„Für die Familie ist es schwer erträglich, dass der der Fall nicht aufgeklärt wird.“ – 28. Sitzung des Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex (12. April 2024)

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In der 28. Sitzung des „1. Untersuchungsausschusses (Neukölln II)“ ging es zum ersten Mal ausführlich um den Mord an Burak Bektaş am 5. April 2012. Gehört wurden der Mordermittler Alexander Hübner, der lange Jahre die Ermittlungen auf polizeilicher Seite leitete, der zuständige Staatsanwalt Dieter Horstmann und der Anwalt der Familie Bektaş, Lukas Theune.

Hintergrund

In der Nacht des 5. April 2012 wurde der 22-jährige Burak Bektaş auf der Straße vor dem Klinikum Neukölln erschossen. Burak unterhielt sich dort mit vier Freunden und Bekannten. Die Gruppe war zufällig zusammengetroffen – an einem Ort, von dem zuvor niemand der Fünf wusste, dass sie dort stehen bleiben würden. Ein Mann trat hinzu, zog wortlos und unvermittelt eine Waffe und schoss. Burak Bektaş starb im Krankenhaus an den Folgen der Schussverletzungen, seine Freunde Jamal und Alex wurden schwer verletzt. Die folgenden Ermittlungen der Polizei hatten keinen Erfolg, der Täter ist bis heute unbekannt. Ein rassistisches Motiv für die Tat – begangen ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU – ist sehr wahrscheinlich.

In der Nacht auf den 20. September 2015 wurde vor einer Bar in der Neuköllner Ringbahnstraße der 31-jährige Luke Holland ermordet. Der Täter, Rolf Z., wurde im folgenden Prozess (Dokumentation des Prozesses durch die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş, externer Link) zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren und 7 Monaten verurteilt. Ein politisches Motiv wollte das Gericht nicht erkennen, auch wenn vieles darauf hindeutet: „Rolf Z. hatte sich in der Bar abfällig gegenüber Schwulen geäußert und beklagt, dass sich seine alte Stammkneipe stark verändert habe und dort kaum noch deutsch gesprochen werde. Zeug*innen aus seinem persönlichen Umfeld hatten zudem im Prozess ausgesagt, Z. habe sich mehrfach rassistisch geäußert und Sympathien für die NPD bekundet. In seiner Wohnung hatte er darüber hinaus Schusswaffen, Munition und Schwarzpulver sowie Nazi-Devotionalien gehortet.“ (Quelle: Berlin rechtsaußen; externer Link) Rolf Z. tauchte bereits im Jahr 2013, also zwei Jahre vor dem Mord an Luke Holland, in den Ermittlungsakten zum Mord an Burak Bektaş auf: „Ein Hinweisgeber hatte Ende 2013 Rolf Z. als möglichen Täter benannt und ausgesagt, dass Z. ihm bereits 2006 eine scharfe Waffe gezeigt und nach Munition gefragt habe. Außerdem habe sich Z. von ihm in die Nähe des Tatorts fahren lassen, um sich dort mit seinem Bruder ‚zum Rumballern‘ zu treffen.“ (Berlin rechtsaußen)

Seit Jahren kämpft die Familie Bektaş juristisch und politisch um Aufklärung und setzt sich für ein würdiges Gedenken an Burak ein. Mittlerweile gibt es eine Gedenkort an der Rudower Straße, Ecke Möwenweg. Dort gibt es eine Gedenktafel und eine Stele mit dem Titel „Algorithmus für Burak und ähnliche Fälle“. Der Gedenkort wurde bereits mehrfach von Neonazis geschändet.

An der Seite der Familie steht die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş (externer Link). In ihrer Selbstdarstellung schreibt die Initiative: „Der Ausgangspunkt unserer Initiative war auch eine Selbstreflexion antifaschistischer und antirassistischer Politik: Nach der Aufdeckung der NSU-Morde setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich Strategien im Hinblick auf Solidarisierung und dem Verhältnis gegenüber staatlichen Behörden verändern müssen. Doch dazu ist eine Überwindung der rassistischen Spaltung innerhalb der Linken und in der Nachbarschaft eine Voraussetzung. Nach den NSU-Morden haben wir gelernt: Es reicht das Schweigen und die Ignoranz der Mehrheit, während die Minderheit bedroht und angegriffen wird. Diese Strategie darf nicht aufgehen!“

Buraks Mutter, Melek Bektaş, sprach am 11. März 2024 bei einer Pressekonferenz des Solidaritäts-Netzwerks von Angehörigen, Betroffenen und Überlebenden rechter, rassistischer, antisemitischer Morde und Gewalt. Anlass der Pressekonferenz war die Veranstaltung der Bundesregierung zum nationalen „Gedenktag für die Opfer von terroristischer Gewalt“ am gleichen Tag, zu der unter anderen Melek Bektaş nicht eingeladen wurde. Sie sagte: „Ich will von den verantwortlichen Behörden den Mörder meines Sohnes. Das ist das Einzige, was ich zu sagen habe.“ Und sie forderte: „Wer gedenken will, soll aufklären!“ (Pressemitteilung des Solidaritäts-Netzwerks)

Melek Bektaş nahm als Zuhörerin an der 28. Sitzung des Neukölln-Untersuchungsausschusses teil. Diese Sitzung widmete sich ausschließlich dem Mord an Burak.

Zu Beginn drückt der Ausschussvorsitzende Vasili Franco (Grüne) Melek Bektaş sein Mitgefühl aus. Er dankt der Familie und den anwesenden Vertreter*innen von Initiativen für das Engagement und verspricht, dass der Untersuchungsausschuss sein Möglichstes [unsicher]  tun werde, um die Tat so weit wie möglich aufklären.

Karsten Woldeit, AfD-Abgeordneter im Ausschuss, ist bei der Sitzung wieder einmal nicht anwesend.

Die Aussagen der Zeugen werden im Folgenden nach bestem Wissen und Gewissen sinngemäß und zusammenfassend wiedergegeben.

Zeuge Alexander Hübner

Alexander Hübner war Erster Sachbearbeiter, also stellvertretender Kommissariatsleiter, in der 6. Mordkommission des für Tötungsdelikte zuständigen LKA-Dezernats 11. In Berlin gibt es im Unterschied zu anderen Bundesländern dauerhafte Mordkommissionen. Bei Tötungsdelikten in der ganzen Stadt übernimmt jeweils die Mordkommission die Ermittlungen, die zum entsprechenden Zeitpunkt Bereitschaft hat. Alexander Hübner übernahm die Ermittlungen zum Mord an Burak Bektaş und zu den Mordversuchen an dessen Freunden. Hübner ging später zum Polizeilichen Staatsschutz im LKA und übernahm die Leitung des Kommissariats 533. In seine dortige Zuständigkeit fielen die fast 400 von einem Sachbearbeiter liegengelassenen Vorgänge zu rechten Taten. In seinen einleitenden Bemerkungen wies Hübner darauf hin, dass alle Verfahren, die für den Untersuchungsausschuss relevant seien, im Kommissariat 532 bearbeitet worden seien. Zudem seien das Ermittlungs- und das Disziplinarverfahren gegen ihn noch nicht abgeschlossen. Deshalb bitte er darum, dass keine Fragen zu diesem Thema gestellt werden, er beantworte aber gerne Fragen zum Mord an Burak Bektaş.

Er werde, so Hübner, den 5. April 2012 nie vergessen. Er erinnere sich an den Anruf, dass es gegenüber dem Krankenhaus Neukölln mehrere Schüsse gegeben habe, dass es mehrere Verletzte gebe, aber auch bereits eine Festnahme. Als er am Tatort eingetroffen sei, sei die Lage bereits dramatisch schlechter gewesen: Burak war tot und zwei seiner Bekannten sehr schwer verletzt. Der Festgenommene habe ein Alibi gehabt. Es habe viele Vernehmungen und Ermittlungen gegeben: „Ich möchte deutlich sagen: Es tut mir leid, dass es mir nicht gelungen ist, den Täter zu ermitteln.“ Ihm sei klar geworden, dass das Schlimmste, was ihm passiert ist, gewesen sei, dass seine Tochter mal eine halbe Stunde auf dem Wochenmarkt verschwunden war, und das sei kein Vergleich.

In den folgenden Tagen hätten sie die notwendigen und möglichen Schritte geleistet, nach der „Teamphase“ habe er die Verantwortung behalten und es sei bis zum September 2019, als er das LKA 11 verließ, sein Fall geblieben. Hübner sagt, es spiele für das Engagement der Mitarbeitenden der Mordkommission keine Rolle, wer das Opfer ist, wo es herkommt, welche Familiengeschichte, Geschlecht, Alter oder angenommenen sozialen Status es habe. Einsatz und Ernsthaftigkeit sei in allen Fällen gleich. Er wolle deutlich sagen, dass keiner der Mitarbeitenden der 6. Mordkommission eine rassistische Einstellung habe.

Auf Frage des Ausschussvorsitzenden Franco, ab wann er ein politisches Motiv in Betracht gezogen habe, sagt Hübner, dass LKA-Chef Steiof ihn angerufen habe. Steiof habe ihn darauf hingewiesen, dass es in Neukölln eine rechte Szene gibt und sie das bedenken sollten. Er habe mit Steiof vereinbart, dass er einen festen Ansprechpartner in LKA 532 habe, den dortigen Kommissariatsleiter W. Der Ausschussvorsitzende fragt: „Wenn ein politisches Motiv im Raum steht, kommt es dann nicht doch darauf an, wer der Geschädigte ist?“ Hübner antwortet, dass sie sich dann den Sachverstand und die Kenntnisse der Fachabteilung, also aus dem Staatsschutz, holen würden. Man habe in der Folge des 5. April vereinbart, dass der Kommissariatsleiter W. in seinem Bereich guckt, ob es Informationen gibt, die für die Mordermittlungen hilfreich sein könnten. Es habe etwas gedauert, bis man von den Zeugen ein ungefähres Bild des Täters hatte. Das habe man dann auch dem Staatsschutz zur Verfügung gestellt. Er erinnere sich an eine Liste, die ihnen vom Staatsschutz geschickt worden sei, er erinnere sich aber nicht mehr genau, wann.

Nach einer kurzen Diskussion zwischen Franco und Rechtsanwältin Bertheau, die auch heute als Zeugenbeistand im Ausschuss tätig ist, um die Zulässigkeit von Fragen zu Akteninhalten im öffentlichen Teil des Ausschusses, geht es in die Fragerunden der Fraktionen.

