„Ganz wilde Theorien in alle Richtungen.“ – Der Prozess gegen Franco Albrecht – 3. Verhandlungstag, 28. Mai 2021

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Am dritten Prozesstag gegen Franco Albrecht bekannte dieser sich schuldig zu einem Teil des illegalen Waffenbesitzes und zum Betrug, sich fälschlicherweise als Asylbewerber ausgegeben zu haben. Im Anschluss folgten Angaben von ihm zu seiner Person und seinem Werdegang. Zuletzt wurden im Gerichtssaal einige Videos abgespielt, die Albrecht in seiner Tarnidentität als Geflüchteter aufnahm.

Eigentlich war für den dritten Verhandlungstag nur das Abspielen einiger Videos geplant, die Albrecht in seiner Tarnidentität als Geflüchteter aufnahm. Vor Gericht zählen in Deutschland nur Beweise, die auch vor Gericht geäußert werden. Daher müssen auch schriftlich festgehaltene Aussagen von Zeug*innen grundsätzlich vor Gericht wiederholt und Videos abgespielt werden. Albrecht und seine Verteidiger kündigten zu Beginn an, sich zu einem Teil der Anklagevorwürfe zu äußern und Angaben zur Person zu machen. In der vorherigen Sitzung hatten sie noch geäußert, dies nicht tun zu wollen. Doch hatte das Gericht äußerst missmutig darauf reagiert und angekündigt, damit stehe allen Beteiligten ein sehr langes Hauptverfahren bevor, da man eine Vielzahl an Zeug*innen laden müsse. Dass sich der angeklagte Albrecht nicht einmal zu seiner Person und jenen Anklagepunkten äußern wollte, die ihm relativ sicher nachgewiesen werden können, und somit einen zügigen Ablauf des Verfahrens erschwerte, missfiel dem Gericht sichtlich.

Das Missfallen der Richter*innen bewegte Albrecht und seine Verteidiger offenbar, eine Kehrtwende einzulegen: Zu Beginn der Sitzung bekannte sich Albrecht vollumfänglich schuldig zu den Anklagepunkten des illegalen Besitzes einer der Schusswaffen (der am Wiener Flughafen gefundenen Pistole des französischen Herstellers M.A.P.F.), den bei seinem Freund Mathias Fl. aufgefundenen über 1000 Schuss Munition und über 50 Sprengkörpern, sowie dem Betrug, sich als Asylbewerber ausgegeben und mit dieser Legende vom Staat Geld genommen zu haben, das ihm nicht zustand. Dem Vorwurf der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ widersprach Albrecht. Dazu, woher er die Waffen hatte, ob er Munition und Sprengkörper wie von der Staatsanwaltschaft angenommen zum Teil bei der Bundeswehr gestohlen habe und was mit den zwei anderen bislang vermissten Waffen ist, die er besessen haben soll, schwieg Albrecht. Der vorsitzende Richter Koller machte Albrecht nach dessen Teilgeständnis darauf aufmerksam, dass dieser sich mit seinen Anwälten absprechen müsse, ob er Nachfragen hierzu zu lasse. Es könne in Albrechts Interesse sein, eine Erklärung über die Herkunft von Waffe und Munition zu liefern, die ihm das Gericht auch glauben könne, so Koller.

Ausbildung und Militärischer Werdegang

Nach dem Teilgeständnis machte Albrecht Angaben zu seiner Person und seinem bisherigen Werdegang: Er sei 1989 in Offenbach geboren worden und habe einen zwei Jahre älteren Bruder, sein aus Italien stammender Vater habe die Familie verlassen als er zwei Jahre alt war, so Albrecht. Nach der Grundschule habe er die Schiller-Schule in Offenbach und anschließend das Max-Beckmann-Oberstufen-Gymnasium in Frankfurt besucht. Parallel habe er Sport im Ruderverein gemacht, zuletzt sei er 2008 bei den Hessenmeisterschaften angetreten.

Er habe sich für Politik zwar interessiert, sei aber nie in einer Partei Mitglied gewesen. Für einen Projekttag in der Schule habe er die CDU in Offenbach besucht, habe sich danach auch um ein Praktikum bei der CDU bemüht, daraus sei aber nichts geworden. Nachfragen zu anderen politischen Aktivitäten Albrechts, etwa seinem Vortrag beim „Preußischen Abend“ in München Ende 2016, einer Veranstaltung von extremen Rechten und HolocaustleugnerInnen, kamen vom Gericht nicht.

