„Drei Mitglieder“ und „wenige Unterstützer“ – Die ersten vier Verhandlungstage des NSU-Prozesses

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Die ersten vier Verhandlungstage im Münchner NSU-Prozess waren zunächst vor allem durch eine Vielzahl langatmig vorgetragener Anträge der Verteidiger_innen von Beate Zschäpe und von Ralf Wohlleben geprägt. Am Ende jedoch stand auch Handfestes: Die Verlesung der Klageschrift und die Ankündigung, welche Angeklagten sich zur Sache äußern werden.

Die Anträge der Verteidigung Zschäpe und der Verteidigung Wohlleben hatten nicht direkt mit dem „Kern des Strafverfahrens“ (Nebenklage-Vertreter ) – also mit den Taten, die den fünf Angeklagten zur Last gelegt werden – zu tun und dienten wohl zumindest teilweise der Verzögerung des Verfahrens. Dabei sind Befangenheitsanträge gegen das Gericht, wie sie die Verteidiger_innen von Zschäpe und von Wohlleben jeweils am ersten Verhandlungstag am 6. Mai stellten, durchaus nicht unüblich. Überraschend war dagegen, dass der Vorsitzende Richter direkt die nächsten beiden Verhandlungstage absagte, um über die Befangenheitsanträge zu entscheiden – und damit das Verfahren auf den 14. Mai vertagte. Beobachter_innen hatten, gerade weil solche Anträge üblich sind, damit gerechnet, dass deren Entscheidung schneller über die Bühne gehen würde. Für die anwesenden Nebenkläger_innen und Angehörigen der Opfer bedeutete diese Verschiebung eine erneute psychische, aber auch finanzielle und organisatorische Belastung.

Am zweiten Verhandlungstag am 14.Mai waren denn auch deutlich weniger Nebenkläger_innen anwesend als noch am 6. Mai. Auch an diesem Tag ging es zunächst mit Anträgen der Verteidigung und mit teilweise unwürdigen Auseinandersetzungen um das Rederecht insbesondere zwischen Rechtsanwalt (Verteidiger von Beate Zschäpe) und Richter Götzl weiter. Überraschend kam die Verlesung der Klageschrift am zweiten Verhandlungstag. Sie markiert eine Zäsur, denn endlich nach den langwierigen Diskussionen um die beiden Akkreditierungsverfahren und nach all den Anträgen der Verteidigung ging es nicht mehr um Formalia, sondern wieder um die Taten des NSU. Bundesanwalt nannte die Namen der Opfer und legte die Brutalität der Mörder offen.

Bundesanwaltschaft sieht bloß isolierte Zelle

Die Klageschrift zeigt aber auch, welches Bild vom NSU die Bundesanwaltschaft im Laufe des Verfahrens wohl durchsetzen möchte. Während bei den Vorwürfen gegen die Angeklagten aufs Ganze gegangen wird, wird bei der Einschätzung des NSU-Komplexes und der Aufdeckung seiner Struktur die Minimallösung gewählt. Die Bundesanwaltschaft zeichnet hier das Bild einer weitgehend isolierten, abgeschlossenen Zelle mit einem bloß kleinen Unterstützer_innenumfeld. Mit dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sei die terroristische Vereinigung NSU, der neben den beiden Toten lediglich noch Beate Zschäpe angehört habe, aufgelöst gewesen. Die Möglichkeit, dass Dritte an den Anschlägen beteiligt gewesen sein könnten, etwa durch Auskundschaften möglicher Tatorte, betrachtet der Generalbundesanwalt offenbar nicht als Möglichkeit. Hierfür gebe es keine „tatsächlichen Anhaltspunkte“ (Erklärung von Bundesanwalt Diemer zum Auftakt des Prozesses). Die Rolle der Behörden und Geheimdienste im NSU-Komplex spielte Diemer in einer Pressekonferenz herunter, stattdessen lobte er die Verfassungsschutzbehörden für die „gute Zusammenarbeit“ im laufenden Verfahren. Für die Aufarbeitung der „Versäumnisse“ von Behörden seien im Übrigen die Untersuchungsausschüsse zuständig.

