Der erste Verhandlungstag im Hauptverfahren gegen Susann Eminger ging schnell vorüber. Viel mehr als die Anklageverlesung fand beim Prozessauftakt nicht statt. Die Verteidiger der Angeklagten Susann Eminger verkündeten, dass sich ihre Mandantin vorerst nicht zur Sache äußern werde. Der erste Prozesstag zeigte auch eine große Leerstelle in der staatlichen Beschäftigung mit dem NSU-Komplex: Der Bombenanschlag auf Serkan Yildirim wurde bisher strafprozessual nicht behandelt.
(Hier findet ihr die Übersichtsseite zum 2. NSU-Prozess)

Kundgebung vor dem Prozessgebäude des OLG Dresden vor dem ersten Verhandlungstag, 6. November 2025
Vor dem Prozessgebäude des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden am Hammerweg, gelegen am Stadtrand direkt neben der Dresdener Justizvollzugsanstalt Dresden und einem Zementwerk, fand sich vor Beginn der Verhandlung eine antifaschistische Kundgebung ein. Auf Transparenten forderten die etwa 50 Demonstrierenden Solidarität mit den Betroffenen, Aufarbeitung statt Ignoranz und Leugnung, die Entwaffnung der rechten Szene und einen Entschädigungsfonds für NSU-Opfer.
Auch Serkan Yildirim besucht heute den Prozess gegen Susann Eminger. Yildirim wurde bei einem Bombenanschlag des NSU in seinem neu eröffneten Lokal in Nürnberg schwer verletzt. Der Anschlag kam erst 2013 durch eine Aussage im Prozess in München ans Licht. Bei den Ermittlungen im Anschluss an die Aussage im Münchener Prozess legte die Polizei Serkan Yildirim unterschiedliche Fotos vor. Yildirim gab an, die Person auf einem der Fotos zu erkennen. Was er nicht wusste: Bei der Frau auf dem Foto handelte es sich um Susann Eminger. Der Bombenanschlag in Nürnberg war weder Teil des Münchener Prozesses noch ist er heute in Dresden angeklagt. (Siehe: „Der vergessene Anschlag des NSU“)
Auftakt
Das Prozessgebäude des OLG besteht im Wesentlichen aus einem Hochsicherheitssaal und zugehörigen Räumen. Die Öffentlichkeit sitzt von den Verfahrensbeteiligten getrennt durch eine gläserne Wand.
Gegen 9:45 Uhr kommt Susann Eminger in den Saal. Sie trägt betont seriöse Kleidung. Begleitet wird sie von ihren beiden Verteidigern: Rechtsanwalt Uwe Schadt und Rechtsanwalt Hendrik König, beide aus Berlin. Kurz darauf betreten auch die Sitzungsvertreter des Generalbundesanwaltes (GBA) in ihren roten Roben den Saal: Bundesanwalt Kai Lohse, Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot und Staatsanwalt Dr. Mölling.
Der Verhandlungstag beginnt dann um 10 Uhr, als der 5. Strafsenat des OLG Dresden in den Saal eintritt. Zunächst dürfen Fotograf*innen und Kameraleute noch Aufnahmen von den Verfahrensbeteiligten machen. Susann Eminger verdeckt dabei ihr Gesicht mit einem Aktenordner. Nachdem der Kamerapool den Saal verlassen hat, eröffnet Vorsitzende Richterin Simone Herberger die Hauptverhandlung: „Zum Aufruf kommt die Strafsache Susann Eminger wegen Unterstützungeiner terroristischen Vereinigung und anderem, Aktenzeichen: 5 St 3/25.“ Nachdem Herberger alle Verfahrensbeteiligten mit Namen vorgestellt hat, sagt sie, dass für heute noch keine Zeug*innen geladen seien, sondern erst für morgen.
Sie fordert Eminger auf, ihre Personalien zu nennen. Susann Eminger ist 44 Jahre alt, wurde in Zwickau geboren, ist ausgebildete Hauswirtschafterin und heute Pflegekraft. Nachdem das erledigt ist, gibt Herberger den Ablauf wieder, wie es zur heute startenden Hauptverhandlung gekommen ist. Ein anderer Senat des OLG Dresden hatte die Anklage zunächst nicht zum OLG zugelassen, dagegen legte der GBA erfolgreich Beschwerde beim Bundesgerichtshof ein (siehe dazu unseren Überblicksartikel „Die gute Freundin. In Dresden beginnt der Prozess gegen Susann Eminger“).