Auf Frage des CDU-Abgeordneten Stephan Standfuß, welche Anhaltspunkte es dafür gab, dass es sich bei dem Mord um eine rassistisch oder politisch motivierte Straftat handelt, verweist Hübner auf die Tatsache, dass die fünf Betroffenen eine Familiengeschichte haben, die nicht nur in Deutschland spielt. Das sei Anlass genug, solch eine Motivation anzunehmen. Darüber hinaus hätten sie keine Anhaltspunkte. Der Täter habe nichts gesagt, es habe keine Interaktion gegeben, bevor er geschossen hat: „Ich habe keinen Hinweis auf seine tatsächliche Motivation.“ Bei einem Abgleich mit einer Datenbank für Tötungsdelikte habe es keine vergleichbaren Fälle gegeben. Standfuß fragt, ob Hübner die Tat schon vor dem Anruf von Steiof als möglicherweise rassistisch motiviert eingeordnet habe. Hübner antwortet, es sei ihm, auch wenn er bis dahin nicht im Staatsschutz oder im Bereich PMK [Politisch Motivierte Kriminalität] gearbeitet habe, bewusst gewesen, dass es rechte Straftaten gibt. Und ihm und auch vielen Mitarbeitenden anderer Dienststellen sei damals bewusst gewesen, dass es in Neukölln eine rechte Szene gibt. Sie hätten nicht auf einen Anruf des LKA-Leiters gewartet, sondern es liege irgendwie auf der Hand, dass das eine Möglichkeit ist, dass der Täter ein rassistisches Motiv hat. Standfuß sagt, der Täter könne ja auch ein „Irrer“ gewesen sei und fragt, ob man auch in alle anderen Richtungen weiter ermittelt habe oder das dann in eine bestimmte Richtung „kanalisiert“ werde. Das verneint der Zeuge und ergänzt: „Gleichwohl ist es eine Motivlage, die nahe liegt, oder, man könnte sagen, zwingend ist.“ Er könne es nicht sicher sagen, man könne die Motivlage erst belastbar feststellen, wenn der Täter sagt, warum er es getan hat. Sie hätten in alle Richtungen ermittelt. Normalerweise gebe es vor der Tat eine Interaktion, wo man ansetzen könne, hier nicht. Als Hauptgründe für die fehlenden Ermittlungserfolge nennt Hübner im Folgenden das sehr kurze Täterverhalten und die Tatsache, dass der Täter außer den Projektilen keine Spuren hinterlassen habe, die man hätte auswerten können. Funkzellenabfragen habe es gegeben, bejaht Hübner, da sei aber nicht gleich der Täter erkennbar. Das sei eine Möglichkeit, „Leute rein oder raus zu ermitteln“ oder man habe andersherum, wenn man bereits jemanden identifiziert habe, einen Beweis. Die Tatortarbeit sei korrekt gelaufen, so Hübner, und Personalprobleme habe es bei den Ermittlungen nicht gegeben.

Grünen-Abgeordneter André Schulze fragt, ob die Tatsache, dass Hübner die rechtsextreme Szene in Neukölln bekannt gewesen sei, dazu geführt habe, dass diese Personen überprüft wurden. Hübner geht auf die bereits erwähnte Liste des Staatsschutzes ein und sagt, dass sie zwei Personen genauer überprüft hätten, weil sie in dem Bereich wohnhaft waren und vom Alter her der Täterbeschreibung entsprechen. Schulze hakt zu den Kriterien, wer überprüft wurde, nach und verweist auf eine Veranstaltung mit Besuchern aus dem rechtsextremistischen Milieu am Abend vorher. Hübner wiederholt, dass ein Kriterium das Alter gewesen sei, ein anderes die Tatortnähe: „Wobei ich nicht genau sagen kann, wie weit wir gegangen sind.“ Die Veranstaltung, die Schulze genannt hat, sei ihm nicht präsent, ihm sei eine Veranstaltung am Bat-Yam-Platz bekannt, bei der bekannte Rechte aufgetaucht seien, aber die seien deutlich jünger gewesen. Auf Nachfrage sagt Hübner, die Zeugen hätten sich natürlich nicht eindeutig geäußert, aber es sei klar gewesen, dass der Täter ein älterer Mann gewesen sei; sie hätten ein Alter von 40 bis 60 Jahren veröffentlicht, glaube er. Schulze weist darauf hin, dass sich ein halbes Jahr vor der Tat der NSU selbst enttarnte, und fragt, ob das bei den Ermittlungen eine Rolle gespielt habe. Er könne es im öffentlichen Teil vielleicht allgemein sagen, so Hübner: Sie hätten mit dem BKA Kontakt gehabt, um gewisse Informationen abzugleichen. Zu Sicherungs- und Suchmaßnahmen im Umfeld des Tatortes in der Tatnacht sagt Hübner, es seien viele Polizeikräfte in dem Bereich gewesen, sowohl Funkwagen als auch geschlossene Einheiten. Man schicke die Leute dann los, um zu gucken, ob sie was finden. Die Zielrichtung sei aber eher nicht der Täter, weil der wahrscheinlich schon weg sei, sondern zum Beispiel die Tatwaffe. Im Folgenden erläutert Hübner den üblichen Ablauf bei einer solchen Tat: Zuerst kämen nach einem 110-Anruf „die Kollegen aus dem Abschnitt“, die je nach Lage Unterstützungskräfte anforderten. Wenn geschossen wurde, werde der Kriminaldauerdienst der örtlichen Direktion gerufen, der dann wiederum die Bereitschaft habende Mordkommission beim LKA anrufe. Er selber sei, glaube er, um 3 Uhr da gewesen, aber das stehe in den Akten.

Schulze verweist darauf, dass es laut einem Zeitungsartikel zu Datenverlusten bei Funkzellenabfragen gekommen sei, weil später erst zugegriffen wurde. Hübner: „Ich fände es gut, wenn ich keine Zeitungsartikel kommentieren müsste. Ist nicht meine Wahrnehmung.“ Schulze: „Es
geht darum, ob das zutrifft.“ Hübner sagt, aus seiner Sicht habe es in dem Bereich keine Verzögerung gegeben. Schulze fragt, ob es bei der Sicherung von Videoaufzeichnungen etwa der Verkehrsbetriebe oder von Tankstellen Verzögerungen gegeben habe. Er wisse, so Hübner, dass „sehr engagierte Beamte der 6. Mordkommission“ da immer wieder hingefahren seien und bei Tankstellen, bei Nachbarn nachgefragt hätten, ob es Kameraaufnahmen gibt. Er schließe aus, dass es dadurch zu einem Datenverlust gekommen ist. Auf Frage, wie schnell er ein Motiv im persönlichen Umfeld ausgeschlossen habe, verweist Hübner auf die zufällig Zusammensetzung der Gruppe, die vorher noch nie zusammen unterwegs gewesen sei. Und er verweist auf die Zufälligkeit, dass sie genau dort stehengeblieben sind, wo sich normalerweise niemand länger aufhalte. Dann hätten sie sich mit einer Ex-Freundin von Burak unterhalten, bei dessen Arbeitsstelle nachgefragt, auch im Polizeicomputer nachgeguckt. Das habe alles nicht weitergeholfen. Schulze sagt, es habe ja rund um die Tat eine Reihe von Drohschreiben aus dem Reichsbürgerspektrum gegeben, wo mit der Erschießung von „Ausländern“ gedroht worden sei: „Wie ist das in die Ermittlungen eingeflossen?“ Hübner sagt, er habe eine vage Erinnerung; wenn es in der Akte stehe, könne er es vielleicht im nicht-öffentlichen Teil sagen.

Wiebke Neumann, Abgeordnete der SPD, fragt zum Verfahren der Listenverkleinerung bei den Funkzellenabfragen und dem Vergleich mit der Liste der Rechtsextremisten. Es gebe kein standardisiertes Verfahren, so Hübner. Die meisten Teilnehmenden auf so einer Liste seien wohl Bewohner*innen, die man aber ja auch nicht ausschließen könne, weil eine Arbeitshypothese gewesen sei, dass der Täter einen Bezug zu dem Bereich hat, „weil er schwupp weg war“. Die beiden Personen auf der Liste der Rechtsextremisten seien auch mit den Funkzellendaten abgeglichen, aufgesucht und im persönlichen Gespräch überprüft worden. Neumann fragt, ob alle von der Liste mit der Funkzellenabfrage abgeglichen worden seien. Hübner sagt, sie hätten sich die Liste des LKA 5 daraufhin angeguckt, wer davon in Frage kommt, und seien zu dem Ergebnis gekommen, dass zwei in Frage kommen. Dann kläre man die im Büro ab, im Polizeicomputer und er gleiche ab, wer in der Funkzelle ist. Dann entscheide er, ob er die überprüfe und sie anspreche. Die Funkzellenüberprüfung sei ein Hinweis von mehreren, sei aber auch kein knallhartes Kriterium. Auf die Frage, ob alle von der Liste des LKA 5 mit der Funkzellenabfrage abgeglichen worden seien, sagt Hübner: „Die Liste wurde von uns gefiltert, zwei haben wir in die Hinweise aufgenommen, die wurden bearbeitet. Ob der Kollege die anderen auch abgeglichen hat, kann ich nicht sagen.“

SPD-Abgeordneter Orkan Özdemir fragt nach den Funkzellenabfragen: Wenn man fünf Zellen habe, die maximal ausgebucht sind, dann habe man 6.000 bis 7.000 Geräte, wenn man da alle über 70 und alle Frauen raus nehme, dann habe man eine überschaubare Gruppe. Hübner antwortet, das finde sich in den Akten. Sie hätten verschiedene Sachen gemacht, die er im Detail jetzt nicht mehr nennen könne, aber es sei sicherlich dazu genutzt worden, um Personen zu überprüfen. Özdemir: „Ich stelle die Frage, Sie müssen überlegen, ob Sie sie beantworten wollen: Wenn das gemacht wurde, wurden Akteure wie Rolf Z. da identifiziert zum Beispiel?“ Hübner sagt, wenn Özdemir nach Rolf Z. frage, könne er nicht sagen, ob der drin war oder nicht. Er gehe davon aus, dass Z. nicht drin war, aber das könne man in den Akten nachlesen.

Der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader fragt, ob die zwei von der Liste auch mit weiteren Datenbanken etwa zu rechten Gefährdern oder zu Gewalttätern abgeglichen worden seien. Das könne er im Detail nicht schildern, so Hübner, er wolle aber darauf hinweisen, dass nicht nur die zwei aus der LKA-5-Liste abgeglichen worden seien, sondern auch andere. Schrader fragt: „Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Person da war, weil man ja etwa das Handy zu Hause lassen kann?“ Hübner: „Ja.“

Schrader möchte wissen, ob es in Folge des NSU bei Mordermittlungen irgendwie neue Regeln oder Automatismen gegeben habe. Das verneint der Zeuge. Auf Frage, was über das bisher Besprochene hinaus beim Staatsschutz in Auftrag gegeben wurde und wann, sagt Hübner, er erinnere sich, dass er mit W. über die Täterbeschreibung gesprochen habe, über den Ablauf. In der Akte gebe es noch eine Bewertung von der Auswerteeinheit des LKA 53, da könne man vielleicht im Nicht-Öffentlichen drüber gucken. Er verneint, zeitlich eingrenzen zu können, wann diese Bewertung kam. Schrader: „Die Tatverdächtigen in unserer Serie – die Namen werden Ihnen bekannt sein –, ist Ihnen bekannt, dass die sich irgendwie geäußert haben zu der Tat?“ Der Zeuge sagt, das müsse er aktengestützt beantworten. Er meine, so etwas gelesen zu haben, dass es in der BAO Fokus einen Hinweis, eine Erwähnung des Falls gab. Er verneint, sagen zu können, welche das war und wann. Schrader: „Haben Sie weitere Personen aus dem rechtsextremen Spektrum zu der Tat befragt?“ Er vermute, so Hübner, dass Schrader einen bestimmten Personenkreis im Kopf habe. Bei einer Fragebogenaktion in der Gegend, wo der Mord passiert ist, hätten sie auch auch nach Personen gefragt, die sich rechtsextrem oder ähnlich geäußert haben. Da seien Personen bekannt geworden, die sie weiter bearbeitet hätten. Hübner nennt den Hinweis auf den ehemaligen Chef des Lokals, vor dem die Tat stattgefunden hat. Von dem habe ein ehemaliger Mitarbeiter gesagt, dass der jetzt auch rechtsextrem sei. Schrader fragt, ob das die Bauernstube sei, die es immer noch gibt. Hübner verneint das, es gehe um das „Käskuchli“ [phonetisch]  direkt am Tatort. Schrader sagt, er habe auf gewalttätige Personen, Waffenbesitzer hinausgewollt. Die Waffenbesitzer in einem bestimmten Umkreis seien überprüft worden, ungeachtet der politischen Gesinnung, so Hübner. Möglicherweise sei bei Recherchen der Auswerteeinheit des LKA 53 mal konkret dazu etwas abgefragt worden, aber seiner Erinnerung nach sei da keine Person herausgekommen, die Anlass zu weiteren Ermittlungen gegeben hätte. Schrader entgegnet, seiner Kenntnis nach sei mindestens eine weitere Person aus der rechten Szene befragt worden. Schrader fragt: „ Sagt Ihnen Kaindl etwas?“ Hübner: „Ja.“

