Prozess zum rassistischen Brandanschlag von Saarlouis 1991 und zum Mord an Samuel Kofi Yeboah – laufend ergänzt

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Der 4. Strafsenat (Staatsschutz) am Oberlandesgericht Koblenz (OLG Koblenz) hat am 16.11.2022 den Prozess gegen Peter Schlappal (heute: Peter S.) eröffnet. Der Generalbundesanwalt (GBA) klagt ihn des Mordes an Samuel Kofi Yeboah, des versuchten Mordes an 20 Menschen und der Brandstiftung mit Todesfolge an – über 30 Jahre nach dem Brandanschlag auf die Unterkunft für Geflüchtete im vormaligen Hotel „Weißes Rößl“ in Saarlouis Fraulautern.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in der Nacht auf den 19. September 1991 im Treppenhaus des „Weißen Rößl“ mithilfe von Benzin einen Brand gelegt zu haben. Im Haus hielten sich zu der Zeit 21 Personen auf. Den meisten gelang es, das Gebäude äußerlich unverletzt zu verlassen. Zwei Personen konnten durch den Sprung aus einem Fenster entkommen, verletzten sich dabei aber erheblich. Im Dachgeschoss des Hauses konnte sich Samuel Kofi Yeboah nicht retten, er starb in der Nacht an den Brand- und Rauchgasverletzungen.

Über 31 Jahre später wird sich die Anklage des GBA im Wesentlichen wohl auf Zeug*innen-Aussagen zu geständnsigleichen Äußerungen des Angeklagten stützen müssen. Die seinerzeit bald eingestellten Ermittlungen wurden 2020 wieder aufgenommen. Die Bundesanwaltschaft übernahm das Verfahren. Die Bundesanwält*innen folgten in den neuen Ermittlungen insbesondere dem Hinweis einer Zeugin, der gegenüber Peter Schlappal mit der Tat geprahlt haben soll. Der Beschuldigte wurde im April 2022 in Haft genommen.

1. Verhandlungstag, 16. November 2022 – Prozess zum rassistischen Brandanschlag von Saarlouis 1991 und zum Mord an Samuel Kofi Yeboah – Verlesung der Anklage

Mit dem ersten Hauptverhandlungstag am Oberlandesgericht Koblenz (im Saarland gibt es keinen eigenen OLG-Staatsschutzsenat, darum die Prozesseröffnung in Koblenz) begann am 16. November 2022 nun der Prozess – 31 Jahre nach dem rassistischen Brandanschlag vom 19.09.1991. Drei Betroffene sind Nebenkläger*innen im Verfahren. Sie haben sich der Anklage des GBA angeschlossen.

Der erste Verhandlungstag

Bereits in seiner Pressemitteilung vom 16. September 2022 kündigte das OLG Koblenz bis zum Jahresende neun Hauptverhandlungstermine an. Mit vielen weiteren Prozessterminen ist zu rechnen. Die Strafkammer wird sehr gründlich arbeiten müssen, insbesondere nach so vielen Jahren, die seit dem Brandanschlag vergangen sind. Der erste Prozesstag, den der Vorsitzende Richter am OLG, Dr. Konrad Leitges, am 16. November 2022 beinahe pünktlich um 9:40 Uhr eröffnete, war allerdings denkbar kurz. Nur 30 Minuten sollten der Kammer an diesem Morgen bereits genügen, um ihr Programm für den ersten Hauptverhandlungstag abzuschließen. Der GBA, vertreten durch Dr. Malte Merz und Sophie Gößl, verlas die Anklageschrift. Auf sie reagierte die Verteidigung (die Rechtsanwälte Guido Britz und Kai-Daniel Weil) mit einer ersten Stellungnahme und kündigte an, dass sich der Angeklagte vor Gericht einlassen werde. Um 10:10 Uhr beendete Leitges die Sitzung.

So kurz der Prozesstag auch war, hinterlässt er doch den Eindruck, dass nicht nur die Erhebung der Indizienbeweise sondern auch die Beweisbewertung durchaus kompliziert werden könnten. In der von Sophie Gößl verlesenen Anklageschrift betonen die Sitzungsvertreter*innen des Generalbundesanwalts, dass die Mordmerkmale der „niedrigen Beweggründe“ im Sinne eines Rechtsbegriffs entscheidend seien: Sie gehen davon aus, dass Peter S. den Brandanschlag aus „rechtsextremistischer“ und „rassistischer Gesinnung“ begangen habe. Die „Pogromstimmung“ rechter und rassistischer Gewalt der frühen 1990er Jahre, konkret: die rassistischen Angriffe auf ein Wohnheim für Vertragsarbeiter*innen und eine Unterkunft für Geflüchtete in Hoyerswerda (17. bis 23. September 1991) hätten einen großen Einfluss auf die Tatausübung gehabt. Der Brandanschlag sei entsprechend als ideologisch motivierte Mordtat zu werten. Nicht zuletzt habe sich der Tatverdächtige noch am Tatabend gegenüber „Gesinnungsgenossen“ entsprechend geäußert, so die Generalbundesanwaltschaft, die Peter S. als Alleintäter angeklagt hat.