Anklageverlesung
Dann verliest Oberstaatsanwalt Barrot die Anklage des GBA.
Susann Eminger wird angeklagt, ab Anfang September 2008 bis Oktober 2011 in drei Fällen eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben und außerdem vorsätzlich anderen Hilfe zu einer schweren räuberischen Erpressung mit Waffen geleistet zu haben. Susann Eminger, so Barrot, habe über den rechtskräftig verurteilten André Eminger Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kennengelernt. Ab 2006 habe sich eine vertrauensvolle Freundschaft mit Besuchen, gemeinsamen Aktivitäten und Ausflügen entwickelt. Spätestens ab 2007 habe Susann Eminger gewusst, dass die Drei Morde und Sprengstoffanschläge begangen haben. Konkret habe sie erfahren, dass die Drei gemeinsam seit dem Jahr 2000 rassistische motivierte Straftaten begangen haben. Entweder sei sie durch André Eminger oder durch Beate Zschäpe darüber informiert worden. Barrot gibt dann wieder, wie Beate Zschäpe – begleitet von André Eminger – wegen eines absichtlich herbeigeführten Wasserschadens in einer Wohnung über der Wohnung des NSU-Kerntrios in der Polenzstraße 2 bei der Polizei aussagen musste und sich dabei als Susann Eminger ausgab.
Im Folgenden geht Barrot auf die Taten des NSU ein, nennt die Mordopfer bei ihren Namen. Ermordet wurden: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Barrot tut sich mit der Aussprache der meisten Namen hörbar schwer. Wie bereits in München wird der am 25. Februar 2004 in Rostock ermordete Mehmet Turgut auch hier in Dresden Yunus Turgut genannt. Unter diesem Namen wird Mehmet Turgut in den Ermittlungsakten geführt. Barrot benennt die Anschläge in der Kölner Probsteigasse 2001 und auf die Keupstraße, erwähnt aber den Anschlag auf Serkan Yildirim nicht. Er benennt außerdem die 15 Raub- und Banküberfälle des NSU.
Barrot geht dann auf den 4. November 2011 ein. An diesem Tag habe Zschäpe wie für den Fall der Entdeckung abgesprochen die gemeinsame Wohnung in Brand gesetzt, sei geflüchtet und habe vereinbarungsgemäß Exemplare des Bekennervideos zur Post aufgegeben, bevor sie sich am 8. November 2011 gestellt habe.
Zu den Vorwürfen gegen Susann Eminger führt Barrot unter anderem aus, dass Zschäpe die Versichertenkarte einer vertrauten Person benötigt habe. Die Angeklagte habe darum gewusst und habe deshalb in mindestens fünf Fällen ihre Versichertenkarte für Zahnbehandlungen zwischen 2008 und 2009 zur Verfügung gestellt. Die Angeklagte habe sich außerdem ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass eine Bahncard 25 unter ihrem Namen für Beate Zschäpe beantragt wurde. André Eminger beantragte zwei Bahncards, eine auf seinen Namen und eine auf den Namen von Susann Eminger. Barrot: „Dabei war vereinbart, dass mit den Anträgen Fotos von Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt geschickt wurden.“ Die Bahncards hätten dazu gedient, verbilligte Zugfahrten buchen zu können, und zur „behelfsmäßigen Identifikation“. Sie seien bis ins Jahr 2012 verlängert worden. Die Karten seien entweder von Susann Eminger oder von André Eminger entgegengenommen und übergeben worden. Zum Dank hätten André Eminger und Susann Eminger eine „von den NSU-Mitgliedern am 14.8.2009 unter den Aliaspersonalien ‚Ralf Beier‘ (phon.) bei Media Markt erworbene Musikanlage“ erhalten, außerdem hätten Susann Eminger und André Eminger eine mehrtägige Reise mit ihren Söhnen ins Disneyland Paris erhalten.
Zur Abholung des Wohnmobils „Sunlight Alkoven A68“ für den letzten Überfall sagt Barrot, das Wohnmobil sei persönlich durch Zschäpe und Böhnhardt bei der Firma K. in Schreiersgrün abgeholt worden. Es sei reserviert gewesen auf den Namen „Holger Gerlach“. Barrot: „Zu dem Termin fuhr Susann Eminger die beiden Vereinigungsmitglieder in ihrem schwarzen PKW der Marke Ford Focus ins etwa 30 Kilometer entfernte Schreiersgrün. Per Nachricht informierte sie André Eminger, dass sie ‚Lise‘ und ‚Gerri‘ wohin fahre. Sie nahm es zumindest in Kauf, dass das Wohnmobil für Taten eingesetzt wird.“ Tatsächlich sei es dann bei dem Überfall auf die Sparkasse in Eisenach eingesetzt worden. Bei diesem Überfall habe Böhnhardt dem Filialleiter mit seiner Waffe auf den Kopf geschlagen. Es seien 71.915 Euro erbeutet worden, darunter 1.000 Euro Registriergeld.