[Der Berliner Neonazi Gerhard Kaindl und andere rechte Funktionäre wurden in der Nacht vom 3. auf den 4. April 1992 – also ziemlich genau 20 Jahre vor dem Mord an Burak Bektaş – in einem Restaurant auf dem Kottbusser Damm in Nordneukölln von mehreren Menschen angegriffen. Kaindl wurde bei der folgenden Auseinandersetzung mit einem Messer tödlich verletzt. Die Ermittlungen der Polizei richteten sich insbesondere gegen Personen aus der migrantischen Antifa-Gruppe Antifaşist Gençlik und deren Umfeld. Beim folgenden Strafprozess wurden mehrere Antifaschist*innen zu Haft- oder Bewährungsstrafen verurteilt. Kaindl gilt in der Neonazi-Szene als Märtyrer.]

Schrader führt aus, dass es ein Jahr vor dem Mord an Burak Bektaş auf der neonazistischen Webseite „Neue Ordnung“ einen Racheaufruf für Kaindl gegeben habe. Es habe eine Verbindung dieser Webseite zum NSU gegeben, so Schrader. Außerdem verweist er auf den Jahrestag des Todes von Kaindl: „Was hat das ausgelöst, wie wurde ermittelt, ist das überall bekannt gewesen?“ Hübner sagt, er meine, dass es eine Überprüfung durch das LKA 5 gegeben habe. Er könne es nicht mehr im Detail sagen, aber das Ergebnis sei gewesen, dass es keine Verbindungen gibt oder zumindest seien daraus keine weiteren Ermittlungen entstanden.

Schrader sagt, der „Berliner Kurier“ habe einen Artikel veröffentlicht mit verleumderischen Angaben über Burak Bektaş, die angeblich aus Polizeiquellen gekommen seien: „Können Sie dazu was sagen?“ Hübner sagt, er wolle Zeitungsartikel nicht kommentieren, wolle aber deutlich Stellung beziehen: „Es gab nie einen Hinweis darauf, dass Burak den Anlass für die Tat gesetzt hätte.“ Sie seien den vagen Vermutungen nachgegangen, aber nicht zu tief, weil sie gewusst hätten, dass das nicht stimmt. Für sich könne er ausschließen, so einen Unsinn verbreitet zu haben; das laufe komplett gegen die Ermittlungen. Er habe mit der Pressestelle besprochen, ob man presserechtlich etwas machen kann, habe aber gesagt bekommen, dass der Artikel hinreichend vage geschrieben und deswegen nicht justiziabel sei. Schrader fragt, ob es irgendeinen Verdacht in der Polizei gegeben habe, ob dort Falschinformationen an die Presse gegeben worden sind, vielleicht sogar Ermittlungen dazu. Hübner: „Meines Wissens nach gab es keine Ermittlungen.“

Im Folgenden geht es auf Frage von Standfuß um die Regelungen zur Bereitschaft bei der Mordkommission und die Menge an Taten, die gleichzeitig in einer Kommission bearbeitet werden. Hübner erläutert, dass es sich um „rollierendes Verfahren“ handele und dass die Bereitschaft bei einem sogenannten Kommissionsfall, also einem größeren Fall wie dem Mord an Burak Bektaş, wechsele. Wann er wieder neue Fälle auf den Tisch bekommen habe, könne er nicht mehr sagen. Auf Frage, ob der Fall auch dann noch präsent gewesen sei, sagt Hübner, es gebe Phasen, wo mehr Ermittlungen nötig und möglich seien, und solche, wo weniger Hinweise eingehen. Es habe Tage gegeben, wo sie keine Ermittlungen getätigt hätten, aber der Fall sei ihnen immer präsent gewesen, weil er ein herausragender Fall sei. Im Folgenden erläutert Hübner, dass die Mordkommission den Fall übernehme, sobald der Ermittler – in diesem Fall er selbst – am Tatort eintrifft und sagt, dass er bereit ist. Ab dann habe er die Verantwortung für den Tatort, zuvor immer jeweils die dienstranghöchste Kraft der jeweiligen am Tatort eintreffenden Einheit. Die Frage, ob er bestätigen würde, dass bei diesem Mord die ersten Minuten nach der Tat besonders wichtig gewesen seien, bejaht der Zeuge. Auf die Frage, ob er aus heutiger Sicht sagen würde, dass in dieser Phase alles richtig gelaufen ist, sagt Hübner, es falle ihm schwer, das konkret zu beantworten. Die Polizeibeamten, die zum Tatort eines Tötungsdelikts gerufen werden, würden ohne Zweifel alles machen, etwa bei der Nachsuche. Das stehe, so Hübner, garantiert auch in der Akte.

Dann fragt der CDU-Abgeordnete Stephan Lenz. Auf dessen Frage sagt Hübner, dass er nicht mehr sagen könne, wann, nachdem er am Tatort angekommen war, ihm die Idee eines möglichen politischen Motivs gekommen sei. Aber an der Tatortarbeit selbst habe sich deswegen nichts geändert, weil das Standardmaßnahmen seien. Das rassistische Motiv sei eine Möglichkeit gewesen, weswegen sie auch das LKA 5 eingeschaltet hätten. Sie hätten aber trotzdem im Krankenhaus Neukölln nachgefragt, ob dort „psychisch auffällige Personen vielleicht nicht in der geschlossenen Abteilung waren. Lenz fragt noch einmal nach dem Anruf von LKA-Chef Christian Steiof. Hübner sagt, er bereue, Steiof erwähnt zu haben: „Es ist nicht so, dass wir darauf gewartet haben.“

Franco weist darauf hin, dass Wiederholungsfragen nicht sein müssten. Es folgt die erneute Befragung durch André Schulze. Der fragt danach, welche Prioritäten es in der Arbeit in den ersten 48 Stunden nach der Tat gebe. Hübner: „Der Zeitrahmen behagt mir nicht, ich kenne den so nicht.“ Sie würden zum Tatort fahren, dort würden sie gucken, was passiert ist, und danach richte sich dann ganz viel. Definitiv dazu gehöre Spurensuche und -sicherung sowie Zeug*innen zu suchen und zu vernehmen. Schulze: „Wie wurde entschieden, wie man die Hinweise priorisiert, welchen man besondere Bedeutung beimisst?“ Hübner sagt, dass die Entscheidungen sicherlich der Kommissariatsleiter J. und er selbst getroffen hätten, aber die Mordkommission zeichne sich durch Teamarbeit aus. Auf Frage, wie oft der Dezernatsleiterin P. Bericht erstattet worden sei, sagt Hübner, das wisse er nicht, aber Frau P. habe mehrfach mit ihnen über den Fall gesprochen. Sie habe die ganze Kommunikation mit der Behördenleitung übernommen. Ob Frau P. ihm Ratschläge gegeben hat, die zu Ermittlungen geführt haben, könne er nicht sicher sagen, aber es sei eher unüblich im LKA 11. Der Austausch mit der Staatsanwaltschaft sei völlig unproblematisch gewesen, so Hübner auf Frage. Es handele sich um eine überschaubare Anzahl von Staatsanwält*innen: „Wenn wir in Bereitschaft gehen, gucken wir: Welcher Staatsanwalt oder Staatsanwältin hat auch Bereitschaft.“ Es habe immer ganz kurze Wege gegeben und keine Probleme, Beschlüsse herbeizuführen. Er könne nicht ausschließen, dass es auch Anregungen aus der Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen gab, so Hübner, aber es sei eher unüblich. Schulze fragt, ob die Generalstaatsanwaltschaft sich über den Fortgang der Ermittlungen informiert habe. Das sei möglich, aber konkret könne er es nicht sagen, antwortet Hübner. Er habe, so Hübner auf Nachfrage, eine vage Erinnerung, dass es eine Prüfung durch den Generalbundesanwalt (GBA) gab, aber wie es dazu kam, das könne er nicht erinnern. Schulze sagt, er habe ja nach der Generalstaatsanwaltschaft gefragt: „Aber Sie meinten den GBA?“ Hübner: „Ja.“

Austausch mit dem Verfassungsschutz sei über das LKA 532, in Person von Herrn W., gelaufen, so Hübner. Er erinnere sich an eine konkrete Person, wo sie eine schriftliche negative Antwort von „SenInn“ bekommen hätte. Er selbst habe nicht mit „SenInn“ gesprochen.“ [„SenInn“ meint hier die Abteilung 2 der Senatsinnenverwaltung, also den Verfassungsschutz.] Schulze: „Proaktive Hinweise des Verfassungsschutzes gab es nicht?“ Hübner: „Nein.“ Schulze: „Wie ist die Einstellungspraxis bei Mordfällen, die ja nicht verjähren, werden die eingestellt?“ Zunächst mal stelle die Staatsanwaltschaft ein, so Hübner. Es gebe einen guten Austausch mit denen, er wüsste aber auch nicht, ob die Staatsanwaltschaft das unbedingt mit ihnen besprechen würde. Der Fall sei aber auch nach einer Einstellung sofort wieder offen, sobald neue Hinweise oder Informationen auftauchen, und sie würden dann auch ermitteln. Das sei aber hier hypothetisch, denn der Fall Burak Bektaş sei weiter offen.

