Protokoll 46. Verhandlungstag – 15. Oktober 2013

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Der 46. Verhandlungstag drehte sich um verschiedene Komplexe. Zunächst berichtete eine Auswerterin vom BKA von Asservaten aus der Frühlingsstraße. Der BKA‚ler Gl. führte aus, welche Spuren der Planungen sichergestellt werden konnten. Im Brandschutt fanden sich zahlreiche Adressen und Kartenausschnitte von möglichen und tatsächlichen Tatorten. Am Nachmittag wurde der Ermittlungsleiter beim Mord Boulgaries vernommen. Hier wurde erneut deutlich, wie einseitig die Ermittlungen geführt wurden und dass die Spur von Nazis nicht ernsthaft verfolgt wurde.

Zeug_innen und Sachverständige:

  • Gabriele Q. (Kriminalbeamtin BKA, Auswertung verschiedener Asservate aus der Frühlingsstraße in Zwickau)
  • Roman Gl. (Kriminalbeamter BKA, Auswertung von Kartenmaterial und Adresslisten aus der Frühlingsstraße)
  • Siegfried We. (KHK a.D., Vernehmung der verstorbenen Zeugin Mü., Mordfall Habil Kılıç)
  • Sachverständiger Dressler (Ausdehnung der Funkzelle Trappentreustraße, München; Mordfall Theodoros Boulgarides)
  • Matthias Blumenröther (Polizei München, Ermittlungsleiter beim Mord an Boulgarides)

Die Sitzung beginnt gegen 9.45 Uhr. Erste Zeugin ist die Kriminalbeamtin Q. vom BKA Wiesbaden. Sie hat Rechnungen und Mietverträge der Wohnmobilvermietung „Caravan Vertrieb H.“ in Bildkopie ausgewertet. Q. berichtet, dass sie zwei Rechnungen aus dem Jahr 2000 ausgewertet habe, die auf den Namen des Angeklagten André E. lauteten. Zudem habe sie sieben Asservate ausgewertet, die sich auf den Zeitraum vom Februar 2004 bis zum April 2006 beziehen, alle ausgestellt auf den Namen des Angeklagten Holger G. Die Zeiträume der Anmietungen seien für das Jahr 2000 jeweils vier Tage, danach drei Tage gewesen. Es sei auf den Mietverträgen bzw. Rechnungen außerdem vermerkt, dass die Bezahlung in bar stattgefunden habe. Alle Rechnungen seien ähnlich aufgebaut, es gebe keine Besonderheiten. Zu den meisten Fragen, die Richter Götzl in der Folge stellt, sagt Q. zunächst sie habe keine konkrete Erinnerung. Götzl hält dann aus den Vermerken Q.s vor, die die Zeugin bestätigt. Als erstes geht es um einen weißen Umschlag ohne Brief, des „DB BahnCard Service“, adressiert an André E. in der Adam-Ries-Straße in Zwickau“. Ob der Umschlag molekulargenetisch untersucht worden sei, könne sie konkret nicht sagen, so Q., es seien aber meist Anträge auf Auswertung gestellt worden. Götzl sagt, es sei laut Vermerk ein Teilprofil Beate Zschäpes und einer weiteren  Person gefunden worden und auf der Rückseite Spuren von mehreren Personen, hier könne Zschäpe nicht ausgeschlossen werden. Dann geht es um eine Rechnung und einen Kassenbon der Firma K. [siehe Protokoll zum 44. Verhandlungstag]. Bei einem Formular zur Anmietung eines Wohnmobils der Firma K. geht es um handschriftliche Eintragung, dort habe Q. vermerkt, dass es statt „1.1.11“ richtig „1.11.11“ heißen müsse. Es könne sich nur um einen Schreibfehler handeln vom Mietzeitraum her, so Q. Thematisiert wird eine Buchungsbestätigung der Firma DERTOUR für eine Reise ins Disneyland Paris, ausgestellt auf die Namen von André und Susann E. und deren zwei Söhne im Juli 2011. Die Kosten hätten 916 Euro betragen. Eine zeugenschaftliche Vernehmung habe ergeben, dass der Betrag durch eine „Lisa Pohl“ aus der Frühlingsstraße 26 in Zwickau bar bezahlt worden sei, es solle sich um ein Geburtstagsgeschenk für Frau E. gehandelt haben. Eine molekulargenetische Untersuchung habe eine Mischung von mindestens drei Menschen ergeben, Zschäpe komme als Mitspurenverursacherin in Betracht.

Dann fragt Götzl nach weißen, adressierten Umschlägen. Götzl hält vor, es seien 33 Umschläge mit der DVD „Frühling, NSU„, einer mit zwei DVDs und zwei leere Umschläge gefunden worden. Die Mehrheit der Umschläge sei mit 1,45 Euro frankiert. Auf Frage Götzls sagt Q. die Umschläge seien insbesondere an Medien adressiert gewesen. Götzl hält aus dem Vermerk vor, Umschläge seien zum Beispiel an die taz, N24, Phoenix, die Botschaft der Türkei, ARD und ZDF adressiert gewesen.

An dieser Stelle unterbricht RA Heer, Verteidiger von Zschäpe, Götzl gehe über das angekündigte Beweisthema der Fahrzeuganmietungen hinaus. Götzl sagt, es sei die Frage, ob die Zeugin nochmal kommen müsse. Heer sagt, er würde dann beantragen, dass Götzl sein Fragen auf die Fahrzeuganmietungen beschränkt. Er frage sich, wie der Senat das bewerte, wo die Zeugin fast keine Erinnerung mehr habe. Das werde er nicht diskutieren, erwidert Götzl, wie der Senat das bewerte sei Sache des Senats. Die Vermerke könnten auch im Selbstleseverfahren eingeführt werden. Zur Zeugung gewandt, sagt Götzl, nun gehe es ihm um eine Auftragsbestätigung zur Anmietung eines Wohnmobils bei der Firma H. Dort sei laut Vermerk, handschriftlich vermerkt „Aktionspreis 325 Euro“, „Kaution 500 Euro“ und „bar erhalten“, was Q. bestätigt. Nebenklagevertreterin RAin Clemm fragt, ob sich die Zeugin auch mit Schwarzpulver beschäftigt habe, was diese bejaht. Wieder unterbricht RA Heer, das sei nicht Beweisthema. Nach einer kurzen Diskussion bittet Götzl die Zeugin am morgigen Tag noch einmal wieder zu kommen und verliest die Beweisthemen für die morgige Fortsetzung der Vernehmung. Dann wird die Vernehmung unterbrochen.