Barrot nennt dann die Paragraphen des Strafgesetzbuches, unter welchen die angeklagten Taten strafbar sind. Damit endet die Anklageverlesung.
„Frau Eminger wird sich vorerst nicht äußern“
Die Vorsitzende teilt mit, dass Erörterungen mit Verfahrensbeteiligten nicht stattgefunden haben. Herberger: „Ich möchte nun die Angeklagte darauf hinwiesen, dass es Ihnen freisteht, ob sie sich zur Anklage äußern oder nicht aussagen. Sie können das heute tun oder später in der Hauptverhandlung.“ RA Schadt: „Frau Eminger wird sich vorerst nicht zu der Sache äußern.“ Herberger: „Ist denn eine Erklärung vorbereitet von Seiten der Verteidigung?“ Schadt: „Nein.“
Dann sagt Herberger, dass man in die Beweiserhebung eintrete. Das Programm stehe noch nicht fest, man habe bis zur Vernehmung von Beate Zschäpe Zeug*innen geladen. Herberger: „Der Senat ist offen für Beweisanregungen, für die es keines formellen Antrages bedarf, sie können jederzeit auf uns zukommen.“ Für morgen habe man ab 9 Uhr Zeugen vom BKA geladen, darunter Herr Leibnitz, der Ermittlungsführer. Dabei stelle man den Inhalt von Aussagen, insbesondere der Aussagen von Zschäpe zurück. Mit Leibnitz sei besprochen, dass er ein Beweisthema übernimmt. Es sei nämlich bekannt geworden, dass der Zeuge Vo. verstorben ist, bei dem sei es um Fahrzeuge gegangen. (Protokoll zum 44. Verhandlungstag im Münchener Prozess)
Oberstaatsanwalt Barrot: „Herr Schadt sagte, keine Angaben zur Sache, gibt es denn Angaben zur Person?“ Schadt: „Später.“
Der Verhandlungstag endet bereits um 10:28 Uhr.
„Wie kann man einen Fall schließen, wenn man ihn nicht mal bearbeitet hat?“
Bei diesem kurzen Verhandlungstag zeigte sich bereits eine große Leerstelle in der staatlichen Beschäftigung mit dem NSU-Komplex: Der Bombenanschlag auf Serkan Yildirim wurde bisher strafprozessual nicht behandelt. Er war nicht Teil des ersten NSU-Prozesses und ist auch nicht Teil der Anklage des Generalbundesanwalts in Dresden. In einer kurzen Pressekonferenz im Anschluss an den Verhandlungstag sagte Bundesanwalt Lohse zu den Gründen: „Der Sprengstoffanschlag von Nürnberg ist eine Tat im Zusammenhang mit dem NSU oder die dem NSU durchaus zugerechnet werden kann, die aber nicht rechtskräftig festgestellt ist. Das ist der Unterschied zu den anderen beiden Sprengstoffanschlägen. Es hat dort eine Einstellung gegeben nach Paragraph 154 StPO.“ Paragraph 154 der Strafprozessordnung bezieht sich auf die Teileinstellung bei mehreren Taten. Das heißt: Für die Strafe von Beate Zschäpe hätte eine Verurteilung keinen Unterschied gemacht. Für Betroffene ist es aber durchaus wichtig, ob es wegen der sie betreffenden Tat zu einer Verurteilung kommt. Und die Aufarbeitung des Anschlags auf Serkan Yidlirim wäre auch eine Gelegenheit gewesen, für weitere Aufklärung im NSU-Komplex zu sorgen. Serkan Yildirim äußerte sich im Anschluss an den Prozesstag wie folgt: „Ich wurde nicht als Nebenkläger oder als Zeuge anerkannt. Weder im ersten noch im zweiten NSU-Prozess. Sie sagen, der Fall ist schon geschlossen. Aber mein Fall wurde ja gar nicht bearbeitet. Wie kann man einen Fall schließen, wenn man ihn nicht mal bearbeitet hat?“
(Text: scs, Redaktion: ck)