Schulze fragt nach der Rolle von Rolf Z., dem Täter im Mordfall Luke Holland. Hübner sagt, Z. tauche in den Akten auf: „Können wir das später machen?“ Schulze: „Vielleicht können Sie uns allgemein sagen, ob er Gegenstand der Ermittlungen war und ob sie ihn verworfen haben?“ Hübner: „Ja.“ Schulze verweist auf eine Kleine Anfrage [unsicher, evtl. geht es um mehrere Anfragen] aus der vorhergehenden Legislaturperiode und fragt nach einem Auswertungsbericht der Auswerteeinheit OFA des LKA 11 aus 2012: „Von wem wurde der beauftragt?“ Hübner sagt, das sei entweder durch seinen Kommissariatsleiter J. oder durch ihn selbst beauftragt worden. Die Zielsetzung sei gewesen, herauszukriegen, ob sei etwas übersehen habe, ob etwas offen ist, ob etwas in den Akten nicht schlüssig dargelegt ist. Der erhoffte Erkenntnisgewinn sei gewesen, dass aus diesem Bericht irgendwelche Ermittlungsmöglichkeiten hervorgehen. Schulze: „War das damals der Fall?“ Hübner bejaht das, es habe Sachen gegeben, die ergänzt oder ausgeführt wurden. Schulze sagt, die Innenverwaltung habe auf die Anfragen einmal geantwortet, dass der Bericht aus 2015 sei, später, im Jahr 2019, habe sie gesagt, er sei aus 2012: „Können Sie sich erklären, wie es dazu kam?“ Hübner: „Nein.“ Er bejaht, in die Beantwortung von Anfragen einbezogen gewesen zu sein. Er sagt, die Fragen, die durch das LKA 116 zu beantworten gewesen seien, weil sie die Ermittlungen betreffen, seien durch ihn selbst oder Herrn J. beantwortet worden. Wenn andere Dienstbereiche angesprochen seien in der Anfrage, entscheide der Stab des LKA, wer die Federführung hat.

Wiebke Neumann fragt dazu, dass es 2014 noch einmal beim Polizeilichen Staatsschutz eine Begutachtung der Ermittlungen gegeben hat: „Was war da der Anlass, von wem ging das aus?“ Hübner antwortet, der Anlass sei gewesen, dass sie immer noch nicht wussten, wer der Täter ist. Eine Überprüfung durch Mitarbeitende des Staatsschutzes mache ja Sinn, so Hübner weiter, er wisse aber nicht, wann das wer entschieden hat. Er glaube, in der Akte stehe, dass es der Leiter LKA war. Auf Frage sagt Hübner, zu Ergebnissen und Ermittlungsansätzen aus dieser Begutachtung würde er gerne im nicht-öffentlichen Teil etwas sagen. Neumann: „Können Sie allgemeiner sagen, ob die Überprüfung die Richtung, dass es sich um eine rassistische oder rechtsextreme Straftat handeln könnte eher erhärtet wurde oder weniger?“ Hübner verneint das, zu dieser Frage habe sich nichts verändert, es sei weder wahrscheinlicher noch unwahrscheinlicher geworden.

Im Folgenden geht es um die Zuordnung von Fällen rechter Straftaten zu den Staatsschutzkommissariaten 532 oder 533. Hübner sagt, die nicht bearbeiteten Sachverhalte in 533 hätten nichts mit dem Sachverhalt Burak Bektaş zu tun, weil die Sachverhalte aus 533 nichts mit Tötungsdelikten zu tun hätten. Die Sachverhalte, die zu der vom Ausschuss untersuchten Neuköllner Straftatenserie gehören, würden von 532 bearbeitet, sobald es Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie zu der Serie gehören. Er könne zwar nicht beschwören, dass mal ein hingesprühtes Hakenkreuz, das bei 533 bearbeitet wird, falsch zugeordnet wurde. Aber grundsätzlich liege die Straftatenserie bei 532. Neumann: „An welcher Stelle passiert die Zuordnung zu 532 oder 533?“ Hübner: „An verschiedenen Stellen.“ Wenn der aufnehmende Funkwagen den Dauerdienst des Staatsschutzes anspreche, sage der, ob es 532 oder 533 zugeordnet wird. Wenn er selber, so Hübner, im Postfach Vorgänge sehe, die in dem Bereich Neukölln spielen, dann gebe er es Herrn W. mit der Frage, ob das was für den sei, was der dann bejahe oder verneine. Ein anderer Fall sei, dass die Kommissariatsleiter im LKA 5 in das Lagebild aus der Nacht schauen und dann entscheiden würden.

Die Frage, ob er, nachdem er zum LKA 533 gewechselt war, nochmal Berührungspunkte mit dem Mordfall gehabt habe, verneint Hübner zunächst, dann sagt er: „Kann ich kurz korrigieren?“ Er führt aus, dass die die Gedenkstele für Burak mehrfach beschädigt wurde. Bei einem dieser Sachverhalte sei er involviert gewesen, weil die Sachbeschädigung zuständigkeitshalber bei 533 zu bearbeiten gewesen sei. Es habe bei dieser Sachbeschädigung erst mal keinen Zusammenhang mit der Straftatenserie in Neukölln gegeben, wie sie sonst Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist. Da habe er, meine er, nochmal einen Kontakt mit Mitarbeitern der 6. Mordkommission gehabt. Er habe aber nur den Hinweis auf die Sachbeschädigung weitergegeben. Er meine auch, dass das dann später von LKA 532 übernommen wurde. Auf die Frage, wer nach ihm die Ermittlungen in dem Mordfall übernommen habe, sagt Hübner, er wisse aus der Akte, dass es nochmal weiter bearbeitet wurde.

Schrader: „Sie sagten, es sei unüblich, dass von der Staatsanwaltschaft Anregungen kommen? Gab es seitens vor allem des Staatsanwaltes Horstmann Anregungen?“ Daran könne er sich nicht erinnern, sagt Hübner, auch nicht in Bezug auf die Fragen, wie weit man ein rechtes Motiv untersucht. Schrader: „Haben Sie Ermittlungsschritte vorgeschlagen und er hat die bestätigt oder auch mal abgelehnt?“ Hübner: „Ja.“ Die Frage, ob es mal unterschiedliche Auffassungen gegeben habe, verneint der Zeuge, daran könne er sich nicht erinnern. Schrader: „Das bedeutet also, dass, wenn es Aufträge an den Staatsschutz gab, dann sind die von Ihnen ausgegangen, nicht von der Staatsanwaltschaft?“ Hübner: „Ja.“ Schrader: „Der Beitrag zu den Ermittlungen vom Verfassungsschutz, betraf das auch die eine oder zwei Personen von der Liste des Staatsschutzes, die Sie eingegrenzt hatten?“ Hübner verneint das. Schrader: „Lag es nicht nahe, da den Verfassungsschutz zu fragen?“ Hübner sagt, er müsse die Antwort korrigieren. Er gehe davon aus, und so sei es auch verabredet gewesen, dass diese Personen in dem dortigen Bereich – und dazu zähle nach der Verständigung auch der Verfassungsschutz –, abgeprüft werden und die Antworten über Herrn W. an ihn gelangen. Er wolle nicht ausschließen, dass er Herrn W. nochmal danach gefragt hat, ob „SenInn“ Informationen geliefert hat, so Hübner auf Nachfrage.

Auf die Frage, ob innerhalb der Polizei Quellen befragt worden seien, ob sie Informationen haben, sagt Hübner, es habe Kontakt mit der VP-Führung [VP = Vertrauenspersonen] gegeben; er gehe sicher davon aus, dass sie auch dort gefragt haben. Schrader: „Sie gehen davon aus oder haben Sie es angeregt?“ Es sei logisch, dass man alle fragt, die was wissen könnten, so Hübner. Schrader: „Irgendwas ergeben hat sich für die Ermittlungen aber nicht?“ Hübner: „Nein.“ Schrader: „Können Sie das mit Sicherheit sagen?“ Hübner sagt, er habe keine Erinnerung daran. Schrader fragt, ob es mal Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gegeben habe gegen Personen, die als Tatverdächtige in Frage kamen. Hübner: „In dem Fall nicht.“ Schrader: „Wenn Sie einen Verdächtigen für einen Mord haben, dann kommt das in Frage?“ Hübner: „Ja.“ Dann sagt Hübner, dass es beim Fall Burak Bektaş formell einen Beschuldigten gebe, „der zur falschen Zeit über die Straße lief, der es aber nicht war“. Seitdem habe es keinen Tatverdächtigen mehr gegeben. Schrader fragt, warum dann nicht gegen Unbekannt ermittelt wurde. Das sei eine formale Frage der Staatsanwaltschaft, so Hübner, dazu wolle er nichts sagen. Auf die Frage nach dem Anlass für diese Festnahme sagt Hübner, seiner Erinnerung nach hätten die Polizeibeamten, die den Tatort abgesucht haben, den gesehen und gesagt, dass der auf die Personenbeschreibung passen könne und ihn vorläufig festgenommen. Es habe dann den Hinweis gegeben, dass der in einem Lokal war und ein Alibi haben könnte. Formell stehe der auf dem Aktendeckel drauf, formell sei er auch nochmal als Beschuldigter befragt worden, weil das zu seinen Rechten gehört, und dann sei er entlassen worden. Schrader fragt, ob Staatsanwalt Horstmann da schon am Tatort war. Hübner: „Ja.“

Schrader verweist auf einen Bericht, dass sich ein Mann mit arabischer Migrationsgeschichte vor Ort um die Überlebenden gekümmert habe. Es sei auch berichtet worden, dass dieser Mann seine Zeugenaussage angeboten habe, und dass er mit einer Dienstwaffe bedroht worden sei. Hübner sagt, das sei ihm komplett unbekannt. Schrader erläutert, dass es um den Mitarbeiter einer Videothek gehe. Hübner bekräftigt, dass er keine Kenntnisse von einer Bedrohung einer Person mit der Schusswaffe im Zuge der Tatortarbeit habe.

Schrader sagt, dass drei ältere Männer aus einer Kneipe in der Straße – nicht der Kneipe mit dem schweizerischen Namen – gekommen seien und am Tatort als Zeugen vernommen worden seien, nicht aber als Tatverdächtige. Schrader fragt nach einer Einordnung dieser Personen. Hübner sagt, er sei sich nicht sicher, welche Situation Schrader meint. Es gebe Menschen, die nacheinander aus der Bauernstube gelaufen seien. Schrader fragt, ob da nicht Personen dabei gewesen sei, die auf die Personenbeschreibung gepasst hätten. Hübner verneint das. Schrader: „Personalien wurden nicht aufgenommen?“ Die Personen seien namentlich bekannt und seien mehrfach vernommen worden, „wenn wir über die selben Personen sprechen.“ Schrader: „Direkt nach der Tat?“ Hübner sagt, es gebe die Situation, dass jemand aus der Bauernstube mit dem Fahrrad wegfährt und einer guckt. [unsicher]  Die seien beide namentlich bekannt. Mit einem der beiden habe es Jahre später sehr ausführliche Vernehmungen gegeben und es habe Vorvernehmungen gegeben, aber nicht am Tattag. Schrader: „Warum konnten Sie die als Tatverdächtige ausschließen?“ Hübner: „Können wir das im nicht-öffentlichen Teil besprechen, bitte?“ Franco: „Das kann ich an der Stelle nachvollziehen.“

Es folgt eine kurze Unterbrechung.

Um 12:23 Uhr geht es weiter mit der Befragung durch CDU-Abgeordneten Lenz, der wissen will, wie oft es vorkommt, dass es keinen Erfolg bei Mordermittlungen gibt. Die Berliner Mordkommission, so Hübner, habe eine Aufklärungsquote von über 90 Prozent, entsprechend gebe es „bei allem Engagement“ auch unaufgeklärte Fälle. Lenz: fragt, was man denn bei diesem Fall anders hätte machen können. Hübner antwortet, dass ein Bereich, bei dem er mit sich selbst nicht so zufrieden sei, sei der Kontakt zu Familie Bektaş und den anderen Familien. Den habe es gegeben, aber er würde in Zukunft drauf achten, deutlich ansprechbarer zu sein oder zu wirken oder auf die Wünsche, wenn sie ihn erreichen, offener zu reagieren. Was die Ermittlungen angeht, könne er da kein konkretes Fazit draus ziehen. In seiner Zeit habe es kein Regelvorgehen zum Umgang mit Angehörigen gegeben, so Hübner, er wisse nicht, ob es das jetzt gäbe. Die Bedarfe bei Angehörigen seien aus seiner Erfahrung heraus aber auch sehr unterschiedlich, so dass ihm eine allgemeine Regel auch gar nicht so sinnvoll erscheine.

