Andreas Schultz und Frank Liebau betrieben gemeinsam in Jena den Szene-Laden „Madley„. Dort hatte Carsten S. laut eigenen Aussagen die Ceska-Pistole mit Schalldämpfer im Auftrag von Ralf Wohlleben von Schultz gekauft. Da der Verkauf möglicherweise auch eine Beihilfe zum Mord darstellt, machte Schultz von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. In der anschließenden Vernehmung von Liebau zeigte dieser seinen Unwillen für Aufklärung zu sorgen. In Anträgen der Nebenklage thematisierten die Anwält_innen das Brettspiel Pogromly und forderten Nachermittlungen zu Einsätzen von Michèle Kiesewetter in der rechten Szene.
Zeugen:
- Andreas Schultz (Szeneladen „Madley“, Tatwaffe Ceska)
- Frank Liebau (Szeneladen „Madley“, Tatwaffe Ceska)
Die Verhandlung beginnt heute mit deutlicher Verspätung um 11.25 Uhr. Der Angeklagte André E. trägt einen roten Kapuzenpullover der rechten Marke „Erik and Sons“ mit der Aufschrift „Viking Attack“.
Erster Zeuge ist Andreas Schultz (siehe Protokoll zum 55. Verhandlungstag), dessen Vernehmung fortgesetzt wird. Schultz ist mit dem Anwalt Dr. Günther Wiesner als Rechtsbeistand erschienen. Richter Götzl fragt Schultz zunächst, warum es zur Verspätung gekommen sei, worauf Schultz antwortet, er habe in Saalfeld seinen Anschlusszug verpasst, der Regionalzug sei verspätet gewesen. Dann sagt Götzl, es gehe um den Verkauf einer Waffe und Schultz solle berichten. Schultz sagt, er bleibe immer noch dabei, dass er dazu keine Angaben machen wolle. Götzl fragt, ob sich Schultz auf den § 55 StPo berufen wolle, was der bejaht. Dann fragt Götzl, ob noch Fragen an den Zeugen seien. Nachdem es keine Meldungen gibt, entlässt er den Zeugen.
Dann verliest Nebenklagevertreterin RAin von der Behrens eine Erklärung nach § 257 zur Aussage von Jürgen Böhnhardt (78. Verhandlungstag). Die wichtigste Erkenntnis aus der Vernehmung des Zeugen sei, dass das Trio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach seinem Untertauchen nicht wieder in die Legalität habe zurückkehren, sondern im Untergrund habe bleiben wollen. Der Zeuge habe angegeben, obwohl er und seine Frau die Drei bei allen Treffen und Telefonaten aufgefordert hätten, sich zu stellen und versucht hätten, ihnen klar zu machen, dass ihr Leben so keine Perspektive habe, sondern alles nur noch schlimmer werde, hätten alle Drei ihm gegenüber mehrfach gesagt, dass ein Sich-Stellen für sie nicht in Frage käme. Dies hätte auch die Angeklagte Zschäpe ausdrücklich so geäußert. Bei einer späteren Nachfrage sei dann jedoch nicht mehr vom Gefängnis als Begründung für die Flucht in den Untergrund die Rede gewesen. Auf die Frage der RAin Wierig, was bei den persönlichen Treffen mit den Drei gesprochen worden sei, habe Böhnhardt gesagt, es sei, egal mit wem man gesprochen habe, darum gegangen, dass die sich stellen. Und auf die Frage, ob sein Sohn ihm einmal erklärt habe, warum er das nicht will, habe der der Zeuge gesagt: „Nein, er sagte, er will nicht.