Nächster Zeuge ist der Kriminalbeamte Gl., der sich unter anderem mit der Auswertung von Kartenmaterial und Adresslisten aus der Brandwohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße beschäftigt hat. Das Material sei fotografisch gesichert worden und sie hätten nach Markierungen und handschriftlichen Eintragungen gesucht, so Gl. Insbesondere habe sich herausgestellt, dass zu Nürnberg, München, Dortmund und Kassel umfangreiche Faltpläne, Ausdrucke aus elektronischen Adresslisten, Routenplaner-Ausdrucke mit z.T. handschriftlichen Eintragungen gefunden worden sein. Insbesondere die „Map & Guide“-Karten hätten elektronische Ausdruckdaten, die relevant seien für Nürnberg 2005, München 2005, Dortmund 2006 und Kassel 2006. Die Markierungen könnten, so Gl., nur einen Teileinblick geben, weil keine unbeschädigten Pläne vorhanden gewesen seien. Er habe dann die Daten mittels Tools wie Google abgeglichen, um welche Anschrift es hier gehen könnte, und mit den „so genannten elektronischen Adresslisten“ des NSU. Ergeben habe sich, dass insbesondere zu Nürnberg, München, Dortmund und Kassel die Daten in überwiegendem Teil mit den elektronischen Adresslisten übereinstimmen. In diesen vier Städten seien 267 Institutionen und Einrichtungen aufgeführt. Es handele sich um Parteien aus allen Lagern, wie CDU, SPD und  PDS, um muslimische Einrichtungen, Asylbewerbereinrichtungen, Beratungsstellen „für ausländische Mitbürger“, aber auch um Waffengeschäfte. Beim Kartenmaterial zu Nürnberg, Dortmund und München hätten sich aufgedruckte und handschriftliche Ausspähnotizen gefunden, die nur durch Anwesenheit vor Ort vorgenommen worden sein könnten, so Gl. Gl. nennt zwei Beispiele: DO, „wie Mühlheim Köln“ und NBG, „Café wie in Köln, Straße wirkt auch etwas so“. Zu Dortmund seien die Ausspähungen „täterseitig“ wohl erst spät vorgenommen worden, so Gl. Die auf dem Kartenmaterial angekreuzten Stellen hätten sich auch in den elektronischen Adresslisten wieder gefunden. Dann geht es um eine Adresse in der Dortmunder Rahmer Straße. In den Papierausdrucken sei tatsächlich ein türkischer Laden verzeichnet, aber nicht das Wahlbüro von „Annegret Krauskopf, MdL“. Er habe selbst vor Ort keine Ermittlungen durchgeführt, durch Abklärungen an diesen Anschriften sei erkannt worden, dass sich in der Rahmer Straße eine Kindertagesstätte befinde, aber schräg gegenüber eine Trinkhalle, die von einem türkischen Mann betrieben werde. Die Notiz habe auch angegeben: „guter Sichtschutz“ und „Person alt, über 60 Jahre“. Etwas ähnliches habe sich in Kassel gefunden, da habe man verschiedenen Markierungen mit „Ali“, was wohl ein Hinweis auf türkischstämmige Bewohner sei, sowie „Verein der Moslems“.

In den Karten zu Hamburg, Rostock, Heilbronn und Köln seien auch Markierungen gefunden worden, aber keine, die sich auf Tatorte beziehen, so Gl. Zu Rostock habe es „Map & Guide“-Ausdrucke gegeben, die aber ausschließlich auf Banken verwiesen. Seine Meinung sei, dass es sich hier eher um Tatvorbereitungen für Logistikstraftaten handele. Auf einer „Generalkarte Pocket“ zu Rostock sei eine Markierung zu finden, die keinem Tatort habe zugeordnet werden können. Ein brandgeschädigter Plan von Heilbronn sei gefunden worden, der Tatort selber sei aber  aber nicht mehr erkennbar gewesen. Zu Köln hält Götzl vor, es gebe einen ADAC-Stadtplan, 7. Auflage aus 2003, ohne erkennbare Markierungen. Gl. bestätigt das.