Schulze fragt nach dem Fall von Mandy P., einer Person aus dem rechtsextremen Spektrum, die einen Facebook-Post abgesetzt habe in die Richtung, dass sie hoffe, dass der Täter nie gefunden werden soll. Dazu sei ein Ermittlungsverfahren wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener eingeleitet worden, so der Zeuge. In dem Verfahren sei Mandy P. Beschuldigte gewesen und er habe die Vernehmung durchgeführt. Es habe später auch noch Ermittlungen durch 532 bezüglich eines Freundes oder Partners von Mandy P. gegeben, was auch nochmal dazu geführt habe, in der Familie und im Umfeld der Mandy P. Vernehmungen durchzuführen. Schulze: „Aber das wird nicht mit dem eigentlichen Mordfall in Verbindung gebracht?“ Hübner: „Korrekt, ja.“

Dann fragt Schulze, was die Hoffnung bei den Hausbefragungen gewesen sei, außer direkte Zeugen zu finden. Hübner nennt Hinweise auf Personen, die in diesem Gebiet wohnen, die auffällig sind, die sich „ausländerfeindlich“ oder rassistisch äußern, sich durch Verhaltensauffälligkeiten hervortun. Hübner verweist wieder auf die Arbeitshypothese, dass der Täter aus dem Bereich kommt. Auf die Frage, ob das üblich sei oder ein besonderer Aufwand, sagt Hübner, er habe das nie wieder und auch vorher nicht gemacht.

Auf Frage von Neumann zu den Zeitverläufen bei den zusätzlichen Auswertungen durch anderen Dienststellen sagt Hübner, es gebe den Bericht von Frau D. von der Auswerteeinheit OFA aus 2012. Er verneint, dass es zwischen diesem Bericht und der Begutachtung durch den Staatsschutz 2014 etwas gegeben habe. Auf Frage, ob es zeitliche Verzögerungen gegeben habe, bis Berichte Teil der Akte wurden, sagt Hübner: „Nicht dass ich wüsste.“ Auf Nachfrage von Özdemir sagt Hübner, dass es einmal den Auswertebericht der AE OFA gebe, dann den Bericht aus dem LKA 5, und schließlich eine „ergänzende Fallbetrachtung“ der AE OFA. Er wolle nicht ausschließen, so Hübner, dass er den Bericht erst später zur Akte zugefügt habe. Özdemir: „Was ist denn der Sinn ihn zur Akte zu packen? Sie haben ihn zur Kenntnis bekommen.Was ist der Mehrwert?“ Hübner sagt, dass Sachen, die die Ermittlungen betreffen in die Akten gehören.

Schrader fragt dann dazu, wann der Täter beim Mord an Luke Holland, Rolf Z., in den Ermittlungen zum Mord an Burak Bektaş endgültig verworfen wurde. Hübner sagt, das könne er nicht beziffern. Er wisse, dass der Hinweis einging. Es habe dann Ermittlungen bedurft beim Hinweisgeber, um welche Person es sich handelt. Sie hätten versucht, den Bruder von Rolf Z. zu ermitteln, was aber nicht gelungen sei. Dann habe ein Blick in den Polizeicomputer zu Tage gefördert, dass bei Rolf Z. aufgrund der geschilderten Situation, die er als Hinweis erhalten habe, 2006 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und auch bei Z. durchsucht worden sei. Da seien keine relevante Waffe oder Munition gefunden worden. Dann gehe er davon aus, so Hübner weiter, dass sie geschaut haben, ob sie bekannte Handynummern von ihm haben, um die Funkzelle zu befragen. Und dann habe er entschieden, dass das für den Moment alles ist. Wie lange das gedauert hat, wisse er nicht. Auf Nachfrage bekräftigt Hübner, dass bei den 2006 gefundenen Munitionsteilen, und er meine auch den Waffen, keine Übereinstimmungen mit der hier relevanten Tat gegeben habe. Schrader: „Aber Sie stehen dafür ein, dass das komplett gründlich untersucht worden ist?“ Hübner: „Ja.“

Auf Frage von Franco nach den Maßnahmen direkt nach der Tat sagt Hübner, dass er davon ausgehe, dass Kräfte hinterhergefahren [phon.] seien, es sei ja ein relativ abgeschotteter Bereich. Er gehe auch davon aus, dass bei den Beamten aus dem Abschnitt und der Direktion bekannt war, dass die Tat passiert und der Täter nicht bekannt ist. Auf Frage, was die ersten Erkenntnisse gewesen seien, die Hübner bekommen habe, sagt Hübner, die Information sei gewesen, dass sich da eine Gruppe junger Männer aufgehalten habe, dann ein Mann dazu getreten sei und auf sie geschossen habe, dass der Mann sich umgedreht habe in Richtung Stadt, dann in den Weg dort eingebogen und weg gewesen sei. Es habe auch die Information gegeben, dass ein Taxifahrer hinterhergefahren, aber der Täter weg gewesen sei. Auf die Frage, ob neben den Projektilen auch Hülsen gefunden worden seien, möchte Hübner erst im nicht-öffentlichen Teil antworten. Auf Frage nach der Überprüfung von Waffenbesitzern in der Gegend sagt Hübner, dass es bei der Überprüfung zwei Waffen des fraglichen Typs gegeben habe. Diese seien ohne Ergebnis überprüft worden. Franco fragt, ob der NSU, der sich ein halbes Jahr vorher enttarnt hat, bezüglich des örtlichen Bezugs nicht die Alarmglocken habe schrillen lassen. Hübner sagt, das habe nicht dazu geführt, dass sie die Überprüfung der Waffenbesitzenden ausgeweitet hätten. Er selbst habe nicht in Brandenburg nachgefragt, so Hübner auf Nachfrage. Ob das LKA 5 das getan hat, wisse er nicht. Die Frage von Franco, ob er keine Versäumnisse in der Zeit der Nachverfolgung kurz nach der Tat sehe, bejaht der Zeuge.

Der öffentliche Teil der Befragung Hübners endet.

Zeuge Dieter Horstmann

Um 14:33 Uhr geht es weiter mit der Befragung des zuständigen Staatsanwaltes Dieter Horstmann. Der Zeuge spricht sehr schnell, teilweise auch schwer verständlich, fällt den Fragenden auch mal ins Wort. Wir geben seine Aussagen im Folgenden nicht chronologisch wieder, sondern sinngemäß zu Themenblöcken zusammengefasst.

Horstmann war von 2010 bis 2020 in der Abteilung für Kapitaldelikte der Berliner Staatsanwaltschaft tätig und ab 2012 führender Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren zum Mord an Burak Bektaş. Danach war er kurzzeitig abgeordnet nach Sachsen-Anhalt „im Zusammenhang mit dem Verfahren Oury Jalloh“. Zu dem Thema könne er aber nichts sagen, weil er dazu keine Aussagegenehmigung habe, so Horstmann. (Hintergründe zum Mord an Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam bei der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, externer Link) Heute ist Horstmann Oberstaatsanwalt in einer anderen Abteilung.

Zu Beginn seiner Vernehmung sagt Horstmann, dass in dem Ermittlungsverfahren zum Mord an Burak Bektaş mehr ermittelt worden sei als in jedem anderen Ermittlungsverfahren, das er geführt habe. Zu seinem großen Bedauern hätten sie den Täter nie feststellen können. Das tue ihm leid, vor allem für die Opfer der Tat, für Burak und für dessen Familie.

Er habe damals Rufbereitschaft gehabt, so Horstmann, sei dann auch am Tatort gewesen, habe mit der Polizei die ersten Ermittlungsschritte besprochen und habe noch am selben Tag an der Sektion des Leichnams von Burak Bektaş teilgenommen. Zu seiner Rolle als Staatsanwalt sagt Horstmann, dass die Mordkommission sehr gut, sehr erfahren sei und im Wesentlichen selbstständig arbeite. Die Staatsanwaltschaft komme dann ins Spiel, wenn es um Beschlüsse gehe, um Rechtshilfeersuchen an andere Staaten oder Ähnliches. Er habe mit Herrn Hübner die Sachen erörtert. Das sei nicht alles in den Akten. Bei einem Telefonat, wo nichts herauskomme, mache man keinen Vermerk. Die Ermittlungsarbeit werde dann im Laufe der Jahre weniger, wenn Spuren abgearbeitet seien.

Am Ende der ersten Befragung durch Franco sagt Horstmann, der mit einem Rechtsbeistand erschienen ist, dass seiner Kenntnis nach das ganze Verfahren „VS-NfD“ [Vertraulich – Nur für den Dienstgebrauch, eine Geheimhaltungsstufe] sei und daher die Frage sei, ob er überhaupt öffentlich antworten könne. Franco erläutert, dass zum Beispiel abstrakte Fragen öffentlich möglich seien, man müsse aber darauf achten, dass keine Ermittlungsschritte konterkariert werden und kein Täterwissen preisgegeben wird.

Motiv

Bei der späteren Befragung durch den SPD-Abgeordneten Özdemir bezeichnet Horstmann den Mord an Burak Bektaş als „in gewisser Weise das perfekte Verbrechen“. Es gebe keine Vorgeschichte, es sei ganz schnell gegangen und dann sei der Täter weg gewesen.