“ Auf Nachfrage habe der Zeuge gesagt, dass er sich damit habe zufrieden geben müssen. Die Frage der Haft scheine also eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Diese Entschiedenheit des Trios lege, so von der Behrens weiter, vor dem Hintergrund des Fundes einer zündfertigen Rohrbombe in der Garage den Schluss nahe, dass alle Drei schon vor der Garagendurchsuchung das Untertauchen und das Begehen von Anschlägen geplant hatten und sie deshalb die Angebote der Familie Böhnhardt nicht in Betracht zogen. Die Angaben der Zeugin Brigitte Böhnhardt in der Hauptverhandlung vom 20. November 2013 (58. Verhandlungstag), die Verhandlungen bezüglich des Sich-Stellens der Drei seien gescheitert, weil die Behörden keine klaren Zusagen gemacht hätten und Uwe Mundlos zu recht misstrauisch gewesen wäre, habe der Zeuge also nicht bestätigt. Im Gegenteil habe er gesagt, nach seiner Kenntnis hätte es seitens der drei zu keinem Zeitpunkt die Überlegung gegeben, in die Legalität zurückzukehren. Dafür, dass die eindeutigen Angaben des Zeugen Jürgen Böhnhardt näher an der Wahrheit sind, als diejenigen seiner Frau, spreche, dass die übrigen Bekundungen der Zeugin Brigitte Böhnhardt zu den Einzelheiten der Stellungsverhandlungen sehr konfus und teilweise nicht mit der Aktenlage in Einklang zu bringen gewesen seien. Ihre gesamte Darstellung scheine davon getragen gewesen zu sein, auch jetzt noch die Schuld für das Scheitern des Deals bei den Behörden zu suchen und nicht in der festen Entschlossenheit des Trios, aus dem Untergrund heraus zu morden. Ein augenfälliger Unterschied in der jeweiligen Beschreibung der damaligen Ereignisse durch die Zeugen Jürgen und Brigitte Böhnhardt finde sich auch bei der Schilderung der Entwicklung von Uwe Böhnhardt. Brigitte Böhnhardt habe die Ursachen für die Entwicklung ihres Sohnes externalisiert und habe der Wende, der Schule und den Nazis aus dem Westen die Schuld gegeben. Sie habe nicht wahrhaben wollen, dass ihr Sohn ein ideologisch überzeugter Nazi war. Jürgen Böhnhardt hingegen sei es gelungen, auszusprechen, dass sie als Eltern zunächst nicht ausreichend gemerkt hätten, wie verfestigt die neonazistische Einstellung ihres Sohnes war, dass er ein radikaler rechter Neonazi war, den sie schon nicht mehr erreichen konnten, als sie entsprechende Informationen von der Polizei erhielten. Er habe bekundet, dass alle drei in der rechten Szene waren, hätten sie erst 1997 durch Polizeifotos erfahren, da sei es zu spät gewesen. Im Gegensatz zu seiner Frau habe Jürgen Böhnhardt klar das Problem benannt. Ihr Sohn sei ein überzeugter Neonazi gewesen, der trotz aller Angebote seiner Eltern für diese nicht mehr erreichbar gewesen sei und mit seinen Freunden in seiner eigenen radikalen Welt gelebt habe. Seine Frau habe am 57. Verhandlungstag berichtet, zwei Leute vom LKA hätten 1999 in ihrem Wohnzimmer gesessen, einer hätte gefragt, ob sie sie nicht überreden könnten, wenn sie sie aufspürten und die zucken nur, seien ihre Leute schneller mit der Pistole, die hätten das gelernt, was der Zeuge bestätigte. Die in den Bekundungen beider Eheleute enthaltene Verwendung der Steigerungsform „schneller“ belegt, dass die Sicherheitsbehörden bereits zu diesem Zeitpunkt um die Bewaffnung des Trios und dessen Gefährlichkeit wussten. In der 39. Sitzung des Thüringischen