Am 01. August 2008 sei er zum Wehrdienst bei der Bundeswehr in die Kaserne in Idar-Oberstein eingezogen worden. Zu dessen Ende sei er sich bis zuletzt nicht sicher gewesen, ob er Zeitsoldat werden sollte, entschied sich schließlich aber dafür und ging im Januar 2009 zum Jägerbataillon in Schwarzenborn. Sechs Monate war er dort stationiert, bevor er zu Offiziersschule in Dresden ging. Seine Leistungen dort seien zwar nicht überragend gewesen, so Albrecht, dennoch wurde er dort ausgewählt zur deutsch-französischen Brigade in Saint-Cyr zu gehen, da Plätze frei waren und es für die Bundeswehr einen Gesichtsverlust bedeutet hätte, keine Soldat*innen zur deutsch-französischen Brigade zu übersenden. Somit wurde Albrecht trotz nicht-ausreichender Französisch-Kenntnisse im Oktober 2009 nach Fontainebleu kommandiert und leistete seinen Dienst in Saint-Cyr de Colle. Dort hatte er zwei Jahre lang mit anderen Offiziersschüler*innen eine rein akademische Ausbildung in einer „Classe de Preperatoire“ – einer Vorbereitungsklasse um auf eine „Grand Ecole“, eine angesehene französische Universität, gehen zu können. Danach wechselte er auf die eigentliche Militär-Hochschule Saint-Cyr. Dort erhielt er sowohl eine akademische als auch militärische Ausbildung, so Albrecht.

Über seine militärische Ausbildung berichtete Albrecht unter anderem über eine Dschungelkampflehrgang in Franzöisch-Guayana, Nahkampfausbildung und vertiefende Lehrgänge im Umgang mit unterschiedlichen Waffen, vergleichbar mit „Einzelkämpferlehrgängen“ der deutschen Bundeswehr, und das Lernen von Kommandoaktionen wie Hinterhalte zu planen. Auf Nachfrage vom Richter hierzu nannte Albrecht als Beispiel für einen solchen Hinterhalt, das Stoppen und Umzingeln eines Fahrzeugkonvois mithilfe von Straßensperren und Fallen um die Menschen im Konvoi an der Flucht zu hindern und möglichst effektiv angreifen zu können.

Während der Ausbildung in Saint-Cyr absolvierte Albrecht mehrere Aufenthalte an anderen Hochschulen: 2013 ging er als Austauschschüler an die Sciences-Po in Paris, dann für eine Summerschool an die Universität von Cambridge, danach für ein Semester an die Führungsakademie des britischen Heeres in Swindon, nahe Oxford. Dort verfasste er im zweiten Halbjahr 2013 seine Masterarbeit, so Albrecht.

In seiner Masterarbeit unter dem Titel „Politischer Wandel und Subversionsstrategien“ habe er etwas „besonders Tolles“ schreiben wollen, wo er „alle Steine umdrehe“, so Albrecht. Er sei auf den Begriff der „Subversion“ gestoßen und darauf, dass diese die „Ebene des Volkes“ angreife. Von rassistischem oder völkischem Denken sprach er sich selbst frei. Letzteres bedeute für ihn, dass Menschen nur auf die „Abstammung“ reduziert werden und so denke er nicht, so Albrecht. Allerdings betonte er mehrfach, dass es seiner Ansicht nach durchaus „naturgegebene Unterschiede“ aufgrund der „Abstammung“ der Menschen gebe. Trotz des in seiner Arbeit offenkundigen Rassismus und Antisemitismus durfte Albrecht auf seine Bitte hin 2014 eine neue Masterarbeit zum Thema „Gerechtigkeit und Krieg“ abgeben, die akzeptiert wurde. Auf die Nachfrage des Richters, ob er mal extremer gedacht habe, nannte Albrecht seine erste Masterarbeit einen „Entwicklungsschritt“. Er sei allerdings kein Nationalist oder Rechtsextremer gewesen und sei dies auch heute nicht. Nachfragen zu Berichten des Bayrischen Rundfunks über Vorträge von Albrecht auf eindeutig extrem rechten Veranstaltungen versäumte das Gericht auch an dieser Stelle.

