Protokoll 84. Verhandlungstag – 5. Februar 2014

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Zum zweiten mal musste André Kapke heute in München aussagen und er wird auch noch ein drittes mal anreisen müssen. Erneut wollte sich der Zeuge an nichts relevantes mehr erinnern können, alles sei 15 Jahre her. Nach Richter Götzl befragte die Bundesanwaltschaft den Zeugen, aber konnte ihn auch nicht zum Reden bewegen. Am Mittag stellte die Verteidigung von Zschäpe einen Befangenheitsantrag, da ein beisitzender Richter einen Ordner mit „HV NSU“ beschriftet hatte und dies eine Vorverurteilung sei. Nach kurzer Unterbrechung wurde der Antrag aber zurückgestellt und die Verhandlung fortgesetzt.

Zeuge:

  • André Kapke (Aktivist des Thüringer Heimatschutzes, unterstützte 1998 die Abgetauchten)

Einziger Zeuge des Tages ist zum zweiten Mal André Kapke, der mit seinem Zeugenbeistand Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt erscheint (siehe Protokoll 59. Verhandlungstag). Richter Götzl fordert ihn auf, zum Thema Flucht von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Januar 1998 zu berichten. An dem Morgen, wo die Hausdurchsuchung gewesen sei, so der Zeuge, habe Böhnhardt ihn angerufen und gesagt, dass er eine Hausdurchsuchung habe. Weil er nur 200-300 Meter davon entfernt gewohnt habe, sei er hingegangen. Böhnhardt habe ihm gesagt, dass er sich entfernen wolle mit dem Auto. Dazu, wie das konkret abgelaufen sei, dass die sich abgesetzt hätten, könne er gar nichts sagen, habe er keine Erinnerung. Er sei nur kurz hingelaufen und habe mit ihm geredet, entweder vor oder hinter diesem Wohnblock, das wisse er nicht mehr genau. Götzl fragt, ob Böhnhardt auch etwas zu den anderen beiden gesagt habe. Das wisse er nicht mehr, so Kapke. Und sinngemäß, hakt Götzl nach. Er könne sich nicht entsinnen. Böhnhardt habe gesagt, sowie er Zeit habe oder sowie die Möglichkeit bestehe, würde er losfahren.

Was der Zeuge dazu gesagt habe, will Götzl wissen. Keine Ahnung, das könne er ihm nicht mehr sagen. Er habe nicht damit gerechnet, dass die sich wirklich über kurz oder lang absetzen würden. Er habe nur gewusst, dass bei Böhnhardt eine Hausdurchsuchung gewesen sei. Normalerweise sei dann bei ihnen allen Hausdurchsuchung gewesen, diesmal jedoch nicht bei ihm selbst. Wenn ein Freund Hausdurchsuchung gehabt habe, was damals nicht gerade selten vorgekommen sei, sei das eine Interessensache gewesen, man sei sich schließlich freundschaftlich verbunden gewesen. Er habe er sich gewundert, dass er diesmal keine gehabt habe, normal seien sie immer alle durchsucht worden. Eine Hausdurchsuchung sei gewisse Form der Repression, davon sei man auch betroffen, das sei eine gemeinschaftliche Betroffenheit. Was denn der Grund der Hausdurchsuchung gewesen sei, wenn man davon betroffen gewesen sei, hakt Götzl nach. Es habe nie etwas zur Folge gehabt, es gebe keine Verurteilung, erwidert der Zeuge. Das sei nur substanzloses Drangsalieren gewesen, da sei es manchmal ganz dienlich gewesen, als Zeuge anwesend zu sein, das sei nicht immer sehr nett abgelaufen. Warum er sich dann nicht bei der Polizei als Zeuge gemeldet habe, will Götzl wissen. Nein, seiner Meinung nach sei er auch nicht nach oben gegangen, er sei er vor oder hinter dem Haus gewesen, könne sich aber nicht mal mehr an die Uhrzeit erinnern. Der Uhrzeit komme gar keine Bedeutung zu, herrscht Götzl den Zeugen an, sondern was besprochen worden sei. Auch wenn er das noch zehn mal mache, so der Zeuge, das könne er ihm nicht sagen.

Die klängen schon wie ausgestanzt, seine Sätze, gibt Götzl seiner Ungeduld Ausdruck. Er könne ihm noch mehr vorformulieren und er läse das dann vor, erwidert der Zeuge. Götzl fragt, wie jetzt die Situation vor Ort gewesen sei, ob er etwa mit Böhnhardt allein geredet habe. Ja, nach seiner Erinnerung habe er nur kurz mit ihm alleine geredet, sagt Kapke. Polizisten seien bei der Garage gestanden. Er wisse nicht, wie lang sie geredet hätten, paar Minuten. Götzl insistiert, er habe nur einen Satz bisher mitgeteilt, dass er bei nächster Gelegenheit wegfahren werde: das sei kaum ein Gespräch. Er könne es nicht ändern, so der Zeuge, er könne sich nur daran erinnern, was solle er denn machen. Das sei ja auch nicht gerade gestern gewesen.

Er wolle noch einmal zur Ausgangsfrage zurück, sagt Götzl: Wie er von der Flucht erfahren habe. Das könne er ihm gar nicht genau sagen, er wisse es nicht, wirklich nicht. Aus der Erinnerung: klar, die seien irgendwann weg gewesen – sonst nichts. „Nehmen sie’s mir nicht übel, aber da fehlt mir einiges, kann’s nicht ändern“, sagt der Zeuge. Götzl hält dem Zeugen aus seiner Vernehmung vom 25.11.2011 beim BKA vor: Auf die Frage nach Kontakt zum Trio habe er geantwortet: „Dazu möchte ich jetzt nichts sagen. Kann nur sagen, dass ich ab 98 keinen Kontakt mehr zu den Dreien hatte.“ Das stimme nicht mit seiner heutiger Aussage überein, sagt Götzl fragend. Es sei nicht falsch, fängt der Zeuge an. Hier flüstert RA Waldschmidt seinem Mandanten etwas zu, was Götzl missbilligend kommentiert. Der Zeuge weiter: Er habe ja keine Falschaussage beim BKA gemacht, er habe tatsächlich ab Mitte 98 keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt. Laut der Aussage hier habe er doch noch 2000 Kontakt gehabt, insistiert Götzl. Der Zeuge verneint das.