Es folgt eine Pause bis 10.59 Uhr. Dann hält Götzl vor, es sei im Vermerk die Rede von zwei elektronischen Kartenausschnitten auf einer externen Festplatte. Diese Ausschnitte seien bei der Durchsuchung bei André E. gefunden worden, so Gl., hätten aber keine elektronischen Markierungen bzw. bildeten keinen Tatort ab. Zu Hamburg seien Papierauszüge, elektronische Karten und Adresslisten mit handschriftlichen Vermerken gefunden worden, die das Jahr 2006 auswiesen. Das bestätigt Gl., der Tatort selbst sei nicht markiert worden.  Dann geht es um eine Adressliste mit sechs Adressen und Ausspähnotizen. Götzl hält eine Notiz vor: „Kieninger, Gerda, Dortmund, ähnelt dem Objekt in Salzgitter“ [die genannte Person ist seit 1995 SPD-Landtagsabgeordnete in NRW]. Das sei richtig, so Gl., es sei aber kein Kartenmaterial zu Salzgitter gefunden worden. Götzl nennt weitere Notizen zu Dortmund, die Gl. dann bestätigt: „Bürgerbüro SPD, keine gute Lage, nur bei schlechtem Wetter ein Gedanke wert, Kneipe mit Bänken draußen“, „Türkischer Laden, Kiosk auf der anderen Straßenseite, gutes Objekt und geeigneter Inhaber“, „Türkischer Imbiss, gutes Objekt und geeigneter Inhaber an der Kreuzung Uhlandstraße, Goethestraße“, „Türkischer Imbiss 2, gutes Objekt, guter Weg von dort weg, Personal nicht optimal, nochmal überprüfen“, „Sehr gutes Objekt, Personal gut, aber alt, über 60 Jahre“.
An dieser Stelle unterbricht Zschäpes Verteidiger RA Stahl: „Auf die Gefahr hin, Sie zu erzürnen, was machen Sie gerade prozessual?“ Götzl sagt, er halte aus dem Vermerk vor. Stahl fragt erneut, was das prozessual sei. Götzl erwidert, die StPO sehe keine Befragung des Vorsitzenden vor. Stahl beanstandet, der Zeuge bekunde nichts aus der Erinnerung. Götzl sagt, Stahl unterschätze den Zeugen und fährt fort.

Er fragt zum Mord an Theodoros Boulgarides in München. Da sei eine ausgedruckte Papierkarte wo mit Sternen sowie Zahlen, möglicherweise zugehörige Adresslistenzahlen, gefunden worden seien, so Gl. Ein Stern mit der Nummer 15 befinde sich in der Nähe des späteren Tatortes. Der Tatort selber sei nicht aufgeführt. Der Stern mit der Nummer 15 zeige, dass sich die Täter bei Ausspähhandlungen möglicherweise schon in der Nähe des Tatortes befunden hätten.

Nun unterbricht Zschäpes Verteidigerin RAin Sturm, der Zeuge ziehe Schlussfolgerungen. Es folgt eine Auseinandersetzung, in der Sturm beantragt, den Zeugen darauf hinzuweisen, dass er über eigene Wahrnehmungen zu berichten habe, und Götzl sagt, es gehe um eine zeitliche Zuordnung. Schließlich sagt Götzl dem Zeugen, der wisse ja, dass es um Tatsachen gehe.

Nach der Auseinandersetzung fragt Götzl wieder den Zeugen, ob Gl. etwas zur Entstehung des Materials zum Tatort Boulgarides sagen könne. Gl. sagt, seiner Erinnerung nach seien das Papierausdrucke, die mit einer Heftklammer zusammengeheftet und auch so vorgefunden und asserviert worden seien. Was gefehlt habe in dieser Adressliste, sei unter anderem die gerade erwähnte Nummer 15. Das sei kurz vor dem Tatzeitpunkt München ausgedruckt worden. Dann geht es um einen stark brandbeschädigten Kartenausschnitt aus einem ADAC-Stadtplan von Nürnberg. Gl. sagt, es sei ein Plan, der im Vorfeld der Tat aufgelegt worden sei, so dass er theoretisch für die Tatvorbereitung in Betracht komme. Götzl sagt, die Auflage sei laut Vermerk von 2002 bis 2005 aufgelegt worden. Das nächste besprochene Asservat ist eine Papierausdruck einer Routenplanungs-Software zu Nürnberg. Gl. sagt, es gebe Adresslisten bzw. Ausspähnotizen, die dort angefertigt worden seien. Zur Scharrerstraße gebe es einen Punkt und die handschriftliche Eintragung „X7, neben Post, Imbiss“. Das sei in unmittelbarer Nähe des Tatorts des Mordes an İsmail Yasar in der Velburger Straße, also möglicherweise eine Beschreibung des Tatorts. Gl. sagt auf Frage Götzls, es sei noch ein Asylbewerberheim in Nürnberg ausgespäht worden. Dort habe gestanden: „Asylheim, Tür offen ohne Schloss, Keller zugänglich“. Gl. bestätigt eine Notiz zu einer Tankstelle. Da sei sinngemäß notiert worden, dass ein Türke von der Tankstelle jede freie Minute zum Reden rüber gehen würde. Zu Kassel befragt, sagt Gl., es gebe eine Markierung der Anschrift Westring 47 und Helmholtzstraße 212 und Helmholtzstraße, Ecke Holländische Straße. Zwischen den Markierungen liege der Tatort Holländische Straße 82. An Markierungen gebe es Pfeile, die auf ein vermeintliches Haus hindeuteten im Bereich des dortigen Friedhofs, dort gebe es die Anmerkungen „Ali“ bzw. „Verein der Moslems“. Zur Entstehung des Kartenmaterials von Dortmund befragt, sagt Gl., dass es bei Dortmund ca. ein Jahr vor dem Tatzeitpunkt entstanden sei, bei Nürnberg unter anderem zehn bis zwanzig Tage vorher.

In der Zwischenzeit ist Hans-Jochen Vogel in Begleitung von OLG-Präsident Huber auf der Besuchertribüne erschienen.

Oberstaatsanwältin Greger fragt für die BAW zur Gesamtzahl der sichergestellten Karten. Es habe Karten zu 14 Städten im Bundesgebiet gegeben, so Gl. Bei Nürnberg seien verschiedene Reste eine Karte für Fürth, Erlangen und Nürnberg gefunden worden. Das sei tatsächlich aus einem Plan gewesen. Die elektronischen Adresslisten des NSU seien eine Excel-Tabelle aus Datenträgern, die in der Frühlingsstraße in Zwickau gesichert worden seien, sagt Gl. auf Frage Gregers. Dabei handele es sich um eine DVD und einen USB-Stick. Diese Daten sein von Kollegen aus der IT-Abteilung elektronisch zusammengestellt worden, um Dopplungen bereinigt. Diese Tabelle sei dann ihm und anderen zur Verfügung gestellt worden. Zunächst hätten sich die Dateien aber in unterschiedlichen Speichermedien befunden, bestätigt Gl. Es habe auch Papierausdrucke gegeben. Da sei der größte Teil der Markierungen auch in den elektronischen Adresslisten des NSU aufgeführt. Zu einigen Städten habe es eigene Dateien gegeben.