Untersuchungsausschusses habe Frau Böhnhardt eingestanden, dass ein LKA-Beamter ihr bei diesem Gespräch gesagt habe, das LKA wisse, dass die drei bewaffnet seien. Die Behörden und Familie Böhnhardt hätten also schon 1999 von der Bewaffnung des Trios und dessen Umgang mit Rohrbomben und Sprengstoff gewusst, sodass spätestens 1999 allen Beteiligten, Behörden wie Unterstützern, die extreme Gefahr, die von den Untergetauchten ausging, bewusst gewesen sein müsse. Dennoch hätten die Eltern das Trio finanziell weiter unterstützt. Die Angaben des Zeugen Böhnhardt würden dabei die Frage nach Umständen, Anzahl und Umfang dieser Unterstützung aufwerfen. Dass beide Zeugen konkrete Angaben zur Art der Übergaben und der Summen gemacht hätten, spreche dafür, dass beide nicht dieselben Ereignisse unterschiedlich erinnern, sondern tatsächlich unterschiedliche Ereignisse schildern. Dies deute darauf hin, dass die Unterstützung der Familie umfangreicher war, als jeder von ihnen zugibt. Zur weiteren Aufklärung werde der Sohn Jan Böhnhardt zu hören sein. In Bezug auf den Angeklagten Wohlleben habe der Zeuge den Anschein erweckt, diesen schützen zu wollen. Anders sei nicht zu erklären, dass der Zeuge angegeben habe, noch nicht einmal zu wissen, wer die Angeklagten sind, obwohl ihm dies auf der Ladung mitgeteilt worden sei, dass er sich in der Hauptverhandlung an den Namen Wohlleben auch nicht habe erinnern können und seine Frau ihm angeblich nie gesagt habe, dass sie mit Wohlleben über das Trio gesprochen hätte. Offen sei nur geblieben, welche Informationen der Zeuge über den Angeklagten Wohlleben zurückhielt. Die Erklärung ist von mehreren Nebenklagevertreter_innen unterschrieben.
Dann stellt RA Schön, einen Beweisantrag. Er beantragt den zuständigen Sachbearbeiter des Vermieters von Beate Zschäpes Wohnung (Wohnzimmer, Küche, Bad, ein Kellerraum) in der 6. Etage in der Schomerusstraße 5 in Jena zum Zeitpunkt ihres Untertauchens im Januar 1998 zu laden. Darüber hinaus sollen Kriminalbeamte aus Thüringen geladen und Bilder gezeigt werden, um zu beweisen, dass in der Wohnung von Zschäpe am 26. Januar 1998 folgende Waffen an der Wand hingen: eine Zwille, ein angeschliffener Wurfstern, eine Armbrust mit 5 Pfeilen und Zielfernrohr, ein Buschmesser, ein Morgenstern, eine CO2-Pistole Modell CP88, ein Luftgewehr mit Zielfernrohr, ein Tramontinox/Brasil-Messer, sowie in der Wohnung ein Wurfanker mit Seil. Ebenso sollen Polizeibeamte bezeugen, dass im Wohnzimmer ein Bild mit einem Hakenkreuz und eine Reichskriegsflagge hing. Darüber hinaus beantragt Schön die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Dämmwolle, die in Zschäpes Keller gefunden wurde und Dämmmaterial, die bei der Rohrbombe im Ernst-Abbe-Stadion am 6. Oktober 1996 verwendet wurde. Ein früherer kriminaltechnischer Materialvergleich habe eine gemeinsame Herkunft nicht ausgeschlossen. Des weiteren beantragt Schön Kriminalbeamte zum Beweis der Tatsache zu laden, dass das Brettspiel „Pogromly“ in der Wohnstube gefunden wurde und das Spiel in Augenschein zu nehmen, sowie die Eintragungen auf dem Spielfeld und die „SA“- sowie „SS-Karten“ zu verlesen.