Nach seinem Abschluss in Saint-Cyr 2014 ging er nach Dresden zum zweiten Teil des Offizierslehrgangs. Ende 2014 begann er einen Einzelkämpferlehrgang im unterfränkischen Hammelburg. Dort vertiefte er seine Kampfausbildung nahm an Lehrgängen zu Schießen und Panzerabwehrwaffen und Nahkampf teil. Nach Abschluss seiner Ausbildung ging er zum Jägerbataillon 291 der deutsch-französischen Brigade in Illkirch. Dort war er erstmals auch mit Führungsaufgaben betraut etwa bei einem Übungslehrgang in Poynesien, so Albrecht. Bis heute ist er Soldat der Bundeswehr im Rang eines Oberleutnants und bekommt weiterhin fünfzig Prozent seines Solds, auch wenn er die Uniform nicht tragen und den Dienst nicht ausüben dürfe und sich jeden Tag telefonisch bei der Bundeswehr melden müsse.

Während dieser Ausführungen schien Albrecht die Aufmerksamkeit auf sein Leben sichtbar zu genießen und mitunter zu vergessen, dass er als Angeklagter in einem Gerichtsprozess sprach. Seine Anwälte schoben ihm immer wieder Zettel mit Anmerkungen zu und unterbrachen ihn vereinzelt, um sich mit ihm abzusprechen. Gerne ging Albrecht auf die Fragen vom Vorsitzenden Richter Koller zu seinen Leistungen bei Abschlüssen ein und erklärte den anwesenden militärischen Laien militärische Fachbegriffe. Einmal kündigte er an, zu einer Nachfrage des Gerichts später zu „referieren“ – ganz so, als ob er wieder einen politischen Vortrag halte und nicht als Angeklagter von einem Richter befragt wird.

Hausbesuche bei Verschwörungsideologen

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters zu seinen Interessen nannte Albrecht, dass er „den Dingen auf den Grund“ gehe. Hierzu setze er sich mit Themen auseinander, lese Bücher und befrage Leute, so Albrecht. Auf Nachfrage des Richters, wen er denn befrage, nannte Albrecht als erstes den Autor Eckhart Tolle, der esoterische Selbsthilfebücher über „Spiritualität“ schreibt. Albrecht gab an, auch auf einem Vortrag von ihm gewesen zu sein. Daneben berichtete er von Besuchen bei einem „Völkerkundler aus dem Schwarzwald“, dessen Namen er nicht nennen wollte, wozu es vom Gericht auch keine kritischen Nachfragen gab. Diesen habe er dreimal unangekündigt aufgesucht, das erste mal nicht erfolgreich, die nächsten Male sei er mit ihm ins Gespräch gekommen. Albrecht begründete seine unangekündigten Besuche bei zum Teil im Ausland lebenden Personen, dass man ansonsten bereits beim Versuch, einen Termin auszumachen, abgewiesen werde. Der Richter Koller kommentierte dies mit den Worten: „Hat etwas von Stalking“.

Als dritten Autor, den er aufsuchte, nannte Albrecht den auf der britischen Insel Isle of Wight lebenden David Icke. Dieser habe „ganz wilde Theorien in alle Richtungen“, so Albrecht. David Icke ist eine Ikone von Antisemit*innen und Verschwörungsideolog*innen. Er gilt als Erfinder der Verschwörungsideologie von „Echsenmenschen“ – reptiloiden Wesen, die in menschenähnlicher Gestalt die Welt beherrschen sollen. Die auf den ersten Blick wirre Verschwörungsideologie von Echsenmenschen gilt gemeinhin als durch und durch antisemitisch, da sie antisemitische Verschwörungsideologien reproduziert und dabei die Begriffe Juden*Jüdinnen durch absurde Vorstellungen von „Echsenmenschen“ ersetze. In Australien und Deutschland wurden mehrfach Veranstaltungen von Icke abgesagt mit der Begründung, dieser leugne den Holocaust. Albrecht gibt an, er habe mehrfach den mühsamen Weg auf die Isle of Wight auf sich genommen um mit Icke zu sprechen. Ob erfolgreich, ließ er im Unklaren. Die Besuche auf der britischen Kanalinsel verknüpfte er mit Besuchen bei seinem in Großbritannien lebenden Bruder, so Albrecht.