Es steht zu befürchten, dass es der Bundesanwaltschaft zwar um die größtmögliche Verurteilung der Angeklagten geht, nicht aber um die größtmögliche Aufklärung des Gesamtkomplexes NSU. Das ist kein gutes Zeichen angesichts der Tatsache, dass die NSU-Untersuchungsausschüsse in absehbarer Zeit ihre Arbeit beenden werden und so, was die institutionelle Aufarbeitung des NSU und seiner Taten angeht, nur noch der Prozess in München übrig bleibt. Daher ist es umso wichtiger, dass es in diesem Verfahren neben einer kritischen und öffentlich wahrnehmbaren Nebenklage auch unabhängige und kritische Prozessbeobachtung und begleitende Recherche gibt.

Nach dem 14. Mai ging es zunächst mit der Behandlung von Anträgen weiter. , Anwältin von Ralf Wohlleben, machte am dritten Verhandlungstag mit einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten deutlich, wohin die Reise bei Wohllebens Verteidigung gehen wird. Der bis zu seiner Festnahme aktive Neonazi Wohlleben und seine Szene-Anwält_innen Schneiders und setzen offenbar auf eine politische Prozessführung und scheuen dabei nicht davor zurück, selbst noch das Gedenken an die Opfer der Mordserie als „Vorverurteilung“ in den Schmutz zu ziehen.

Abtrennung Anschläge Keupstraße wieder vom Tisch

Für einige Aufregung sorgte gegen Ende des dritten Tages die öffentlich geäußerte Überlegung von Richter Götzl, den Tatkomplex Nagelbombenanschlag in Köln 2004 vom Rest der Verfahrens abzutrennen. Hintergrund dieser Überlegung war die Befürchtung, dass noch weitere Nebenkläger_innen aus diesem Tatkomplex hinzu kommen, so dass der Saal zu klein werden könnte. Tatsächlich stellt sich dieses Raumproblem gar nicht, weil nicht zu erwarten ist, dass noch eine größere Zahl an Nebenkläger_innen dazu kommt. Zudem wäre eine Abtrennung sachlich und politisch falsch. Der Anschlag in der Kölner Keupstraße steht als dutzendfacher versuchter Mord aus rassistischen Motiven und als Propagandatat im Zentrum der Taten des NSU. Eine Abtrennung käme zudem einer Einstellung des Verfahrens zu diesem Komplex gleich: „Sollte Beate Zschäpe in dem Hauptverfahren ohne den Anschlag schon zu einer lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden, wäre es möglich, das Verfahren in Bezug auf den Anschlag in der Keupstraße nach der Strafprozessordnung (…) einzustellen, da dann eine Verurteilung wegen des Bombenanschlages nicht mehr ‚beträchtlich ins Gewicht‘ fallen würde.“, so einige Nebenklage-Vertreter_innen in einer Pressemitteilung. Die Opfer des Anschlags würden damit, so der Nebenklage-Vertreter , erneut zu Bürgern zweiter Klasse gemacht: „Und damit verhilft man dem NSU im Nachhinein zu einem Erfolg.“

Zur allgemeinen Beruhigung verkündete Götzl am vierten Verhandlungstag am 16. Mai, dass eine Abtrennung des Tatkomplexes derzeit nicht geplant sei. Am Ende dieses Tages wurden die Angeklagten gefragt, ob sie sich zur Sache äußern wollen. Dabei blieben Überraschungen aus. Beate Zschäpe, André E. und Ralf Wohlleben werden sich nicht äußern. Die Verteidigung von Wohlleben kündigte allerdings eine Verteidigererklärung an. Die Angeklagten Holger G. und Carsten S. werden sich äußern. Carsten S. wird auch auf Fragen antworten. Mit seiner Aussage ist in der nächsten Woche ab dem 4. Juni zu rechnen.