Schön beschreibt „Pogromly“: Bei Pogromly handelt es sich um ein selbst gefertigtes Spiel, das dem bekannten ‚Monopoly‘ nachgeahmt ist, mit einem Spielbrett, Spielsteinen, sogenannten Städtekarten, Spielgeld in der Währung Reichsmark und sogenannten SA- und SS-Karten. Anstatt der Straßen befinden sich jedoch Städte auf den einzelnen Feldern, die man käuflich erwerben kann. Über den Städtenamen sind jeweils 4 „Judensterne“ aufgezeichnet. Diese werden durch das Erwerben von Spielsteinen mit diesen verdeckt, dadurch wird die Stadt ‚judenfrei‘ gemacht. Dies entspricht dem Kauf von Häusern und Hotels beim Monopoly. Die SS- und SA-Felder in der Mitte des Spielfeldes sind zur Ablage der SA- und SS-Karten gedacht, an Stelle der Ereignis- bzw. Gemeinschaftskarten. Ein abgebildetes Hakenkreuz stellt das das Startfeld dar. Anstelle von Elektrizitäts- und Wasserwerk, wie bei Monopoly, gibt es bei Pogromly die Felder „Gaswerk“ und „Arbeitsdienste“. Das Gefängnisfeld und „Gehe in das Gefängnis“ wurde durch die Felder „Beim Juden“ und „Gehe zum Juden“ ersetzt. Das Feld „Frei Parken‘ wurde durch das Feld „Besuch beim Führer“ ersetzt und anstelle von Bahnhöfen kann der Spieler die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald, Dachau und Ravensbrück käuflich erwerben. Insgesamt hat das Spiel 16 SA- und 16 SS-Karten. Auf den SA-Karten befinden sich u. a. folgende Anweisungen: „Gehe zum nächsten KZ, um die gefangenen Juden abzugeben und zahle dem Besitzer das doppelte der normalen Miete.“, „Du wurdest zum Gau-Leiter gewählt. Zahle jedem Kameraden 1.000 RM.“, „Mache eine Inspektion im KZ Buchenwald. Wenn Du über Start kommst, ziehe 4.000 RM ein.“, „Du brauchst nicht beim Juden zu bleiben. Es handelt sich um einen Irrtum.“, „Du hast gestohlen. Gehe zum Juden, damit du dieses Bild des Abschaums als Warnung behältst.“, „Strafe für zu mildes Handeln gegen roten Terror!!! 3.000 RM.“, „Der Führer schenkt dir seinen Dank und eine Anerkennung für gute Dienste für das Vaterland. Ziehe 3.000 RM ein.“ Auf den SS-Karten befinden sich u.a. folgende Spielanweisungen: „Dir ist es gelungen, eine Horde roter Zecken mit Hilfe eines MGs abzuwehren. Du erhältst eine Prämie von 2.000 RM.“, „Du hattest auf ein Judengrab gekackt. Leider hattest du dir hierbei eine Infektion zugezogen. Arztkosten 1.000 RM.“, „Du hast durch dein gutes Durchgreifen gegen die roten Spinner die Städte sicherer gemacht. Ziehe als Dank 2.000 RM ein.“, „Du hast keine Ehre, keinen Stolz und keinen Mut. Deshalb wollen dich die Juden als ihren Vorsitzenden – gehe zum Juden!“, „Der Führer bedankt sich für deine Treue zum Vaterland. Du erhälst eine Prämie von 4.000 RM.“, „Wiedergutmachungszahlung: Juden müssen für Verbrechen am deutschen Volk zahlen. Du erhältst 400 RM.“, „Du musst nicht beim Juden bleiben. Es handelt sich um einen Irrtum. Verlasse diesen stinkenden Ort.“, „Die jüdische Krankheit (Klautisimus) muss noch weit besser erforscht werden. Zahle dafür 2.000 RM.“, „Die Polizei konnte mehrere israelische Taschendiebe verhaften. Du erhältst deine Geldbörse zurück. Ziehe 500 RM ein.“, „Diese roten Drecksäcke beschmutzen deine Städte mit dummen Parolen. Zahle für die Beseitigung 3.000 RM.“