Wie es nach der Haussuchung zum Kontakt mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gekommen sei, fragt Götzl weiter. Kapke antwortet, das könne er ihm nicht sagen, er habe da kein konkretes Bild, keine konkreten Abläufe im Kopf, sei halt so gewesen, und gut: „Kann’s nicht ändern“. Auch wann denn der erste Kontakt danach stattgefunden könne er nicht sagen, das sei unklar, das wisse er nicht. Sie hätten Telefonzellen genutzt, Infoketten. Aber er könne nichts Genaues sagen. Es könne sein, dass der Uwe [Böhnhardt] zu ihm im Weggehen gesagt habe, er solle mal am soundsovielten da bei der Zelle sein. Die Telefonzellen, die sie regelmäßig gebraucht hätten, die könne er ihm schon sagen. Es habe keine genaue Kette gegeben. Wie er erfahren habe, dass alle drei untergetaucht seien, fragt Götzl weiter. Kapke erwidert, ob ihm Ralf [Wohlleben] das erzählt habe oder wie, wisse er nicht. Was der nächste Kontakt gewesen sei, will Götzl wissen. Ein detailliertes Ereignis könne er ihm nicht sagen, den Ablauf habe er nicht. Das sei nicht plausibel, kommentiert Götzl. Plausibel hin, plausibel her, erwidert Kapke lachend.

Ob jemand mal auf ihn zugekommen sei und übers Untertauchen geredet habe, fragt Götzl weiter. Das könne schon sein, sei wahrscheinlich, sagt der Zeuge, aber er erinnere sich an nichts konkretes. Dass es Thema gewesen sei, sei logisch, es habe ja auch groß in den Medien gestanden. Ob über Unterstützung, Unterschlupf, Flucht ins Ausland geredet worden sei, hakt Götzl nach. Er habe sich keine konkreten Gedanken gemacht, erwidert der Zeuge. Er habe zu keinem Zeitpunkt gewusst, wo die waren. Er habe keinen Ort in Erinnerung, hätte es auch gar nicht wissen wollen. Es habe ihn nicht interessiert – na ja, interessiert schon, aber… Götzl insistiert, dass es selbstverständlich gewesen sei, den Freunden etwa bei einer Haussuchung zu Hilfe zu eilen, widerspricht dem doch. Kapke sagt, ob Wohnung und Unterkunft in Deutschland Thema gewesen seien, wisse er nicht, für ihn sei es kein Thema gewesen.

Ob er Thomas Ro. kenne, fragt Götzl. Wisse er nicht, so Kapke. Ob er in Chemnitz in der Friedrich-Viertel-Straße mal in einer Wohnung gewesen sei? In einer Wohnung, fragt der Zeuge zurück, nicht dass er wüsste. Ob er Max-Florian Bu. kenne, fragt Götzl. Vom Namen her nicht, sagt der Zeuge. Ob er mal in der Limbacherstraße in Chemnitz gewesen sei. Er sei meist auf Konzerten oder in einem Laden gewesen, aber in Wohnungen eher nicht, antwortet Kapke. Ob er Carsten Ri. kenne, fragt Götzl. Sage ihm jetzt nichts, so der Zeuge. Ob er in der Altchemnitzerstraße gewesen sei? In einer Wohnung sei er in Chemnitz nicht gewesen: da sei er sich relativ sicher. Und er neige nicht zu so exzessivem Saufen, dass er das alles vergessen würde. Er sei auf Konzerten oder mal in Gartenkneipen gewesen, aber nicht in Wohnungen. Ob er 1998 mal Geld überbracht habe, fragt Götzl. Könne er ihm nicht sagen, so Kapke. Ob er mal Geld bei Frau Böhnhardt abgeholt habe, fragt Götzl weiter. Er habe keine Erinnerung daran, sagt Kapke.

Götzl hält die Aussage von Uwes Vater Jürgen Böhnhardts vor (siehe Protokoll 78. Verhandlungstag): André Kapke habe bei einer Gelegenheit 500 Mark abgeholt. Er könne sich nicht erinnern, dass er mit Frau Böhnhardt überhaupt Kontakt gehabt habe, so Kapke.  Götzl fragt nach dem System der Telefonzellen. Meistens habe man bei einem Gespräch das nächste vereinbart, erklärt der Zeuge. Auch im Vorfeld von Veranstaltungen sei das so gewesen, es sei dann klar gewesen, dass der eine den und den Punkt mache und der andere da und da sei, das sei nicht so kompliziert gewesen. Außerdem hätten sie eine Dechiffrier-Tabelle gehabt, um mit dem Handy solche Daten zu verschicken. Das sei so lange her. Götzl fragt wie der Zeuge darauf komme, 2 bis 5 Mal Kontakt mit den Untergetauchten gehabt zu habe. Er könne nur wiederholen, so Kapke, dass er das nicht sagen könne: „Da gab’s mal Kontakt und dann war da Schluss: Kann’s nicht genau sagen.“ Warum er eigentlich das Zusammentreffen mit Uwe Böhnhardt nicht vorher geschildert habe, insistiert Götzl. Das wisse er gar nicht, erwidert Kapke. Werde er denn alle Umstände erst erfahren, wenn er frage, spitzt Götzl zu. Nein, erwidert der Zeuge, es sei ihm einfach nicht so präsent gewesen. Es ergäben sich immer mal so Sachen, man lese etwas und dann komme einem wieder was ins Gedächtnis. Etwa wenn man den Schäfer-Bericht gelesen habe, dann wisse man nicht mehr genau, wo die Erinnerung herkomme. Er könne nur sagen, es habe vielleicht 5 Telefonate gegeben. Und die Inhalt der Telefonate, fragt Götzl. Das könne er ihm nicht sagen, vielleicht sei es aus der Logik heraus um Südafrika gegangen, aber er habe keine konkrete Erinnerung.