Nebenklagevertreter RA Behnke fragt zur Urheberschaft der Eintragungen. Wo verwertbares Schriftmaterial vorgelegen habe sei das untersucht worden. Erinnerlich sei ihm, so Gl, dass in den Gutachten und Uwe Böhnhardt als wahrscheinliche Urheber angegeben werden. DNA-Spuren seien seiner Erinnerung nach von Mundlos gefunden worden. Auf Frage von RAin Clemm sagt Gl., bei den Markierungen habe es sich meistens um Kreuze und Umkreisungen gehandelt, selten habe aber auch Linienzeichnungen gegeben. Eine Linienzeichnung zu Dortmund gehe auf der Karte durch ein Wohngebiet hindurch. Mit Google-Streetview sehe man aber, dass das eine Nebenstraße sei, wo man wohl auch durchfahren könne. Verteidiger RA Heer sagt, Gl. habe mehrfach zeitliche Zusammenhänge zwischen Ausdrucken und einzelnen Taten hergestellt und will wissen, worauf die Erkenntnisse beruhen. Gl. sagt, es gebe auf Ausdrucken einen Zeitstempel. Auf Frage Heers sagt Gl., von den IT-Fachleuten sei ihm mitgeteilt worden, dass der Zeitstempel wohl nicht sehr zuverlässig sei, weil er manipuliert werden könne oder die Uhrzeit am Rechner falsch eingestellt sein könne. Die Vernehmung endet um 11.45 Uhr.

Es folgt der Zeuge We., der die verstorbene Zeugin Mü. [siehe Protokoll zum 38. Verhandlungstag] vernommen hat. We. berichtet, zwei Frauen hätten zum Mord an Habil Kılıç fast identische Feststellungen gemacht. Er habe die Zeugin Mü. und die Zeugin Sch. [siehe Protokoll zum 30. Verhandlungstag]vernommen. Die Zeugin Mü. habe angegeben, gegen 9.30 Uhr die Fenster geputzt und dabei zwei Radfahrer gesehen zu haben, die entlang der Häuserzeile gefahren seien. Das sei ihr komisch vorgekommen, weil man sonst auf dem Gehweg fahre. Es seien drahtige, sportliche Männer gewesen mit neuen Rädern. Mü. habe von dunkler Kleidung gesprochen. Weiter habe sie angegeben, dass sie zwischen 18 und 25 Jahren alt gewesen seien. Die Größe habe sie auf etwa 1,80 m eingeschätzt. Sie habe die Männer nur von oben gesehen und könne sie auf Fotos nicht wieder erkennen. Mü. habe angegeben, die Männer seien aus südlicher Richtung gekommen und fünf Minuten später in östlicher Richtung wieder weggefahren. Weiter habe Mü. ausgesagt, dass sie bei Kılıç einkaufen gegangen sei. Sie habe auch gewusst, dass Frau Kılıç verreist war und eine Aushilfe im Laden zwei Tage vor dem Mord ausgeholfen habe. Es könne aber auch sein, dass das die zweite Zeugin, Frau Sch., gesagt hat, so We.

Nach der Mittagspause geht es um 13.06 Uhr weiter mit dem Sachverständigen Dressler, der sein Gutachten wiedergibt. Auf Ersuchen des BKA habe er die Vodafone-Funkzelle mit der Kennung 1E5D, umgerechnet 7773, mit Funkmast in der Münchner Trappentreustraße ausgemessen. Generell sei es so, dass sich Mobiltelefone immer in die attraktivste Funkzelle einbuchen. Für die Abmessung benutzten sie verschiedene Referenz- bzw. Messtelefone und ein auch in der Industrie verwendetes Messgerät, so Dressler. Das Gebiet werde abgefahren und geschaut, an welcher Zelle sich das Telefon einbucht. Das ergebe eine Fläche, der sogenannte Versorgungsbereich. Es wird ein Luftbild der Gegend gezeigt mit einer roten Fläche, die an den Rändern ausstrahlt. Das sei der Versorgungsbereich, so Dressler, ein gelber Punkt in der Mitte sei der Funkmast. Dann nennt Dressler alle Straßen, die von der Funkzelle versorgt würden. Zur Schlussfolgerung sagt Dressler, dass die Zelle 7773 seit 2005 bis zur Erstellung des Gutachtens unverändert gewesen sei, die aufgeführten Straßen seien auch am Tattag durch diese Funkzelle teilweise versorgt worden, eindeutig sei die Zelle die versorgende Funkzelle an der Tatörtlichkeit Trappentreustraße 4. Schließlich stellt Dressler fest, dass sämtliche Kommunikation an der Tatörtlichkeit über diese Funkzelle geführt worden sei. Nebenklagevertreter Behnke fragt nach den Ausstrahlungen der roten Fläche. Dressler sagt, es gebe „Hysterese-Bereiche“, die von mehreren Funkzellen versorgt werden können, da komme es auf die Richtung an, aus der man komme. Die rote Fläche sei die maximale Ausdehnung. Das GSM-Netz sei absolut stabil, im Vodafone-Netz komme es äußerst selten zu „Überlastphänomenen“, sagt Dressler auf Frage von RA Kolloge. Auf eine Frage von RA Heer sagt Dressler, der einzige Fall, bei dem im Rufaufbau eine andere Zelle gewählt werde, sei wenn z.B. in einer Stadt mit hoher Bebauung an einer Kreuzung von rechts eine neue Zelle hinein strahle und man durch das Weiterfahren schon in der Rufaufbauphase diese Zelle. Dann könne ein „Handover“ im Aufbau des Anrufs stattfinden.