Zur Begründung führt Schön aus, dass die Beweiserhebung für die Feststellung des Vorsatzes der Angeklagten Zschäpe von erheblicher Bedeutung sei. Dadurch ergebe sich, dass die Angeklagte bereits zum Zeitpunkt des Abtauchens in den Untergrund eine gefestigte rechtsradikale und antisemitische Ideologie vertreten habe. Die Ideologie des Pogromly-Spiels ziele auf die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und Andersdenkender. Dies entspräche der Ankündigung im sogenannten NSU-Brief zur „energischen Bekämpfung der Feinde des Deutschen Volkes und der bestmöglichen Unterstützung von Kameraden und nationalen Organisationen“, die, so der NSU-Brief, nach dem Motto „Sieg oder Tod“ durchgeführt werden soll. Der Spielidee, gekaufte Städte „judenfrei“ zu machen entspräche es, wenn in den Vorgängerversionen des „Paulchen-Panther-Videos“ über die Opfer gehöhnt werde, dass sie nun wüssten „wie ernst uns die Erhaltung der deutschen Nation ist“. Die in der Wohnung der Angeklagten gefundenen Waffen machten darüber hinaus deutlich, dass auch sie selbst bereits vor dem Untertauchen für die gewaltsame Durchsetzung ihrer ideologischen Auffassungen gerüstet war. Die von der Angeklagten geteilten Ideologie zum Zeitpunkt des Untertauchens einschließlich der Anhäufung von Waffen zeige die identische Einstellung, die auch im Verschicken des Bekennervideos nach der Inbrandsetzung der Wohnung Frühlingsstraße 26 zum Ausdruck komme. Die unveränderten ideologischen Auffassungen der Angeklagten im Jahre 1998 und 2011 zwängen zu dem Schluss, dass die Angeklagte auch in der Zeit dazwischen keine anderen Ansichten vertreten habe. Dies sei von erheblicher indizieller Bedeutung für die Mittäterschaft der Angeklagten, unabhängig von der Frage, ob sie persönlich an einem der Tatorte anwesend war oder nicht. Mehrere Nebenklagevertreter_innen schließen sich dem Antrag an.
Dann verliest Nebenklagevertreter RA Kienzle einen Antrag. Er beantragt Nachermittlungen zu den dienstlichen Tätigkeiten von Michèle Kiesewetter anlässlich sogenannter Großlagen im rechten Spektrum. Er begründet dies mit der vordringlichen Frage, die in dem Verfahren zahlreiche Nebenkläger beschäftige, welche Motivation des NSU hinter der Auswahl des jeweiligen Mordopfers stand. Die Einbettung der Straftaten in eine rechtsradikale und menschenverachtende Gesinnung und die ideologisch verbrämte Gewaltanwendung sei im Rahmen der Ermittlungen zu Tage getreten. Warum jedoch z.B. Halit Yozgat oder Michèle Kiesewetter als Opfer des NSU ausgewählt wurden, sei nach wie vor nicht aufgeklärt. Nicht nur beim Mord an Halit Yozgat, sondern auch beim Mord an Kiesewetter seien nach wie vor offenkundige Ermittlungsansätze im rechtsradikalen Spektrum nicht mit der gleichen Entschiedenheit verfolgt wpoden wie dies im Umfeld der betroffenen Familien mit Migrationshintergrund geschah.
Außerdem sei das jeweilige behördliche Umfeld der Straftaten und die behördlichen Tätigkeiten im unmittelbaren Zusammenhang mit den Straftaten und Opfern kaum aufgeklärt worden, obwohl sich hier Aufklärungsansätze geradezu aufdrängen. An den Fällen Yozgat und Kiesewetter ließe sich exemplarisch verdeutlichen, dass dies sowohl für Verfassungsschutz- als auch für Polizeibehörden gelte. Bei Kiesewetter dränge sich auf, dass die Auswahl als letztes Opfer der Mordserie mit ihrer dienstlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehe. Im Gegensatz zur erhobenen Anklage, wo von der These reiner Zufallsopfer ausgegangen werde, dränge sich durch die bekannten Einsätze im rechten Spektrum die damit einhergehende auf Tätigkeit als Beamtin auf, dass persönlich Kiesewetter durch den Mordanschlag getroffen werden sollte. Ermittlungen hierzu seien bisher unterlassen worden und jetzt nachzuholen. Kiesewetter habe als Angehörige einer BFE an zahlreichen Einsätzen teilgenommen, deren Anlass Kundgebungen, Demonstrationen oder andere Veranstaltungen aus dem rechtsradikalen Spektrum gewesen seien. Kienzle führt Einsätze bei rechten Demonstrationen und Veranstaltungen (Stuttgart 28.01.2006, Ulm 13.02.2006, Pforzheim 23.02.2006 und 23.02.2007, Göttingen 12.05.2006 und 27.10.2006, Friedrichshafen 20.05.2006 und 15.07.2006, NPD-Parteitag Karlsruhe 19.11.2006, Eilwangen 25.11.2006, Aulendorf 13.02.2006) und ein Skin-Konzerte (Waiblingen 11.03.2006) auf . Aus den Dienstplänen würden sich vielfältige dienstliche Bezüge von Kiesewetter zur rechten Szene ergeben, sowohl in Baden-Württemberg als auch in Niedersachsen. Mindestens die zwei Einsätze in Göttingen 2006 hätten einen regionalen Szenebezug zum Angeklagten Holger G. und Zeugen Alexander Sch. (s. Protokoll 72. Verhandlungstag). Während die Tätigkeit von Kiesewetter in der so genannten Drogenszene umfangreiche Ermittlungen veranlasst habe, häten die offenkundigen dienstlichen Bezüge zur rechtsradikalen Szene lediglich marginale Ermittlungstätigkeiten ausgelöst. Der Beamte Gi. (s. Protokoll 77. Verhandlungstag) habe ohne jede eigene Ermittlungstätigkeit die Schlussfolgerung übernommen, dass es mit der rechten Szene keine Probleme gegeben habe, die sich aus der Befragung der Kolleginnen und Kollegen ableitete. Da die Ermittlungen bisher unzureichend gewesen seien, müsste das nun unternommen werden: Abgleich der Erkenntnisse und Daten von Polizei und Verfassungsschutzbehörden zu Anmeldern und Teilnehmern der Veranstaltungen zu den Angeklagten und den weiteren Personenlisten des BKA und GBA (129er bzw. 300er-Liste); Ermittlung der konkreten Tätigkeiten von Kiesewetter bei den Einsätzen und ob sie bei Einsätzen Szenemitgliedern namentlich bekannt wurde. Hintergrund sei, dass polizeilichen Maßnahmen nach der Schilderung der bislang Verhandlung vernommenen Szenezeugen regelmäßig Unmut erzeugten und teilweise gegen die durchführenden Beamten persönlich gerichtete Rachegelüste hervorriefen. Dass diese Ermittlungen bislang nicht durchgeführt worden seien, zeuge von erheblichen Versäumnissen bei den Ermittlungsbehörden.
Zweitens beantragt Kienzle, den Ermittlungsbericht der „EG Umfeld“ beim LKA Stuttgart zu den Verfahrensakten beizuziehen und Akteneinsicht zu gewähren. Zur Begründung führt er an, dass der Bericht Ermittlungen zu persönlichen Bezügen des NSU oder des NSU-Umfelds nach Baden-Württemberg und namentlich Heilbronn zum Gegenstand habe. Nach vorliegenden Informationen würden die Ermittler in dem Bericht zu dem Ergebnis kommen, dass solche persönlichen Bezüge bestehen. Da sich aus dem Bericht die Hintergründe des Mordes an Kiesewetter erhellen ließen, gebiete Aufklärungspflicht die Beiziehung der Akten. Mehrere Nebenklagevertreter_innen schließen sich dem Antrag an.
