1. Juni 2019 eingesetzt, wie die von Ermittler*innen errechnete Systemzeit der Kamera für ein Foto von der Terrasse Lübckes angibt. Auf die Frage Killmers gab Ernst an, er habe nach der Tat zwei bis dreimal mit Hartmann gechattet, es sei um Treffen zum Reden und Bier trinken gegangen. Ein geplantes Treffen am Donnerstag nach der Tat im Schützenverein sei nicht zustande gekommen, obwohl beide da gewesen seien. Ernst hatte an einem anderen Verhandlungstag angegeben, er habe befürchtet, Hartmann sei verstimmt. Auf Frage nach dem angenommenen Grund für eine eventuelle Verstimmung intervenierte RA Kaplan. Ernst sagte, er habe gewartet, Hartmann sei nicht gekommen, er, Ernst, habe erst beim Rausgehen gesehen, dass Hartmanns Auto da gewesen sei, er sei dann aber gefahren.

OStA Killmer fragte dann nach einem angeblichen Zahlendreher, den Ernst in einer der letzten Sitzung geltend machen wollte: Er sei nicht am 06.01.2016 sondern am 01.06.2016 so erzürnt über die Silvesternacht 2016 gewesen, dass er durch die Straßen gezogen sei und Wahlplakate heruntergerissen habe. Es folgt eine Diskussion zwischen Sagebiel und Killmer mit Ernst, erstere glaubten nicht, dass man im Juni noch erbost über Ereignisse zu Silvester sein könnte. Ernst gab an, er habe das Datum aus der Luft gegriffen. Killmer fragt nach Stanley Rö. Ernst bestätigte, ihn zu kennen, sie seien keine guten Freunde gewesen, sie seien zu einer Demonstration gefahren, er habe zum „Pressefest“ in Grimma eine Mitfahrgelegenheit gesucht, danach habe er ihn immer wieder getroffen, sie hätten dann sowas wie ‚Hallo, wie geht’s?‘ gesagt. Seit er aus der Szene „raus“ sei, habe er ihn nicht mehr gesehen.

In der Mittagspause überprüfte der Senat, wann im Jahr 2016 Wahlen gewesen sind und festgestellt, dass im März 2016 Kommunalwahlen waren, so dass das von Ernst angegebene Datum, 01.06.2016 keinen Sinn machte. Darüber hinaus war der Senat zu dem Ergebnis gekommen, dass das Bild der Wärmekamera in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 2019 entstanden sei. Über beides solle Ernst nachdenken, sagte der Vorsitzende Richter. Killmer setzte seine Befragung des Hauptangeklagten fort und fragte nach einem Schießtraining in Tschechien mit Hartmann. Ernst gab an, das Schießtraining von Combat18 kenne er nur aus der Presse. Er habe mit Hartmann, als dieser noch bei Hübner gewesen sei, einen Schießstand in Tschechien besucht. Das sei nicht der Grund für den Besuch in Tschechien gewesen. Hartmann habe die Vorstellung gehabt, dass er sich mit einem Paintballgeschäft selbstständig machen könnte. Dabei könne man ein legales Geschäft haben und im Hintergrund in den Räumlichkeiten Waffen lagern, denn diese würden beim Vergraben kaputtgehen. In Tschechien habe Hartmann auf Flohmärkten Kontakte wegen Waffen und Drogen knüpfen wollen, er habe Crystal Meth verkaufen wollen. Den Zusammenhang zwischen der Reise nach Tschechien und dem angedachten Paintballgeschäft erklärte Ernst auf Frage nicht, er wiederholte einfach seine Angaben. Sie hätten auf einem Campingplatz in der Nähe von Prag übernachtet, in einer Straße, in der viele Campingplätze gewesen seien.

Der Vertreter der Nebenklage von Ahmed I., Björn Elberling, sagte, sie dürften ja keine Fragen stellen, würden aber auch keine an den Senat weiterreichen, man werde mit Anträgen und Erklärungen arbeiten. Er wollte nur eines zum Aussteigerprogramm sagen. Der Eindruck, Ernst wollte reinen Tisch machen, werde zerstört, wenn er einen rassistischen Mordanschlag verberge. „Diese Tat wird ihm nachgewiesen werden.“

Danach stellte die Verteidigung von Hartmann Fragen an Ernst, die dieser nicht beantwortete, aber der Senat übernehmen könnte. RAin Nicole Schneiders sah Ernst dabei an und sprach ihn auch direkt an. Ernst antwortete nicht, Schneiders benannte dies als Teilschweigen, welches das Gericht bewerten könne. Sie fragte u.a. nach der NPD-Mitgliedschaft des Angeklagten und bezog sich auf die Aussage von Mike Sa., der angegeben habe, dass Ernst zwei bis drei Jahre NPD-Mitglied gewesen sei. Schneiders fragte in Bezug auf die Vernehmung von Alexander Sch., ob er und Hartmann sich in Chemnitz mit ihm getroffen hätten. Denn Sch. habe angegeben, sie hätten sich in Chemnitz und Erfurt getroffen. Schneiders sagte dann, sie gebe das Fragen auf, werde mit RA Clemens abstimmen, ob sie den Fragenkatalog an den Senat geben würden. RA Clemens stellte weitere Fragen für die Verteidigung Hartmann. Er fragte u.a., ob der Tatenentschluss für den Mord an Walter Lübcke nach dem erneuten Aufkommen von „Entrüstung im Internet“ gegen Walter Lübcke und den darauffolgenden Skandal – ausgelöst unter anderem durch Erika Steinbach – gefasst worden sei.

Zum Abschluss des Prozesstages wurde das STRG-F-Video „Exklusiv: Die Vernehmungen des Stephan Ernst“ vorgeführt. Richter Sagebiel sagte danach, dies sei „kein journalistischer Meilenstein“ gewesen. RA Kaplan gab danach eine Erklärung ab, in der er eine dienstliche Erklärung der BAW forderte, weil er in Recherchen herausgefunden habe, dass die Akten aus dem Prozess in Frankfurt von der BAW an die Verteidigung in einem anderen Verfahren versendet wurden. Der Prozesstag endete um 15:30 Uhr.

Der Bericht bei NSU-Watch Hessen