Dann verliest RAin Schneiders eine Erklärung zur Befragung des Angeklagten Carsten S. [siehe Protokoll zum 45. Verhandlungstag]. Es sei deutlich geworden, dass der Angeklagte S. seine Aussagen auf vage, teilweise fremd- oder autosuggestive Erinnerungen stütze. Es sei für jeden deutlich geworden, dass S. vermeintliche Abläufe, z.B. den „angeblichen Erhalt“ des Kaufpreises von Ralf Wohlleben mit Hilfe von Schlussfolgerungen zu rekonstruieren versuche. S. habe  wiederholt angeführt, er habe ein „Gefühl“ oder ein „Bild“. Konkrete Erinnerungen an Gesprächsinhalte und Abläufe vermöge S. nicht anzugeben. Auch die „vermeintliche Anweisung“, er solle zu gehen, ordne er Wohlleben allein aufgrund von Schlussfolgerungen zu. Auch die verstorbenen Böhnhardt und Mundlos seien Kunden des Szeneladens „“ gewesen. S. versuche, Wohlleben eine führende Rolle zuzuschreiben und seine eigene Rolle zu relativieren. Auf zwei Sparbüchern aus den Jahren 1998 bis 2000 seien Geldausgänge vermerkt. S. sei hierbei ausgewichen und habe ausgeschlossen, dass dies der Kaufpreis für die Waffe gewesen sei. Die Finanzermittlungen zu Wohlleben hätten jedoch ergeben, dass dieser nicht über die geeigneten Mittel verfügt habe, den Kauf zu finanzieren. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass S. den Kaufpreis auch vom Angeklagten Holger G. erhalten haben könne. Bei der Schilderung der Inspizierung der Waffe bei Wohlleben habe S. zunächst mit keinen Wort geäußert, dass dieser dabei Handschuhe getragen habe. Erst nach einer Befragung durch Oberstaatsanwalt Weingarten habe S. gesagt, das sei möglich. Dies habe sich dann  zu einer Aussage über „schwarze Lederhandschuhe“ verfestigt. Die „vermeintliche Identifizierung“ der Tatwaffe als der von ihm identifizierten Waffe sei fragwürdig, eine solche Präsentation verdiene den Namen Wahlvorlage nicht. Hinsichtlich seiner Telefonate habe S. behauptet, dass Wohlleben einige Male dabei gewesen sei. Auf konkrete Nachfrage habe S. nur ausführen können, dass Wohlleben „vom Gefühl her mit dabei“ gewesen sei. In der Befragung sei deutlich geworden, dass S. seine eigene politische Tätigkeit als Mitläufer klein halten wolle. Noch am 28. Oktober 2000 habe S. am Europakongress der JN [Junge Nationaldemokraten] in Rheinland-Pfalz im Lokal Lochmühle teilgenommen. Es gebe Lichtbilder, wo der damals angeblich bereits ausgestiegene in einheitlichen T-Shirts des „Nationalen Widerstands“ zu sehen sei. Die Vernehmungen von Tino Brandt, André K., Sandro T., Ronny A. und anderen würden S. widerlegen. In der Presse habe gestanden: „Gefühlte Wahrheit“. Dem sei wenig hinzuzufügen. Die Angaben von S. seien nicht belastbar und wenig glaubhaft. Das Gedächtnis von S. sei vorgeblich bei Vernehmung zu Vernehmung besser geworden. Dabei gehe es offenbar darum, sich Strafmilderung zu verdienen. Die Angaben erlaubten, so Schneiders, eine Verurteilung des Angeklagten Wohlleben nicht.

RA Pausch, Verteidiger von Carsten S., nimmt dazu Stellung. Der Vorgang, den Schneiders beschreibe, sei ein ganz normaler Vorgang, da sei „nichts Anrüchiges“ dabei. S. habe immer klar gemacht, wo Gefühle und wo Schlussfolgerung sei, und wo Aktenkenntnis die Erinnerung speise. Im Ergebnis sei er überzeugt, dass die Befragung durch die Verteidigung Wohlleben nicht zu einem anderen Ergebnis geführt habe. Das Bemühen, die Glaubwürdigkeit von S. zu vermindern, sei abwegig, transparenter als S. könne man es nicht machen. Im Wesentlichen habe die Befragung das bestätigt, was S. im ersten Block auch schon gesagt habe.