Nach der Mittagspause folgt um 14.07 Uhr die Fortsetzung der Vernehmung des Zeugen Frank Liebau (siehe Protokoll zum 53. Verhandlungstag). Götzl sagt, man sei stehen geblieben beim Thema der Durchsuchung bei Liebau und dem entsprechenden Beschluss. Götzl fragt, welche Informationen Liau dazu bekommen habe. Liebau sagt: „Ja, wegen dieser Sache.“ Den Rest habe er sich durchgelesen im Durchsuchungsbeschluss, so Liebau weiter. Götzl macht den Vorhalt, dass im Durchsuchungsbeschluss stehe, dass Wohlleben zu Last gelegt werde, der terroristischen Vereinigung NSU in einem nicht näher bestimmten Zeitraum zwischen dem 1. Mai 2001 und einem unbestimmten Zeitpunkt im Jahr 2002 eine scharfe Schusswaffe nebst Munition verschafft und dabei billigend die Begehung vereinigungsbezogener Tötungsdelikte in Kauf genommen und gefördert zu haben. Götzl fragt, ob sich Liebau erinnern könne. Liebau sagt, nicht direkt, aber das könne sein. Weiter hält Götzl vor, der Beschuldigte Holger G. habe eingeräumt, im Auftrag von Wohlleben eine von diesem beschaffte scharfe Waffe nebst Munition übergeben zu haben. An den Wortlaut könne er sich nicht mehr erinnern, sagt Liebau Götzl fragt: „Und sinngemäß?“ Liebau: „Zum Teil“. Götzl hält weiter aus dem Beschluss vor, laut Aussage von G. habe der Beschuldigte Wohlleben gegenüber G. erklärt, er habe sich zunächst bei Frank Liebau erkundigt, ob er eine Waffe besorgen könne, Liebau habe ihn an Andreas Schultz verwiesen. Irgendwas habe da darin gestanden, aber direkt wisse er es nicht mehr, antwortet Liebau Dann hält Götzl aus der Vernehmung bei der Polizei vor. Dort habe Liebau angegeben, er sei nochmals bei der KPI Jena erschienen, weil er Angaben zur Sache machen wolle, die im Zusammenhang mit der Durchsuchung bei ihm stehen. Ihm sei, so der Vorhalt weiter, eingefallen, dass Ende der 90er mehrfach Leute in den Laden gekommen seien und nach Waffen gefragt hätten. Da sei es größtenteils um Schreckschusswaffen gegangen, in der Silvesterzeit, sagt Liebau Götzl fragt, von welchen Waffen im Durchsuchungsbeschluss die Rede sei. Liebau sagt, da sei von scharfen Waffen die Rede. Götzl fragt, von welchen Waffen Liebau denn habe sprechen wollen, wenn er nochmal Aussagen habe machen wollen. Liebau sagt, er sei angerufen worden, er solle nochmal rein kommen, es habe sich was Neues ergeben. Götzl fragt, ob er scharfe Waffen im Auge gehabt habe, als er von Waffen gesprochen habe. Es sei allgemein um Waffen gegangen. Dann fragt Götzl von welcher Waffe die Rede sei, wenn es heiße: „Es kann sein, dass mich der Wohlleben in dem genannten Zeitraum mal zwischen Tür und Angel gefragt hat, ob ich eine Waffe besorgen könnte.“ Es könne sein, dass er [Wohlleben] ihn gefragt habe, aber er wisse es nicht, erwidert Liebau RA Heer, Verteidiger von Zschäpe, sagt, er wolle anregen, zu fragen, von wem die Formulierung stammt. Götzl sagt, das könne Heer ja dann fragen, aber der Zeuge gehe ja darauf ein. Liebau wiederholt, es könne sein, aber er wisse es nicht mehr. Götzl sagt, er rufe Liebau nochmal die Formulierung im Durchsuchungsbeschluss in Erinnerung, dass der Angeklagte G. Angaben zur Herkunft der Pistole gemacht habe und da komme dann auch Liebaus Name ins Spiel. Götzl sagt, ihm gehe es um wahrheitsgemäße Angaben, er habe Liebau belehrt. Liebau erwidert, er wisse es nicht mehr, das liege über 15 Jahre zurück. Dann hält Götzl aus der Beschuldigtenvernehmung Holger G.s vor, in der dieser gesagt habe, den Frank Liebau habe man schon aus der Jenaer Szene gekannt, dem habe er, G., nie zugetraut, dass er was mit Waffen zu tun hat; Wohlleben habe gesagt, er habe sich an Liebau gewendet ob er eine Waffe besorgen können, und der habe ihn an seinen Partner