Dann fragt Götzl, es gehe noch mal um das Thema Pässe, mit wem er gesprochen habe. Der Zeuge sagt, das könne er beim besten Willen nicht sagen, er nehme mal an, dass es die Uwes gewesen seien. Götzl fragt nach Details: Für wen er die Pässe denn besorgen sollte. Na, für die drei, antwortet Kapke. Und wie das mit den Lichtbildern gewesen sei, fragt Götzl weiter. Irgendwann seien Lichtbilder gekommen, am Anfang seien keine da gewesen, aber wie das genau zustande gekommen sei, könne er nicht sagen. Er habe versucht darüber nachzudenken, aber nur die groben Abläufe, keine Details gefunden. Zur Weitergabe der Passbilder sei es ja nicht mehr gekommen, sagt Kapke. Beim ersten Anlauf, da habe das ja komplett gemacht werden sollen, aber da seien keine Bilder drin gewesen. Ob die Namen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe enthalten gewesen seien oder nicht, hakt Götzl nach. Es habe diesen Typen gegeben, der ihm genannt worden sei, schildert der Zeuge. Das erste Treffen sei nur zur Besprechung gewesen, beim nächsten Termin hätten die Dokumente übergeben werden sollen und dann die Lichtbilder. Die Namen hätten telefonisch durchgegeben werden sollen. Zum zeitlichen Ablauf könne er nichts sagen. Der Preis pro Stück habe 1000 Mark betragen, aber das wisse er nicht mehr genau, er habe den für die Rohpässe runtergehandelt. Wie er die Pässe bestellt habe, fragt Götzl. Beim ersten Gespräch, so der Zeuge, da sollte das nur grob abklopft werden. Da seien noch keine Namen im Gespräch gewesen, glaube er. Er wisse nicht, ob es schon konkret um eine Summe gegangen sei. Sie seien dann eine Telefonzelle suchen gegangen und hätten einen Termin vereinbart zum Telefonieren. Ob er zwei oder drei mal mit dem Mann telefoniert habe, könne er nicht mehr sagen, so Kapke. Es habe dann ein zweites Treffen zur Lichtbildübergabe gegeben. Der Mann habe aber gesagt, dass es nicht gehe, er müsse weg und habe ihm nur die Blanko-Pässe gegeben.

Götzl fragt nach den Dokumenten ohne Inhalt, wieso sei er bereit gewesen, einen erheblichen Betrag für die Sache zu bezahlen, die er so ja angeblich nicht gewollt habe. Na gut, dann habe man wenigstens das, es werd sich schon jemand finden, der die Pässe fertigstelle, so Kapke: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf’m Dach!“ Götzl umkreist das Szenario: da seien welche im Untergrund, man müsse sich Gedanken machen, wovon sie lebten, wo sie sich aufhielten, wie es mit ihnen weitergehen solle etc. Wer habe sich um andere Dinge gekümmert, fragt Götzl. Er habe sicher mit Ralf drüber geredet, mit Brandt auch, aber Genaues könne er ihm nicht sagen, so Kapke. Auf Nachfrage sagt er, definitiv mit Tino Brandt darüber geredet zu haben, der habe den Typen ja vermittelt. Er wisse aber auch gar nicht, welche Gespräche geführt worden seien. Ob er den Untergetauchten außer Geld auch andere Gegenstände habe zukommen lassen, z.B. Kleidung, fragt Götzl weiter. Daran habe er keine Erinnerung, sagt Kapke, „Ich hab da nix!“ Welche engsten Freunde er denn damals gehabt habe, insistiert Götzl. Der Zeuge antwortet, das habe er doch gesagt, er habe mit Ralf und Tino drüber geredet. Aber heute, da würde ihm nur einer einfallen, aber der sei ja momentan verhindert [blickt zu Wohlleben und lacht].

Götzl will an dieser Stelle eine Pause einlegen, es meldet sich jedoch Zschäpe-Verteidiger RA Heer zu Wort und bittet um eine etwas längere Unterbrechung, um seine Mandantin über einen Umstand zu informieren, der ihm erst zu Beginn der Verhandlung aufgefallen sei. Götzl stimmt zu. Nach der Pause verkündet Heer, dass seine Mandantin einen Befangenheitsantrag zu stellen beabsichtige und deshalb um eine weitere Stunde Unterbrechung bitte. Götzl setzt deshalb schon jetzt die Mittagspause an und unterbricht.

Nach der langen Pause stellt RA Heer für seine Mandantin den Befangenheitsantrag gegen Richter Lang. Dieser habe den Sitzungssaal heute mit Akten unter dem Arm betreten, deren Rücken mit „HV NSU“ beschriftet gewesen seien, was einer Vorverurteilung seiner Mandantin als Mitglied des sogenannten NSU vorverurteile. In der Beschriftung des Aktenordners dokumentiere sich – wie überhaupt in der Öffentlichkeit – fehlende Unvoreingenommenheit gegenüber seiner Mandantin. Ob seine Mandantin konstituierendes Mitglied des NSU gewesen sei, sei ja erst Gegenstand der Verhandlung. Wenn ein Mitglied des erkennenden Senats dies als bereits erwiesen erachte, sei dies ein bemerkenswerter Vorgang, der für sich spreche. Normalerweise trügen Akten den Namen der Angeklagten und ein Aktenzeichen. Derselbe Vorwurf sei schon einmal gegenüber dem beisitzenden Richter Kuchenbauer erhoben worden, als er in einem offiziellen Schreiben des Senats von der „besonderen Schwierigkeiten des Tatnachweises“ sprach und damit ebenfalls das Ergebnis des Verfahrens vorwegnahm (siehe Protokoll vom 35. Verhandlungstag). Es gebe eine massive Vorverurteilung seiner Mandantin in der Öffentlichkeit und von behördlicher Seite. Das Gericht habe im Beschluss zur Ablehnung des Richters Kuchenbauer erklärt, es habe bisher standhaft und unabhängig agiert (siehe Protokoll vom 36. Verhandlungstag). Das sei nun nicht mehr gegeben, so Heer. Sie verlangten eine dienstliche Äußerung des Richters und dass der Mandantin die Richter namhaft gemacht würden, um den einwandfreien Anlauf des Verfahrens zu prüfen.

Über ihre Verteidigungen schließen sich die Angeklagten Wohlleben und E. dem Antrag an. Auf kritische Nachfrage Götzls erklärt einer der Anwälte E.s, er habe E. in der Pause darüber informiert und er schließe sich ebenfalls an. Die BAW sagt nur kurz, dass die Hauptverhandlung fortzusetzen sei, eine Stellungnahme der BAW komme. RA Reinicke moniert im Antrag sei die Unverzüglichkeit nicht hinreichend begründet, und fragt, ob die Angeklagte nicht zur Kenntnis genommen habe, dass hinter dem Senat in den Regalen ungefähr 600 Ordner mit der Aufschrift NSU auf dem Rücken stünden. Es sei nicht hinreichend geltend gemacht, was Frau Zschäpe nun eigentlich gesehen habe und drauf komme es an. Götzl verfügt eine weitere 30-minütige Unterbrechung.