Es folgt der Zeuge Blumenröther, der die Ermittlungen zum Mord an Theodoros Boulgarides am 15. Juni 2005 geführt hat. Er berichtet, er sei um 19.32 Uhr verständigt worden, dass im Schlüsseldienst Trappentreustraße 4 eine männliche Leiche aufgefunden worden sei. Er sei um 20.15 Uhr am Tatort eingetroffen. Der Geschäftspartner von Boulgarides, Herr Fe., habe mehrfach erfolglos versucht, seinen Geschäftspartner zu erreichen und sich daraufhin Sorgen gemacht. Fe. sei um 19 Uhr am Tatort eingetroffen, die Tür sei im Schloss, aber nicht versperrt, gewesen. Im Verkaufsraum habe Fe. linksseitig seinen Geschäftspartner in einer riesigen Blutlache vorgefunden und um 19.03 Uhr den Notruf abgesetzt. Es habe sich um drei Kopfschüsse gehandelt, es seien keine Hülsen vorgefunden worden. Die Waffe habe Kaliber 7.65 Browning gehabt, das sei die erste Parallele zu der Mordserie gewesen, in der schon sechs Männer türkischer  Staatsangehörigkeit Opfer geworden waren. Die Gewissheit sei am nächsten Tag durch das BKA gekommen, das mitgeteilt habe, dass es sich um dieselbe Waffe Ceska 7.65 handele. Dann sei die „Soko Theo“ gegründet worden. Die eigenständigen Ermittlungen seien bis zum 31. Oktober 2005 gegangen, dann sei die Soko mit der „Soko Halbmond“ in die „BAO Bosporus“ integriert worden. Bis dahin seien 120 Zeugen vernommen, Millionen Daten gesichert und über 100 Spuren generiert worden, ohne Hinweis auf Motiv und Täter. Boulgarides sei ein „allseits beliebter, integrer, seriöser Geschäftsmann“ gewesen, er sie nie polizeilich in Erscheinung getreten, es habe keine Verstrickungen in kriminelle Machenschaften gegeben. Zusammenfassend sei zu sagen, dass es keinerlei Ansätze bezüglich eines greifbaren Motivs gegeben habe. Erst nach der Aufdeckung des NSU habe es eine Spur gegeben, dass eine SIM-Karte aus dem Brandschutt Zwickau am Tattag um 15.22 Uhr in der Funkzelle Trappentreustraße eingeloggt war. Der Abgleich der Handykarte habe jedoch keine Redundanz ergeben, es sei ein Einfachtreffer gewesen. Auf Frage von Götzl sagt Blumenröther, es sei ein kleines Plastikteilchen gefunden, angehaftet mit Blei. Sie hätten daraus auf die Verwendung einer Tüte als Hülsenfänger geschlossen. Es seien eigentlich keine Spuren offen geblieben, so Blumenröther weiter, alle Spuren hätten „Berechtigten“ und Kunden zugeordnet werden können. Nur an der Außentüre habe es noch eine offene DNA-Spur gegeben.
Der Vertreter der Familie des Mordopfers Boulgarides RA Narin fragt, in welchen Zeitraum Blumenröther Hauptsachbearbeiter im Fall Boulgarides gewesen sei. Dieser sagt, er sei es ab dem Tattag bis heute. Narin fragt, ob es Hinweise auf ein mögliches rassistisches Motiv gegeben habe, was Blumenröther verneint. Narin fragt anders, ob es Hinweise auf mögliches ausländerfeindliches Motiv gegeben habe. Blumenröther: „Ja, natürlich, allein bedingt durch die Serie ist ein Ausländermotiv gegeben.“ Es habe, so Blumenröther auf Nachfrage von Narin, eine Aussage des Bruders von Boulgarides gegeben, dass da wohl „ein ausgetickter Typ rumläuft, der Ausländer umbringt“ und eine Aussage des Zeugen Ac. Dieser habe berichtet, dass er sich mit dem Bruder von Boulgarides mal darüber unterhalten habe, dass es einer sein könne, der Ausländer hasse. Narin fragt, ob es handfeste Spuren gegeben habe, was Blumenröther verneint. Narin fragt, ob Blumenröther ein Vorfall vom 18. Juni 2005 am Tatort bekannt sei. Der Zeuge sagt, ein Kollege sei von einer Anwohnerin informiert worden, dass ein grüner Jaguar in der Nähe des Tatorts gehalten habe. Das Fahrzeug sei mit einem Karsten Ro. und einem Herrn St. besetzt gewesen. Die Spur mit der Nummer 23 sei abgearbeitet worden, die Personen seien angefragt worden und es habe keinerlei Eintragungen ins rechte Spektrum gegeben. Erst im Dezember 2005 sei hier von der „BAO Bosporus“ ein Treffer gemeldet worden bezüglich St. wegen einer angeblichen Teilnahme an der Geburtstagsfeier eines Rechten. 2011 sei die Spur nochmal geöffnet worden, er hab die zwei Zeugen erneut vernommen und das Ergebnis der BAO Bosporus zugeleitet. Narin will wissen, zu wem es in der rechten Szene Bezüge gegeben habe. Blumenröther sagt, angeblich zu einem Herrn Bordin und einem Herrn Wiese. Bei der anschließenden Befragung stellt es sich heraus, dass es um und geht Blumenröther führt auf Frage Narins aus, Ro. habe in der Hauzenberger Straße unweit des Tatorts gewohnt. Weiter habe er angegeben, dass er zusammen mit St. unterwegs gewesen sei, denn es sei sein „natürlicher Nachhauseweg“. Man habe aus den Medien  von der Tat erfahren, sei dann vorbeigefahren und habe kurz angehalten. Es habe nichts damit zu tun gehabt, dass ein Ausländer erschossen wurde. Narin will wissen, ob in der Richtung weitere Ermittlungen angestellt worden seien. Blumenröther sagt, es habe 2006 diese beiden Vernehmungen gegeben. Es habe sich herausgestellt, dass keine der Personen bei Wiese und Bordin auf einer Geburtstagsfeier gewesen seien und dass die Kontakte lang zurücklagen sowie nur privater Natur waren: Das hätten Ro. und St. nach dem 11. November 2011 angegeben, so Blumenröther auf Nachfrage Narins. Narin fragt nach einem Beamten mit dem Namen Yi. Das sei ein „Kollege mit türkischen Wurzeln“ aus der „BAO Bosporus“, so Blumenröther. Er wüsste nicht, dass Yi. damit befasst gewesen sei, sagt Blumenröther. Narin sagt, er müsse dem Zeugen eine Mitschrift vorhalten, die er leider nur bei der BAW habe einsehen könne. Da spreche Yi. von einer Beziehung des St. zu Bordin und schreibe „Beachte auch Bombenanschlag Köln“. Das höre er zum ersten Mal, erwidert Blumenröther. Narin fragt, ob es vielleicht weitere Hinweise zu Ro. gegeben habe, etwa aus Thüringen. Blumenröther: „Mit mir hat niemand gesprochen.“ Narin sagt, er, Blumenröther, sei doch der Sachbearbeiter und auch nach dem 11. November 2011 mit dieser Spur betraut gewesen. Narin sagt, es gebe wohl einen Hinweis vom 27. September 2006, eine telefonische Mitteilung einer Zeugin Franka S. Götzl will wissen, woraus Narin zitiere. Narin bittet um einen Augenblick. Götzl möchte fünf Minuten Pause machen und steht auf, setzt sich aber wieder als Narin sagt, er habe es gefunden. Narin hält vor, die Zeugin Franka S. habe ein Gespräch zweier Männer gehört, in dem es geheißen habe „jetzt sind es 8“ sowie die Begriffe „Mord“ oder „Morde“ gefallen seien. Bei einem der Männer habe es sich um Karsten Ro. aus Erfurt und einen „Mafiosi“ gehandelt haben. Weiterhin gehörten die Personen dem rechten Spektrum an, speziell dem „BFB Erfurt“ und „BFB Offensive für Deutschland“. Das sei ihm gänzlich unbekannt, sagt Blumenröther, das seien Informationen an die BAO und sei ihm nicht zugetragen worden. Narin sagt, das sei derselbe Name aus zwei unterschiedlichen Quellen und will wissen, was Blumenröther getan habe, um Ro. und St. abzuklären. Er habe sie vernommen, so Blumenröther: Die beiden hätten angegeben, nichts mit dem  rechten Spektrum zu tun zu haben, es habe keinerlei Anzeichen gegeben, an der Aussage zu zweifeln. Sie hätten, zu Kontakten mit Wiese und Bordin befragt, verneint auf einer Geburtstagsparty gewesen zu sein, sonst hätten ein bis zehn private Veranstaltungen gesprochen, Kegeltreffen, seien aber auf keiner Kundgebung gewesen. Und weiter: „Einer hat sogar angegeben, dass er einen Moslem als Freund hat.“ Narin will wissen, ob bei den Vernehmungen die Gaststätte „Burg Trausnitz“ thematisiert worden sei. Er meine, nein. Auf Frage von Narin sagt Blumenröther, das eine Gaststätte im Münchner Glockenbach- oder Schlachthofviertel, ein Lokal, das früher für Treffen von rechten Personen genutzt worden sei. Ein Vorfall mit einem griechischen Staatsbürger sei ihm erinnerlich, so Blumenröther: „Da gab es wohl eine Schlägerei aus Gästen der Gaststätte mit einem griechischen Passanten, der wohl körperlich angegangen wurde.“ [Hintergründe zu dem thematisierten Angriff] Er wisse nicht mehr, ob er die Zeugen danach befragt habe. Narin sagt, er habe nur eine kleine Notiz dazu, die Akten lägen ja leider nicht vor. In einer Zeugenvernehmung habe Ro. wohl eingeräumt, dass er regelmäßig dort beim Kegeln war. Blumenröther sagt, es sei in der Vernehmung, wenn er danach gefragt habe. Narin: „Sie haben also Bezüge in die rechtsextremistische Szene ausgeschlossen.“ Auf Frage von Narin sagt Blumenröther, er sei beauftragt worden, die zwei Vernehmungen durchzuführen, dann seien diese zwei Vernehmungen „abverfügt“ worden an die „BAO Bosporus“. Ein Anwalt des Angeklagten André E. beschwert sich. Götzl sagt, Narin solle das Ziel der Befragung darlegen. Narin sagt, das könne er auch im Beisein des Zeugen tun. Es gehe darum, dass der Zeuge in diesem Bereich völlig inkompetent sei und rechte Bezüge nicht einmal erkenne, wenn die Personen mit Wiese und Bordin verkehrten. Es gebe an einem Tatort Bezüge zu Rechtsextremisten, die sich damals auch in Thüringen bewegt hätten. Wenn der Zeuge diese Spur nicht abkläre und die BAW die Verfahrensbeteiligten nicht mit den Akten versorge, dann bleibe nur die Möglichkeit den Zeugen zu befragen. Götzl sagt, es gebe das Beschleunigungsgebot, daher müsse Narin das erläutern. Narin sagt, er halte es nicht für ausgeschlossen, dass an den Tatorten mögliche Helfer geholfen haben und er wolle diese möglichen Zeugen ausschließen. Narin fragt Blumenröther dann, ob ihm bekannt sei, dass wenige Jahre vor dem Mord in Sichtweite vom Tatort eine Neonazi-WG von Martin Wiese existiert habe. Blumenröther verneint das. Narin: „Ich denke, im Bereich Rechtsextremismus werde ich keine weitere Frage mehr stellen.“