Die Frage nach dem Motiv für die Tat und nach der Wahrscheinlichkeit eines rassistischen Motivs war auch bei der Befragung des Staatsanwalts ein zentrales Thema. Auf Frage von Franco, ob die Frage eines möglichen politischen Motivs bereits in der Nacht Thema gewesen sei, sagt Horstmann, dass sie spekuliert hätten, wer der Täter sein könnte, er wisse aber nicht mehr, ob bereits da eine politische Motivation erwähnt wurde. Er bejaht, dass „die NSU-Geschichte“ relativ frisch gewesen sei. Objekt der Tat in Neukölln seien „Ausländer“ oder zumindest Menschen mit Migrationshintergrund gewesen, da liege ein rechtsextremes Motiv natürlich nahe, so Horstmann weiter. Auf die Frage von Standfuß, ob es Anhaltspunkte für ein rassistisches oder politisches Motiv gebe, sagt Horstmann, man könne da nur „fröhlich spekulieren“. Er dürfe, wenn er keinen Täter habe, keine Variante ausschließen. Die Möglichkeit einer rechts oder rassistisch motivierten Tat sei untersucht worden. Auch in der Familie habe man geschaut, aber sie seien sich ziemlich sicher, dass es eine Zufallstat war. Ein rassistischer Hintergrund könne gut sein. In dem Podcast von Herrn Meinhold [gemeint ist der Podcast „Wer hat Burak erschossen?“ von Philip Meinhold beim rbb, Folge 10, externer Link]  habe er gesagt, so Horstmann, dass er sich immer einen „älteren, griesgrämigen, rechtslastigen Mann“ vorgestellt habe, aber das sei alles Spekulation. Versäumnisse bei anderen Ermittlungsrichtungen habe es nicht gegeben, jeder der fünf Jungs sei abgecheckt worden und man habe nichts gefunden, was so eine Tat erklären würde. Vielleicht sei der rechte Hintergrund mehr untersucht worden wegen des Drucks, der dahinter gestanden habe, aber bei ihm selbst habe das keine Rolle gespielt. Auf Frage von Schrader, wann die Aufträge ans LKA 5 gegangen seien, weitere Ermittlungen anzustellen, sagt Horstmann, er habe jetzt 2014 gehört, wisse es aber nicht mehr. Schrader entgegnet, das komme ihm spät vor, worauf Horstmann sagt, das liege daran, dass damals schon nichts mehr zu erwarten gewesen sei. Schrader fragt, warum das so spät passiert sei, wenn ein rechtes Motiv nahe liege. Darauf Horstmann: „Ein rechtes Motiv liegt genauso nahe wie ein linkes.“ Auf Nachfrage sagt er, sie hätten keine Anhaltspunkte für ein linkes Motiv, aber für ein rechtes „eigentlich auch nicht“. Auf Frage nach dem NSU oder nach Bezügen zu Kaindl sagt Horstmann, dass Kaindl ihm etwas sage, das habe er in der Akte gelesen. Den NSU, so Horstmann, könne man ausschließen, die seien tot oder in Haft gewesen. Abgeordneter Lenz fragt, warum es – wenn es doch sein könne, dass es ein rechtsextremes Motiv gibt – so lange gedauert habe, bis man mit dem LKA 5 Kontakt aufgenommen habe. Horstmann sagt, das LKA 5 sei nicht wegen eines möglichen rechten Hintergrunds herangezogen worden, sondern weil eine andere Dienststelle vielleicht einen anderen Blick habe. Vielleicht habe man dann dafür das LKA 5 genommen, weil man sagt, dass ein rechtsextremes Motiv möglich ist. Lenz sagt, dass politisch motivierte Taten ja wirken sollen, da sei es ja möglich, dass sich jemand damit brüstet. Auf Frage sagt Horstmann, dass in der Szene ermittelt worden sei; auch der Abschnitt in Neukölln sei sensibilisiert worden. Es sei aber nichts gekommen. Er vermute, so der Zeuge, dass der Täter kein vernetzter Mensch war, sondern ein Eigenbrötler. Auf den Hinweis des Abgeordneten Schulze, dass es bei der Untersuchung durch das LKA 5 ja explizit um einen Täter mit rechtem Hintergrund gegangen sei, sagt Horstmann, er wisse nicht, welche Motive bei der Polizei dahinter steckten, aber er habe eine andere Erinnerung.

Umfang des Verfahrens

Als er das Verfahren abgegeben habe, so Horstmann auf Frage von Standfuß, habe es sechs Aktenordner umfasst. Jetzt seien es 13 und da seien die ganzen Hinweisordner noch nicht dabei. Zeugen seien nicht nur einmal, sondern mehrfach vernommen worden. Eher auf Seiten der Polizei habe man gesagt: „Können wir noch mehr machen?“ Jeder zehnte Mord werde nicht aufgeklärt, es sei also nicht so ungewöhnlich.

Neumann fragt, warum nur zwei Personen von der Liste mit Rechtsextremisten im Neuköllner Umfeld, die das das LKA 5 angefertigt hat, nochmal mit der Funkzellenabfrage abgeglichen wurden und nicht die ganze Liste. Das könne er nicht mehr sagen, so Horstmann. Er wisse nicht, ob er das besprochen habe, aber irgendwo müsse man einen Cut machen, wie weit man einer Sache nachgeht. In dem Fall hätten die keinen Bezug zu Neukölln gehabt, meine er. Schwierig sei auch die Frage, was man dann mit denen machen wolle. Auf Frage von Standfuß nach Rechtshilfeersuchen ins Ausland sagt Horstmann, die seien ergebnislos geblieben. Sie hätten in der Funkzelle belgische Nummern gehabt und hätten geschaut, was das für Leute sind. Es sei herausgekommen, dass es Touristen waren. Schrader weist darauf hin, dass es im Zusammenhang mit Belgien auch um ein mögliches Fluchtauto gehe. Horstmann: „Das weiß ich jetzt nicht.“

Franco sagt, angesichts der Tatsache, dass man angenommen habe, dass der Täter in der Gegend wohnt, habe es für ihn nicht danach geklungen, dass man da wirklich in letzter Konsequenz das nahe Umfeld untersucht hätte. Horstmann antwortet, man stoße da natürlich an strafprozessuale Grenzen, man hätte natürlich mit dem SEK jede Tür eintreten können, aber das gehe im Rechtsstaat eben nicht. Im Weiteren sagt der Zeuge, die Absuche unmittelbar nach der Tat sei durch Einsatzhundertschaften erfolgt, es habe Befragungen bei Nachbarn gegeben, aber man könne ja nicht bei den Nachbarn in die Wohnung eindringen. Auf Francos Frage, inwiefern man denn versucht habe Ermittlungsschritte auszureizen etwa im Hinblick auf Funkzellenanfragen oder auf Waffen, sagt Horstmann, auch da stoße man an strafprozessuale Grenzen. Wenn man sich ein „Rudel Rechtsradikaler“ vornehme, stelle sich die Frage, was man mit denen macht. Man könne sie entweder als Zeugen vernehmen oder als Beschuldigte, aber Zeugen seien sie nicht, wenn man keinen Anhaltspunkt haben, und eine Vernehmung als Beschuldigte gehe auch nicht.

OFA

Auf Frage von Standfuß sagt Horstmann bezüglich des Themas OFA habe es ein Missverständnis gegeben, weil gar keine OFA gemacht worden sei. [OFA = Operative Fallanalyse] Später sei so etwas Ähnliches gemacht worden, obwohl es gar keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe. Der Abgeordnete Schulze hakt später zu diesem Thema nach und fragt, ob Horstmann den Auswertungsbericht der AE [Auswerteeinheit] OFA und die ergänzende Falluntersuchung gelesen habe. Horstmann bejaht das, er habe die ganzen Akten gelesen. Der Bericht sei recht spät zur Akte gelangt. Der sei 2012 geschrieben und erst, glaube er, 2015 in die Akten gekommen. Man könne sich fragen, ob der in die Akten gehört; er finde schon. Die OFA-Abteilung habe es zunächst abgelehnt, etwas zu erstellen, weil es extrem wenig Täterhandeln gegeben hat. Nichtsdestotrotz habe sich die OFA das angeschaut. Dabei sei aufgefallen, dass die letzte Person, die mit den Opfern Kontakt hatte [unsicher], zwar befragt, aber nicht vernommen worden sei. Das habe man dann noch nachgeholt. Es handele sich, so Horstmann, um eine schöne Zusammenfassung des Falls. Den Grund, warum das so spät in die Akte gelangte, kenne er nicht.

Zusammenarbeit mit der Polizei

Die Zusammenarbeit mit der Polizei beschreibt Horstmann als ruhig und professionell. Hübner sei ein erfahrener Beamter in der Mordkommission gewesen: Manchmal habe er etwas anmahnen müssen, aber das sei dann gekommen. Jeder habe seinen Aufgabenbereich und das laufe dann. Auf Frage von Standfuß sagt Horstmann, wenn ihm Ideen für Ermittlungen gekommen wären, hätte er sie auch an die Mordkommission herangetragen, aber er habe gar nicht so viele Fantasie wie die Mordkommission, sei auch nicht schlauer als die. Für ihn, so Horstmann, sei im Fall Burak Bektaş in seinem „Beritt“ nicht so viel zu tun gewesen. Was das LKA angeregt habe, habe er „anstandslos“ umgesetzt, so Horstmann auf Frage von Schulze. Ihm falle, so Horstmann auf Frage von Schrader, kein Impuls zu Ermittlungen ein, der auf seine Initiative in das Ermittlungsverfahren eingegangen sei. Jeder, der auch nur entfernt etwas hätte sagen können, sei von der Mordkommission vernommen worden, da wäre ihm nicht mehr eingefallen.

Horstmann sagt auf Frage, er habe die Aktenführung der Polizei in dem Fall stringent gefunden. Manches wie der Bericht der OFA hätte schneller reinkommen müssen. Das seien drei Jahre gewesen, das sei ungewöhnlich spät. Auf die Frage, ob es andere Fälle gegeben habe, wo etwas spät zur Akte genommen wurde, sagt Horstmann, die Akte sei ja teilweise über Monate bei der Polizei gewesen, die habe er selbst ja dann nicht gesehen. Es gebe Hinweisordner „noch und nöcher“ im Keller der Staatsanwaltschaft, so Horstmann, die habe er nicht durchgesehen. Zu deren Status sagt Horstmann, die nenne man Sonderbände oder Beistücke, es gebe einen bunten Strauß an Bezeichnungen für solche Akten, aber die würden auch erfasst.

Rolf Z.

Die Frage von Schulze, ob es Austausch mit dem zuständigen Staatsanwalt beim Mord an Luke Holland gegeben habe, bejaht Horstmann, das sei sein Abteilungsleiter gewesen. Die Parallele sei gewesen, dass Luke Holland auf offener Straße erschossen wurde und ein älterer Mann als Täter in Betracht kam. Man könne Z. nach wie vor nicht ausschließen, es gebe aber auch keine belastbaren Anhaltspunkte; die Waffen bei Z. habe man ausschließen können. Auf die Frage, ob er dazu weitere Ermittlungen angeregt habe, sagt Horstmann, dass es in den Akten zum Mord an Burak Bektaş den Hinweis gegeben habe, der auf Rolf Z. hindeutet. Der sei ihm erst später bekannt geworden. Auch die Verbindungen von Z. nach „da unten“ in Neukölln seien untersucht worden, das habe nichts ergeben. Auf Frage von Neumann sagt Horstmann, der Hauptuntersuchungspunkt bei möglichen Verbindungen zum Mord an Luke Holland seien die Schusswaffen von Rolf Z. gewesen und das sei negativ ausgegangen. Neumann fragt, ob als klar gewesen sei, dass es räumliche Bezüge nach Neukölln gibt, da nochmal intensiver geschaut worden sei, ob es über die Tatwaffe hinaus Anhaltspunkte gibt. Es habe wenige Anhaltspunkte gegeben, so Horstmann, Rolf Z. habe nicht mit der Polizei gesprochen. Die Verwandtschaft sei befragt worden, aber das habe nichts erbracht. Auch Schrader hakt hierzu nach und sagt, es gebe ja eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Täter bei Bektaş die Waffe verschwinden gelassen hat. Horstmann sagt, bei Rolf Z. sei durchsucht worden, da seien zwei Waffen, wenn er sich recht erinnere, gefunden worden: Die Mordwaffe bei der Tat zulasten Luke Hollands und ein Revolver. Dieser sei ausgeschlossen worden, weil das Laufprofil nicht übereinstimmte.