Um etwa 13:45 Uhr erklärt Vertreterin des GBA Greger, dass das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückzuweisen sei, denn dass ein Richter einen Ordner mit der Aufschrift „HV NSU“ unter dem Arm trage, sei kein Anlass an eine Unvoreingenommenheit zu denken. Es gehe in dem Verfahren schließlich um die Gründung und die Taten vom NSU. Eine verkürzte Beschreibung des Prozessgegenstandes sei mithin keine Vorverurteilung. Dann erklärt der Senat: Der Beschluss werde zurückgestellt der Prozess fortgesetzt. Zunächst werde die Stellungnahme des abgelehnten Richters Lang eingeholt und die Möglichkeit der Stellungnahme dazu gegeben. Die Fortsetzung sei wegen des Beschleunigungsgebotes geboten. RA Heer beanstandet dies und fordert einen Gerichtsbeschluss, da die Voraussetzung für eine Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht gegeben sei. Dem schließt sich RA Klemke an. Nach einer weiteren Unterbrechung ein Beschluss des Senats: Die Verfügung auf Zurückstellung werde bestätigt, es lägen keine Ermessensfehler vor, erst werde die dienstliche Stellungnahme des betroffenen Richters eingeholt, ein Weiterverhandeln sei sachgerecht.

Dann wird die Vernehmung des Zeugen Kapke fortgesetzt. Götzl fordert den Zeugen auf, von einer Art Zeitung, die er zu seinem Geburtstag bekommen, zu erzählen. Er glaube, das sei 1998 zum seinem Geburtstag gewesen oder kurz danach, da er ja am Geburtstag selbst in Südafrika gewesen sei, erzählt Kapke. Wie er die bekommen habe, ob er sie auf seinem Tisch gefunden habe, wisse er nicht. Auf Fragen von Götzl sagt der Zeuge, er nehme an sie von der Frau [Jana] Ap. bekommen zu haben, er gehe davon aus, dass die von Jana Ap. und Ralf Wohlleben gemacht worden sei. Was denn der Inhalt dieser Blätter gewesen sei, so Götzl weiter. Alles mögliche, sagt der Zeuge, das könne er ihm nicht sagen, eine sarkastische, ironisch gemachte Geburtstagszeitung halt. Und er habe an den Inhalt gar keine Erinnerung, fragt Götzl ungläubig. Ja, doch schon, aber nicht konkret, so Kapke. Da seien so eine Art von Lebensläufen drin gewesen, keine Ahnung, satirisch überspitzte Geschichten halt. Ob denn Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt darin eine Rolle gespielt hätten, konkretisiert Götzl. Das bejaht der Zeuge, „mit Sicherheit, der ganze damalige Freundeskreis“. Götzl: „Und Frau Zschäpe auch?“ Ja, sagt Kapke, er glaube schon, könne es aber nicht hundertprozentig sagen. Ob er denn auch selber darin vorkomme, fragt Götzl. Ja, sagt der Zeuge, aber in welchem Zusammenhang könne er genau nicht mehr sagen, er habe sie sich nicht dauernd permanent angeschaut. Ob er darüber mit Jana Ap. gesprochen habe, fragt Götzl. „Nehmen’s Sie’s mir nicht übel“, sagt der Zeuge, er könne es nicht sagen, es sei 15 Jahre her. Er habe sie immerhin aufgehoben, weil sie einen Stellenwert für ihn gehabt habe. Götzl fragt nach diesem Stellenwert. Ja den, so der Zeuge, dass er sie aufhebe, sie sei bei seinen Büchern dabei. Ob Böhnhardt und Mundlos an der Erstellung beteiligt gewesen seien, fragt Götzl weiter. Da sei ihm nichts bekannt: „Nee!“.

Wann er denn aus Südafrika zurückgekommen sei, fragt Götzl. Am 24.8. habe er Geburtstag, könne aber nicht genau sagen, wann er genau zurückgekommen sei. Ob er sonstige Personen in Erinnerung habe im Kontext mit den Blättern, hakt Götzl nach. Der Zeuge überlegt: Ja Ralf, Holger G. noch, Tino Brandt, Jana, sonst wisse er jetzt nicht. Ob dabei von Mario Ralf die Rede gewesen sei, fragt Götzl weiter. Das könne schon sein, so der Zeuge, das sei wohl Br., mit dem er in Südafrika gewesen sei. Und ein Nico, so Götzl weiter. Nur „Nico“ sage ihm jetzt ehrlich gesagt nichts, sagt Kapke. Nico Me., hilft ihm Götzl auf die Sprünge. Me. sage ihm was, nicht aber „Nico Me.“ Ob er sonst zum Inhalt noch Erinnerungen habe, fragt Götzl, ob auch von Politikern die Rede gewesen sei. Ja, das stimme, da waren welche erwähnt, so Kapke. Aber im einzelnen wisse er es nicht mehr. Ob da Schröder war, fragt er sich selbst. Helmut Kohl sei auch mit dabei gewesen, aber nur in so einer Bildkollage, so Kapke. Und Ignatz Bubis, fragt Götzl ab. Ja, das könne sein. Da sei auch der Bürgermeister von Jena, glaube er, als Kommentar oder Kommentargeber, oder so. Götzl fragt noch einmal nach der Übergabe. Der Zeuge sagt, er wisse die Gelegenheit nicht mehr, es könne sein, dass die, als er zurückgekommen sei, als Willkommensgruß in der Wohnung gelegen habe, es sei sein 23. Geburtstag gewesen. Das Asservat, etwa DIN-A-3-Bögen mit Collagen und Text in Anmutung einer „Bild“-Satire, wird in Augenschein genommen. Götzl fragt, wann es bei ihm aufgefunden worden sei. Letztes Jahr, sagt Kapke. Dann wird die Collage an die Wände projiziert und verlesen: „Extraausgabe, Herausgegeben von Wolle und Jana“ [Der Angeklagte Wohlleben grinst.] Wer auf dem Bild zu sehen sei, fragt Götzl. Das sei er, sagt Kapke. Jana Ap. sei eine sehr gute Freundin von ihm gewesen, sagt der Zeuge. Auf weiteren Collagen-Blättern sind Bilder von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe zu sehen.