Auf Frage von RA Manthey sagt Blumenröther die einzige Überschneidung zwischen Mordfall Kılıç und dem Mordfall Boulgarides sei, dass Boulgarides in den frühen Berufsjahren mal in der Großmarkthalle gearbeitet habe, wo auch Kılıç tätig war. Dann fragt RAin Lex, Vertreterin von Yvonne Boulgarides. Die Soko habe am Anfang aus 20, später aus 39 Personen bestanden, sagt Blumenröther auf Frage von Lex. Es seien aus unterschiedlichen Dienststellen Kräfte hinzugezogen worden. Lex will wissen, ob auch aus dem Bereich Staatsschutz Kräfte gekommen seien, was Blumenröther verneint. Einen bestimmten Grund habe es dafür nicht gegeben. Wo Kapazitäten frei seien, würden Beamte hinzu gezogen. Es sei auch nicht Usus, dass explizit Staatsschützer hinzugezogen werden. Aus dem Bereich Organisierte Kriminalität seien ein oder zwei Kollegen dabei gewesen, die Auswahl obliege aber nicht ihm. Lex fragt, wann die Familie und die Töchter über den Mord an Boulgarides informiert worden seien. Blumenröther sagt, er habe sie nicht benachrichtigt, das seien wohl der Bruder des Opfers oder Beamte des K11 gewesen. Lex sagt, Blumenröther habe berichtet, dass er bereits am nächsten Tag aufgrund einer Info des BKA erfahren habe, dass es sich bei dem Mord um einen Teil der Serie handelt. Sie will wissen, was für Schlüsse er gezogen habe im Hinblick darauf, dass es bisher sechs türkischstämmige Opfer gegeben habe und es jetzt um ein griechisches Opfer geht. Die Spekulationen hätten von einer Verwechslungstheorie gereicht bis dahin, dass Boulgarides „vom Typus, vom Erscheinungsbild her eher einem türkischen Staatsangehörigen zugerechnet werden könnte“. Lex: „Und über die Verwechslungstheorie hinaus?“ Blumenröther sagt, dass auch Boulgarides ein Kleingewerbetreibender ausländischer Herkunft war, dass man auch bei ihm kein Motiv habe erkennen können und eine Raubtat habe ausgeschlossen werden können. Lex fragt, warum in mehreren Zeugenvernehmungen nach Fahrrädern gefragt worden sei. Es sei bekannt gewesen aus dem Fall Kılıç, dass die Zeuginnen Mü. und Sch. Fahrräder gesehen hätten und beim Fall Yasar habe es das Verladen von Fahrrädern in einen Kombi gegeben. Lex fragt, ob Blumenröther zuständig für den Einsatz der verdeckten Ermittler, die bei Frau Boulgarides aufgetaucht seien. Das verneint Blumenröther, er habe im Nachhinein davon erfahren. Das sei von der „BAO Bosporus“ ausgegangen. Er müsse aufpassen, dass er nicht über seine Aussagegenehmigung hinausgehe. Frau Boulgarides habe wohl bei der „Soko Theo“ angerufen, bei ihr stünden türkische Personen vor der Tür, dann sei eine Streifenbesatzung dort hin beordert worden. Die Kollegen hätten in Nürnberg bei der BAO angerufen und dort seien diese Personen wohl bekannt gewesen. Daraufhin sei der Streifenwagen zurückbeordert worden. Frau Boulgarides habe die nur kurz hinein gelassen und  dann der Wohnung verwiesen. Nur aus diesem Grund hätten sie selbst erfahren, dass hier seitens der „BAO Bosporus“ verdeckte Maßnahmen angelaufen seien. Lex will wissen, ob sich Blumenröther bei der Befragung von Ro. und St. vorher kundig gemacht habe über die rechte Szene. Er habe sich mit dem K44 in Verbindung gesetzt und die Teilnehmerliste „dieser ominösen Bordin-Geburtstagsfeier“ geben lassen, da sei aber keine der Personen verzeichnet gewesen. Dann habe er die Vernehmung nach Nürnberg geschickt, das sei da gelesen und dann geschlossen worden. Zugang zu einer Datenbank, die Wohnsitze ausweist, habe er. Für den Zeugen St. habe das eine Adresse in der Hauzenberger Straße ergeben, Bordin und Wiese habe er nicht über überprüft. Lex sagt, Blumenröther habe die Lebensgefährtin von Boulgarides in einer Vernehmung gefragt, ob sie die Pille nimmt oder anderweitig verhütet: Blumenröther sagt, die Ehe von Boulgarides und auch die Ehe der Lebensgefährtin seien nicht rechtskräftig geschieden gewesen. Er habe nur herausfinden wollen, ob die Lebensgefährtin bereits „wieder bereit war, schwanger zu werden“, um hier ein mögliches Motiv auszuschließen. RA Prosotowitz fragt, wie der Observationsbeschluss gegen den Bruder zustande gekommen sei. Der Zeuge sagt, der Bruder habe einen „anderen Lebenswandel“ als das Opfer gehabt. Die „so genannte Stellvertretertheorie“ habe Tatauslöser sein können. Daher sei eine vierwöchige Observation angesetzt worden. Das Ergebnis sei gewesen, dass es keine Auffälligkeiten gegeben habe.