In ihrer Stellungnahme griff die Verteidigung diese Einordnung der Ankläger*innen an. Verteidiger Guido Britz formulierte, dass die Anklageschrift nach seiner Rechtsauffassung die „funktionalen Grenzen“ einer ständigen Rechtssprechung verlasse. Die Anklageschrift fuße aus seiner Sicht auf einem „unzulässigen Gesinnungsstrafrecht“, das Beweise für eine Tatbeteiligung seines Mandanten suche, und zwar so, dass sie zu einer bestimmten, von der GBA angenommenen Motivlage passten. Unstrittig sei für ihn, so Britz, dass Peter Schlappal seinerzeit extrem rechter Gesinnung gewesen sei. Seit langem habe sein Mandant sich allerdings distanziert.

Zur Prozessbeobachtung – eine Einschätzung zum Prozessbeginn

Eine kritische Prozessbeobachtung ist beim Prozess in Koblenz aus vielen Gründen wichtig. Denn wir sehen, dass sich die Anklage gegen eine einzelne Person als Alleintäter richtet. Zugleich betont die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift das politische, rassistische Tatmotiv. Der neonazistische Hintergrund des Angeklagten und seine konkrete Einbettung in die extrem rechte Szene im Saarland der 1990er Jahre – und darüber hinaus, mit besten Kontakten und Einbindung in bundesweite Neonazistrukturen wie u.a. der Nationalistischen Front (NF) – müssen im Verfahren eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund wird zu prüfen sein, ob die Anklage gegen Peter S. sich  nicht auch auf weitere Tatverdächtige erstrecken muss.

Zugleich wird sich die Beweisführung über 30 Jahre nach der Tat aber im Wesentlichen auf Indizien stützen müssen, hier wohl in erster Linie auf Aussagen von Zeug*innen.

So ergeben sich für uns weitere drängende Fragen: Welche Rolle wird die politische Biographie des Angeklagten im Gerichtsverfahren spielen? Welche Untersützungsleistungen aus seinem Umfeld werden thematisiert? Wie werden sie bewertet?

Welche Perspektiven eröffnet der Prozess außerdem auf die Ermittlungsarbeit – auf jene vor 30 Jahren und auf die wiederaufgenommenen Ermittlungen der jüngeren Zeit? Welchen Raum nahmen 1991 etwaige Ermittlungen zu einem rassistischen Tatmotiv ein? Wurde die extrem rechte Szene im Saarland in den Blick genommen? Warum wurden die Betroffenen nicht nach ihren Beobachtungen gefragt?

Viele der Überlebenden des rassistischen Brandanschlags von Saarlouis 1991 werden nicht aktiv am Prozess teilnehmen können. Sie fehlen als Zeug*innen ihrer Geschichte, können ihr Recht auf Nebenklage in einem Strafprozess nicht wahrnehmen. Bis heute fehlt ein Bleiberecht für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt. Betroffene sind darum oft nicht mehr vor Ort, wurden abgeschoben oder mussten ausreisen. Erst recht, wenn Ermittlungen erst 30 Jahre nach einem Angriff zu einer Anklage führen.

Den Überlebenden des rassistischen Brandanschlags von Saarlouis von 1991 wünschen wir Kraft für die kommenden Wochen. Wir gedenken Samuel Kofi Yeboahs.

NSU-Watch wird den Prozess besuchen, kritisch begleiten und regelmäßig berichten.

Zu weiteren Prozessterminen

Der Prozess wird am Montag, den 28.11.2022 fortgesetzt. Für diesen Hauptverhandlungstermin kündigte Verteidiger Guido Britz eine Einlassung seines Mandanten an.

Inzwischen sind weitere 18 Prozesstage terminiert, bis in den Februar 2023 hinein. Die Prozesstermine sind jeweils für montags und dienstags angesetzt. Die Verhandlungstage beginnen dann vermutlich immer um 09:30 Uhr.

Dienstag, 29.11.2022
Montag, 05.12.2022
Montag, 12.12.2022
Dienstag, 13.12.2022
Montag, 19.12.2022
Dienstag, 20.12.2022

Weitere Termine sind ab dem 09.01.2023 angekündigt, jeweils montags und dienstags, bislang bis einschließlich Dienstag, den 14.02.2023.