Kapke erläutert die Bilder vorne an der Richterbank. Götzl fragt, worauf denn abgestellt worden sei bei Überschriften wie „Thüringer Bauern können wieder lachen. Kohlernte erfolgreich. Bäuerin U-Mundlos: ‚Da sind ekelhafte Mutanten dabei, die unangenehm riechen und fett und hässlich sind’“. Er habe das als Satire verstanden, relativ offensichtlich, erwidert der Zeuge. An weitere Anspielungen könne er sich nicht erinnern. Der nächste Bogen zeige ein Bild von Ralf Wohlleben, erläutert Kapke, das andere sei ein x-beliebiges Bild. Auf dem nächsten Bogen zwei Bildern von sich und wieder ein x-beliebiges, führt Kapke durch die Inaugenscheinnahme. Ebenso auf einem weiteren Bogen. Dann sind in einer Collage Bilder von Gerhard Schröder, Joschka Fischer, der Mona Lisa, Ignatz Bubis, Godzilla, Jenas damaligem Oberbürgermeister Prof. Röhlinger, Innenminister Dewes, Michel Friedman und vom Zeugen zu sehen. Unter der Überschrift „Die drei von der Tankstelle“ sind Holger G., Mundlos, Kapke und unten noch Brandt zu sehen. Auf einer Seite mit „Neue Staatsschutz-Einheit: SS-Babies“ ist ein Bild von Jana Ap. zu sehen. Unter stilisierten „Bekanntschafts-Anzeigen“ finden sich Abbildungen von Mundlos, Böhnhardt, Eb., Br. und anderen. Ein weiteres Blatt enthält eine „Verarsche“ (Kapke) des Verfassungsschutzes, es ist eine Wanze abgebildet. Bei der Überschrift „Scheiß auf ‚Carpe diem’“ sei es um ein gleichnamiges Zeitungsprojekt gegangen, das sei eine Anspielung darauf, erklärt der Zeuge. „Hurra, Hurra, André ist wieder da“ sei einfach ein Geburtstagsgruß an ihn, so Kapke. Der Zeuge setzt sich wieder.

Götzl hält Textpassagen von der Seite mit den „Anzeigen“ vor: „Uwe, 20, bin gerade full, verspreche aber Besserung, mit krankhaften Gesichtszuckungen, die auch auf dem Foto zu sehen sind, ich bin in einer Brauerei tätig. Chiffre 14/88“; „Uwe, 24, Sonnenbrillenfetischist, Kofferbauer, suche Lady, die mich dran hindert, ständig meine Koffer irgendwo zu vergessen. Chiffre 18/88“. Wie sei die Übergabe im Zeitraum nach seinem Geburtstag abgelaufen, fragt Götzl und ob die Reihenfolge von anderen festgelegt worden sei. Das sei für ihn nicht nachvollziehbar, aber der Richter könne doch auch nicht von ihm verlangen, dass er erkläre, was andere entschieden hätten, das ist doch Unfug, empört sich der Zeuge. Warum er seine Frage für Unfug halte, gibt Götzl zurück. Er könne doch nicht verlangen, dass er, der Zeuge erkläre, was andere so gemacht hätten. Zeugenbeistand RA Waldschmidt moniert, dass sein Mandant sich nur zu Tatsachen äußern könne. Er wisse es nicht, weil er die Zeitung ja nicht gemacht habe. Götzl patzt zurück, wenn er, Waldschmidt, etwas beizutragen habe, könnte man das später noch machen. Kapke beeilt sich zu erläutern, dass er felsenfest davon ausgehe, dass er das mit Frau Ap. durchgesprochen habe, mit der ich damals sehr eng gewesen sei, das sei sicher Gesprächsthema gewesen. Die Schrift sehe aus wie die von Frau Ap. Was das Wort Kofferbauer da zu bedeuten habe, will Götzl wissen. Das sei eine Persiflage auf diese Bombenattrappen-Geschichte, so Kapke. Götzl will wissen, wer was gemacht habe an den Blättern, Ap. und Wohlleben. Keine Ahnung, sagt der Zeuge, die Schrift könne er relativ eindeutig zuordnen. Man habe sich über die Persiflagen auch lustig gemacht über bestimmte Sachen. Das sei ein gängiges Mittel, Sachen zuzuspitzen: „Wir haben uns nicht allzu ernst genommen: wir konnten auch gut über uns selber ablachen.“

Götzl zitiert weiter aus der Geburtstagszeitung: „Topterrorist A. Kapke beim Ausspähen seiner Opfer“. Ja, wie gesagt, wiederholt Kapke, Satire. Götzl weiter: „…erfolgreich ausspioniert, als er gerade dabei war, den Ignatz Bubis zu fotografieren, der erste, den er brutal ermorden wollte.“ Kapke sagt dazu, die Darstellungen zu ihren Personen in der Öffentlichkeit und den Medien seien lächerlich überspitzt worden. Es habe gegenüber Bubis mal ein Gesprächsangebot in Jena gegeben, der da einen Vortrag gehalten habe und er, Kapke, habe angeboten, eine Gesprächsrunde mit Bubis zu zu machen. Er habe mit dessen Büro kommuniziert, es sei dann aber abgelehnt worden. Da hätten sie halt dann das eine oder andere Späßchen drüber gemacht, so der Zeuge. Götzl zitiert: „Neue Tankstelle für Gas am Ettersberg: Umfunktionierung der Gedenkstätte Buchenwald in eine Gastankstelle“. Ja, sagt der Zeuge, es habe damals den Plan gegeben, eine Tankstelle für Gas in der Nähe zu bauen, das sei dann wegen Protesten abgelehnt worden. Das glaube er zumindest, hoffe es, sagt der Zeuge. Was denn die Codes 88, 18 und 1488 zu bedeuten hätten in den Blättern, fragt Götzl. Sie hätten einfach mit diesen Klischees gespielt, sagt Kapke. Das mit den Symbolen geistere permanent durch die Medien, die ganze Zeitung sei eine Verarsche, mehr nicht. Götzl zitiert noch aus den Blättern eine Demonstration unter dem Motto: „Den Mitmenschen leben lassen“: „André Kapke, der wohl meistgehassteste Mensch. Es soll Feinde dieses widerwärtigen Nazis geben, die sich im THS sammeln und die Morde machen wollen: Bubis + Co Augen auf!“ Was das zu bedeuten hätte, will Götzl wissen. Das würde er so heute nicht mehr lesen wollen, sagt Kapke, das sei überspitzt, das sei einfach totale Überspitzung.