Name des Verfahrens

Das Ermittlungsverfahren zum Mord an Burak Bektaş läuft immer noch unter dem Namen der Person, die in der Nacht der Tat festgenommen und wieder entlassen wurde, weil sie ein Alibi für die Tat hat. Der Name der Person steht 12 Jahre später also immer noch unter „Beschuldigter“ auf dem Aktendeckel. Danach fragt zuerst der Abgeordnete Schulze. Horstmann sagt, man könne das in dem System der Staatsanwaltschaft nicht mehr in „Unbekannt“ ändern, deswegen stehe der Name noch da, sonst sei das Verfahren gegen die Person aber abgeschlossen. Das Verfahren stehe in keine Führungszeugnis, deswegen sei das für die Person nicht weiter belastend, so Horstmann auf die Frage von Schrader, ob sichergestellt sei, dass das negativen Folgen für die Person hat.

Frage der Verfahrenseinstellung

Die Frage von Schulze, ob er darüber nachgedacht habe, das Verfahren einzustellen bejaht Horstmann. Man wolle als Staatsanwalt Verfahren abschließen, so der Zeuge, schon wegen der Statistik. Er habe schon vor Jahren den Eindruck gehabt, es bringt nichts mehr, aber die Polizei habe gesagt, sie wolle noch gucken. Zu den Auswirkungen einer Einstellung sagt Horstmann, dass dann nicht ermittelt werde, aber bei neuen Hinweisen würde man das Verfahren wieder aufnehmen und weiter ermitteln. Schulze: „Also bräuchte es externe Hinweise oder Impulse um die Ermittlungen wieder zu starten?“ Das könne man so sagen, antwortet der Zeuge. Auf Nachfrage von Neumann sagt Horstmann, dass die Verfahrenseinstellung überbewertet werde. Der Unterschied sei: Wird noch aktiv ermittelt oder nicht?

Umgang mit der Nebenklage

Auf Frage von Schulze, wie er mit Vorschlägen der Nebenklagevertretung umgegangen sei, sagt Horstmann, dass er sich nicht an Hinweise erinnern könne, es habe vor allem Nachfragen gegeben. Auf den Hinweis von Schulze, dass Hinweise manchmal in Fragen verpackt seien, etwa wenn es um die Veranstaltung am Vorabend des Mordes gehe, sagt Horstmann, bei der Frage seien sie nicht über die Antwort hinausgekommen, dass das untersucht wurde und nichts herausgekommen ist.

Schrader fragt nach dem Akteneinsichtsrecht der Nebenklagevertretung, weil es da ja Unstimmigkeiten gegeben habe. Darauf sagt Horstmann, da habe es Verspätungen gegeben. Er könne bei laufenden Ermittlungen trotz Verständnis nicht alles sofort für die Nebenklagevertretung besorgen. Teilweise habe er die Akten selber nicht gekannt. Schrader fragt, ob das nicht ein Missstand sei, der dann auch die Rechte der Nebenklage beschränkt, wenn man keine Übersicht habe. Horstmann bestätigt das. Auf die Frage, ob das ein Kritikpunkt sei, den er annehmen würde, sagt Horstmann, dass man zwar auch zwischendurch mal in die Akten schauen könne, aber interessant sei ja das Ergebnis und im Strafverfahren seien die Akten dann ja da.

Totschlag oder Mord?

In den Akten, so Schrader, tauche das Wort „Mord“ nicht auf. Er fragt, ob es einen Unterschied macht, ob die Ermittlungen wegen Totschlag oder Mord geführt werden. Das mache für die Ermittlungen keinen Unterschied, so Horstmann. Es ergebe sich manchmal erst im Gerichtsverfahren: Mord könne zu Totschlag werden und umgekehrt. Das Mordmerkmal der Heimtücke liege beim Mord an Burak Bektaş ziemlich eindeutig vor. Vermutlich auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, aber das sei Spekulation. Er selber, so Horstmann, habe das Verfahren immer als Mordverfahren behandelt.

Zeuge Lukas Theune

Nach der Befragung des Zeugen Horstmann geht es weiter mit dem Zeugen Lukas Theune. Theune ist Rechtsanwalt und Nebenklagevertreter der Familie Bektaş. Bevor Theune die Vertretung der Familie übernommen hat, vertrat unter anderem Mehmet Daimagüler, früher Nebenklagevertreter im Münchener NSU-Prozess, die Familie.

Theune sagt, er wolle einleitend keine allgemeinen Ausführungen machen, sondern etwas dazu sagen, wie der Umgang der Ermittlungsbehörden mit der Familie war. Der Umgang sei relativ wechselhaft gewesen. Zum Tatzeitpunkt sei er selbst noch nicht als Anwalt zugelassen gewesen, so Theune, aber aus den Akten sei ersichtlich, dass der Familie sehr einsilbig geantwortet wurde auf ihre Nachfragen und auf ihre Anregungen. Die Familie habe den Eindruck gehabt, dass sie nicht auf dem Laufenden gehalten und nicht ernst genommen wird. Auch die Anwälte der Familie seien nicht einbezogen worden. Ungefähr im Sommer 2020, gleichzeitig mit der Übernahme der Verfahren, um die es hier im Ausschuss hauptsächlich gehe, durch die Generalstaatsanwaltschaft habe sich das geändert. Dem Wunsch, dass auch das Verfahren zum Mord an Burak Bektaş von der Generalstaatsanwaltschaft übernommen wird, sei nicht entsprochen worden. Aber insbesondere nachdem die Polizeibeamtin E. mit dem Fall betraut worden und auch mit dem neuen Staatsanwalt G. habe sich viel geändert. Seinen eigenen Anfragen und denen seiner Kollegen sei man vorher nicht nachgegangen, aber Frau E. sei dem nachgegangen. Es habe sich, leider zu spät, aber doch zum Besseren entwickelt.

Ausschussvorsitzender Franco fragt, welchen Fragen damals nicht entsprechend nachgegangen worden sei. Theune sagt, er sei kein Polizist und habe auch nicht die Expertise zu sagen, das und das hätte man machen müssen und dann hätte man jemanden ermittelt. Aber, so Theune, man hätte sich alle Videos angucken können, die im Umfeld des Tatorts gemacht wurden. Das habe Frau E. jetzt gemacht, manche seien aber verschollen. Die BVG habe anfangs falsche Zeiten übermittelt, das sei nicht rechtzeitig genug festgestellt worden. Die Ermittlungen im Hinblick auf einen möglicherweise rechtsmotivierten Täter seien wirklich sehr stark eingegrenzt worden auf eine Überschneidung von anhand vom Wohnort. Da sei dann eine kleine Liste zusammengekommen, zunächst nur fünf Personen, dann seien nur noch vier Personen ausgewertet worden. Theune: „Da sagten wir: Jetzt, so kurz nach der Selbstenttarnung des NSU gibt es keine Begründung, dass man sich auf den Hintergrund Neukölln reduziert.“ Ein Täter, der nach dem NSU-Muster vorgeht, müsse nicht in Neukölln wohnen. Man könne das im ersten Angriff verstehen, aber wenn man merke, man klärt es nicht auf, muss man den Blick weiten.

Zu den Recherchen in der ViCLAS-Datei [= Violent Crime Linkage Analysis System; Datenbank zur Zusammenführung von Serientaten], die durchgeführt worden sei, hätten sie lange keine Auskunft bekommen, so Theune. Auf eine Nachfrage habe es dann geheißen, dass nichts dabei herausgekommen sei. Frau E. habe dann später herausgefunden, dass die Anfrage unter anderem Rachetaten umfasste, aber explizit nicht rechtsmotivierte Taten. Auf die Frage, ob die Prioritäten in der Anfangszeit richtig gesetzt worden seien, sagt Theune, dass die Videobänder, wenn man das nicht überprüft, weg seien: „Das kriegt man nicht mehr wieder.“ Der Eintrag bei ViCLAS habe etwa Tötungsdelikte ohne Motiv und „Nervenkitzel“ umfasst, aber das, was nahe liegt, nämlich ein rassistisches Motiv, fehle.

In dem Bericht von Frau E. stehe, dass es wohl eine telefonische Besprechung und auch eine schriftliche Antwort des Landesamtes für Verfassungsschutz gegeben haben muss. Die Antwort sei gewesen: ‚Wir haben nix.‘ Und diese Antwort sei dann auch noch als „NfD“ [Nur für den Dienstgebrauch] gekennzeichnet worden. Das verwundere außerdem, weil es ja im Nachgang der Tat Kommunikation darüber in der rechten Szene, ein Posting, gegeben habe: „Da fragt man sich, was macht der Verfassungsschutz?“ Weiter fragt Theune: „Muss man bei der Antwort ‚Keine Erkenntnisse‘, das aus der Akte heraushalten?“ Rechtsanwalt Daimagüler habe gefragt, ob es eine OFA gab. Die Staatsanwaltschaft habe das verneint. Theune sagt, man hätte je sagen können, dass man das und das gemacht hat, aber da habe man die Familie nach seinem Gefühl alleine gelassen. Auf Frage nach der Alterseinordnung des Täters sagt Theune, dass die Überlebenden das in der Tat so gesagt hätten. Die Betroffenen seien aber Jugendliche gewesen. Er kenne das von seiner Tochter, dass Jugendliche das Alter älterer Leute nicht bestimmen können. Er verstehe, dass man eine Eingrenzung haben wolle, wisse aber nicht, ob das richtig ist, weil es sich auf eine Einschätzung binnen Sekunden in der Dunkelheit durch Jugendliche bezieht.

Theune sagt auf die Frage von Standfuß nach anderen Anhaltspunkten für ein Motiv im politischen Bereich, dass ein solches Motiv sicherlich naheliegend sei, er aber natürlich keine Anhaltspunkte für den Täter habe. Theune: „Aus Sicht der Familie ist es so, dass es sich um eine rassistische Tat handelt.“ Er nennt die kurze Zeitspanne nach dem NSU und die Probleme mit rassistischen oder neonazistischen Gewalttaten. Zudem habe sich aus den sonstigen Ermittlungen überhaupt nichts ergeben. Theune: „Wenn man sagt, man ermittelt in alle Richtungen, ist das richtig, aber man darf nicht vergessen zu priorisieren, die Ressourcen die man hat.“ Standfuß fragt, ob nicht ausreichend priorisiert wurde. Theune: „Würde ich sagen, ja.“ Auf Frage, ob man bei den frühen Ermittlungen, etwa Videoaufnahmen und Funkzellenabfrage, alles richtig gemacht habe oder man mit größerer Intensität vielleicht mehr Erfolge gehabt hätte, sagt Theune, dass die Suche nach Videos schnell erfolgt sei, aber dann seien die Videos nicht angeguckt worden. Theune weiter: „Man kann sagen: ‚Ja, man hätte mit größerem Ansatz daran gehen können, aber das ist auch leicht zu sagen aus heutiger Sicht.“

Standfuß hält vor, dass es die Aussage gebe, bei dem Fall sei so vielen Ermittlungsansätzen nachgegangen worden, sagt Theune: „Nee, das kann man wirklich nicht sagen.“ Die Akte sei nicht besonders dick, auch heute nicht, sie habe 13, 14 Bände. Die Anfragen zur rechtsextremen Straftätern seien immer weiter eingedampft worden, bis man am Ende nur noch vier Personen überprüfen musste. Weiter verweist Theune darauf, dass er zu den ersten sechs Jahren, als er selbst noch nicht mandatiert war, aus den Akten und aus dem, was die Kolleg*innen berichtet hätten, den Eindruck gewonnen habe, dass die Nebenklage von den Behörden nicht als förderlich wahrgenommen wurde. Er könne das bis zu einem gewissen Ausmaß verstehen: man wolle nicht zu viel mitteilen. Erfahrung der Mordermittler sei, dass Taten häufig persönlich motiviert sind. Problematisch findet Theune aber, auf die Frage, ob es eine OFA gibt, zu antworten, es gebe keine und nicht zu sagen, dass es so etwas Ähnliches doch gegeben hat.