Nach der Vernehmung Blumenröthers verliest Götzl für den psychiatrischen Sachverständigen Prof. Saß die Aussagen der Zeug_innen Fi. [siehe Protokoll zum 36. Verhandlungstag], weil Saß bei deren Vernehmung nicht anwesend war. Dann sagt Götzl, dass der für Mittwoch geladene Zeuge Ge. wahrscheinlich nicht kommen wird und der für Donnerstag geladene Zeuge M. abgesagt habe [bei den beiden Zeugen aus der Schweiz geht es um die Verkaufskette der Tatwaffe Ceska]. Der Verhandlungstag am Donnerstag falle daher aus. Der heutige Verhandlungstag endet um 15.10 Uhr.

Nebenklage-RA Hoffmann kommentiert den Tag in Bezug auf mögliche Helfer_innen vor Ort: „Die[se]Notizen konnten nur im Zuge einer Beobachtung vor Ort über Zeiträume zwischen 4-8 Wochen und 12 Monaten entstanden sein. Das stellt erneut die Behauptung der Anklageschrift in Frage, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hätten alleine gehandelt – es ist schlicht nicht vorstellbar, dass die drei alleine Ausspähungen in diesem Umfang durchgeführt haben können. Vielmehr legt die Beweisaufnahme nahe, dass lokale Nazis vor Ort die Morde mit geplant haben.“

Zu den Ermittlungen im Mordfall Boulgarides führt er aus: „So machte auch die Vernehmung des Polizeibeamten Blumenröther wieder deutlich, wie stark die Polizeiarbeit durch Vorurteile und Inkompetenz geprägt war. Der Zeuge, inzwischen im Ruhestand, war Hauptermittler der SoKo „Theo“, die den Mord an Theodoros Boulgarides aufklären sollte. Er erklärte, es habe keine Hinweise auf ein rassistisches Motiv gegeben. Ein verräterischer Versprecher unterlief ihm, als er sagte, es habe schon „ein Ausländermotiv“ gegeben angesichts einer Mordserie an Migranten. Angehörige des Ermordeten hätten immer wieder ein ausländerfeindliches Motiv in den Raum gestellt, dafür habe es aber keine Anhaltspunkte gegeben.“

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