Wenn man sich die Themen anschaue, so Götzl, dränge sich die Frage nach Diskussionen über Gewaltanwendung auf. Natürlich, die habe es permanent gegeben, gesteht Kapke zu, solche Diskussionen über legitime Gewalt, man sei ja ständig von links angegriffen worden. Natürlich habe es in diesem Zusammenhang Diskussionen über Gewaltanwendung gegeben. An Diskussionen über „bewaffneten Kampf“ könne er sich nicht erinnern, das sei für ihn ohnehin nicht in Frage gekommen. Sicherlich habe es Leute gegeben, die gesagt hätten, dass man sich das nicht mehr gefallen lasse, da habe es Diskussionen über Gewaltanwendung gegeben und dass man Zellen bilden solle. Ob so etwas auch von Böhnhardt und Mundlos gekommen sei, hakt Götzl nach. Er erinnere sich nicht konkret, dass das da mal gesagt worden sei, dass man jetzt hier eine Zelle gründen müsse, meint der Zeuge. Es habe Diskussionen darüber gegeben, dass man sich nicht alles gefallen lassen könne, aber an solche über Zellenbildung könne er sich nicht erinnern, so Kapke. Götzl insistiert und wiederholt erneut das letzte Zitat über Bubis. Von ihrer Seite sei das gar nicht Thema gewesen, ihnen sei mehr nachgesagt worden. Man habe das dann eben überspitzt, erklärt der Zeuge: „Was soll ich ihnen sagen, das war Quatsch!“ Götzl will wissen, wer Kenntnis genommen habe von diesen Blättern, ob z.B. Holger G. dazu gehöre. Das wisse er nicht, die hätte jetzt 10 Jahre bei ihm in der Garage gelegen, erwidert Kapke. Ob er den Angeklagten André E. eigentlich kenne, fragt Götzl. Kapke verneint, er meine, dessen Bruder mal getroffen zu haben, aber ihn selber nicht.

Nach einer Pause kommt Götzl nochmals auf die Zahlencodes zurück. Die Medien hätten mit diesen Klischees gespielt und das habe man dann selber getan, erklärt Kapke, 88 solle für „Heil Hitler“ stehen, 18 für „Adolf Hitler“ und die 14 für die „14 Worte“. BAW-Vertreterin Greger fragt den Zeugen, ob ihm Mittwochsstammtische etwas sagten und wer daran teilgenommen habe. Ja, antwortet der, die habe es gegeben, das sei ein relativ großer Personenkreis gewesen aus Ost- und Südthüringen, der sich in Rudolstadt getroffen hätten. Greger will wissen, ob Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe daran teilgenommen hätten. Das bejaht der Zeuge, das sei wahrscheinlich. Warum das am Mittwoch stattgefunden habe, fragt Greger nach. Das sei die Mitte der Woche, mittwochs halt, gibt Kapke provozierend zurück. Auf die Frage, wer denn der Führer der Kameradschaft Jena (KJ) gewesen sei sagt Kapke, es habe keine Führer gegeben, man habe gemeinschaftlich entschieden, also Mundlos, Böhnhardt, Wohlleben, G. und er. Ob das eine Art Führungszirkel gewesen sei? Das sei halt der kleine Kreis, der dranbleibe, so Kapke.

Greger fragt weiter, ob er an der Ausspähung einer Polizeidienststelle dabei gewesen sei. Ja, gesteht Kapke ein, aber der Begriff „Ausspähen“ sei zu hoch gegriffen. Das Tor sei offen gestanden, dann seien sie (Mundlos, Böhnhardt und er) eben da reingegangen. Ob das im Januar 1997 gewesen sei, könne er ihr „beim besten Willen“ nicht sagen, so Kapke auf die Frage Gregers. Sie hätten vor dem Abtauchen Flugblätter verteilt, hält Greger vor und fragt ob diese auch gegen Ausländer gerichtet gewesen sei. Das seien tagespolitische Inhalte gewesen, windet sich Kapke, kritisch zur Ausländerproblematik, das ja. Was das bedeute, „kritisch mit Ausländern“, will Greger wissen. Kritisch eben, sagt Kapke etwas ungeduldig. Greger fragt weiter, ob man den Nationalsozialismus bewundert habe in der Kameradschaft Jena. „Was heißt bewundert“, erwidert Kapke, man habe sich ja zwangsläufig damit auseinandersetzen müssen. Wenn man sich pro-national betätigt habe, sei man sofort in diesen Topf geschmissen worden. Wie man sich mit Nationalsozialismus (NS) auseinandergesetzt habe, könne er sich „beim besten Willen“ nicht mehr erinnern, erwidert Kapke auf Frage Gregers. Ob das kritisch oder nicht kritisch gewesen sei, hakt sie nach. Kapke sagt, es gebe da so viele unterschiedliche Strömungen, die sich kritisch mit dem NS auseinandersetzten. Es gebe auch welche, die auch in Frage stellten, dass der Nationalsozialismus begrifflich tatsächlich ein Nationalsozialismus gewesen sei. Ob sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe daran beteiligt hätten, fragt Greger. Daran habe er keine konkreten Erinnerungen, es habe keinen Stammtisch in dem Sinne gegeben, nicht explizit, sagt der Zeuge. Der Vorsitzende Götzl fragt, was der Zeuge mit „explizit“ meine. Er habe einfach keine Erinnerung an Diskussionsrunden oder „wir machen jetzt ein Pamphlet fertig“. Man habe gegenseitig die Standpunkte abgewägt, er könne nicht konkret sagen, so und so sei das gewesen, sagt der Zeuge.

GBA-Vertreter Weingarten fragt den Zeugen nach dem Pogromly-Spiel, ob er mal gespielt habe. Ja, sagt Kapke, aber das sei ewig lange her. Welche Position zum historischen NS diesem Spiel denn seiner Meinung nach zu entnehmen sei, fragt Weingarten weiter. Das könne er konkret nicht beantworten, sagt der Zeuge, es sei schon eine Form, da würde schon die schlechteren Seiten des Dritten Reiches verherrlicht. Weingarten: Die schlechteren Seiten, ob er das so verstehen dürfe, dass Spiel eine Realkritik am Dritten Reich enthalte und ob die paraindustrielle Vernichtung von Juden thematisiert werde. Na ja, die Bahnhöfe seien durch Konzentrationslager ersetzt im Spiel, gesteht Kapke ein. Von wem das Spiel produziert worden sei, will Weingarten wissen. Er nehme schon an, die Drei, vom kreativen Faktor her, Herr Mundlos, meint Kapke. Sie hätten das also gespielt und den Inhalt einfach so hingenommen, fragt Weingarten. Es gebe eben Sachen, die überspitze man. Ob sie das diskutiert hätten, wisse er nicht, sagt der Zeuge. Weingarten zitiert: „Wenn sie über Los gekommen sind, wird der heilige Gruß entboten“ – ob er den auch entboten hätte. Wie die Spielregeln im einzelnen gewesen seien, wisse er nicht, sagt Kapke.