Frau E., so Theune, habe 22 Punkte seiner Kollegen abgearbeitet in den Jahren 2020 und 2021, die seien bis dahin alle nicht beantwortet worden. Davor sei die Familie anscheinend nicht als unterstützend wahrgenommen worden, sondern als nervend. Auf Nachfrage sagt Theune, man könne nicht sagen, dass diese Dinge, wenn sie damals gemacht worden wären, zum Erfolg geführt hätten, aber es habe seitens der Nebenklage viele Nachfragen und Anregungen gegeben. Man gewinne den Eindruck, dass 2012 sehr viel gemacht wurde und dann die Polizeibeamten ein bisschen die Lust am Fall verloren haben. 2015 habe es nochmal einen Moment gegeben, wo noch etwas gemacht wurde. Dann habe die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen wollen. Im Sommer 2020 habe es dagegen die Entscheidung gegeben, dass man doch nochmal jeden Stein umdreht. Die Akte vorher habe sieben Bände gehabt, jetzt habe sie 14: „Also da hat man die gleiche Arbeit reinstecken können wie in den Jahren zuvor.“ Auf die Frage nach der Zahl von Ordnern in anderen Verfahren sagt Theune, er sei kein Cold-Case-Experte, aber alles was E. gemacht habe, seien sinnvolle Sachen gewesen: Etwa größere Bargeldabhebungen in der Ecke zu prüfen oder zu prüfen, ob man sich Funkzellen nochmal anguckt. Das seien alles keine großartigen Ideen, da könne man sagen, das hätte auch früher passieren können. Standfuß sagt, er stelle eine Spekulationsfrage: „Sehen Sie die Möglichkeit, dass noch ein Täter ermittelt wird?“ Theune verweist auf den Fall der Tötung von Samuel Kofi Yeboah in Saarlouis am 19. September 1991 und die aktuellen Prozesse vor dem Oberlandesgericht Koblenz dazu. Dass es zu den Prozessen und bereits einer Verurteilung gekommen sei, liege daran, dass der Täter es jemandem erzählt habe und der sei zur Polizei gegangen. Er bestätigt, dass im Verfahren zum Mord an Burak eine sehr hohe Belohnung ausgelobt worden sei, er glaube aber nicht, dass die Höhe entscheidend ist: „Wenn das jemand berichtet, dann hängt das nicht davon ab, dass man noch 10.000 Euro mehr verdient.“ Auf die Frage, ob im Hinblick darauf, dass der Täter auch aus einer anderen Region kommen könne, etwas gemacht worden sei, verweist Theune auf die erwähnte ViCLAS-Recherche. Ansonsten sei nach seiner Kenntnis nur beim Berliner Verfassungsschutz angefragt worden. Was beim Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum besprochen worden sei, müsse man jemand anderen fragen.

Schulze fragt nach der Liste rechtsmotivierter Täter: „Die sind uns auch aufgestoßen, weil wir als Hauptgegenstand die Neukölln-Serie behandeln. Wissen Sie, ob dieser Strang nochmal aufgenommen wurde?“ Der Ort sei da, so Schulze weiter, eingeschränkt gewesen und dann noch weiter eingeschränkt worden. Der Ausschuss habe die Akten bis zum Band 11, erläutert Schulze. Theune sagt, dass E. aus der Liste nochmal neun Personen abgeprüft habe und dann hätten sich noch aus dem Bericht der BAO Fokus zwei Sonderbände ergeben. Zum Fall der Veranstaltung am Vorabend der Tat habe E., bestätigt Theune, auch weitergehende Ermittlungen angestellt und verneint, dass es einen Zusammenhang gebe. Sie habe dann noch die Freigabe eines VS-NfD-Dokuments erwirkt, dann noch einen Sonderband verfasst und gesagt, es gebe keine Verbindungen. Die Nebenklage habe oft keine Antworten auf Aktengesuche bekommen, so Theune auf Frage. Oft sei gesagt worden, die Akten seien auf dem Weg. Schwieriger Aktenzugang sei üblich, so Theune auf Frage, aber hier sei es besonders schwierig gewesen.

Zur Frage nach der Bedeutung der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens sagt Theune, dass das Verfahren natürlich bei neuen Ermittlungsansätzen wieder aufgenommen werden könne, aber die müssten sich dann irgendwo anders her ergeben. Es wäre aber unüblich, wenn in einem Ermittlungsverfahren mit einer ergangenen Einstellung nach § 170 (2) der Strafprozessordnung [Entscheidung über eine Anklageerhebung] oder einer Einstellung bei einer UJs-Sache [Ujs = Aktenzeichen für Verfahren gegen Unbekannt bei Staatsanwaltschaften] nochmal ermittelt wird, so Theune.

Die Abgeordnete Neumann fragt, ob Theune ausschließlich die Staatsanwaltschaft als Ansprechpersonen hat oder Kontakt mit Polizei hatte. Theune sagt, dass E. bei ihm im Büro gewesen sei und sich mit der Mandantin und ihm selbst hingesetzt habe. Er habe auch nochmal E-Mail-Kontakt mit E. gehabt. Das sei unüblich, normalerweise spreche man mit der Staatsanwaltschaft. Auf Frage zum Aktenzugang sagt Theune, dass es aktuell zwar nicht an der grundsätzlichen Bereitschaft liege, es werde nichts zurückgehalten, aber E. habe einiges entdeckt, was nicht in der Akte gewesen sei: Dinge, die sie in den Servern der Polizei gefunden habe oder so ähnlich. Einiges sei möglicherweise nicht in der Akte, weil es klassifiziert ist, sagt der Zeuge. Bei den Hinweisen, die seitens der Nebenklage ins Verfahren gegeben wurden, müsse man differenzieren, so Theune: Anfangs sei zum Teil nicht reagiert worden. Die Anregung zum Beispiel, sich den belgischen Rufnummern [unsicher]  zu erkundigen, das sei zunächst nicht erfolgt, aber jetzt sei es erfolgt, allerdings sehr spät. Auch die Überprüfung des Revolvers von Rolf Z. sei eine Anregung aus der Nebenklage gewesen. Dem sei erst jetzt nachgegangen worden, aber es habe auch nicht zum Erfolg geführt.

Der Abgeordnete Schrader möchte wissen, ob es für die Nebenklagevertretung beim Aktenzugang ein Problem gewesen sei, dass es irgendwelche Zusatzdinge gebe an verschiedenen Stellen, „Beiakten, die keine Beiakten waren“ usw. Das bejaht Theune, das sei die ganze Zeit schon so gewesen. Zum Thema der Bargeldabhebungen habe es auf Nachfrage damals keine Antwort gegeben, was das Ergebnis war. In E.s Bericht stehe nun, dass das Ergebnis der telefonischen Abfrage damals nicht in die Akte genommen wurde. Schrader: „Trägt das dazu bei, dass das Vertrauen in die behördliche Arbeit unterminiert wird?“ Theune: „Für die Familie ist natürlich frustrierend, dass der der Fall nicht aufgeklärt wird. Das ist für die Familie sehr schwer erträglich.“ Was nicht dazu beitrage, sie zu beruhigen, seien die Geschehnisse, die der Ausschuss versuche aufzuklären, etwa Polizeibeamte, die auch in „solchen Kreisen“ verkehren oder Chatgruppen. Theune: „Auch das neue Verfahren gegen den Beamten – das hat nichts mit dem Verfahren hier zu tun, kann man sagen –, aber natürlich, wenn jemand solche Verfahren liegenlässt, da fragt man sich: ‚Hat der das Verfahren um die Tötung unseres Sohnes ordentlich geführt?‘“ Auf Frage sagt Theune, für seine Mandantin Melek Bektaş wäre vielleicht sehr wichtig gewesen, wenn zeitnah den Hinweisen zu Rolf Z. nachgegangen worden wäre. Das hätten sie E. auch gesagt und die habe gesagt, sie schaue sich das nochmal an. Z. habe erstaunlicherweise auch die Gelegenheit zu einer Vernehmung wahrgenommen. Schrader: „Das war auch eine Bitte, die dann auch von der Nebenklage geäußert wurde?“ Theune: „Ja, klar, das haben wir schriftlich mehrfach geäußert: ‚Bitte gehen Sie diesen Hinweisen nach!“

Damit endet um 17:34 Uhr die Sitzung.

Ein anderes Bild

Durch die abschließenden Befragung von Lukas Theune wurde deutlich, dass das positive Bild, das die Zeugen Hübner und Horstmann von den Ermittlungen zeichneten, so nicht stimmen kann. Theune, der seine Einschätzungen eher vorsichtig formulierte, machte deutlich, dass im Ermittlungsverfahren wegen des Mordes an Burak Bektaş lange Jahre keineswegs übermäßig ermittelt wurde. Insbesondere die Möglichkeit eines rassistischen Motivs wurde nicht ausreichend geprüft, obwohl auch Hübner dieses Motiv in seiner Aussage heute als naheliegend oder sogar zwingend bezeichnet. Viele frühere Hinweise der Nebenklage wurden erst acht oder neun Jahre nach der Tat bearbeitet, als eine anderen Beamtin die Ermittlungen übernommen hatte. Dazu kommen die aktuellen Ermittlungen gegen Hübner und die Frage, ob dieser das Verfahren wegen des Mordes an Burak so ordentlich geführt hat, wie er behauptet. Seitens der Staatsanwaltschaft scheint der Aktenzugang der Nebenklage und die Kommunikation mit den Anwält*innen problematisch gewesen zu sein. Staatsanwalt Horstmann machte bei seiner Aussage zudem nicht den Eindruck, sich in dem Fall besonders engagiert zu haben. Die Aussagen der Zeugen Hübner und Horstmann blieben häufig eher lückenhaft.

Pressemitteilung der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş

Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş schätzt die Aussagen der beiden Zeugen Hübner und Horstmann und den Umgang des Ausschusses damit in einer Pressemitteilung (externer Link) wie folgt ein: „Generell fiel im Laufe der Sitzung auf, dass Vieles thematisiert aber nicht geklärt wurde. Die Abgeordneten sprachen in ihren Befragungen zu den Ermittlungen wichtige Themen an, wie Tatmotiv Rassismus, Konsequenzen aus dem NSU-Komplex, Ermittlungen gegen Berliner und bundesweite Naziszene als potentielle Täter etc.. Wenn die Zeugen Hübner und Horstmann jedoch bei diesen Fragen immer wieder konsequent auswichen, sich mit taktisch eingesetzten Vorwänden weigerten zu antworten, wenn ihre Antworten gezielt irreführend waren und auf falschen Tatsachen beruhten, blieb das dann so stehen. Die Zeugen der Ermittlungsbehörden kamen wieder damit durch, viel zu ungebrochen ihre Version darzustellen und nichts Wesentliches offenzulegen.“