verwiesen. Götzl fragt, ob Wohlleben Liebau angesprochen habe. Leibau sagt, er könne sich nicht mehr daran erinnern, das wisse er nicht mehr. Dann fragt Nebenklagevertreter RA Kuhn. Er hält aus Liebaus Aussage vor, dass Liebau gesagt habe, es sei ihm bekannt gewesen, dass der Schultz Kontakt zu einem Serben oder Kroate hatte, der im Kosovo gekämpft und auch mal geprahlt habe, dass er Waffen besorgen könne wie eine „Scorpion“, die sie im Krieg weggeschafft hätten. Kuhn fragt, ob Li, sich erinnere. Im Allgemeinen erinnere er sich, an den konkreten Wortlaut nicht, so Liebau. Kuhn fragt, ob sich Liebau an den Kroaten oder Serben erinnere, was Lbau bejaht. Er erinnere sich auch, dass der geprahlt habe, und dass er die Waffen aus dem Krieg weggeschafft habe. Er bestätigt, dass der Modellname „Scorpion“ gefallen sei. Kuhn fragt darauf hin, wie Liebau dann auf die Idee komme, dass mit dem Begriff Waffen Schreckschusswaffen gemeint gewesen seien. Lib: „Das sind doch auch Waffen.“ Kuhn fragt, ob die im Krieg Schreckschusswaffen weggeschafft hätten. Liebau erwidert, das sei eine allgemeine Aussage gewesen. Kuhn sagt, Liebau spreche von im Krieg weggeschafften Waffe und fragt, welche Waffen Liebau denn in der polizeilichen Vernehmung gemeint habe. Liebau sagt, es sei um alle möglichen Waffen gegangen. Eben habe Liebau aber gesagt, dass es um Schreckschusswaffen geht, erwidert Kuhn. Liebau sagt, es gehe um alle Waffen. Kuhn sagt, Liebau, sei zu Falschaussagen belehrt worden und er, Kuhn, nehme an, die BAW wisse, was sie zu tun habe. Dann sagt RA Narin, dass Liebau beim letzten Mal befragt worden sei, ob er je mit Waffen gehandelt habe, daraufhin habe Liebau gesagt, höchstens mit Armbrüsten. Narin fragt, ob Liebau sich erinnere. Er erinnere sich, dass er das gefragt worden sei, aber nicht, dass er das verkauft habe, antwortet Liebau. Narin sagt, Liebau habe beim letzten Mal seine Frage, ob er Uwe Böhnhardt eine Armbrust verkauft habe, verneint. Liebau sagt: „Weil ich noch nie eine besessen habe.“ Narin: „Aber Schreckschusswaffen haben Sie verkauft?“ Liebau verneint das. Narin hält Liebaus Aussage vor, dass Liebau ihn [Wohlleben] dann wahrscheinlich abgewimmelt und an Schultz verwiesen habe; er habe mit solchen Sachen nichts zu tun haben wollen. Narin fragt, ob damit auch der Handel mit Schreckschusswaffen gemeint sei. Das habe er allgemein gesagt, so Liebau Wenn er keine Lust gehabt habe, habe er die Leute immer an den Schul geschickt, wenn er weg gemusst habe zum Beispiel.
Narin, Kuhn und Wohllebens Verteidigerin Schneider teilen jeweils mit, dass sich eine Erklärung zur Aussage von Liebau vorbehalten. Der Verhandlungstag endet um 14.26 Uhr.
Zur Aussageverweigerung von Andreas S. erklärt Nebenklage-Anwalt Scharmer: „Die Angaben des mutmaßlichen Waffenverkäufers Andreas S. können nun durch die Vernehmungsbeamten des BKA als Zeugen in den Prozess eingeführt werden. Sie bleiben weiterhin belastend insbesondere für Wohlleben und Carsten S. Allerdings besteht nun – insbesondere auch für die Verteidigung – nicht mehr die Möglichkeit die Aussage des Zeugen zu hinterfragen. Warum die Verteidigung Wohlleben sich diese Möglichkeit verbaut hat, kann nur spekulativ beantwortet werden. Sinn macht ein solches Vorgehen nur, wenn man befürchten würde, dass sich die Beweislage durch eine konfrontative Befragung des Zeugen Andreas S. in der Hauptverhandlung noch verschlimmern könnte, er mithin mehr weiß, als bislang angegeben.“
Rechtsanwalt Stolle erklärt zur Aussage von Frank Liebau: „Für alle Beteiligten im Saal wurde deutlich, dass der Zeuge die Unwahrheit gesagt hat. Eine entsprechendes Verfahren wegen Falschaussage wird jetzt eingeleitet werden müssen.“