Was er zu Frau Zschäpe sage, will Weingarten wissen. Sie sei eine nette Person gewesen, ihren Standpunkt könne er heute nicht mehr nachvollziehen, erklärt der Zeuge. Zu konkreten Aussagen von Frau Zschäpe könne er nichts sagen. Auf Frage sagt er, er nehme es an, dass sie bei Pogromly mal mitgespielt habe. Weingarten fragt zu einer Veranstaltung in Rudolstadt am dortigen Mahnmal für die Opfer des Faschismus, mit wem er hingefahren sei. „Mit’m Auto“, antwortet Kapke. Sie hätten da Wurfzettel verteilt und Straßenschilder umgeklebt, den Inhalt wisse er nicht mehr. Könnten es die Slogans „Deutsche, lernt wieder aufrecht zu stehen“, „Lieber stehend sterben als kniend leben“, „Holocaust: Deutsche wollt ihr ewig zahlen?“, „Hess-Stadt 97“ gewesen sein, bietet Weingarten an. Das liege nahe, sagt der Zeuge und nickt bei der Aufzählung. Wie den die Aktion für ihn zu Ende gegangen sei, wisse er nicht mehr sagt Kapke auf die Frage Weingartens. Angehalten und vorläufig in Gewahrsam genommen worden zu sein – das sei ihm unzählige Male passiert.  Holger G., Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe seien mit im Auto gewesen, stellt Weingarten fest und fragt, ob im Auto auch Waffen gewesen seien und ob Frau Zschäpe einen Dolch mit doppelt geschliffener Klinge gehabt habe. Der Zeuge verneint das.

Er habe vorhin gesagt, dass er zu keinem Zeitpunkt Kenntnis davon gehabt habe, wo Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach dem Untertauchen gewesen seien, vergewissert sich Weingarten. Der Zeuge bejaht das. Weingarten macht einen Vorhalt: einer Quelle beim Vorgang Drilling beim LfV Thüringen zufolge solle er bei Vorgesprächen zu einer Spontandemo geäußert haben, die Drei seien an einer sicheren Stelle, könnten aber nicht arbeiten und hätten erhebliche finanzielle Probleme. Das sei schon möglich, dass er das gesagt habe, räumt der Zeuge ein, grundsätzlich ja. Verteidiger RA Klemke beanstandet die Frage: es gehe nicht um Möglichkeiten sondern um Tatsachen. Weingarten erwidert trocken, natürlich sei die Frage zulässig, wie alle seine Fragen. Ob er sich über einen konkreten Aufenthaltsort der drei geäußert habe, fragt Weingarten weiter. Definitiv nicht, lautet des Zeugen Antwort.

Dann fragt Weingarten, ob er sich an Anfragen von Journalisten erinnern könne, die Geld für Interview mit den Dreien geboten hätten. Ja, sagt Kapke, es habe seiner Meinung nach eine solche Anfrage gegeben. Er könne das jedoch nicht präzisieren, aber sie hätten schon Interesse gehabt, dass Journalisten Informationen und ein Interview verbreiten würden. Wie das finanzielle Angebot ausgesehen, das könne er ihm aus dem Stegreif nicht sagen. Wer ihm denn von dem Wunsch des Journalisten berichtet habe, fragt Weingarten. Das könnten Ralf [Wohlleben], Tino Brandt oder eventuell auch Br. gewesen sein. Leute eben, die mit dem THS bekannt waren, beschreibt Kapke. Weingarten hält vor: „Wolle habe Br. gesagt, dass Brandt erzählt habe, dass ein Stern-Journalist aus der Berliner Redaktion sehr interessiert gewesen sei, für einen Kontakt 50 bis 60.000 Mark zu zahlen.“ Es habe mehrmals Interview-Anfragen gegeben, erwidert der Zeuge, er wisse nicht, ob es immer um die Drei gegangen sei und um diese Summe. Weingarten hält weiter aus den Akten vor: Während Kapke und Wohlleben wegen der Höhe des Angebots dafür gewesen seien, habe es Br. als zu gefährlich abgelehnt. Daran habe er keine Erinnerung, so der Zeuge, wenn dann sei es darum gegangen, wie man das Geld abgreifen könne.

Ob er in den Vertrieb des Spiels Pogromly eingebunden gewesen sei, fragt Weingarten weiter. Er glaube, er habe dem Brandt mal ein paar Spiele gegeben, nicht im großen Stil, so der Zeuge. Wer denn seiner Kenntnis nach noch daran beteiligt gewesen sein, fährt Weingarten fort. Er meine der Ralf [Wohlleben]. Weiter wisse er es nicht. Er sei mit Tino mal in Kontakt gewesen, aber ob er ihm selber oder nur vermittelt die Spiele habe zukommen lassen, könne er nicht sagen. Ob ihm Jürgen He. etwas sage, fragt Weingarten und ob dieser etwas mit den Untergetauchten zu tun gehabt habe. Er kenne ihn aus dem Bekanntenkreis von Ralf und er wisse das aus den Medien, aber nicht aus eigener Erinnerung, erwidert der Kapke. Weingarten hält aus einer BAW-Vernehmung He.s vor: Er habe die Spiele verkauft, den erzielten Verkaufspreis dann an Wohlleben oder Kapke oder Carsten S. weitergeben. Er habe mit He. so engen Kontakt nicht gehabt, gibt der Zeuge an, aber er habe sicher kein Geld bekommen. Er habe kein Geld aus dem Verkauf von Spielen entgegengenommen, fragt Weingarten nachdrücklich nach. Er habe Geld von Herrn Brandt bekommen, ja, aber von He., da könne er sich nicht erinnern. Weingarten hakt nach: Er habe gesagt, er habe mit He. nicht so viel zu tun gehabt. Laut Erkenntnissen des LfV Thüringen aus einer  Observation gehe hervor, dass sich am 6.8.1998 He. und Kapke mit Wohlleben in dessen Wohnung in Jena getroffen hätten. Da sei er nach Südafrika geflogen, triumphiert der Zeuge. Sei er nicht seit dem 8.8. in Südafrika gewesen, fragt Weingarten nach. Er könne sich jedenfalls nicht erinnern, dass er mit He. und Wohlleben in dessen Wohnung gewesen sei. Da habe er keine Erinnerung. „Nichts genaues wissen sie nicht“, bemerkt Weingarten ironisch. Man könne den Eindruck gewinnen, so Weingarten, die ganze rechte Szene habe nur aus „Hallo!“ und „da guckt man mal“ bestanden. Dann sei das so, sagt der Zeuge.