Nach der U-Haft

Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft Ende November 2017 sei er bei seiner Mutter in Offenbach eingezogen, seine Wohnung in Straßburg sei während seiner Haft aufgelöst worden. Im gleichen Haus habe er eine leerstehende Wohnung renoviert in der er mit seiner Partnerin Sophia Ti., der Schwester des zeitweise von der Bundesanwaltschaft mitbeschuldigten Bundeswehrsoldaten Maximilian Ti., wohne. Nach seiner Entlassung aus der U-Haft hätten zu Beginn noch Meldeauflagen und Kontaktbeschränkungen bestanden. Gegen diese habe er vor Gericht geklagt, woraufhin die Polizei diese zurück gezogen hätte.

Der Vorsitzende Richter Koller erwähnte, dass Albrecht mehrmals nach seiner Haftentlassung aufgefallen sei. Konkret fragte er nach dem Besuch von Albrecht bei Tag der offenen Tür im Bundestag. Albrecht entgegnete, er sei dort nur als „interessierter Staatsbürger“ gewesen vor oder nach einem Familienbesuch unweit von Berlin und beschrieb, wie er dort aufgefallen und von der Bundestagspolizei beobachtet worden sei. Weitere Fragen zu Albrechts anderen Besuchen, unter anderem bei den GRÜNEN in Offenbach und beim Prozess gegen seinen Freund Mathias Fl., der Munition und Sprengstoff für ihn versteckte, blieben von Seiten des Gerichts aus.

Fragen der Bundesanwaltschaft wollten Albrecht und seine Verteidiger nicht beantworten. Als der Richter jedoch eine Frage zu seinen Sprachfähigkeiten stellvertretend stellte, antworte Albrecht, dass er in Saint-Cyr grundlegendes Syro-Libanesisch gelernt habe. Die Bundesanwaltschaft nutzte ihre Möglichkeit, Albrecht stellvertretend durch das Gericht zu befragen, jedoch nicht weitgehend aus und beließ es bei dieser und einer weiteren Frage dazu, wie lange er für seine Masterarbeit gebraucht hatte.

Videos aus Geflüchtetenunterkunft

Nach Albrechts Einlassungen über sein Leben und den Nachfragen es Richters wurden die eigentlich für diese Sitzung geplanten Videos abgespielt. Insgesamt wurden elf Videos gezeigt, die Albrecht mit seinem Smartphone als Geflüchteter getarnt aufgenommen hatte, bis auf eines sind sie nur wenige Sekunden lang. Zwei Videos zeigen eine Unterkunft für Geflüchtete mit mehreren Stockbetten in einem großen Zelt, mit Aufstellwänden sind einzelne „Zimmer“ voneinander abgetrennt; zwei Videos zeigen das Essen in Unterkünften; mehrere Videos zeigen geflüchtete Menschen in Alltagssituationen, etwa in der Erstaufnahme oder beim Warten auf den medizinischen Check; andere Videos waren der Versuch, ein Foto aufzunehmen, wobei er versehentlich ein Video aufgenommen hätte, so Albrecht, der sich zu jedem der gezeigten Videos äußerte.

In dem einzigen längeren Video nahm Albrecht sich selbst für ca. fünf Minuten auf. In dem Video, in dem er durchgehend auf Deutsch sprach, erzählte er, wie er nachdem er sich in der Gießener Erstaufnahmerichtung gemeldet hatte für ihn überraschend nicht in eine Unterkunft in Hessen sondern nach Bayern gebracht wurde, wie er sich dort eingesperrt fühlte wie im „Hochsicherheitstrakt“ und wie er plane, am nächsten Tag wieder zu flüchten. Auch erwähnte er, dass seine Fingerabdrücke nun gespeichert und seinem Gesicht zugeordnet seien und wie er an seine Familie denke. Auf Nachfrage des Richters, warum er das Video aufgenommen habe begründete Albrecht dies mit dem „Versuch des Erkenntnisgewinns“. Zwar habe er das Video auch prophylaktisch aufgenommen, da es eine Option gewesen sei, alles „nach außen zu tragen“, erstes Ziel sei aber „Erkenntnisgewinn“ gewesen.

Danach endete die Sitzung.

Der Bericht zum 3. Prozesstag bei NSU-Watch Hessen