Weingarten fragt weiter: ob ihm der Name S. [Name des Angeklagten Carsten S.] etwas sage. Den gebe es wie Sand am Meer. Ob er Kontakt zu Carsten S. gehabt habe. Der Zeuge bejaht. Er solle den Kontakt zu S. schildern, fordert Weingarten ihn auf. Er wisse nicht mehr genau wann er ihn kennengelernt habe. Er meine, dass das durch seinen Bruder gewesen sei. Er habe S. öfter mal gesehen, der habe gerade angefangen, sich politisch zu engagieren. Ob S. bei der Unterstützung der Untergetauchten eine Rolle gespielt habe, will Weingarten wissen. Für ihn persönlich nicht, erwidert der Zeuge, es habe mal ein Gespräch mit Herrn Brandt gegeben, aber da müsse er vorsichtig sein. Brandt habe ihm gesagt, S. sei auf ihn zugekommen. Das sei der Grund gewesen, weshalb er etwas Abstand gewollt habe, weil ihm das zu viele Leute gewesen seien. Weingarten fragt zu S. etwas konkreter: Wie eng dieser in die Unterstützung des Trios eingebunden gewesen sei. Er hält vor: „Ein dreiviertel Jahr später sprachen mich Ralf Wohlleben und André Kapke an, wir trafen uns, André Kapke kam mit dem Auto von Brandt.“ Er könne sich nicht erinnern, sich mit den beiden getroffen zu haben, erwidert Kapke. Weingarten fragt weiter, ob es so gewesen sei, dass S. etwas für das Trio habe tun wollen. Nein, sagt der Zeuge, er habe keine konkrete Erinnerung. Weingarten sagt dem Zeugen, er würde ihm raten, sich einen Ruck zu geben, und zitiert weiter aus der Vernehmung von S.: „…ob ich den drei Untergetauchten helfen könnte, weil die beiden, André Kapke und Ralf Wohlleben, unter Beobachtung stehen“. Ob das das einzige Gespräch gewesen sei, bei dem Kapke dabei gewesen sei, fragt Weingarten. Er habe keine Erinnerung, sagt Kapke. Ob er mal mit Ralf Wohlleben darüber gesprochen habe, wen man gewinnen könne für dies Aufgabe, hakt Weingarten nach. Nicht konkret, erwidert Kapke, ja, er werde mit ihm darüber schon geredet haben. Es werde schon so sein, dass er mit dem Ralf über verschiedene Dinge geredet habe, aber was konkret, könne er nicht mehr sagen. Weingarten nochmal: ob sie darüber geredet hätten, ob er nicht mehr sagen könne, worüber es im Einzelnen gegangen sei. Kapke fragt etwas genervt zurück, ob Weingarten vor 15 Jahren ein Verfahren gehabt habe, wo er sich an alle Details erinnern könne: „Bitt sie!“ Er wolle es nicht ausschließen, habe aber keine konkrete Erinnerung, so Kapke.

Ob sie noch eine Person hätten reinnehmen wollen, es habe doch Bedarf gegeben, versucht es Weingarten wieder. Wir drehen uns im Kreis, sagt der Zeuge. Nein, er drehe sich im Kreis, patzt Weingarten zurück und wiederholt die Frage. Gut möglich, lässt sich Kapke nicht aus der Ruhe bringen. Aber sie hätten doch auch Dritte einbezogen, etwa bei den Pässen, versucht es Weingarten noch einmal. Daran könne er sich konkret nicht erinnern, sagt Kapke. Aber als gehört habe, dass S. dabei sei, habe er sich zurückgezogen, fragt Weingarten ungläubig den Widerspruch ab. Es sei nun mal leider so, dass er viel darüber gelesen habe und er die Sachen jetzt vermische, sagt Kapke. Dass er sich zurückgezogen habe aus der Unterstützung, ob das auch damit zu tun gehabt habe, dass im Raum gestanden habe, dass Geld weggekommen sei, fasst Weingarten nach. Er sei zu der Zeit auch aus der NPD ausgetreten, sagt Kapke. Dass er Geld veruntreut habe, ob das eine Rolle gespielt habe, fragt Weingarten. Ja, das habe eine Rolle gespielt. Ob er erfahren habe, dass Ralf Wohlleben schlecht über ihn geredet habe? Der Zeuge verneint das. Auch, dass es geheißen habe, sie hätten deswegen jahrelang nicht miteinander geredet, das sei Quatsch, das stimme einfach nicht, erklärt der Zeuge. Sicher, es gebe Höhen und Tiefen wie bei allen Freundschaften, schließt er.

Richter Götzl beendet die Einvernahme Kapkes und kündigt diesem an, dass er ein weiteres werde kommen müssen.

Auf NSU-Nebenklage heißt es zu dem Umgang des Gerichts mit dem Zeugen: „Dass Götzl die lügenden Nazizeugen in diesem Prozess mit Samthandschuhen anfasst, obwohl ihm aus früheren Verfahren gerade im Umgang mit Zeugen ein furchteinflößender Ruf vorauseilt, irritiert sehr – vor allem, weil das Gefühl entsteht, dass die Naziszene mit dem Gericht spielt. Tatsächlich verbaut dies sicher eine weitergehende Aufklärung der Taten. Götzl will aber gar keine weitergehende Aufklärung, sondern eine anklagegemäße Verurteilung – für diese reichen ihm die vorliegenden Beweise und er will sich den Weg zum Urteil nicht mit Streitigkeiten über Ordnungsgelder und Beugehaft verkomplizieren.“

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